Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 02.07.2013, Az. VI ZR 110/13

VI. Zivilsenat | REWIS RS 2013, 4603

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VI ZR 110/13

vom

2. Juli
2013

in dem Rechtsstreit

-
2
-

Der VI.
Zivilsenat des [X.] hat am
2.
Juli
2013
durch den [X.], den
Richter
Zoll, die Richterin [X.], [X.] und die Richterin von Pentz
beschlossen:
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des [X.] wird der Be-schluss des 1.
Zivilsenats des [X.] vom 4.
Februar
2013 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Gegenstandswert: 217.486,83

Gründe:
I.
Der Kläger nimmt den [X.]n auf Ersatz materiellen und immateriel-len Schadens wegen fehlerhafter ärztlicher Behandlung in Anspruch.
Der [X.] betreute den 1952 geborenen Kläger medizinisch seit 2004 wegen eines diabetischen Fußsyndroms. Am 27.
März 2009 verordnete er ei-nen sogenannten Cast, um den linken
Fuß vollständig ruhig zu stellen. Am 21.
April 2009 kam der Kläger mit einer neu aufgetretenen Risswunde an der linken großen Zehe
in die Praxis des [X.]n. Dieser nahm wegen [X.] einen Wundabstrich. Am 23.
April 2009, einem Donnerstag, versorgte
der [X.] die Wunde. Das Laborergebnis für den Abstrich lag zu 1
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diesem Zeitpunkt noch nicht vor. Der für den nächsten Tag in Aussicht genom-mene Termin zum Verbinden wurde
von einer Hilfskraft im Einverständnis mit dem [X.]n auf Montag, den 27.
April 2009,
verschoben, weil am 24. April 2009 keine Termine mehr frei waren. Der [X.] war an diesem Tag nicht in der Praxis anwesend, doch
war diese besetzt. Der [X.] für den am 21. April 2009 genommenen Wundabstrich ging am Nachmittag des 24.
April 2009 in der Praxis ein. Er wies einen massiven Befall mit dem Keim Staphylococcus aureus auf. Der Befund
wurde in der Praxis des [X.]n nicht
beachtet. Am 25.
April 2009 wurde der Kläger
mit Fieber und Schüttelfrost von seinen Fami-lienangehörigen in die Notaufnahme der medizinischen Hochschule [X.] ge-bracht. Dort wurde eine Antibiose mit Penicillin
eingeleitet. Da sich
bis zum 26.
April 2009 abends keine Wirkung zeigte, wurde der Infektion mit dem gewe-begängigen Antibiotikum Clindamycin
entgegengewirkt. Bei einer [X.] wurde festgestellt, dass der Kläger im Mittelfuß einen Ermüdungs-bruch erlitten und sich an der Bruchstelle das Knochenmark entzündet hatte. Am 18.
Mai 2009 musste eine Gelenkversteifung durchgeführt werden.
Das [X.] hat auf der Grundlage der Ausführungen des gerichtli-chen Sachverständigen Prof. Dr. Sch. die Klage abgewiesen. Die Berufung des [X.] hat das [X.] nach entsprechendem Hinweisbeschluss einstimmig durch Beschluss gemäß §
522 Abs.
2 [X.] zurückgewiesen. Hier-gegen wendet sich der Kläger mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde.

II.
1. Das Berufungsgericht hält
sich gemäß §
529 Abs.
1 Nr.
1 [X.] an die Feststellungen des [X.]s für gebunden. Danach hätten sich
Fehler bei der Kontrolle des Cast nicht auf den Entzündungsverlauf der Wunde ausge-3
4
-
4
-

