Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 21.08.2012, Az. 20 F 5/12

Fachsenat für Entscheidungen nach § 99 Abs 2 VwGO | REWIS RS 2012, 3806

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Gegenstand

Anforderungen an den Informantenschutz


Gründe

1

[X.]ie Beschwerde des [X.], der in dem diesem Zwischenverfahren zugrunde liegenden Hauptsacheverfahren die Verpflichtung des [X.]n begehrt, vollständige Auskunft über die zu seiner Person gespeicherten [X.]aten zu erhalten, ist unbegründet. Zu Recht hat der [X.] des [X.] entschieden, dass die Weigerung des [X.]n, die vom Hauptsachegericht angeforderten Akten der Verfassungsschutzbehörde des [X.] vollständig und ungeschwärzt vorzulegen, rechtmäßig ist.

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1. In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Senats hat der [X.] des [X.] die mit der Eingangsverfügung verbundene formlose Aufforderung, die Unterlagen vollständig und im Original vorzulegen, für ausreichend angesehen.

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Ein - grundsätzlich erforderlicher - Beweisbeschluss oder eine vergleichbare förmliche Äußerung des Hauptsachegerichts zur Klärung der rechtlichen Erheblichkeit des Akteninhalts für die Entscheidung des Rechtsstreits ist dann ausnahmsweise entbehrlich, wenn die zurückgehaltenen Unterlagen zweifelsfrei rechtserheblich sind. [X.]as ist immer dann der Fall, wenn die Pflicht zur Vorlage der [X.] bereits Streitgegenstand des Verfahrens zur Hauptsache ist und die dortige Entscheidung von der - allein anhand des Inhalts der umstrittenen Akten zu beantwortenden - Frage abhängt, ob die Akten, wie von der Behörde geltend gemacht, geheimhaltungsbedürftig sind (Beschluss vom 19. April 2010 - BVerwG 20 [X.] - BVerwGE 136, 345 Rn. 4 m.w.N.). So liegt es hier. [X.]er [X.] hat dem Begehren des [X.] im Hauptsacheverfahren auf (vollständige) Auskunft materiell-rechtliche Weigerungsgründe [X.]. § 13 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 NVerfSchG entgegengehalten, deren Berechtigung für das Gericht der Hauptsache nur in Kenntnis des Akteninhalts feststellbar ist.

4

2. Nach § 99 Abs. 1 Satz 1 VwGO sind Behörden zur Vorlage von Urkunden oder Akten und zu Auskünften an das Gericht verpflichtet. Wenn das Bekanntwerden des Inhalts der Akten dem Wohl des [X.] oder eines [X.] Landes Nachteile bereiten würde oder wenn die Vorgänge nach einem Gesetz oder ihrem Wesen nach geheim gehalten werden müssen, kann die zuständige oberste Aufsichtsbehörde gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO die Vorlage der Urkunden oder Akten oder die Erteilung der Auskünfte verweigern. Ein Nachteil in diesem Sinne ist u.a. dann gegeben, wenn und soweit die Bekanntgabe des Akteninhalts die künftige Erfüllung der Aufgaben der Sicherheitsbehörden einschließlich deren Zusammenarbeit mit anderen Behörden erschweren oder Leben, Gesundheit oder Freiheit von Personen gefährden würde (stRspr, vgl. Beschlüsse vom 29. Juli 2002 - BVerwG 2 AV 1.02 - BVerwGE 117, 8, vom 25. Februar 2008 - BVerwG 20 F 43.07 - juris Rn. 10, vom 5. November 2008 - BVerwG 20 F 6.08 - juris Rn. 4, vom 3. März 2009 - BVerwG 20 F 9.08 - juris Rn. 7 und vom 2. Juli 2009 - BVerwG 20 [X.] - [X.] 310 § 99 VwGO Nr. 54 Rn. 8).

