Bundesgerichtshof, Beschluss vom 16.05.2013, Az. 1 StR 633/12

1. Strafsenat | REWIS RS 2013, 5750

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Gegenstand

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Strafverfahren: Verschulden des Verteidigers bei Unterschreiben und Absendenlassen eines von der Kanzleikraft nicht seinem Diktat entsprechend geschriebenen Schriftsatzes


Tenor

Die Anträge des Verurteilten vom 22. April 2013 und vom 13. Mai 2013 werden zurückgewiesen, hinsichtlich der Anhörungsrüge auf seine Kosten.

Gründe

I.

1

Das [X.] hat den Verurteilten wegen Betruges in fünf Fällen, Steuerhinterziehung in drei Fällen sowie wegen falscher Versicherung an Eides Statt zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Im Hinblick auf eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung hat es angeordnet, dass drei Monate der Gesamtfreiheitsstrafe als vollstreckt gelten.

2

Der Senat hat mit Beschluss vom 21. Februar 2013 die Einzelstrafe im Fall [X.]. der Urteilsgründe herabgesetzt; die weitergehende Revision des Verurteilten hat er verworfen. Dabei hat der Senat eine Verfahrensrüge, mit der die Verletzung von § 257c Abs. 4 Satz 4 [X.] sowie des Rechts auf ein faires Verfahren geltend gemacht wurde, als unzulässig angesehen, da sie den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 [X.] nicht genügte. Darüber hinaus hielt der Senat die Verfahrensrüge zudem für unbegründet. Ausfertigungen der Revisionsentscheidung wurden am 10. April 2013 an den Verurteilten und dessen Verteidiger abgesandt.

3

Mit einem am 22. April 2013 beim [X.] eingegangenen Schriftsatz seiner Verteidiger Rechtsanwälte [X.]und [X.]     hat der Verurteilte die Anhörungsrüge gemäß § 356a [X.] erhoben und geltend gemacht, der Senat habe bei der Entscheidung vom 21. Februar 2013 das rechtliche Gehör dadurch verletzt, dass er in Kenntnis der unmittelbar bevorstehenden Entscheidung des [X.] zu § 257c [X.] nicht dessen Entscheidung abgewartet habe.

4

Der [X.] hat in seinem Schriftsatz vom 26. April 2013 die Anhörungsrüge des Verurteilten im Hinblick darauf für unzulässig gehalten, dass weder mitgeteilt noch glaubhaft gemacht worden sei, wann der Verurteilte die Entscheidung des Senats vom 21. Februar 2013 erhalten habe. Die genannten Verteidiger des Angeklagten haben daraufhin mit Schriftsatz vom 13. Mai 2013 mitgeteilt, der Senatsbeschluss sei dem Verurteilten erst am 15. April 2013 zugegangen. Sie haben die Auffassung vertreten, dass eine Glaubhaftmachung des Zeitpunkts der Kenntniserlangung noch bis zum Abschluss des Anhörungsrügeverfahrens möglich sei. Vorsorglich haben sie einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Anhörungsrügefrist gestellt. Zur Begründung haben sie vorgetragen, entweder sei der Zeitpunkt der Kenntniserlangung entgegen sonstiger Handhabung nicht diktiert worden oder - trotz entsprechenden Diktats - versehentlich durch die seit Jahren in der Kanzlei beschäftigte Rechtsanwaltsfachangestellte nicht geschrieben worden.

5

Mit weiterem Schriftsatz der genannten Verteidiger vom 22. April 2013 hat der Verurteilte zudem eine Gegenvorstellung erhoben, mit der er geltend gemacht hat, der Senat habe dadurch, dass er nicht die Entscheidung des [X.] zu § 257c [X.] abgewartet habe, mit dem Beschluss vom 21. Februar 2013 den „Rechtsgedanken des Art. 101 Abs. 1 Satz 1 GG“ verletzt.

II.

6

Sämtliche Anträge des Verurteilten bleiben erfolglos.

7

1. Die Anhörungsrüge gemäß § 356a [X.] wurde nicht rechtzeitig erhoben (a); der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand versagt (b); unabhängig davon wäre die Anhörungsrüge auch dann unbegründet, wenn sie zulässig erhoben wäre (c).

8

a) Die Anhörungsrüge wurde nicht innerhalb der Wochenfrist des § 356a Satz 2 [X.] erhoben. Es fehlt an der erforderlichen Mitteilung des Zeitpunkts der Kenntniserlangung durch den Verurteilten von der Verletzung des rechtlichen Gehörs, die innerhalb der Wochenfrist zu erfolgen hat (vgl. [X.], Beschluss vom 9. März 2005 - 2 [X.], [X.]R [X.] § 356a Frist 1). Angesichts des [X.] ergibt sich auch nicht ohne weiteres aus dem Akteninhalt, dass die Anhörungsrüge rechtzeitig erhoben wurde (vgl. [X.], Beschlüsse vom 29. November 2012 - 3 [X.], sowie vom 9. März 2005 - 2 [X.], [X.]R aaO).

