Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 07.08.2023, Az. 4 BN 2/23

4. Senat | REWIS RS 2023, 5695

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Gegenstand

Normenkontrolle gegen eine Veränderungssperre zur Sicherung einer Bebauungsplanung über den Ausschluss von u. a. Windenergieanlagen


Tenor

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des [X.] vom 4. Oktober 2022 wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 10 000 € festgesetzt.

Gründe

1

Die auf sämtliche Zulassungsgründe gestützte [X.]eschwerde hat keinen Erfolg. Sie ist jedenfalls unbegründet.

2

1. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche [X.]edeutung, die ihr die [X.]eschwerde beimisst (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).

3

Grundsätzliche [X.]edeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine klärungsbedürftige Rechtsfrage des revisiblen Rechts aufwirft, die in dem angestrebten Revisionsverfahren beantwortet werden kann, sofern dies ü[X.] den Einzelfall hinaus zur Wahrung einer einheitlichen Rechtsprechung oder zur Fortbildung des Rechts beiträgt (stRspr, vgl. [X.]VerwG, [X.]eschlüsse vom 2. Okto[X.] 1961 - 8 [X.] 78.61 - [X.]VerwGE 13, 90 <91> und vom 24. Mai 2022 - 4 [X.] 3.22 - juris Rn. 2).

4

a) Die Antragstellerin möchte rechtsgrundsätzlich klären lassen,

ob vor dem Hintergrund des besonderen öffentlichen Interesses am Ausbau erneuerbarer Energien auch dann eine nach § 1 Abs. 3 Satz 1 [X.]auG[X.] erforderliche und durch Veränderungssperre sicherungsfähige Planung vorliegt, wenn der Hauptzweck der Planung die Verhinderung eines konkret anstehenden [X.] ist und der Nebenzweck der Planung

- allein auf das [X.]ewahren und Erhalten des Vorhandenen abzielt,

- allein auf eine kombinierte Festsetzung nach § 9 Abs. 1 Nr. 18 [X.]uchst. a und § 9 Abs. 1 Nr. 10 [X.]auG[X.] gerichtet ist, und

ob ein in Aufstellung befindlicher [X.]ebauungsplan angesichts des besonderen öffentlichen Interesses am Ausbau erneuerbarer Energien von vorneherein an einem schlechterdings nicht behebbaren Mangel im Sinne eines Verstoßes gegen das [X.] aus § 1 Abs. 7 [X.]auG[X.] leidet und damit nicht durch eine Veränderungssperre sicherungsfähig ist, wenn er in seinem Hauptzweck auf das Verhindern eines konkret anstehenden [X.] gerichtet ist und in seinem Nebenzweck

- allein auf das [X.]ewahren und Erhalten des Vorhandenen abzielt,

- allein auf eine kombinierte Festsetzung nach § 9 Abs. 1 Nr. 18 [X.]uchst. a und § 9 Abs. 1 Nr. 10 [X.]auG[X.] gerichtet ist.

5

Die Fragen führen nicht zur Zulassung der Revision, weil sie sich in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht stellen würden. Das O[X.]verwaltungsgericht hat nicht festgestellt, dass der - wie mit der Fragestellung vorausgesetzt - alleinige Hauptzweck der Planung der Antragsgegnerin die Verhinderung eines konkret anstehenden [X.] ist. Es ist zwar davon ausgegangen, dass durch das Vorhaben der Antragstellerin die Planung ausgelöst worden ist. Es hat a[X.] festgestellt, dass die Planungen mit der Einschränkung der [X.]eits bestehenden land- und forstwirtschaftlichen Nutzungsmöglichkeiten vorrangig auf den Schutz der Siedlungsstruktur zielen und in benachbarten Gebieten eine Wohnnutzung in "ländlicher Idylle" ohne [X.]elästigung durch Geruchseinwirkungen infolge immissionsreicher landwirtschaftlicher Nutzung und durch Windenergieanlagen ermöglichen sollen. Daneben sollen mit der Planung als Ergebnis der Anhörung betroffener Landwirte weitere - positive - Ziele verfolgt werden. An diese Feststellungen ist der Senat mangels durchgreifender Verfahrensrügen gebunden (§ 137 Abs. 2 VwGO).