5

Gemäß § 1 Satz 1 NVerfSchG dient der Verfassungsschutz des [X.] dem Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes und der Sicherheit des [X.] und der Länder. Aufgabe der Verfassungsschutzbehörde des Landes ist die Sammlung und Auswertung von Informationen, insbesondere von sach- und personenbezogenen Auskünften, Nachrichten und Unterlagen, über Bestrebungen und Tätigkeiten [X.]. § 3 Abs. 1 NVerfSchG. [X.]ieses Ziel rechtfertigt die Geheimhaltung gewonnener verfassungsschutzdienstlicher Informationen und Informationsquellen, Arbeitsweisen und Methoden der Erkenntnisgewinnung.

6

3. Gemäß § 13 Abs. 1 Satz 1 NVerfSchG erteilt die Verfassungsschutzbehörde dem Betroffenen über zu seiner Person gespeicherte [X.]aten auf Antrag unentgeltlich Auskunft. Gemäß § 13 Abs. 2 NVerfSchG hat die Auskunftserteilung zu unterbleiben, wenn einer der in Satz 1 Nr. 1 bis 3 genannten [X.] vorliegt. Wird der Auskunftsanspruch nach § 13 Abs. 1 NVerfSchG vor dem Verwaltungsgericht geltend gemacht und beabsichtigt die oberste Aufsichtsbehörde, die Vorlage der vom Verwaltungsgericht zum Zweck der Sachverhaltsaufklärung angeforderten Akten gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO wegen [X.] ganz oder teilweise zu verweigern, genügt es nicht, dass sie in ihrer Erklärung gegenüber dem Gericht auf die [X.] des [X.] verweist. [X.]ie oberste Aufsichtsbehörde hat vielmehr neben der [X.] der Akten zusätzlich gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO in den Blick zu nehmen, dass das angerufene Gericht der Hauptsache auf die Kenntnis der Akten angewiesen ist, um zu einer sachgerechten Entscheidung zu kommen. Insofern ist die Vorschrift des § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO im Verhältnis zu den fachgesetzlich geregelten [X.] eine prozessrechtliche Spezialnorm. [X.]as bedeutet, dass der obersten Aufsichtsbehörde auch in den Fällen Ermessen zugebilligt ist, in denen das [X.] der zuständigen Fachbehörde kein Ermessen einräumt (stRspr, vgl. nur Beschluss vom 14. April 2011 - BVerwG 20 [X.] - juris Rn. 5).

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4. Nach diesen Grundsätzen ist die Verweigerung des [X.]n nicht zu beanstanden.

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4.1 Zu Recht hat der [X.] des [X.] nicht beanstandet, dass der [X.] die in der Sperrerklärung angeführten [X.] nicht unter Angabe von Blattzahlen der [X.] ([X.] und [X.]) den jeweiligen Aktenseiten bzw. Bestandteilen einer Seite zugeordnet hat. Grundsätzlich muss eine Sperrerklärung zwar eine präzisierende Umschreibung und Zuordnung der geltend gemachten [X.] enthalten (Beschlüsse vom 5. November 2008 a.a.[X.] Rn. 10, vom 25. Juni 2010 - BVerwG 20 F 1.10 - [X.] 310 § 99 VwGO Nr. 59 Rn. 11 und vom 18. April 2012 - BVerwG 20 F 7.11 - juris Rn. 5). [X.]er in der Sperrerklärung enthaltene Hinweis, die Zuordnung sei behördenintern geleistet und dokumentiert worden, genügt dafür nicht (vgl. dazu auch Beschluss vom 18. April 2012 a.a.[X.] Rn. 10 f.). Eine differenzierende Aufbereitung der Unterlagen - unter Angabe von Blattzahlen, gegebenenfalls auch der Bezifferung von Absätzen oder der Gliederungspunkte eines [X.]okuments - erweist sich aber im vorliegenden Fall ausnahmsweise als entbehrlich, weil der Umfang der Unterlagen überschaubar ist und sich bei [X.]urchsicht der Akte die Zuordnung der [X.] ohne Weiteres erschließt.

9

4.2 [X.]ie [X.]urchsicht der [X.] und [X.] belegt die in der Sperrerklärung dargelegten [X.]. [X.]ie Feststellung des [X.]s des [X.], dass die Aktenseiten, die der [X.] vollständig zurückgehalten oder aber nur mit Schwärzungen vorgelegt hat, geheimhaltungsbedürftig sind, ist nicht zu beanstanden.

