Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 04.12.2012, Az. VI ZR 320/11

VI. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 823

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VI ZR
320/11
vom

4. Dezember 2012

in dem Rechtsstreit

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Der VI. Zivilsenat des [X.] hat am 4. Dezember 2012 durch den Vorsitzenden Richter
Galke,
[X.], die Richterin [X.], den Richter
Pauge und die Richterin von Pentz

beschlossen:

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin wird das Urteil des 20.
Zivilsenats des Kammergerichts
vom 24.
Oktober
2011
aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten
des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Gegenstandswert: 29.500

Gründe:

I.

Der Kläger nimmt den Beklagten auf Ersatz materiellen und immateriel-len Schadens wegen fehlerhafter ärztlicher Behandlung in
Anspruch. Der 1956 geborene Kläger zog sich am 23. Dezember 2004 einen Sprunggelenk-verrenkungsbruch zu, der noch am selben Tag operiert wurde. Aufgrund der mittlerweile eingetretenen Weichteilschwellung konnte allerdings nur der [X.] versorgt werden. Von einer definitiven Versorgung der 1
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Schienbeinfrakturen und des Innenknöchels wurde abgesehen und insoweit lediglich ein Fixateur externe angelegt. Eine zunächst für den 5. Januar 2005 geplante weitere [X.], bei der der Innenknöchel und das
Schienbein ver-sorgt werden sollten, wurde am 4. Januar 2005 verschoben, weil die Wundhei-lung noch nicht hinreichend fortgeschritten war. Am 10. Januar 2005 erfolgte eine Versorgung der Schienbeinfraktur des Innenknöchels durch einen neuen Schnitt. [X.] stellte der Operateur eine locker sitzende Syndesmose fest. Er öffnete die noch nicht abgeheilte [X.]swunde vom 23. Dezember 2004, spreizte diese und befestigte die Syndesmose mit einer Stellschraube an der schon vorhandenen Drittelrohrplatte. Der Kläger erhielt vorsorglich periope-rativ über fünf Tage das Antibiotikum [X.]. Am 19. Januar traten trotz der Antibiotikagabe klinische Anzeichen für eine Entzündung der wiedereröffneten [X.]swunde auf. Sie wurde am 20. Januar 2005 operativ eröffnet, wobei es zur Eiterentleerung und zur Entfernung abgestorbenen Gewebes kam. Am 21. Januar 2005 wurde ein Befall mit Pseudomonas aeruginosa festgestellt. In der Folgezeit musste sich der Kläger wegen der komplizierten Infektion des Knöchelgelenks diversen [X.]en unterziehen, bei denen zuletzt eine Ver-steifung des oberen Sprunggelenks mit Entfernung des [X.] erfolg-te. Der Kläger ist dauerhaft gehbehindert und zuletzt zu 60 % erwerbsunfähig. Das [X.] hat der Klage stattgegeben. Es sei grob fehlerhaft, dass die Mitarbeiter des Beklagten sowohl vor als auch nach der Wiedereröffnung der [X.]swunde am 10. Januar 2005 keine geeigneten Befunde, [X.] keine [X.],
erhoben hätten, um eine Infektion entweder auszuschlie-ßen oder aber zu diagnostizieren. Auf die Berufung des Beklagten hat das [X.] die Klage abgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Es hat in der unterlassenen Bestimmung der [X.] in der [X.] vom 23. [X.] 2004 bis 17. Januar 2005 zwar einen Befunderhebungsfehler gesehen, -
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diesen aber als nicht grob bewertet. Hiergegen wendet sich der Kläger mit [X.] Nichtzulassungsbeschwerde.

II.
Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg und führt gemäß §
544 Abs.
7 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Das Berufungsgericht hat den [X.] auf rechtliches Gehör aus Art.
103 Abs.
1 GG in entschei-dungserheblicher Weise verletzt.
1. Die Annahme des Berufungsgerichts, dem Kläger stehe kein [X.] wegen fehlerhafter ärztlicher Behandlung zu, beruht auf einem entscheidungserheblichen Verstoß gegen Art.
103 Abs.
1 GG.
a) Die Nichtzulassungsbeschwerde beanstandet zu Recht, dass sich das Berufungsgericht in seiner Entscheidung nicht
mit den weiteren vom Kläger gel-tend gemachten Behandlungsfehlern befasst hat. Der Kläger hatte in der [X.] geltend gemacht, dass die am 10.
Januar 2005 erfolgte Wiedereröff-nung der [X.]swunde mit einem derart erhöhten Infektionsrisiko verbun-den gewesen sei, dass sie nach dem damaligen Erscheinungsbild der Wunde hätte unterlassen werden müssen. Mit Schriftsatz vom 20.
August 2008 hatte er unter Hinweis auf das damit verbundene erhöhte Infektionsrisiko die Einbrin-gung einer Stellschraube in die wieder eröffnete [X.]swunde [X.] vor dem Hintergrund beanstandet, dass keinerlei Maßnahmen zur [X.] getroffen worden seien. Der [X.] hatte insoweit ausgeführt, dass die Wiedereröffnung einer nicht vollständig abgeheilten [X.]swunde immer mit einem erhöhten Infektionsrisiko ver-2
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bunden sei. Dies gelte insbesondere, wenn metallisches Fremdmaterial wie eine Stellschraube eingebracht werde. Eine Infektion im Knochen-
und Gelenk-bereich sei immer eine schwere und vor allem schwer zu beherrschende [X.], die fast unweigerlich erhebliche Dauerschäden nach sich ziehe. [X.] dürfe in eine wieder eröffnete [X.]swunde nur dann eingebracht werden, wenn die Wunde nicht entzündet sei. Aus der Sicht ex post sei die Entscheidung zur [X.] im Streitfall falsch gewesen. Für die Beurteilung ex ante komme es darauf an, ob die fibulare Wunde zum Revisionszeitpunkt entzündet gewesen sei. Vor
diesem Hinter-grund sei es dem Gutachter ganz unverständlich, weshalb zwischen dem 23.
Dezember 2004 und dem 17.
Januar 2005 keinerlei Laborkontrollen durch-geführt worden seien und insbesondere das [X.] nicht bestimmt worden sei. Eine Kontrolle vor der Zweitoperation hätte angesichts der schweren Verletzung sicherlich noch keine Normalwerte ergeben, hätte aber geholfen zu erkennen, ob sich eventuell eine Infektion anbahnte. Auch eine Messung der Körpertem-peratur sei vor der [X.] nicht erfolgt. Diese Ausführungen des Sachver-ständigen hatte sich der Kläger, soweit er es nicht ohnehin selbst vorgetragen hatte, als ihm günstige Umstände zumindest konkludent hilfsweise zu Eigen gemacht (vgl. Senatsurteile vom 8.
Januar 1991 -
VI
ZR 102/90, [X.], 467, 468 und vom 3.
April 2001 -
VI
ZR 203/00, [X.], 1174; Senatsbe-schluss vom 10.
November 2009 -
VI
ZR 325/08, [X.], 497).
Der Kläger hatte darüber hinaus in der Klageschrift vorgetragen, der [X.] auf einen Wundabstrich aus der [X.]swunde
bei der Zweitoperation sei als Fehler zu werten. Zwar hatte der gerichtliche Sachverständige insoweit angegeben, eine Abstrichentnahme bei der Zweitoperation hätte "wohl" bzw. "vermutlich" keinen Erkenntnisgewinn erwarten lassen. Demgegenüber hatte der im
Schlichtungsverfahren tätige Sachverstände Prof. Dr. K.