wirkt. Der Kläger habe die Kausalität eines etwaigen Fehlers des vom [X.] verordneten Cast wegen der nicht vorhandenen [X.] für den geltend gemachten Schaden nicht bewiesen. Die Entwicklung der Infektion könne schon deshalb nicht durch den Cast begünstigt worden sein, weil der Kläger ihn unstreitig am 24. April 2009 nicht mehr getragen habe. Die Wunde sei bis zum 23.
April 2009 lege [X.] behandelt worden. Allein die Tatsache des Vorliegens einer infizierten Wunde rechtfertige keine Antibiose, zumal vor dem Vorliegen des [X.]s der voraussichtlich zu bekämpfende
Keim nicht bekannt ge-wesen sei und damit das im konkreten Fall einzusetzende Antibiotikum nicht habe bestimmt werden können. Der [X.] hafte auch nicht dafür, dass er den am 24.
April
2009 eingegangenen [X.] mit dem positiven Nach-weis einer
Infektion mit Staphylococcus aureus nicht zur Kenntnis genommen und umgehend darauf reagiert habe. Allerdings habe der [X.] es am 24. April 2009 fehlerhaft unterlassen, den Kläger über den Befund zu informieren und aufzufordern, sich bei einer Verschlechterung zu melden. Dieses Unterlas-sen
habe
sich aber nicht auf den weiteren Krankheits-
bzw. Heilungsverlauf ne-gativ ausgewirkt, weil es am 24. April 2009 medizinisch noch nicht geboten ge-wesen sei, eine Antibiose einzuleiten oder den
Kläger in das Krankenhaus [X.]. Der
gerichtliche
Sachverständige Prof. Dr. Sch. habe die in seinem
schriftlichen Gutachten vom 21.
März 2012
vertretene Auffassung bei seiner mündlichen Anhörung vor dem [X.] am 12.
Juli 2012 überzeugend und nachvollziehbar dahingehend revidiert, dass bei fehlenden Zeichen eines akuten Infektionsgeschehens habe abgewartet werden können. Dass der Sach-verständige seine in seinem schriftlichen Gutachten getroffene Aussage in der mündlichen Verhandlung revidiert, relativiert oder spezifiziert habe, führe nicht zu einem Widerspruch, der seine Aussage als solche als unverwertbar und un-glaubwürdig oder gar den Sachverständigen als befangen erscheinen lassen würde. Solche vermeintlichen Widersprüche ließen sich -
wie vorliegend
-
mit -
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-

der Klarstellung der rechtlich relevanten Anknüpfungstatsachen erklären und stellten damit nicht den Sachverstand des Gutachters als solches in Frage. Die Einholung eines Obergutachtens nach §
412
[X.] sei daher nicht erforderlich. Bei zutreffender Betrachtung sei
der Sachverständige zu dem überzeugenden Ergebnis
gekommen, dass zugewartet werden könnte, wenn sich der klinische Befund nicht wesentlich anders als am Vortag dargestellt habe, weil mit der dramatischen Wendung aufgrund der langen Krankengeschichte nicht zu [X.] gewesen sei. Dies habe der Sachverständige verständlich damit erläutert, dass der Staphylococcus aureus auch ein Hautkeim sei und sich ohne [X.] nicht erkennen lasse, ob
er pathogen auftrete und folglich mittels An-tibiose zu behandeln sei. Dass sich der klinische Befund des [X.] am 24.
April 2009 nicht wesentlich verändert habe und keine Anzeichen einer gra-vierenden Infektion über das Vorhandensein der offenen Wunde hinaus vor-handen gewesen seien, sei unstreitig und werde vom Kläger mit der Berufung auch nicht geltend gemacht. Der Kläger könne nicht den Nachweis führen, dass sich das pflichtwidrige Zuwarten des [X.]n negativ auf seinen Gesund-heitszustand ausgewirkt habe. Er könne sich nicht auf eine Beweislastumkehr berufen, da in der unterlassenen Berücksichtigung des Befundes am 24.
April 2009 jedenfalls kein grober Befunderhebungsfehler zu sehen sei. Auch die Vo-raussetzungen für eine Beweislastumkehr bei einem einfachen Befunderhe-bungsfehler seien nicht gegeben. Es sei irrelevant, dass der Sachverständige in der mündlichen Anhörung bekundet habe, bei einer Antibiose am 24.
April 2009 hätte die spätere [X.] mit überwiegender Wahrscheinlichkeit vermieden werden können. Die Kausalität müsse zwischen der vorwerfbaren [X.] -
hier der unterlassenen Information und Aufklärung über den [X.]
-
und dem eingetretenen Schaden bestehen, nicht zwischen einem nachträglich wünschenswerten Handeln -
der Antibiose.
Entscheidend sei, dass nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit nachgewiesen sei,
dass sich am 24.
April -
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-