[X.]er Senat hat die vom [X.]n vorgelegten, uneingeschränkt lesbaren Aktenstücke der [X.] und [X.] im Einzelnen durchgesehen. [X.]abei hat sich ergeben, dass der [X.] nur Eintragungen zurückgehalten hat, die gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO geheimhaltungsbedürftig sind. Wie der [X.] des [X.] dargelegt hat, rechtfertigen Aktenzeichen, [X.] und Arbeitstitel, Verfügungen, [X.], Randbemerkungen und Querverweise sowie Hervorhebungen und/oder Unterstreichungen die Zurückhaltung dieser Seiten. [X.]iese Informationen sind grundsätzlich geeignet, vor allem im Rahmen einer umfangreichen Zusammenschau, die künftige Aufgabenerfüllung der Sicherheitsbehörden einschließlich deren Zusammenarbeit mit anderen Behörden zu erschweren, weil sich daraus Rückschlüsse auf Arbeitsweisen und Methoden der Erkenntnisgewinnung ableiten lassen. [X.]arüber hinaus sind in den [X.] und [X.] Informationen enthalten, deren Sperrung dem Quellenschutz dient, die personenbezogene [X.]aten von Behördenangehörigen und Mitarbeitern betreffen, Methoden der operativen Arbeit oder der Zusammenarbeit mit anderen Behörden offenbaren oder Rückschlüsse auf die interne Arbeits- und Verfahrensweise der Verfassungsschutzbehörde ermöglichen würden. [X.]as gilt in besonderer Weise für so genannte [X.]eckblattberichte, für die darüber hinaus der Gesichtspunkt des Quellenschutzes greift, und die aus diesem Grund grundsätzlich in ihrer Gesamtheit einschließlich Anlagen geheimhaltungsbedürftig sind (Beschluss vom 5. April 2012 - BVerwG 20 F 1.12 - juris Rn. 4). Zu einigen wenigen Aktenseiten, die der [X.] dem Hauptsachegericht im Original vorgelegt und mit Schwärzungen versehen hat, fehlen zwar die für einen Abgleich erforderlichen ungeschwärzten [X.] in den [X.] und [X.] (vgl. dazu auch Beschluss vom 5. April 2012 a.a.[X.] Rn. 7). [X.]as ist jedoch hier ausnahmsweise unschädlich, weil sich die Schwärzungen erkennbar auf geheimhaltungsbedürftige Angaben beziehen. [X.]as ergibt sich aus dem inhaltlichen Gesamtzusammenhang, in dem die geschwärzten Angaben stehen, und aus dem formalen Aufbau der Seite, d.h. der konkreten Stelle der Schwärzungen auf dem Blatt. [X.]ie Überprüfung durch den Senat hat auch bestätigt, dass punktuelle Schwärzungen - über die dem Hauptsachegericht bereits vorgelegten Aktenseiten hinaus - nicht angezeigt waren, weil für jede Aktenseite - meist mehrere - [X.] vorliegen, die die Vorlageverweigerung der Seite insgesamt rechtfertigen.

Soweit der Kläger zum Informantenschutz die "Validität" der Quellenberichte bestreitet und meint, eine Falschinformation erscheine nahe liegend bzw. möglich, wird nicht beachtet, dass der Informantenschutz grundsätzlich unabhängig vom Wahrheitsgehalt der Mitteilungen greift (Urteil vom 27. Februar 2003 - BVerwG 2 C 10.02 - BVerwGE 118, 10 <14>; Beschluss vom 22. Juli 2010 - BVerwG 20 F 11.10 - BVerwGE 137, 318 Rn. 13). Eine Behörde darf die Vertraulichkeit von Angaben [X.]ritter auch dann wahren, wenn sich Hinweise eines Informanten nachträglich als unzutreffend erweisen sollten (Beschluss vom 5. April 2012 a.a.[X.] Rn. 5).

