Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 21.12.2010, Az. 3 StR 454/10

3. Strafsenat | REWIS RS 2010, 70

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BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 3 StR 454/10 vom 21. Dezember 2010 in der Strafsache gegen wegen Totschlags - 2 - Der 3. Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des [X.] und des [X.] - zu 2. auf dessen Antrag - am 21. Dezember 2010 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen: 1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 19. Juli 2010 im [X.]; jedoch bleiben die zugehörigen Feststellungen [X.]. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-tels und die dem Nebenkläger hierdurch entstandenen not-wendigen Auslagen, an eine andere [X.] des Landge-richts zurückverwiesen. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe: Das [X.] hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Frei-heitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Mit seiner hiergegen gerichteten Revision beanstandet der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge zum Strafausspruch Erfolg; zum Schuldspruch ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. 1 - 3 - 1. Nach den Feststellungen lernten sich der Angeklagte und E.

, das im Jahre 1991 geborene, an einer Borderline-Persönlichkeitsstörung leidende spätere Tatopfer, im [X.] 2009 kennen und begannen eine intime Beziehung. Obwohl es zu immer heftigeren Auseinandersetzungen kam, bei denen der Angeklagte sich nicht aggressiv verhielt, E. sich indes häufig selbst verletzte und gegenüber dem Angeklagten gewalttätig wurde, [X.] die beiden eine gemeinsame Wohnung in [X.]. Das spätere Opfer hatte in der Folgezeit wie schon zuvor intime Kontakte zu mehreren weiteren Männern. Aufgrund der immer weiter eskalierenden Streitigkeiten, in deren [X.] der Angeklagte auch mit einem Messer und einem Teleskopschlagstock bedroht wurde, kam es mehrfach zu Einsätzen der Polizei. Zuletzt ereignete sich am 4. März 2010 in der gemeinsamen Wohnung eine Auseinandersetzung, die bis in die Nacht andauerte. Während dieser verhielt sich E. er-neut aggressiv; sie versetzte dem Angeklagten Schläge und Tritte. Am nächs-ten Morgen ging der Streit weiter. Nachdem das spätere Opfer den Angeklagten von neuem provoziert und getreten hatte, wollte dieser die Wohnung verlassen. Dies gelang ihm jedoch nicht, weil E. die Tür verschlossen und die Schlüssel an sich genommen hatte. Sie griff den Angeklagten weiterhin an, schlug ihn mit einem Besenstiel und bedrohte ihn mit einem Messer. Sodann versuchte sie, den Angeklagten mit einem Antennenkabel zu schlagen. Dieser riss ihr das Kabel aus der Hand, wickelte es mehrfach um ihren Hals und zog es solange zu, bis sie sich nicht mehr bewegte. Sodann verknotete er es. Dabei verspürte der Angeklagte zugleich Wut, Aggression und Ohnmacht; er wollte, dass das Opfer mit seinem Verhalten aufhört und wusste sich nicht mehr [X.] zu helfen. [X.] beraten hat das [X.] festgestellt, dass der Angeklagte sich bedingt durch einen Ausbruch narzisstischer Wut in einem Affektzustand befand, durch den seine Steuerungsfähigkeit erheblich vermin-dert im Sinne von § 21 [X.] war. 2 - 4 - Das [X.] hat die Strafe dem oberen Bereich des Rahmens des § 213 [X.] entnommen. Einen minder schweren Fall nach § 213 1. Alt. [X.] hat es allein deshalb verneint, weil das vom Opfer beabsichtigte Schlagen mit einem Antennenkabel gegenüber dem körperlich weit überlegenen Angeklagten nicht als tatbestandsrelevante Provokation angesehen werden könne. Die [X.] der Gesamtumstände einschließlich des vertypten [X.] des § 21 [X.] führe jedoch zur Annahme eines sonstigen minder schwe-ren Falles nach § 213 2. Alt. [X.]. 