Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 13.12.2016, Az. VI ZR 201/16

VI. Zivilsenat | REWIS RS 2016, 924

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[X.]:[X.]:BGH:2016:131216BVIZR201.16.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF
BESCHLUSS

VI ZR
201/16

vom

13. Dezember 2016

in dem Rechtsstreit

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Der VI.
Zivilsenat des [X.] hat am
13. Dezember 2016
durch den Vorsitzenden [X.], [X.], die
Richterinnen Dr.
Oehler und Dr.
Roloff
und [X.] Klein

beschlossen:
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des
[X.]
wird das Urteil des 5. Zivilsenats des [X.] vom 29. April 2016 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Streitwert: 100.000

Gründe:
I.
Der Kläger begehrt Schmerzensgeld und Schadensersatz nach zwei von dem Beklagten zu 2 im Klinikum der Beklagten zu 1 durchgeführten Kolosko-pien, die eine Notoperation durch den ehemaligen Beklagten zu 3 zur Folge hatten.
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Am 20. Oktober 2006 nahm der Beklagte zu 2 bei dem Kläger eine Kolo-skopie zu Vorsorgezwecken vor. Er fand dabei im Bereich des Sigmas
einen etwa 2,5 cm großen Polypen und entfernte diesen. Weil die Koloskopie wegen nicht ausreichender Darmreinigung nicht vollständig durchgeführt werden [X.], wurde eine Wiederholung der Untersuchung für den 23. Oktober 2006 ver-einbart. Bei der erneuten Koloskopie am 23. Oktober 2006 ergab sich kein Be-fund. Nach der Untersuchung traten bei dem Kläger starke Schmerzen auf, so dass wegen Verdachts auf eine Sigmaperforation noch am 23. Oktober 2006 eine Notoperation durchgeführt wurde, bei der sich ergab, dass bereits eine akute eitrige Peritonitis bestand. Da die Histologie des zuvor entfernten Polypen noch nicht vorlag, entschloss sich der Operateur zu
einer Sigmaresektion unter onkologischen Kriterien. Der entfernte Teil des Dickdarms einschließlich Lymphsystem hatte eine Länge von etwa 30 cm. Zum Schutz der Anastomose erfolgte die Anlage eines [X.].
Die histologische Untersuchung des entfernten Polypen ergab ein im Gesunden entferntes tubulo-villöses Adenom ohne Zellatypien und ohne ab-norme Zellformen. Am 28. Dezember 2006 erfolgte die Rückverlegung des Ileo-stomas. Der weitere Verlauf war nach ärztlicher Einschätzung komplikationslos, jedoch leidet der Kläger seiner Angabe nach seitdem unter dauerhaften starken Schmerzen, muss ständig Schmerzmittel einnehmen, ist Einschränkungen bei der Ernährung unterworfen und hat seinen Arbeitsplatz verloren.
Der Kläger macht unter anderem geltend, er sei vor der Durchführung der zweiten Koloskopie nicht hinreichend aufgeklärt worden, weil ihm der [X.], dass bei der ersten Koloskopie ein Polyp mit einer Größe von 2,5 cm entfernt worden sei, nicht mitgeteilt worden sei. Hätte er davon Kenntnis [X.], hätte er die zweite Untersuchung
nicht im Abstand von wenigen Tagen durchführen lassen.
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Nach
Klagerücknahme in Bezug auf den Beklagten zu 3 hat das [X.] die Klage gegen die Beklagten zu 1 und 2 nach Einholung mehrerer [X.] und Anhörung der Sachverständigen sowie [X.] abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Berufung des [X.] nach Anhörung des Sachverständigen [X.] zurückgewiesen. Die Revision hat es nicht zugelassen. Dagegen wendet sich der
Kläger mit seiner Nichtzulas-sungsbeschwerde.