den [X.] auf einen Wundabstrich aus der Reoperationswunde als Fehler bewertet, 5
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da eine frühere gezielte antibiotische Behandlung möglich gewesen wäre, wenn man bereits zu diesem [X.]punkt eine Keimbesiedlung festgestellt hätte. Das im Rahmen der [X.] gegebene [X.] sei bei der am 21.
Januar 2005 festgestellten Keimbesiedlung ungeeignet gewesen. Diese Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. K.
hatte sich der Kläger im Schriftsatz vom 20.
August 2008 zu Eigen gemacht und beanstandet, dass ein vom Sachver-ständigen als nicht resistenzgerecht beurteiltes Antibiotikum verabreicht worden sei. Der gerichtliche Sachverständige hatte insoweit im schriftlichen Gutachten ausgeführt, dem erhöhten Infektionsrisiko bei der Zweitoperation sei durch eine erweiterte perioperative [X.] mit [X.] Rechnung getragen worden. Im Rahmen der Anhörung gab er allerdings an, dass mit der Gabe von [X.] das Infektionsrisiko nicht ausgeschlossen gewesen sei. Man sei damit nicht in Sicherheit gewesen. Als nach der [X.] dennoch Entzündungszei-chen manifest geworden seien, sei mit einer Umsetzung des Antibiotikums auf intravenöse Gaben reagiert worden. Eine Bewertung, ob die intravenöse Verab-reichung des zuvor oral eingenommenen Antibiotikums eine ausreichende [X.] darstellte, hat der Sachverständige dagegen nicht vorgenommen.
b) Die Gehörsverletzung ist auch entscheidungserheblich. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das
Berufungsgericht bei der gebotenen [X.] des Klägers zu einer anderen Beurteilung des [X.] gekommen wäre.
2. Bei der neuen Verhandlung hat das Berufungsgericht Gelegenheit, sich auch mit den weiteren vom Kläger in der [X.] aufgezeigten Gesichtspunkten zu befassen und auf die weitere Auf-klärung des Sachverhalts hinzuwirken. Es wird insbesondere die Bewertung des angenommenen [X.] -
unterlassene Erhebung der [X.] vom 23.
Dezember 2004 bis 17.
Januar 2005
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als nicht grob zu 6
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überprüfen haben. Denn es hat bei der Gewichtung des Befunderhebungsfeh-lers im [X.] an die Ausführungen des Sachverständigen in seiner ergän-zenden Stellungnahme vom 8.
April 2011 in erster Linie die
Bedeutung der [X.] für die Indikationsstellung zur [X.] und damit die postope-rativ unterlassene Bestimmung der Entzündungsparameter in den Blick [X.]. Es berücksichtigt nicht hinreichend, dass die Bestimmung des [X.]s vor der zweiten
[X.] nach den Angaben des Sachverständigen in seinem schriftlichen Gutachten und im Rahmen seiner Anhörung auch den Zweck hatte, eine bereits bestehende Infektion auszuschließen. Diesem [X.] kam vor dem Hintergrund, dass in der Zweitoperation am 10.
Januar 2005 eine noch nicht vollständig verheilte [X.]swunde wieder eröffnet und metallisches Fremdmaterial eingebracht wurde, und unter Berücksichtigung des damit einhergehenden erhöhten Infektionsrisikos besondere Bedeutung zu.

Galke
Zoll
[X.]

Pauge
von Pentz
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 12.06.2009 -
35 O 104/07 -

KG Berlin, Entscheidung vom 24.10.2011 -
20 [X.]/09 -

Meta

VI ZR 320/11

04.12.2012

Bundesgerichtshof VI. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 04.12.2012, Az. VI ZR 320/11 (REWIS RS 2012, 823)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 823

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