Bundesgerichtshof, Urteil vom 19.11.2013, Az. II ZR 18/12

2. Zivilsenat | REWIS RS 2013, 1023

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Insolvenz einer GmbH: Erhaltung der Aufrechnungslage zwischen rückständigen Gehaltsansprüchen des Geschäftsführers und eines gegen ihn bestehenden Schadensersatzanspruchs wegen Zahlungen nach Zahlungsunfähigkeit


Leitsatz

Eine vor Insolvenzeröffnung bestehende Aufrechnungslage zwischen rückständigen Gehaltsansprüchen des Geschäftsführers und dem gegen ihn bestehenden Anspruch aus § 64 Satz 1 GmbHG ist nicht nach § 94 InsO geschützt, wenn die Aufrechnungslage durch eine anfechtbare Rechtshandlung erworben wurde.

Tenor

Auf die Revision des [X.] wird das Urteil des 14. Zivilsenats des [X.] vom 2. Dezember 2011 aufgehoben.

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil der 7. Zivilkammer des [X.] vom 10. September 2009 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Verurteilung zur Zahlung von 755,80 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 22. April 2009 wirkungslos ist.

Die Kosten der Rechtsmittel trägt der Beklagte.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger ist Insolvenzverwalter im Insolvenzverfahren über das Vermögen der [X.] (künftig: Schuldnerin), das auf den Antrag vom 1. November 2007 am 10. Dezember 2007 eröffnet wurde. Er nimmt den Beklagten, der bis zum 30. Oktober 2007 Geschäftsführer der Schuldnerin war, auf Erstattung von Zahlungen der Schuldnerin im Zeitraum vom 1. bis 16. Oktober 2007 in Höhe von 13.729,22 € mit der Begründung in Anspruch, die Schuldnerin sei zum 30. September 2007 zahlungsunfähig und überschuldet gewesen.

2

Der Beklagte hat sich mit der Begründung, die Schuldnerin sei nicht zahlungsunfähig gewesen und er habe zudem hinsichtlich der Zahlungen nicht schuldhaft gehandelt, gegen die Klage verteidigt. Das [X.] hat der Klage stattgegeben.

3

In der Berufungsinstanz hat sich der Beklagte zunächst mit der Begründung, dem Kläger stehe entgegen der Ansicht des [X.]s kein Anspruch aus § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG a.F. zu, gegen die erstinstanzliche Entscheidung gewandt. Im Laufe des Berufungsverfahrens hat er gegen die Klageforderung mit einem Teil seiner rückständigen Gehaltsforderungen (Januar bis März 2007 in Höhe von 11.505 €, April 2007 in Höhe von 2.224,22 €) aufgerechnet, die durch Urteil des [X.]s Berlin vom 5. Mai 2011 (5 [X.]/10) rechtskräftig als Insolvenzforderung gegenüber dem Kläger in einer Gesamthöhe von 30.680 € für die Zeit von Dezember 2006 bis Juli 2007 festgestellt worden sind.

4

In der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht hat der Kläger die Klage in Höhe der Nebenforderung (vorgerichtliche Anwaltskosten) mit Zustimmung des Beklagten zurückgenommen. Der Beklagte hat erklärt, sich nur noch mit der erklärten Aufrechnung gegen die Klage verteidigen zu wollen. Das Berufungsgericht hat auf die Berufung des Beklagten die Klage im Hinblick auf die erklärte Aufrechnung abgewiesen. Hiergegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision des [X.].

Entscheidungsgründe

5

Die Revision des [X.] hat Erfolg und führt unter Aufhebung des Berufungsurteils zur Wiederherstellung der landgerichtlichen Entscheidung im Umfang des vom Kläger nach [X.] noch verfolgten Klagebegehrens.