II.
Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg
und führt gemäß §
544 Abs.
7 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht.
Das Berufungsgericht ist unter ent-scheidungserheblichem Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG zu der Annahme gelangt, der Kläger habe über die Entfernung des Polypen nicht
aufgeklärt wer-den müssen.
1. Das Berufungsgericht hat -
soweit hier erheblich -
ausgeführt, da nach den Feststellungen des [X.] die Durchführung der [X.] im Abstand von drei Tagen zu einer Erstkoloskopie mit Polypektomie kein erhöhtes
Perforationsrisiko mit sich bringe, habe der Kläger vor dem Eingriff am 23. Ok-tober 2006 hierüber auch nicht aufgeklärt werden müssen. Unter dem Ge-sichtspunkt der Wirksamkeit der erteilten Eingriffseinwilligung sei es auch nicht von Bedeutung, ob dem Kläger bereits vor der [X.] die Tatsache der Polypentfernung mitgeteilt worden sei, denn dies hätte zu der Entscheidung des [X.], ob er die [X.] durchführen lassen oder sie zumindest zeitlich verschieben solle, unter medizinischen Gesichtspunkten nichts beizu-tragen vermocht. Die gegenteilige Argumentation des [X.] in der Beru-5
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fungsbegründung unterstelle wiederum ein durch die Polypektomie verursach-tes erhöhtes Perforationsrisiko, von dem aber gerade nicht auszugehen sei.
2. Die Nichtzulassungsbeschwerde rügt mit Erfolg, dass das Berufungs-gericht bei diesen Ausführungen [X.] des Vorbringens des [X.] nicht berücksichtigt hat.
a) Der Kläger hat sowohl in erster als auch in zweiter Instanz vorgetra-gen, in Kenntnis des Umstands,
dass ihm bei der ersten Darmspiegelung ein (großer) Polyp entfernt worden sei,
hätte er die zweite Untersuchung, für die unstreitig keine medizinische Notwendigkeit bestanden habe, sondern mit der ohne weiteres hätte zugewartet werden können, erst später durchführen lassen. Er hat zudem auf den sich aufdrängenden Widerspruch zwischen dem von den Gutachtern [X.], [X.] und Prof. Dr. W. angesichts des histologischen [X.] für wahrscheinlich oder jedenfalls möglich gehaltenen Geschehensablauf -
Schwächung der Darmwand durch die elektrothermische Abtragung des [X.] am 20. Oktober 2006, wodurch es bei der zweiten Koloskopie am 23. Ok-tober 2006 durch die Einbringung von Luft letztendlich zu einer Perforation [X.] sei -
und den Annahmen des Sachverständigen [X.] -
insbesondere der Aussage, nach 72 Stunden sei die [X.] vorüber -
hingewie-sen.
b) Die Nichtzulassungsbeschwerde rügt zu Recht, dass das Berufungs-gericht diesen Sachvortrag des [X.] nicht in der gebotenen Weise berück-sichtigt hat.
aa) Sowohl der Sachverständige Prof. Dr. W.
als auch der Sachverstän-dige [X.]
gehen davon aus, dass noch am [X.] eine (therapeu-tische) Aufklärung über die durchgeführte Polypektomie hätte erfolgen müssen. Vor diesem Hintergrund hätte das Berufungsgericht einen Anspruch des Klä-8
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gers nicht ohne jede Auseinandersetzung mit seinem Vortrag, er hätte eine zweite Untersuchung in Kenntnis der Polypektomie nicht zeitnah durchführen lassen, verneinen dürfen.
Das Berufungsgericht stellt lediglich auf die Frage ab, ob eine Kenntnis des [X.] zu seiner Entscheidung in Bezug auf die Durch-führung der [X.] unter medizinischen Gesichtspunkten hätte [X.] können. Damit verfehlt es indes -
wie die Nichtzulassungsbeschwerde [X.] rügt -
den
Kern des klägerischen Vortrags.
[X.]) Hinzu tritt ferner, dass das Berufungsgericht den sich aufdrängenden und von ihm selbst für klärungsbedürftig angesehenen Widerspruch zwischen den Aussagen der Gutachter bei seinen Ausführungen zu einem etwaigen Auf-klärungsfehler vollständig aus dem Blick verloren und damit auch insoweit den
Kern des klägerischen Vortrags nicht ausreichend berücksichtigt hat. Es hat
letztlich vergeblich versucht, den Widerspruch zwischen dem von den Gutach-tern [X.], [X.] und Prof. Dr. W. angesichts des histologischen Befunds für wahrscheinlich oder jedenfalls möglich gehaltenen Geschehensablauf und den Annahmen des Sachverständigen [X.] zu klären, und hat selbst gemeint, es verwundere, dass eine kurz zuvor durchgeführte Polypektomie eine weitere Ko-loskopie in kurzem zeitlichen Abstand nicht kontraindiziere. Für die Frage des Behandlungsfehlers war eine Klärung des Widerspruchs -
wie das Berufungs-gericht zutreffend annimmt -
letztlich nicht erforderlich. Bei der Prüfung des [X.] hat das Berufungsgericht den von ihm selbst für [X.] angesehenen Widerspruch indes aus dem Blick verloren. Es legt seinen Ausführungen unter Verweis auf die Feststellungen des [X.] zugrunde, dass die Durchführung
einer [X.] im Abstand von drei Tagen nach einer Erstkoloskopie mit Polypektomie kein erhöhtes Perforationsrisiko beinhal-te, obwohl es sich davon selbst nicht hatte überzeugen können.
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d) Die Gehörsverletzung ist auch erheblich. Es ist nicht ausgeschlossen, dass das Berufungsgericht,
wenn es den Vortrag des [X.] in der gebotenen Weise berücksichtigt hätte, zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre.
Galke
[X.]
Oehler

Roloff
Klein

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 11.06.2015 -
4 O 8835/09 -

OLG [X.], Entscheidung vom 29.04.2016 -
5 U 1216/15 -

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Meta

VI ZR 201/16

13.12.2016

Bundesgerichtshof VI. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 13.12.2016, Az. VI ZR 201/16 (REWIS RS 2016, 924)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 924

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5 U 1216/15

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