6

b) Nichts anderes gilt, soweit vorstehende Fragen mit [X.]lick auf das in § 2 Satz 1 [X.] normierte ü[X.]ragende öffentliche Interesse am Ausbau erneuerbarer Energien gestellt werden. A[X.] auch unabhängig hiervon könnten die Fragen nicht zur Zulassung der Revision führen. Denn eine Rechtsänderung, wie hier das Inkrafttreten der Neufassung des § 2 [X.] am 29. Juli 2022 durch das Gesetz vom 20. Juli 2022 ([X.]; [X.]. [X.]. 2023 Nr. 87), kann nicht zur Zulassung wegen einer als rechtsgrundsätzlich klärungsbedürftig bezeichneten Frage führen, die das O[X.]verwaltungsgericht nicht beantwortet hat und auch nicht beantworten musste. Es ist grundsätzlich nicht Sinn der Revisionszulassung, die Anwendung neuen Rechts im Einzelfall ohne vorherige Prüfung durch die Instanzgerichte zu ermöglichen ([X.]VerwG, [X.]eschluss vom 30. März 2005 - 1 [X.] 11.05 - [X.]uchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 32 S. 13 f.). Die Revisionszulassung setzt vielmehr eine Rechtsfrage voraus, die für das angegriffene Urteil entscheidungserheblich war ([X.]VerwG, [X.]eschlüsse vom 4. Okto[X.] 2013 - 6 [X.] 13.13 - [X.]uchholz 421.2 Hochschulrecht Nr. 181 Rn. 19, vom 21. Dezem[X.] 2018 - 7 [X.] 3.18 - [X.]uchholz 406.27 § 32 [X.][X.]ergG [X.] Rn. 11 und vom 20. Dezem[X.] 2021 - 4 [X.] 37.21 - juris Rn. 7). Das ist vorliegend nicht der Fall. Das O[X.]verwaltungsgericht ist im Einklang mit der Rechtsprechung des Senats (vgl. nur [X.]VerwG, Urteil vom 9. August 2016 - 4 [X.] 5.15 - [X.]VerwGE 156, 1 Rn. 19 m. w. N.; [X.]eschlüsse vom 6. Juli 2022 - 4 [X.] 53.21 - juris Rn. 5 und vom 14. Okto[X.] 2022 - 4 [X.] 12.22 - NVwZ 2023, 618 Rn. 9 f.) davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen für eine Veränderungssperre im Zeitpunkt ihres Erlasses vorliegen müssen. Maßgeblich war danach die Fassung der Veränderungssperre vom 23. August 2021 ([X.] Rn. 50), also in einem Zeitpunkt, in welchem § 2 [X.] noch nicht in neuer Fassung galt.

7

2. Die Revision ist auch nicht wegen einer Divergenz nach § 132 Abs. 2 [X.] VwGO zuzulassen.

8

Gemäß § 132 Abs. 2 [X.] VwGO ist die Revision zuzulassen, wenn das Urteil von einer Entscheidung (u. a.) des [X.]undesverwaltungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung [X.]uht. Der [X.]eschwerde obliegt es, aus einer zu benennenden Entscheidung des [X.]undesverwaltungsgerichts einen tragenden, abstrakten Rechtssatz zu einer revisiblen Rechtsvorschrift zu benennen und darzulegen, dass die Entscheidung der Vorinstanz auf einem abweichenden abstrakten Rechtssatz zu derselben Rechtsvorschrift [X.]uht (stRspr, vgl. [X.]VerwG, [X.]eschluss vom 23. August 2021 - 4 [X.] 10.21 - NVwZ 2021, 1702 Rn. 11). Das leistet die [X.]eschwerde nicht.

9

Die Antragstellerin entnimmt dem angefochtenen Urteil den Rechtssatz, dass es für eine kombinierte Festsetzung nach "§ 9 Abs. 8 Nr. 10 [X.]auG[X.]" (richtig: § 9 Abs. 1 Nr. 10 [X.]auG[X.]) i. V. m. "§ 9 Abs. 8 Nr. 18 [X.]auG[X.]" (richtig: § 9 Abs. 1 Nr. 18 [X.]auG[X.]) ausreiche, dass die mit der Festsetzung verfolgten städtebaulichen Ziele mit der Landwirtschaft lediglich verbunden oder vereinbar seien. Sie sieht hierin eine Abweichung zum Urteil des [X.]undesverwaltungsgerichts vom 14. Juli 1972 - 4 [X.] 8.70 - ([X.]VerwGE 40, 258) zur Erforderlichkeit einer kombinierten Festsetzung nach § 9 Abs. 1 Nr. 10 i. V. m. § 9 Abs. 1 Nr. 18 [X.]auG[X.]. Das führt auf keine Divergenz. Das Urteil vom 14. Juli 1972 ist nicht zu einer kombinierten Festsetzung, sondern nur zu einer allein auf § 9 Abs. 1 Nr. 10 [X.][X.]auG - in der damals maßgeblichen Fassung - gestützten Festsetzung von Flächen für die Land- und Forstwirtschaft (heute § 9 Abs. 1 Nr. 18 [X.]auG[X.]) ergangen. Es betont im Übrigen, dass eine solche Festsetzung keine Handhabe biete, eine gar nicht auf die Land- und Forstwirtschaft ausgerichtete, sondern fremden Zwecken dienende [X.]ausperre zu verhängen, die Festsetzung wäre, wie die "wahre" Willensrichtung ergebe, nach der planerischen Konzeption der [X.] nicht erforderlich ([X.]VerwGE 40, 258 <262 f.>). Dem Normenkontrollurteil lässt sich nicht entnehmen, dass es sich hierzu in Widerspruch gesetzt hätte. Das O[X.]verwaltungsgericht führt vielmehr aus, es lasse sich nicht feststellen, dass die Antragsgegnerin mit der Planung keine städtebaulichen Ziele verfolge ([X.] Rn. 65). Die beabsichtigten Festsetzungen von Flächen für die Forst- und Landwirtschaft entsprächen dem planerischen Willen der [X.] und seien nicht nur vorgeschoben, um das Vorhaben der Antragstellerin zu verhindern ([X.] Rn. 70). Damit wendet das Normenkontrollgericht die in dem genannten Urteil des [X.]undesverwaltungsgerichts dargelegten rechtlichen Maßstäbe auf den Einzelfall an.