6

I. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:

7

Die Aufrechnung des Beklagten gegen den Anspruch des [X.] aus § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG a.F. (= § 64 Satz 1 GmbHG) habe Erfolg und führe zum Erlöschen der Klageforderung (§ 389 [X.]). Die zwischen der Forderung des [X.] und den Ansprüchen aus § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG a.F. vor Insolvenzeröffnung bestehende Aufrechnungslage (§ 387 [X.]) habe zugunsten des Beklagten nach § 94 [X.] fortbestanden. Anhaltspunkte für [X.] nach § 96 Abs. 1 [X.] seien dem [X.] nicht zu entnehmen. Der Anspruch aus § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG a.F. schließe auch nicht seiner Eigenart nach jede Aufrechnung aus. Das Berufungsgericht hat die Revision zugelassen wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsfrage, ob der Geschäftsführer gegen eine Forderung aus § 64 Satz 1 GmbHG bzw. § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG a.F. mit vor Insolvenzeröffnung erworbenen Gehaltsforderungen aufrechnen kann.

8

II. Die angefochtene Entscheidung hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand. Dabei kommt es auf die Frage, deretwegen das Berufungsgericht die Revision zugelassen hat, für die Entscheidung nicht an. Die vom Beklagten erklärte Aufrechnung ist schon gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. § 131 Abs. 1 Nr. 1 [X.] insolvenzrechtlich unwirksam.

9

1. Entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung ist das Berufungsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass dem Kläger gegen den Beklagten eine Forderung aus § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG a.F., gegen die der Beklagte aufgerechnet hat, zusteht. Mit ihren insoweit erhobenen Gegenrügen kann die Revisionserwiderung nicht mehr gehört werden. Die Revisionserwiderung verkennt, dass das Berufungsgericht seiner Entscheidung das Bestehen der Klageforderung ohne eigene Prüfungskompetenz zu Grunde zu legen hatte, nachdem der Beklagte sich in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht nur noch mit der ([X.] gegen die Klage verteidigt hat (vgl. [X.], Urteil vom 13. Juni 2001 - [X.], [X.], 2023, 2024 mwN; s. hierzu auch [X.], Urteil vom 13. Februar 1996 - [X.], [X.], 1153 f.).

2. Gegen die Feststellung des Berufungsgerichts, zwischen den (aus Januar bis April 2007) rückständigen [X.]n des Beklagten und dem Anspruch des [X.] aus § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG a.F. habe vor Insolvenzeröffnung eine Aufrechnungslage bestanden, wendet sich die Revision - zu Recht - nicht.

Eine Aufrechnungslage besteht, wenn die in § 387 [X.] normierten Tatbestandsmerkmale Gegenseitigkeit, Gleichartigkeit, Durchsetzbarkeit der Aktivforderung des Aufrechnenden und Erfüllbarkeit der Passivforderung des [X.] gegeben sind (st. Rspr. siehe nur [X.], Urteil vom 19. Mai 2011 - [X.], [X.], 1271 Rn. 6 mwN; [X.], [X.], 13. Aufl., § 387 Rn. 1). Zutreffend hat das Berufungsgericht die Merkmale der Gegenseitigkeit, Gleichartigkeit, Durchsetzbarkeit der [X.] und (unter Bezugnahme auf [X.], Urteil vom 16. März 2009 - [X.], [X.], 956 Rn. 20; ebenso [X.], Beschluss vom 23. September 2010 - [X.], [X.], 2107 Rn. 13 ff.) der Erfüllbarkeit der Passivforderung aus § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG a.F. als gegeben angesehen.

3. Das Berufungsgericht hat aber, wie die Revision zu Recht rügt, verkannt, dass die nach seinen Feststellungen vor Insolvenzeröffnung bestehende Aufrechnungslage (§ 387 [X.]) zwischen den rückständigen Gehaltsforderungen des Beklagten und dem Anspruch der Schuldnerin aus § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG a.F. nicht nach § 94 [X.] geschützt ist, weil zu Lasten des Beklagten das [X.] aus § 96 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. § 131 Abs. 1 Nr. 1 [X.] eingreift. Nach § 96 Abs. 1 Nr. 3 [X.] ist die Aufrechnung insolvenzrechtlich unwirksam, wenn ein Insolvenzgläubiger die Möglichkeit der Aufrechnung durch eine anfechtbare Rechtshandlung erlangt hat. Dies setzt voraus, dass die Aufrechnungslage in einer von §§ 130 ff. [X.] beschriebenen Weise anfechtbar erworben worden ist ([X.], Urteil vom 29. Juni 2004 - [X.], [X.]Z 159, 388, 393; Urteil vom 14. Juni 2007 - [X.], [X.], 1507, 1508; Versäumnisurteil vom 15. November 2007 - [X.], [X.], 235 Rn. 9). Diese Voraussetzung ist hier erfüllt.

