Bundesgerichtshof, Urteil vom 20.06.2023, Az. XI ZR 2/22

11. Zivilsenat | REWIS RS 2023, 3770

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Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 5. Zivilsenats des [X.] vom 23. Dezember 2021 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Beklagten erkannt und der [X.] stattgegeben worden ist.

Die Berufung des [X.] gegen das Urteil der 12. Zivilkammer des [X.] vom 22. März 2021 wird insgesamt zurückgewiesen.

Die Revision des [X.] wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Rechtsmittelverfahren werden dem Kläger auferlegt.

Streitwert: bis 25.000 €

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit des Widerrufs der auf Abschluss eines Verbraucherdarlehensvertrags gerichteten Willenserklärung des Klägers.

2

Der Kläger erwarb im Februar 2019 einen gebrauchten [X.] zum Kaufpreis von 26.380 €. Zur Finanzierung des über eine Anzahlung von 2.500 € hinausgehenden Kaufpreises und der Prämie für eine Ratenschutzversicherung in Höhe von 1.226,02 € schlossen die Parteien mit Datum vom 8. Februar 2019 einen Darlehensvertrag über 25.106,02 €. Das Darlehen sollte in 59 Monatsraten zu je 275,05 € und einer Schlussrate von 11.607,20 € zurückgezahlt werden. Neben einer Information über ein Widerrufsrecht und weitere Pflichtangaben enthält der Darlehensvertrag folgende Angabe über die Verzugsfolgen:

3

"Für ausbleibende Zahlungen werden die gesetzlichen Verzugszinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz pro Jahr … berechnet."

4

Nummer 3.3 der Allgemeinen Darlehensbedingungen der Beklagten enthält eine gleichlautende Regelung nebst der Ergänzung, dass der Basiszinssatz jeweils zum 1. Januar und 1. Juli eines Jahres ermittelt und von der [X.] im [X.] bekannt gegeben wird.

5

Mit Schreiben vom 26. April 2020 erklärte der Kläger den Widerruf seiner auf Abschluss des Darlehensvertrags gerichteten Willenserklärung und forderte die Beklagte zur Rückabwicklung des Vertrags auf. Die Beklagte wies den Widerruf als verfristet zurück. Der Kläger zahlte das Darlehen zurück.

6

Mit der Klage hat der Kläger zuletzt (1.) die Zahlung von 28.432,86 € nebst Zinsen nach Rückgabe und Übereignung des finanzierten Fahrzeugs und (2.) hilfsweise für den Fall, dass der Klageantrag zu 1 (teilweise oder in Gänze) derzeit unbegründet sei, die Feststellung begehrt, dass ihm gegen die Beklagte ein Zahlungsanspruch in Höhe von 28.432,86 € zustehe, der nach Rückgabe und Übereignung des finanzierten Fahrzeugs am Sitz des Verkäufers, hilfsweise: am Sitz der Beklagten, fällig sei, sowie (3.) die Feststellung, dass sich die Beklagte spätestens seit dem Tag der letzten mündlichen Verhandlung mit der Rücknahme des Fahrzeugs im Annahmeverzug befinde, und (4.) die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten verlangt.

7

Das [X.] hat die Klage abgewiesen. Auf die dagegen vom Kläger eingelegte Berufung hat das Berufungsgericht festgestellt, dass dem Kläger gegen die Beklagte ein Zahlungsanspruch in Höhe von 23.002,86 € zusteht, der nach Rückgabe und Übereignung des finanzierten Fahrzeugs am Sitz der Beklagten fällig ist. Auf die Hilfswiderklage der Beklagten hat das Berufungsgericht festgestellt, dass der Kläger verpflichtet ist, der Beklagten jeden über 5.430 € hinausgehenden Wertverlust des finanzierten Fahrzeugs sowie jeden weiteren Wertverlust bis zur tatsächlichen Rückgabe des Fahrzeugs zu ersetzen. Die weitergehende Berufung hat es zurückgewiesen.

8

Mit der - vom Berufungsgericht für beide Parteien zugelassenen - Revision begehrt die Beklagte die vollständige Abweisung der Klage, während der Kläger seinen Feststellungsantrag zu 2 in voller Höhe weiterverfolgt.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision der Beklagten hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils, soweit zu ihrem Nachteil erkannt worden ist, und zur Zurückweisung der Berufung des [X.] gegen das landgerichtliche Urteil. Die Revision des [X.] ist unbegründet.

I.

Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

Dem Kläger habe im Zusammenhang mit dem Abschluss des Darlehensvertrags ein Widerrufsrecht nach § 495 Abs. 1, § 355 BGB zugestanden. Die Widerrufsfrist sei bei Abgabe der Widerrufserklärung am 26. April 2020 nicht verstrichen gewesen, da die Beklagte dem Kläger nicht sämtliche erforderliche Pflichtangaben erteilt habe. Die Beklagte habe den Kläger unter anderem nicht in der nach Art. 247 § 6 Abs. 1 Nr. 1, § 3 Abs. 1 Nr. 11 EGBGB geforderten Form über den Verzugszinssatz und die Art und Weise seiner Anpassung informiert. Die Ausübung des Widerrufsrechts sei nicht nach § 242 BGB rechtsmissbräuchlich. Der Umstand, dass der Verbraucher sein Widerrufsrecht ausübe, um das Fahrzeug nach längerer bestimmungsgemäßer Nutzung zurückgeben zu können, ohne - was er zu Unrecht meine - zum Wertersatz verpflichtet zu sein, reiche für sich genommen nicht aus, einen Rechtsmissbrauch zu begründen.

Der Anspruch auf Rückgewähr der Anzahlung sowie der geleisteten Zins- und Tilgungsraten sei aber nicht fällig und daher derzeit unbegründet. Der Beklagten stehe gemäß § 358 Abs. 4 Satz 1 [X.]. § 357 Abs. 4 Satz 1 BGB ein Leistungsverweigerungsrecht zu. Insoweit verhelfe es dem Kläger nicht zum Erfolg, dass er Zahlung "nach" Herausgabe des Fahrzeugs begehre. Dies setze in entsprechender Anwendung des § 322 Abs. 2 BGB voraus, dass die Beklagte mit der Entgegennahme des Fahrzeugs im Verzug der Annahme sei. Dies sei aber nicht der Fall. Der Kläger habe das Fahrzeug der Beklagten nicht tatsächlich angeboten. Seine wörtlichen Angebote genügten zur Herbeiführung eines Annahmeverzugs der Beklagten nicht.

Es sei aber festzustellen, dass dem Kläger ein Zahlungsanspruch in Höhe von 23.002,86 € zustehe, der nach Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs am Sitz der Beklagten fällig sei. Der Feststellungsantrag sei trotz Vorrangs der Leistungsklage zulässig. Dies sei ausnahmsweise der Fall, wenn im konkreten Fall gesichert sei, dass der Rechtsstreit die Meinungsverschiedenheiten der Parteien endgültig bereinige. So liege es hier. Zwischen den Parteien sei die Höhe der erbrachten Zins- und Tilgungsleistungen nicht streitig. Dem Kläger stehe ein Anspruch auf Rückgewähr der von ihm erbrachten Zins- und Tilgungsleistungen in Höhe von 25.932,86 € sowie der Anzahlung von 2.500 € zu, mithin insgesamt 28.432,86 €. Dieser Anspruch sei aufgrund der hilfsweise erklärten Aufrechnung der Beklagten mit ihrem Anspruch auf Wertersatz für den Wertverlust des Fahrzeugs in Höhe von 5.430 € teilweise erloschen. Der Wertverlust errechne sich aus der Differenz zwischen dem Kaufpreis von 26.380 € und dem von der Beklagten unter Bezugnahme auf eine [X.] vom 10. November 2021 vorgetragenen Wert von 20.950 €. Von dem Kaufpreis seien weder Händlermarge noch Umsatzsteuer abzuziehen. Der Verkehrswert bei Rückgabe des Fahrzeugs richte sich nach dem [X.] einschließlich Umsatzsteuer; Wertverluste, die unabhängig vom Umgang mit der Sache eingetreten seien, seien nicht abzuziehen.

Der Antrag auf Feststellung des Annahmeverzugs und der [X.] seien unbegründet. Aufgrund des teilweisen Erfolgs der Klage sei über die Hilfswiderklage der Beklagten zu entscheiden. Insoweit sei festzustellen, dass der Beklagten ein Anspruch auf Erstattung eines über 5.430 € hinausgehenden Wertverlusts gemäß § 358 Abs. 4 Satz 1 [X.]. § 357 Abs. 7 BGB zustehe.

II.

Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht in allen Punkten stand. Die Revision der Beklagten hat Erfolg, soweit zu ihrem Nachteil erkannt worden ist, weil der Feststellungsantrag unzulässig ist. Insoweit führt ihre Revision zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückweisung der Berufung des [X.] gegen das landgerichtliche Urteil. Die Revision des [X.] ist unbegründet.