2009 überhaupt ein deutlicher und gravierender Befund ergeben hätte. Da die Wahrscheinlichkeit des deutlichen oder gravierenden Befunds Bedingung der Beweislastumkehr beim einfachen Befunderhebungsfehler sei, sei die Frage der fundamentalen Verkennung der fiktiven rechtzeitigen Befundauswertung irrelevant.
Auch in der Gesamtbetrachtung des Gesamtgeschehens liege kein grober Behandlungsfehler vor.
2. Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg und führt gemäß §
544 Abs.
7 [X.] zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Das Berufungsgericht hat den An-spruch des [X.] auf rechtliches Gehör aus Art.
103 Abs.
1 GG in entschei-dungserheblicher Weise verletzt.
a) Die Nichtzulassungsbeschwerde rügt mit Recht, dass das Berufungs-gericht dem Vortrag des [X.] in der Berufungsbegründung nicht nachge-gangen ist, dass die in der mündlichen Anhörung vor dem [X.] am 12.
Juli 2012 geänderte neue Bewertung des [X.] durch den gerichtlichen Sachverständigen ohne schlüssige und nachvollziehbare Er-klärung erfolgt ist (vgl. Senatsurteile vom 8. Juli 2008 -
VI
ZR 259/06, [X.], 1265 und vom 22. Mai 2007 -
VI
ZR 35/06, [X.], 254, 259 f. Rn.
20). [X.] hat sich das Berufungsgericht an die [X.] des [X.]s für gebunden gehalten

529 Abs.
1 Nr.
1 [X.]).
aa) Nach §
529 Abs.
1 Nr.
1 [X.] ist das Berufungsgericht an die vom Gericht des ersten [X.] festgestellten Tatsachen
nur
gebunden, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Konkrete Anhaltspunkte, welche die Bindung des [X.] an die vorinstanzlichen Feststellungen entfallen lassen, können sich aus Fehlern ergeben, die dem Eingangsgericht bei der Feststellung des 5
6
7
-
7
-

Sachverhalts unterlaufen sind (vgl. Senatsurteil vom 8. Juni 2004 -
VI
ZR 230/03, [X.], 254, 258 und [X.], Urteil vom 12. März 2004 -
V
ZR 257/03,
[X.]Z 158, 269, 272; Begründung zum Regierungsentwurf eines Ge-setzes zur Reform des Zivilprozesses, [X.]. 14/4722, S.
100; Rimmelspa-cher, NJW 2002, 1897, 1901; [X.], NJW 2003, 169, 171). Zweifel im Sinne dieser Vorschrift liegen schon dann vor, wenn aus der für das Berufungs-gericht gebotenen Sicht eine gewisse -
nicht notwendig überwiegende
-
Wahr-scheinlichkeit dafür besteht, dass im Fall der Beweiserhebung die erstinstanzli-che Feststellung keinen Bestand haben wird, sich also deren Unrichtigkeit her-ausstellt (vgl. Senatsurteil vom 15. Juli 2003 -
VI
ZR 361/02,
NJW 2003, 3480, 3481; Begründung des Rechtsausschusses, [X.]. 14/6036 S.
124). Dies gilt grundsätzlich auch für Tatsachenfeststellungen, die auf der Grundlage eines Sachverständigengutachtens getroffen worden sind. In diesem Fall können un-ter anderem die -
hier von der Nichtzulassungsbeschwerde gerügten
-
die Ge-eignetheit in Frage stellenden Widersprüche des Gutachtens Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der Feststellungen wecken (vgl. Senatsurteil vom 15. Juli 2003 -
VI
ZR 361/02, aaO; [X.]/[X.]/[X.], [X.], 29.
Aufl., §
529 Rn.
9). Versäumt das Gericht, Unklarheiten oder Widersprüche im Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen aufzuklären, ist das ein Verfahrensfehler (Verstoß gegen §
286 [X.]). Erkennbar widersprüchliche Gutachten sind keine ausreichende Grundlage für die Überzeugungsbildung des Gerichts. In der [X.] ist deshalb eine Bindung des Berufungsgerichts an die Feststellungen der ersten Instanz nicht gegeben (§
529 Abs.
1 Nr.
1 [X.]). Das Urteil unterliegt vielmehr auf Rüge der Aufhebung (vgl. Senat, Urteil vom 8.
Juni 2004 -
VI
ZR 199/03, [X.], 245, 249).
bb) Mit Recht rügt die Nichtzulassungsbeschwerde, dass das Berufungs-gericht dem Vortrag des [X.] in der Berufungsbegründung zu den Wider-sprüchen im Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen und der [X.]
-
8
-