9

b) Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hat keinen Erfolg. Es fehlt schon an dem Vortrag eines Sachverhalts, der ein Verschulden des Verurteilten an der Fristversäumnis ausschließt (vgl. [X.], Beschluss vom 22. April 1988 - 2 [X.], [X.]R [X.] § 45 Abs. 2 Tatsachenvortrag 5). Ein Verschulden seiner Verteidiger wäre dem Verurteilten - anders als sonst im Strafverfahren - bei der Prüfung, ob die Versäumung der Wochenfrist des § 356a Satz 2 [X.] unverschuldet war, zuzurechnen. Die Anhörungsrüge stellt sich als Vorstufe der Verfassungsbeschwerde gegen die Revisionsentscheidung auf [X.] dar, so dass wie bei der Verfassungsbeschwerde die Zurechnung eines Verschuldens des (der) Verteidiger(s) entsprechend § 93 Abs. 2 Satz 6 [X.] zu erfolgen hat ([X.], Beschlüsse vom 20. Mai 2011 - 1 StR 381/10 und vom 13. August 2008 - 1 [X.]). Dagegen wäre ein Fehler einer sorgfältig ausgewählten und überwachten Kanzleikraft den Verteidigern - und damit auch dem Verurteilten - nicht anzulasten, da die Verteidiger grundsätzlich auf die Befolgung ihrer Anweisungen vertrauen dürfen (vgl. [X.] in [X.]/Schmidt-Bleibtreu/[X.]/[X.], [X.], 39. Lfg., § 93 Rn. 58 mwN).

Es ist allerdings schon fraglich, ob überhaupt ein ausschließlich von der Kanzleikraft zu vertretender Fehler vorläge, wenn Verteidiger einen Schriftsatz unterschreiben und absenden lassen, ohne zu überprüfen, ob dieser Schriftsatz - zumal in einem für die Zulässigkeit des darin gestellten Antrags maßgeblichen Punkt - ihrem Diktat entspricht (vgl. demgegenüber die Beispiele bei [X.] aaO für Arbeitsvorgänge, bei denen ein Fehler der Kanzleikraft nicht dem Rechtsanwalt zuzurechnen ist).

Letztlich muss der Senat dem aber nicht nachgehen. Selbst wenn man nämlich insoweit von einem ausschließlich der Kanzleikraft anzulastenden Fehler ausginge, könnte alternativer Tatsachenvortrag, wonach den Verteidigern und damit dem Verurteilten ein Verschulden an der Fristversäumung entweder zuzurechnen ist oder nicht, nicht Grundlage eines erfolgreichen Wiedereinsetzungsantrags sein.

c) Unabhängig davon bliebe die Anhörungsrüge aber auch erfolglos, wenn sie zulässig erhoben wäre.

Der Senat hat bei seiner Entscheidung weder Verfahrensstoff verwertet, zu dem der Verurteilte nicht gehört worden wäre, noch hat er bei der Entscheidung zu berücksichtigendes Vorbringen des Verurteilten übergangen. Dies wird auch nicht geltend gemacht. Der Vortrag, der Senat habe Vorbringen nicht berücksichtigt, das angebracht worden wäre, wenn eine zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Revision noch nicht ergangene Entscheidung des [X.] schon getroffen gewesen wäre, vermag die Möglichkeit einer Gehörsverletzung nicht zu verdeutlichen.

Die Kostenentscheidung hinsichtlich der Anhörungsrüge folgt aus einer entsprechenden Anwendung von § 465 Abs. 1 [X.] ([X.], Beschluss vom 10. Januar 2013 - 1 [X.] mwN).

2. Die Gegenvorstellung bleibt ebenfalls ohne Erfolg.

Regelmäßig eröffnet eine Gegenvorstellung nicht die Möglichkeit, eine Entscheidung, die zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens geführt hat, aufzuheben, abzuändern oder zu ergänzen (st. Rspr., vgl. zusammenfassend [X.] in [X.]/[X.], [X.], § 296 Rn. 9 mwN). Ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen bei (behaupteter) Verletzung (des [X.]) von Art. 101 GG, also eines Verfahrensgrundrechts, anstelle der insoweit nicht einschlägigen Gehörsrüge ([X.], Beschluss vom 14. März 2013 - 2 StR 534/12 mwN) eine Gegenvorstellung ausnahmsweise doch Grundlage der Abänderung einer rechtskräftigen Entscheidung sein könnte (vgl. [X.] aaO Rn. 10 mwN), kann hier offen bleiben. Es ist nämlich auch unter Berücksichtigung des Vorbringens der Gegenvorstellung nicht ersichtlich, warum der Senat nicht, wie geschehen, am 21. Februar 2013 über die Revision des Angeklagten hätte entscheiden dürfen.

Wahl                           [X.]                         Jäger

               Cirener                            [X.]

Meta

1 StR 633/12

16.05.2013

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Potsdam, 14. Mai 2012, Az: 25 KLs 3/09

§ 44 StPO, § 45 StPO, § 356a StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 16.05.2013, Az. 1 StR 633/12 (REWIS RS 2013, 5750)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 5750

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