1. Die Revision der Beklagten wendet sich im Ergebnis zu Recht gegen die vom Berufungsgericht getroffene Feststellung, dem Kläger stehe ein Zahlungsanspruch in Höhe von 23.002,86 € zu, der nach Rückgabe und Übereignung des finanzierten Fahrzeugs am Sitz der Beklagten fällig werde. Der Feststellungsantrag ist bereits unzulässig, weshalb es auf die Angriffe der Revision gegen die tatrichterliche Würdigung des Berufungsgerichts, der Kläger habe sein Widerrufsrecht nicht rechtsmissbräuchlich ausgeübt, nicht ankommt.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats muss ein Kläger, der die Umwandlung eines Verbraucherdarlehensvertrags in ein Rückgewährschuldverhältnis geltend macht, grundsätzlich vorrangig mit der Leistungsklage gegen die Beklagte vorgehen. Ist dem Kläger eine Klage auf Leistung möglich und zumutbar und erschöpft sie das Rechtsschutzziel, fehlt ihm, was auch in der Revisionsinstanz zu prüfen ist, das Feststellungsinteresse, weil er im Sinne einer besseren Rechtsschutzmöglichkeit den Streitstoff in einem Prozess klären kann. Abweichend von dieser Regel kann allerdings eine Feststellungsklage ausnahmsweise zulässig sein, wenn im konkreten Fall gesichert ist, dass der Rechtsstreit die Meinungsverschiedenheiten der Parteien endgültig bereinigt (vgl. Senatsurteil vom 21. März 2023 - [X.], juris Rn. 29 mwN).

Nach diesen Maßgaben ist der Feststellungsantrag unzulässig. Dem Kläger war - wie von ihm auch erhoben - eine Klage auf Leistung möglich und zumutbar. Er hatte lediglich seine Vorleistungspflicht nach § 358 Abs. 4 Satz 1 BGB (in der bis zum 27. Mai 2022 geltenden Fassung) [X.]. § 357 Abs. 4 Satz 1 BGB dadurch zu berücksichtigen, dass er auf Zahlung nach Rückgabe des finanzierten Fahrzeugs klagt und zuvor die Beklagte mit der Entgegennahme des Fahrzeugs in Annahmeverzug setzt. Darüber hinaus ist der Feststellungsantrag auch deshalb unzulässig, weil nach den Feststellungen des Berufungsgerichts die Höhe der bis zum Widerruf erbrachten Zins- und Tilgungsleistungen zwischen den Parteien nicht streitig ist und daher ein Feststellungsinteresse des [X.] nicht besteht. Schließlich führt entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts die ausgesprochene Feststellung nicht zu einer endgültigen Klärung sämtlicher Streitpunkte der Parteien. Insbesondere ist nicht ausgeschlossen, dass die Parteien über die Höhe des der Beklagten zustehenden und gegen den Zahlungsanspruch des [X.] aufrechenbaren (weiteren) [X.] in Streit sein werden (vgl. Senatsurteil vom 21. März 2023 - [X.], juris Rn. 30).

2. Die Revision des [X.] hat keinen Erfolg. Der von ihm in voller Höhe weiterverfolgte Feststellungsantrag ist - wie oben ausgeführt - bereits unzulässig.

III.

Das Berufungsurteil ist mithin auf die Revision der Beklagten aufzuheben, soweit zu ihrem Nachteil erkannt worden ist (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil es sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig erweist (§ 561 ZPO). Da die Aufhebung des Urteils nur wegen einer Rechtsverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und keine weiteren Feststellungen erforderlich sind, sondern die Sache nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts zur Endentscheidung reif ist, hat der Senat eine ersetzende Sachentscheidung getroffen (§ 563 Abs. 3 ZPO). Die Revision des [X.] ist zurückzuweisen. Da die Klage damit insgesamt erfolglos bleibt, ist die Hilfswiderklage der Beklagten gegenstandslos und der darauf bezogene Ausspruch des Berufungsgerichts zur Klarstellung aufzuheben (vgl. [X.], Urteil vom 26. Januar 2016 - [X.], [X.], 2504 Rn. 47).

Ellenberger     

  

Grüneberg     

  

[X.]

  

Derstadt     

  

Ettl     

  

Meta

XI ZR 2/22

20.06.2023

Bundesgerichtshof 11. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, 23. Dezember 2021, Az: 5 U 93/21, Urteil

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 20.06.2023, Az. XI ZR 2/22 (REWIS RS 2023, 3770)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 3770

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