[X.]er im Zusammenhang mit den Ermessenserwägungen des [X.]n erhobene Einwand, die Angaben seien nachweislich falsch, beschränkt sich auf den Hinweis, der Kläger habe an den genannten Veranstaltungen nicht als "Teilnehmer", sondern in seiner Eigenschaft als Journalist teilgenommen. [X.]ass er bei den Veranstaltungen anwesend war, stellt der Kläger nicht in Abrede. [X.]er [X.] weiß auch, dass der Kläger ein Journalist ist. Insofern handelt es sich nicht um "falsche Informationen". [X.]ie Frage, welche Schlüsse der [X.] aus bestimmten Tatsachen zieht, ist ebenso wie die vom Kläger im Zusammenhang mit § 10 Abs. 3 NVerfSchG aufgeworfene Frage, warum er weiterhin "beobachtungswürdig" erscheine, nicht im in-camera-Verfahren zu beantworten. Anhaltspunkte dafür, dass in den Quellenberichten wider besseres Wissen oder leichtfertig Behauptungen aufgestellt worden wären, sind weder vorgetragen noch zu erkennen.

4.3 [X.]er [X.] hat in seiner Eigenschaft als oberste Aufsichtsbehörde [X.]. § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO auch das ihm eingeräumte Ermessen erkannt. Er hat, wie in § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO vorgesehen, eine auf den laufenden Rechtsstreit bezogene und auf einer Abwägung der widerstreitenden Interessen der Beteiligten im Prozess beruhende Ermessensentscheidung über die Aktenvorlage getroffen und nicht lediglich auf das Vorliegen der fachgesetzlichen Weigerungsgründe nach § 13 Abs. 2 NVerfSchG verwiesen.

Wie der [X.] des [X.] ausgeführt hat, sind die Erwägungen zwar sehr kurz gehalten, sie genügen aber noch den Anforderungen an eine Ermessensausübung [X.]. § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO. So hat der [X.] ausgeführt, dass bei der gebotenen Güterabwägung nicht nur das Interesse an einer lückenlosen Sachverhaltsaufklärung durch das Gericht, sondern auch das private Interesse des [X.] an der begehrten Auskunft zu berücksichtigen sei. [X.]abei sei an Hand jedes einzelnen Aktenstücks die Frage der Offenlegung geprüft worden. [X.]em entspricht, dass der [X.] die [X.] und [X.] offensichtlich sorgsam gesichtet und nicht nur Aktenseiten, die allgemein zugängliches Material enthalten (ungeschwärzt) vorgelegt hat, sondern sich entschieden hat, auch einige behördliche Schreiben (Telexschreiben, Vermerk) offenzulegen und sich insoweit auf die Schwärzung lediglich formaler Aspekte wie Aktenzeichen, [X.] u.ä. beschränkt hat. Auch die Erwägung, die sich auf Grund der [X.]urchsicht bestätigt sieht, dass die journalistische Tätigkeit des [X.] nicht Anlass der [X.]atenerhebung und -speicherung ist, zeigt, dass der [X.] sein Ermessen nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO im Hinblick auf die Umstände des konkreten Einzelfalls ausgeübt hat. Soweit der Kläger geltend macht, die Teilnahme an bestimmten Veranstaltungen sei seiner journalistischen Arbeit geschuldet, missversteht er möglicherweise den Begriff "Anlass". Wie der [X.] in seiner Beschwerdeerwiderung ausgeführt hat, waren Handlungen, die zu strafrechtlichen Ermittlungen führten, und nicht die journalistische Tätigkeit des [X.] Anlass für verfassungsschutzbehördliche Maßnahmen, die zu den in den Akten befindlichen Informationen geführt haben. [X.]ie [X.]urchsicht der Akten belegt, dass die vom Kläger genannten Veranstaltungen nicht allein deswegen in den Blick der Behörde geraten sind, weil er dort anwesend war.

Meta

20 F 5/12

21.08.2012

Bundesverwaltungsgericht Fachsenat für Entscheidungen nach § 99 Abs 2 VwGO

Beschluss

Sachgebiet: F

vorgehend OVG Lüneburg, 23. März 2012, Az: 14 PS 1/12, Beschluss

§ 99 Abs 2 VwGO

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 21.08.2012, Az. 20 F 5/12 (REWIS RS 2012, 3806)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 3806

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