Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 24.05.2017, Az. 1 StR 55/17

1. Strafsenat | REWIS RS 2017, 10404

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[X.]:[X.]:[X.]:2017:240517B1STR55.17.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 55/17

vom
24. Mai
2017
in dem Sicherungsverfahren
gegen

-
2
-
Der 1. Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des [X.] und des Beschwerdeführers am 24. Mai
2017
gemäß §
349 Abs.
4 StPO beschlossen:

1.
Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des [X.] vom 25. Oktober 2016 mit den Feststel-lungen aufgehoben.
2.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe:
Das [X.] hat die Unterbringung des Beschuldigten in einem psy-chiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die Revision des Beschuldigten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, hat mit der Sachrüge Erfolg.
I.
1. Nach den Feststellungen des [X.] leidet der im Jahr 1979 geborene Beschuldigte an einer leicht-
bis mittelgradigen Intelligenzminderung prägungsgra-
r-krankung und der damit verbundenen Defizienzen war die Steuerungsfähigkeit 1
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-
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des Beschuldigten zur Tatzeit nach der Wertung des [X.] mit Sicher-heit erheblich vermindert im Sinne des §
21 StGB und nicht ausschließbar [X.] aufgehoben. Die Einsichtsfähigkeit des Beschuldigten war [X.] nicht beeinträchtigt.
Der Beschuldigte, der sich bereits als Kind in [X.] und eine Schule für geistig Behinderte besucht hatte, befand sich von 1997 bis 1999 wegen zum Teil massiver selbst-
und fremdgefährdender Vorfälle in einem Bezirkskrankenhaus. Er ist seit 1997 durchgängig auf zivilrechtlicher Grundlage untergebracht und steht unter Betreuung. Mehrfach kam es zu [X.] Aufenthalten in psychiatrischen Kliniken. Zuletzt befand er sich seit März 2015 im I.

Klinikum W.

.
Dort nutzte er am Tattag, dem 18. Februar 2016, gegen 20.35 Uhr den Wechsel des Pflegepersonals aus, um bei der Mitpatientin und Geschädigten K.

im hinteren Bereich der Herrentoilette den vaginalen oder analen Ge-schlechtsverkehr vollziehen zu können. Die Geschädigte leidet an einer schwergradigen Intelligenzminderung und ist nicht in der Lage zu kommunizie-ren. Sie vermag lediglich unverständliche Laute zu äußern. Zu einer eigenen Willensbildung bezüglich ihrer Sexualität war sie nicht in der Lage. Auch konnte sie einen Willensentschluss gegen ein sexuelles Ansinnen des Beschuldigten weder äußern noch durchsetzen, was der Beschuldigte bewusst ausnutzte. Er veranlasste sie vor den Toilettenkabinen, mit [X.] und Un-terhose ihren Oberkörper nach vorne zu beugen. Der Beschuldigte stand, ebenfalls mit herunter gezogener Hose und Unterhose, mit erigiertem Penis unmittelbar hinter der Geschädigten. Als eine Krankenpflegerin, die durch ein deutlich hörbares Wimmern der Geschädigten auf den Vorfall aufmerksam ge-3
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4
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worden war, die Herrentoilette betrat, ließ der Beschuldigte von seinem Vorha-ben ab.
Das [X.] konnte weder feststellen, ob die Geschädigte eigen-ständig in die Herrentoilette gegangen war, noch ob der Beschuldigte mit sei-nem Penis vaginal oder anal in die Geschädigte eingedrungen war. Es hat das Verhalten des Beschuldigten als versuchten schweren sexuellen Missbrauch widerstandsunfähiger Personen in der zur Tatzeit geltenden Gesetzesfassung gewertet, für das der Beschuldigte aber nicht bestraft werden könne, weil er sich zur Tatzeit nicht ausschließbar im Zustand der Schuldunfähigkeit gemäß §
20 StGB befunden habe.
2. Die Entscheidung zur Frage der Schuldfähigkeit und zur Unterbrin-gung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus hat das Land-gericht
auf das Gutachten des Sachverständigen Dr. G.