3 2. Die Begründung, mit der die [X.] einen minder schweren Fall des Totschlags nach § 213 1. Alt. [X.] abgelehnt hat, hält sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand. 4 Den Anforderungen an eine schwere Beleidigung im Sinne des § 213 1. Alt. [X.] genügen nur solche Provokationen, die auf der Grundlage aller [X.] maßgebenden Umstände unter objektiver Betrachtung und nicht nur aus der Sicht des [X.] als schwer beleidigend zu beurteilen sind; denn der hohe Rang des durch § 212 [X.] geschützten Rechtsguts und die unter den Vorausset-zungen des § 213 [X.] mildere Beurteilung der Vernichtung menschlichen Le-bens gebieten es, die Anforderungen an die Schwere der Beleidigung und auch der auf die tatauslösende Situation zulaufenden Entwicklung der [X.] nicht zu niedrig anzusetzen. Mit dieser Maßgabe kann jedoch auch eine für sich gesehen nicht als gravierend einzustufende Beleidigung dann als schwer zu bewerten sein, wenn sie nach einer Reihe von Kränkungen oder ehr-verletzenden Situationen der "Tropfen" war, der "das Fass zum Überlaufen" gebracht hat (st. Rspr.; vgl. etwa [X.], Urteil vom 22. Juni 1993 - 5 [X.], [X.]R [X.] § 213 1. Alt. Beleidigung 8; Beschluss vom 21. Mai 2004 - 1 [X.], [X.], 631, 632). Erforderlich ist deshalb stets eine Gesamtbetrachtung aller für die Beurteilung maßgeblichen Umstände 5 - 5 - ([X.], Urteil vom 10. Oktober 1989 - 1 StR 239/89, [X.]R [X.] § 213 1. Alt. Beleidigung 5). Eine solche Gesamtwürdigung lässt das angefochtene Urteil vermissen. Das [X.] hat ausschließlich den versuchten Angriff des Opfers gegen den Angeklagten mit dem Antennenkabel und damit noch nicht einmal den [X.] der der Tat vorausgehenden Auseinandersetzung, sondern lediglich die unmittelbar tatauslösende Handlung des Opfers in seine Betrachtung einbezo-gen. Es hätte indes die gesamte Entwicklung der Beziehung zwischen dem Op-fer und dem Angeklagten in den Blick nehmen und prüfen müssen, ob bei einer sachgerechten Bewertung aller maßgebenden Umstände die Voraussetzungen des § 213 1. Alt. [X.] gegeben sind. 6 3. Der Senat kann nicht ausschließen, dass die Höhe der Strafe, auf die das [X.] erkannt hat, auf dem aufgezeigten Rechtsfehler beruht. Das [X.] hat zwar die Voraussetzungen eines minder schweren Falles des Totschlags nach § 213 2. Alt. [X.] angenommen. Dabei hat es allerdings den [X.] des § 21 [X.] in die Beurteilung einbezogen und somit "verbraucht". Es erscheint indes möglich, dass die [X.], [X.] sie die Voraussetzungen des § 213 1. Alt. [X.] bejaht, den Strafrahmen des § 213 [X.] erneut nach den §§ 21, 49 Abs. 1 [X.] gemildert und eine geringe-re Strafe verhängt hätte. 7 Entgegen der Auffassung des [X.] ist eine derartige weitere Milderung des Strafrahmens nicht ausgeschlossen; denn der über den Erregungszustand im Sinne des § 213 1. Alt. [X.] hinausgehende Affekt, der zu einer von dieser Bestimmung nicht vorausgesetzten erheblichen Verminde-rung der Schuldfähigkeit führt, kann eine zusätzliche Strafrahmenverschiebung rechtfertigen, ohne dass dem § 50 [X.] entgegensteht ([X.], Beschlüsse vom 8 - 6 - 13. August 1985 - 1 StR 250/85, [X.], 71; vom 6. November 1985 - 2 StR 590/85, [X.], 115; vom 8. Juni 1993 - 1 StR 276/93, [X.]R [X.] § 50 Mehrfachmilderung 3; vom 30. Juli 2008 - 2 [X.], [X.], 91, 92). Bei der vom neuen Tatgericht gegebenenfalls zu treffenden Entscheidung, ob eine weitere Strafrahmenmilderung angezeigt ist, wird allerdings zu berück-sichtigen sein, dass die Milderungsgründe durch die enge Verknüpfung zwi-schen der Kränkung und dem psychischen Zustand des Angeklagten auf die-selben Wurzeln zurückgehen ([X.], Urteil vom 22. Juni 1993 - 5 [X.], [X.]R [X.] § 213 1. Alt. Beleidigung 8; Beschluss vom 30. Juli 2008 - 2 [X.], [X.], 91, 92). 4. Die getroffenen Feststellungen werden durch den aufgezeigten Rechtsfehler nicht berührt, sie können deshalb bestehen bleiben. Ergänzende Feststellungen, die den bisherigen nicht widersprechen, sind möglich. 9 [X.]von [X.][X.][X.]

Meta

3 StR 454/10

21.12.2010

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 21.12.2010, Az. 3 StR 454/10 (REWIS RS 2010, 70)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 70

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3 StR 454/10

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