Auch eine Divergenz zum [X.]eschluss des Senats vom 27. Januar 1999 - 4 [X.] 129.98 - (NVwZ 1999, 878) ist nicht dargelegt. Die [X.]eschwerde benennt schon keinen tragenden abstrakten Rechtssatz dieser Entscheidung, sondern gibt nur eine dort im Wesentlichen wörtlich zitierte Passage aus dem [X.]eschluss vom 18. Dezem[X.] 1990 wieder, mit welchem sich der Senat im Rahmen einer [X.] auseinander zu setzen hatte und die sich im Übrigen zur [X.] verhält.

3. Verfahrensfehler (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) lassen sich dem [X.]eschwerdevortrag ebenfalls nicht entnehmen. Eine unzulässige Ü[X.]raschungsentscheidung ist nicht schlüssig dargetan.

Eine gerichtliche Entscheidung stellt sich als eine das rechtliche Gehör (§ 108 Abs. 2, § 104 Abs. 1 und § 86 Abs. 3 VwGO) verletzende Ü[X.]raschungsentscheidung dar, wenn das Gericht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der die [X.]eteiligten nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchten (stRspr, vgl. [X.]VerwG, [X.]eschluss vom 23. August 2022 - 4 [X.] 17.22 - juris Rn. 8 m. w. N.).

Nach Auffassung der Antragstellerin hätte das O[X.]verwaltungsgericht die [X.]eteiligten zur Vermeidung einer unzulässigen Ü[X.]raschungsentscheidung darü[X.] aufklären müssen, dass und warum es von seiner im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO ([X.]eschluss vom 17. Juni 2021) und nach § 80 Abs. 7 VwGO ([X.]eschluss vom 10. Novem[X.] 2021) vertretenen Rechtsauffassung abweichen will. Damit ist eine Verletzung des rechtlichen Gehörs nicht dargelegt. Das Gericht muss die [X.]eteiligten grundsätzlich nicht vorab auf seine Rechtsauffassung oder die beabsichtigte Würdigung des [X.] hinweisen, weil sich die tatsächliche und rechtliche Würdigung regelmäßig erst aufgrund der abschließenden [X.]eratung nach der mündlichen Verhandlung ergibt (stRspr, vgl. [X.]VerwG, Urteile vom 31. Juli 2013 - 6 [X.] 9.12 - NVwZ 2013, 1614 Rn. 38 m. w. N. und vom 3. Dezem[X.] 2020 - 4 [X.] 7.18 - juris Rn. 61). Das gilt auch dann, wenn sich das Gericht zuvor [X.]eits in einem Eilverfahren zu den entscheidungserheblichen Fragen geäußert hat. Denn das Gericht entscheidet in der Hauptsache anhand anderer Prüfungsmaßstäbe und ohne [X.]indung an seine vorangegangene [X.]eurteilung im Eilverfahren ([X.]VerwG, [X.]eschluss vom 13. Januar 2014 - 4 [X.] 37.13 - juris Rn. 12 m. w. N.). Vorliegend kommt hinzu, dass die beiden Eilentscheidungen auf unterschiedliche Gründe gestützt waren und die - im [X.]eschluss vom 17. Juni 2021 noch verneinte ([X.]A Rn. 44) - Annahme einer bloßen "[X.]" im [X.]eschluss vom 10. Novem[X.] 2021 durch die Formulierung, dass die zu sichernde Planung "wohl rechtswidrig" sei ([X.]A Rn. 11), relativiert worden ist. Die Antragstellerin musste somit damit rechnen, dass im Rahmen einer endgültigen [X.]ewertung der Planung im Hauptsacheverfahren das O[X.]verwaltungsgericht in [X.]ezug auf das Vorliegen einer unzulässigen "[X.]" zu einem anderen Ergebnis gelangen könnte.

Die Kostenentscheidung [X.]uht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.

Meta

4 BN 2/23

07.08.2023

Bundesverwaltungsgericht 4. Senat

Beschluss

Sachgebiet: BN

vorgehend Sächsisches Oberverwaltungsgericht, 4. Oktober 2022, Az: 1 C 82/20, Urteil

§ 1 Abs 3 BauGB, § 1 Abs 7 BauGB, § 9 Abs 1 Nr 10 BauGB, § 9 Abs 1 Nr 18 BauGB, § 14 Abs 1 BauGB, § 2 S 1 EEG 2014 2023

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 07.08.2023, Az. 4 BN 2/23 (REWIS RS 2023, 5695)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 5695

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