gestützt. Nach des-sen Ausführungen sei beim Beschuldigten von einer leicht-
bis mittelgradigen Intelligenzminderung auszugehen, wobei eine eindeutige Ursache für seine [X.] nicht bekannt sei. Diese sei aus [X.] sich der Beschuldigte bei Tatbegehung trotz seiner Intelligenzminderung dar-über im Klaren gewesen, dass sein Vorgehen nicht statthaft gewesen sei und die Geschädigte weder Einverständnis noch Missfallen zum Ausdruck habe bringen können; seine Einsichtsfähigkeit sei daher noch erhalten gewesen. [X.] mit impulshaftem Ausagieren und fehlender Fähigkeit zum [X.] bzw. suffizienter Antizipation seines Handelns sei aber sicher von erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit im Sinne von §
21 StGB und nicht ausschließbar aufgehobener Steuerungsfähigkeit im Sinne des
§
20 StGB zum 5
6
-
5
-

f-

II.
Die Revision des Beschuldigten führt mit der Sachrüge zur Aufhebung des [X.]. Bereits die Ausführungen
des [X.] zur er-heblich verminderten Schuldfähigkeit (§
21 StGB) als Grundlage für die Anord-nung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§
63 StGB) halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
Die Urteilsgründe ergeben nicht zweifelsfrei, dass der Beschuldigte bei Tatbegehung an einem geistigen oder seelischen Zustand litt, der die Voraus-setzungen des §
21 StGB sicher begründete. Zwar kann eine Intelligenzminde-rung ohne nachweisbaren [X.], wie das [X.] sie für den Be-scn-terfallen und damit eine besondere Erscheinungsform schwerer anderer seeli-scher Abartigkeiten darstellen (vgl. [X.], Beschluss vom 19. November 2014

4
StR 497/14, Rn.
15, [X.], 71), die
zu einer erheblich verminder-ten oder sogar aufgehobenen Schuldfähigkeit führen kann. Die bloße Minde-rung der geistigen Leistungsfähigkeit begründet eine solche Beeinträchtigung
aber nicht (vgl. [X.], Urteil vom 31.
August 1994

2 StR 366/94, [X.]R StGB §
63 Zustand 17; Beschlüsse
vom 22.
August 2012

4 StR 308/12, Rn.
9
und
vom 10.
September 2013

4 StR 287/13, Rn.
8).

-

l-wirken, wird nicht näher beschrieben. Auch enthält das Urteil keine Angabe, welchen Intelli-7
8
9
-
6
-
genzquotienten der Beschuldigte erreicht. Schon im Hinblick auf die denkbare Schwankungsbreite dieser Behinderung (vgl. etwa [X.], Beschluss vom 20.
Juli 2010

5 StR

s-ausführungen wenig aussagekräftig und für die revisionsgerichtliche [X.] unzureichend, zumal nicht mitgeteilt wird, aufgrund welcher [X.] und Kriterien der Sachverständige zu seiner Diagnose gelangt ist. Es bleibt zudem offen, ob der Beschuldigte entgegen der vom [X.] angenommenen fehlenden Fähigkeit zum [X.] in der Lage war, gerade den Zeitpunkt des [X.] abzuwarten und mit der [X.]n einen

r-gehen zu können. Eine solche Fähigkeit könnte gegen die im Urteil [X.] erhebliche Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit aufgrund intellektu-eller Minderbegabung sprechen. Überhaupt fehlen neben einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Beschuldigten (vgl. [X.], Urteil vom 5.
Juli 2011

3
StR 173/11, [X.], 209 mwN) Ausführungen dazu, welchen Ein-fluss die Intelligenzminderung auf die Handlungsmöglichkeiten des Beschuldig-ten in
der konkreten Tatsituation hatte (vgl. [X.], Urteil vom 22.
April 2015

2 StR 393/14, [X.], 306). Ferner erörtert das [X.] rechts-fehlerhaft nicht, in welchem Zusammenhang die Intelligenzminderung mit den beim Beschuldigten ebenfalls angenommenen Verhaltensstörungen ([X.]) steht.
III.
Das [X.] hat wegen Zweifeln an der Glaubhaftigkeit der Angaben des Beschuldigten nicht angenommen, dass der Beschuldigte in die [X.] eingedrungen ist. Im Hinblick darauf, dass bei einer abweichenden Beur-teilung des geistigen und seelischen Zustands des Beschuldigten das neue Tatgericht auch die Frage der Glaubhaftigkeit seiner Angaben anders [X.]
-
7
-
worten könnte, hebt der Senat auch die Feststellungen zum äußeren [X.] auf, um dem neuen
Tatgericht
insgesamt widerspruchsfreie Feststel-lungen zu ermöglichen. Zudem weist der Senat für die neue Hauptverhandlung auf die Vorschrift des § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO hin.
[X.]

Radtke

Fischer Bär

Meta

1 StR 55/17

24.05.2017

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 24.05.2017, Az. 1 StR 55/17 (REWIS RS 2017, 10404)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 10404

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21 KLs 9/20 (Landgericht Bielefeld)


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1 StR 55/17

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