den Eignung für die richterliche Überzeugungsbildung nicht in gebotener Weise nachgegangen ist. Dadurch, dass das Berufungsgericht im Hinweisbeschluss die Ausführungen des [X.]s lediglich weitgehend wiederholt hat, ohne den in der Berufungsbegründung erhobenen Einwänden des [X.] sachlich etwas entgegenzusetzen, verletzt es den Anspruch des [X.] auf rechtliches Gehör.
Dass der gerichtliche Sachverständige seine im schriftlichen Gutachten vom 21. März 2012 vertretene Auffassung in der mündlichen Anhörung vor dem [X.] am 12. Juli 2012 entscheidend geändert hat, steht nicht in Frage. Der gerichtliche Sachverständige sah es
im schriftlichen Gutachten vom 21.
März 2012 als schwerwiegenden Unterlassungsfehler an, dass der [X.] am 24.
April
2009 auf das Ergebnis des [X.] vom 21.
April
2009
nicht reagiert habe. Das Unterlassen von Maßnahmen am 24.
April 2009 sei ein
grober
Behandlungsfehler.
In der mündlichen Anhörung vor dem [X.] am 12. Juli 2012 beurteilte der gerichtliche Sachverständige es hingegen aus medizinischer Sicht zwar als fehlerhaft, dass der [X.] nicht sichergestellt
habe, dass ein möglicher Keimnachweis am Freitag, dem 24.
April 2009, auch berücksichtigt werden könne. Allerdings seien diese
Versäumnisse nicht als grob fehlerhaft
zu
bewerten, weil deutliche Infektionssymptome, nämlich [X.] und Fieber, erst am 25.
April 2009 aufgetreten
seien.
Bei seiner schriftli-chen Stellungnahme habe er vor allem den dramatischen Befund am 25. April 2009 im Blick gehabt. Zutreffend weist die Nichtzulassungsbeschwerde darauf hin, dass sich damit der Widerspruch nicht erklären lasse, weil dem gerichtli-chen
Sachverständigen bereits bei Erstellung des Gutachtens am 21.
März 2012 bekannt gewesen sei, dass der Kläger erst
am 25.
April 2009 mit Schüttel-frost und Fieber in die Klinik eingewiesen worden ist. Es
handelt sich
mithin
nicht um Umstände, die erst in der Beweisaufnahme vor dem [X.] zur Sprache gekommen wären und deshalb vom gerichtlichen Sachverständigen 9
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9
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erst dann in seiner Begutachtung berücksichtigt werden konnten. Die Änderung der Auffassung lässt sich auch nicht damit begründen, dass für eine sofortige Behandlung der Nachweis der Keime im Blut des [X.] erforderlich gewesen wäre. In seinem schriftlichen Gutachten hat der Sachverständige, obwohl ihm bekannt war, dass beim Kläger der Keim Staphylococcus aureus
nachgewiesen worden war, auch ohne Nachweis der Keime im Blut des [X.] eine sofortige Behandlung spätestens am 24.
April 2009 für zwingend geboten gehalten. Schließlich ist nicht plausibel, weshalb eine lange Krankheitsgeschichte des [X.] eine andere Beurteilung der medizinischen Behandlung durch den [X.]
rechtfertigen könnte. Auch konnte
das anstehende
Wochenende den [X.]n gerade nicht entlasten.
Vielmehr erscheint es im Hinblick auf eine sich aufgrund der Infektion abzeichnenden Behandlungsbedürftigkeit des [X.] eher geboten, für eine Verschlechterung des Zustandes während des [X.] Vorsorge zu treffen.
b) Zutreffend macht die Nichtzulassungsbeschwerde geltend, entgegen der Annahme des
Berufungsgerichts
sei nicht unstreitig,
dass sich der klinische Befund am 24. April 2009 nicht wesentlich verändert habe
und Anzeichen einer gravierenden Infektion über das Vorhandensein der offenen Wunde hinaus nicht
vorhanden gewesen seien. Dem Berufungsgericht unterliegt nach [X.] des §
529 Abs.
1 Nr.
1 Halbs.
2 [X.] die Kontrolle der tatsächlichen Ent-scheidungsgrundlage des erstinstanzlichen Urteils im Fall eines -
wie hier
-
zu-lässigen Rechtsmittels ungeachtet einer entsprechenden Berufungsrüge (vgl. [X.], Urteil vom 12. März 2004
-
V
ZR 257/03, aaO, Rn.
19, 20).
Die Annahme, der Zustand des [X.] habe sich am 24. April 2009 nicht wesentlich gegenüber dem Zustand am Vortag verändert, ist nicht verein-bar mit dem Zustand des [X.], den der gerichtliche Sachverständige im schriftlichen Gutachten vom 21. März 2012 seinen Ausführungen zugrunde ge-10
11
-
10
-