a) Der Beklagte hat die Aufrechnungslage durch die (verbotenen) Zahlungen in der Krise der Schuldnerin herbeigeführt. Unter einer Rechtshandlung im Sinne der §§ 129 ff. [X.] ist jedes von einem Willen getragene Handeln zu verstehen, das eine rechtliche Wirkung auslöst und das Vermögen des Schuldners zum Nachteil der Insolvenzgläubiger verändern kann (st. Rspr., siehe nur [X.], Urteil vom 7. Mai 2013 - [X.], [X.], 1180 Rn. 6 mwN). Darauf, ob die rechtliche Wirkung auf dem Willen des Handelnden beruht oder - wie hier - kraft Gesetzes eintritt, kommt es nicht an ([X.], Urteil vom 7. Mai 2013 - [X.], [X.], 1180 Rn. 6).

b) Die (verbotenen) Zahlungen hatten eine Benachteiligung der Insolvenzgläubiger zur Folge, weil sie zu einem Anspruch der Schuldnerin gegen den Beklagten und damit zu der Möglichkeit der Aufrechnung führten, welche den Erstattungsanspruch aus § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG a.F. der Gesamtheit der Gläubiger entzog, während der Beklagte ohne die Aufrechnung nur eine Insolvenzforderung hätte geltend machen können.

c) Die Herstellung der Aufrechnungslage durch den Beklagten führte zu einer inkongruenten Deckung (§ 131 Abs. 1 Nr. 1 [X.]). Der Beklagte hatte gegen die Schuldnerin keinen Anspruch auf eine Begründung gegenseitiger Forderungen (vgl. hierzu [X.], Urteil vom 29. Juni 2004 - [X.], [X.]Z 159, 388, 393 f.).

4. Wegen der bereits insolvenzrechtlichen Unwirksamkeit der Aufrechnung des Beklagten kommt es für die Entscheidung des Rechtsstreits auf die Frage, ob die Eigenart des Anspruchs aus § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG a.F. (= § 64 Abs. 1 GmbHG) die Aufrechnung ausschließt (bejahend: [X.]/[X.] in [X.]/[X.], [X.], [X.].L. 2012, § 94 Rn. 25 und § 96 Rn. 5), nicht mehr an.

[X.]                       Strohn                        Caliebe

                   Reichart                      Sunder

Meta

II ZR 18/12

19.11.2013

Bundesgerichtshof 2. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend KG Berlin, 2. Dezember 2011, Az: 14 U 180/09

§ 64 S 1 GmbHG, § 94 InsO, § 96 Abs 1 Nr 3 InsO, § 131 Abs 1 Nr 1 InsO, § 387 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 19.11.2013, Az. II ZR 18/12 (REWIS RS 2013, 1023)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 1023

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

II ZR 18/12 (Bundesgerichtshof)


12 U 49/19 (Oberlandesgericht Düsseldorf)


IX ZR 147/03 (Bundesgerichtshof)


IX ZR 132/15 (Bundesgerichtshof)

Insolvenzverfahren: Zulässigkeit der Aufrechnung bei Abhängigkeit beider Forderungen von derselben Bedingung; Widerruf eines verbundenen Geschäfts


IX ZR 104/07 (Bundesgerichtshof)

Insolvenzanfechtung: Anfechtbarkeit des Erwerbs einer Aufrechnungslage


Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.