legt hat. Dort ist der gerichtliche Sachverständige von einer Verschlechterung des Zustands des [X.] am 24. April 2009 in häuslicher Umgebung bei [X.] von Schmerzen und Hitzegefühl im gesamten Fuß bzw. durch eine Schwellung ausgegangen. Schon danach durfte das Berufungsgericht seiner Entscheidung nicht als unstreitig zugrunde legen, dass sich der klinische Be-fund am 24. April 2009 gegenüber dem Vortag nicht wesentlich verändert habe. Der Kläger hat außerdem in erster Instanz vorgetragen, der klinische Befund habe sich am 24. April 2009 über das Vorhandensein der offenen Wunde hin-aus mit Anzeichen einer gravierenden
Infektion verändert. Er habe sich am 24.
April 2009 veranlasst gesehen, den Cast abzulegen, da er massive Schmerzen gehabt und der gesamte Fuß regelrecht gekocht habe. Diesen Vor-trag hat der Kläger unter Beweis gestellt durch seine Ehefrau, die Zeugin [X.] Im Schriftsatz vom 21. März 2011 hat der Kläger des Weiteren vorgetragen, dass er sich am Freitag, dem 24. April 2009, schlapp und unwohl gefühlt habe. Er habe Fieber bekommen und habe den ganzen Tag und die ganze Nacht nicht geschlafen. Er sei nicht mehr in der Lage gewesen, irgendwo hin zu gehen. Auf diesen Vortrag hat der Kläger im Schriftsatz vom 4. Juni 2012 erneut hingewie-sen und Beweis durch das Zeugnis seiner Ehefrau angeboten. Diesem Vortrag ist das [X.] nicht nachgegangen. Es
hat deshalb verfahrensfehlerhaft (§
286 [X.], Art.
103 Abs.
1 GG) angenommen, dass nach wie vor deutliche klinische Anzeichen am 24. April 2009 für eine gravierende Infektion gefehlt hätten. Obwohl der Kläger in der Berufungsbegründung sein in erster Instanz getätigtes
Beweisangebot durch Vernehmung der Zeugin [X.] nur
pauschal wie-derholte, oblag
dem Berufungsgericht aufgrund des Verfahrensfehlers des [X.]s nach Maßgabe des §
529 Abs.
1 Nr.
1 Halbs.
2 [X.] die tatsächli-che Inhaltskontrolle des erstinstanzlichen Urteils ungeachtet einer entsprechen-den Berufungsrüge (vgl. [X.], Urteil vom 12. März 2004 -
V
ZR 257/03, aaO).
-
11
-

c) Die Gehörsverletzungen sind
auch entscheidungserheblich. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht bei der gebotenen Berücksichtigung des Sachvortrags des [X.] und einer Aufklärung der [X.] in den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen zu einer anderen Beurteilung des Falles gekommen wäre.
Das Berufungsgericht hat
wie das [X.]
in rechtlich nicht zu bean-standender Weise angenommen, dass der
[X.] dafür Sorge hätte tragen müssen, dass der Befund am 24. April 2009 zur Kenntnis genommen und der
Kläger umgehend und zeitnah über das Ergebnis der Laboruntersuchung in Kenntnis gesetzt wird.
Mit Recht hat das [X.] deshalb dem [X.]n jedenfalls einen einfachen Befunderhebungsfehler angelastet. Sollten sich auf-grund der gebotenen Beweisaufnahme
deutliche klinische Anzeichen einer gra-vierenden Infektion am 24. April 2009 erweisen, wird gegebenenfalls mit Hilfe eines medizinischen Sachverständigen zu klären sein, ob die Verkennung des Befundes oder seine Nichtbehandlung als grob fehlerhaft zu bewerten ist. Nach der Rechtsprechung des Senats erfolgt auch bei einer nicht grob fehlerhaften Unterlassung
der Befunderhebung eine Beweislastumkehr hinsichtlich der haf-tungsbegründenden Kausalität, wenn sich bei der gebotenen Abklärung mit hin-reichender Wahrscheinlichkeit ein reaktionspflichtiges positives Ergebnis ge-zeigt hätte und sich die Verkennung dieses Befundes als fundamental oder die [X.] hierauf als grob fehlerhaft darstellen würde (vgl. Senatsurteile vom 13. Februar 1996 -
VI
ZR 402/94, [X.]Z 132, 47, 52 ff.; vom 27. April 2004 -
VI
ZR 34/03, [X.], 48, 56; vom 23. März 2004 -
VI
ZR 428/02, [X.], 790, 791 f.; vom 7. Juni 2011 -
VI
ZR 87/10, NJW 2011, 2508 Rn.
7 und vom 13. September 2011
-
VI
ZR 144/10, [X.], 1400). Dabei ist nicht erforderlich, dass der grobe Behandlungsfehler die einzige Ursache für den Schaden ist. Es genügt,
dass er generell geeignet ist, den eingetretenen Scha-den zu verursachen; wahrscheinlich braucht der Eintritt eines solchen Erfolgs 12
13
-
12
-

nicht zu sein. Eine Umkehr der Beweislast ist nur ausgeschlossen, wenn jegli-cher haftungsbegründende [X.] äußerst unwahrscheinlich ist (vgl. Senatsurteile vom 27. April 2004 -
VI
ZR 34/03, aaO, 56 f.; vom 7. Juni 2011 -
VI
ZR 87/10, aaO).

Die Nichtzulassungsbeschwerde weist in diesem Zusammenhang mit Recht darauf hin, dass, hätte der [X.] dem Kläger den Befund mitgeteilt und ihm Anweisungen gegeben, die Antibiose zwei Tage früher begonnen wor-den
wäre. Aber auch
wenn sich der Kläger erst am 25. April 2009 in die Klinik begeben hätte, wäre der Umweg über die [X.] entfallen, weil dann sofort
eine Infektion durch den Staphylococcus aureus in Betracht gezo-gen und zielgerichtet bekämpft worden wäre.
Nach der Auffassung des gericht-lichen Sachverständigen im schriftlichen Gutachten vom 21. März 2012 hätte bei einer wirksamen Antibiose am 24. April
2009 das Ausmaß der befallenen Knochensubstanz schätzungsweise um 50 % verringert werden können.
Der [X.] kann sich nicht damit entlasten, dass sich der Kläger nicht in der Praxis gemeldet hat und er infolge dessen von dem Zustand des [X.] keine Kenntnis erlangen konnte. Eine mangelnde Mitwirkung des Patienten bei einer medizinisch gebotenen Behandlung schließt einen Behandlungsfehler dann nicht aus, wenn der Patient über das Risiko der Nichtbehandlung nicht ausreichend aufgeklärt worden ist (vgl. Senatsurteil vom 16.
Juni 2009 -
VI
ZR 157/08, [X.], 1267). So liegt der Fall aber hier.
3. Soweit sich die Nichtzulassungsbeschwerde dagegen
wendet, dass das Berufungsgericht einen haftungsbegründenden Behandlungsfehler des [X.] durch die
Verwendung eines ungeeigneten Cast verneint hat, hat der

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16
-
13
-

Senat die [X.] für nicht durchgreifend erachtet. Von einer weiteren näheren Begründung wird gemäß §
544 Abs.
4 Satz
2 2.
Halbs. [X.] abgesehen.
Galke
Zoll
[X.]

Pauge
von Pentz

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 03.09.2012 -
19 O 73/10 -

OLG Celle, Entscheidung vom 04.02.2013 -
1 [X.] -

Meta

VI ZR 110/13

02.07.2013

Bundesgerichtshof VI. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 02.07.2013, Az. VI ZR 110/13 (REWIS RS 2013, 4603)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 4603

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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