Bundesfinanzhof, Urteil vom 13.06.2013, Az. III R 58/12

3. Senat | REWIS RS 2013, 5051

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Gegenstand

Kindergeld während der Mutterschutzfrist und der Elternzeit


Leitsatz

1. Ein Kind, das die Suche nach einem Ausbildungsplatz während der Mutterschutzfrist unterbricht, ist in diesem Zeitraum weiterhin zu berücksichtigen. Dies gilt auch dann, wenn es die Bemühungen um einen Ausbildungsplatz nach dem Ende der Mutterschutzfrist nicht fortsetzt.

2. Ein Kind, das während der Elternzeit keinen Ausbildungsplatz sucht, kann --ebenso wie ein Kind, das seine Ausbildung wegen der Elternzeit unterbricht-- nicht berücksichtigt werden.

Tatbestand

1

I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Vater einer im Juni 1983 geborenen Tochter, die seit Juni 2003 in einem eigenen Haushalt lebte und für die er aufgrund von Bescheiden aus dem [X.] Kindergeld bezog. Die Tochter war arbeitslos und bezog [X.] II. Sie war auch als Bewerberin um eine berufliche Ausbildungsstelle gemeldet und hatte sich zudem selbst um einen Ausbildungsplatz bemüht. Am 11. Juni 2005 gebar die Tochter des [X.] eine Tochter. Seit dem 23. April 2005 --dem Tag des Beginns ihrer [X.] war sie mit dem Vermerk "Mutterschutz/Elternzeit" wegen "Mangelnde Verfügbarkeit/Mitwirkung" nicht mehr als Bewerberin um einen Ausbildungsplatz registriert.

2

Die Beklagte und Revisionsbeklagte (Familienkasse) hob die Festsetzung des Kindergeldes für Mai 2005 bis Mai 2006 sowie von September 2007 bis März 2008 auf. Der Einspruch blieb ohne Erfolg.

3

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage als unbegründet ab. Es führte aus, die Tochter sei nicht nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu berücksichtigen, weil sie nicht als Bewerberin für eine berufliche Ausbildungsstelle gemeldet gewesen sei. Der Umstand, dass sie sich von Mai 2005 bis August 2005 im Mutterschutz befunden habe, führe nicht dazu, dass sie in diesem Zeitraum weiterhin als Ausbildungssuchende anzusehen sei. Die Familienkasse habe die Festsetzung des Kindergeldes gemäß § 70 Abs. 2 EStG zu Recht aufgehoben; ihr Rückforderungsanspruch sei auch nicht verwirkt.

4

Zur Begründung seiner Revision trägt der Kläger vor, eine Rückforderung von Kindergeld für die Mutterschutzzeit scheide aus. Gleiches müsse aufgrund des allgemeinen Gleichheitsgrundsatzes auch für die anschließende Elternzeit gelten, da die Tochter wegen der Erziehung ihres Kindes nicht in der Lage gewesen sei, sich um eine Ausbildungsstelle zu bemühen. Die Rückforderung sei auch aus Vertrauensschutzgründen ausgeschlossen.

5

Der Kläger beantragt, das [X.], den Aufhebungsbescheid und die Einspruchsentscheidung aufzuheben.

6

Die Familienkasse beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

7

II. Die Familienkasse ... der [X.] ist aufgrund eines Organisationsaktes (Beschluss des Vorstands der [X.] Nr. 21/2013 vom 18. April 2013 gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 11 des Finanzverwaltungsgesetzes, Amtliche Nachrichten der [X.], Ausgabe Mai 2013, S. 6 ff., Nr. 1 der Anlage 2) im Wege des gesetzlichen Parteiwechsels in die Beteiligtenstellung der [X.] eingetreten (s. dazu Beschluss des [X.] --[X.]-- vom 3. März 2011 V B 17/10, [X.], 1105, unter II.A.).

III.

8

Die Revision ist hinsichtlich der Monate Mai bis August 2005 begründet (1.); im Übrigen, d.h. hinsichtlich der Monate September 2005 bis Mai 2006 sowie September 2007 bis März 2008, wird sie als unbegründet zurückgewiesen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--), da der Kläger insoweit keinen Anspruch auf Kindergeld hat (2.) und die Rückforderung auch nicht ausgeschlossen war (3.).

9

1. Die Tochter des [X.] ist für den [X.]raum Mai bis August 2005 weiterhin nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG als Kind zu berücksichtigen, weil die Unterbrechung der Suche nach einem Ausbildungsplatz während der Mutterschutzfrist ebenso unschädlich ist wie die Unterbrechung einer Ausbildung während der Schutzfrist.

a) Die Familienkasse hat die Tochter aufgrund des Bescheids vom 6. Februar 2004 bis einschließlich April 2005 als Kind ohne Ausbildungs- oder Arbeitsplatz berücksichtigt und daher Kindergeld gewährt. Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Berücksichtigung --ab Juli 2004 gemäß § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. [X.] bestehen nicht. Denn die Tochter des [X.] hat sich selbst ernsthaft um einen Ausbildungsplatz bemüht (vgl. Senatsurteil vom 22. September 2011 III R 30/08, [X.], 327, [X.], 411) und war zudem bei der [X.] als Bewerberin um eine berufliche Ausbildungsstelle registriert.

b) Die Tochter ist auch während der [X.] ihres Mutterschutzes nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG zu berücksichtigen, der sechs Wochen vor der erwarteten Entbindung begann (§ 3 Abs. 2 des Gesetzes zum Schutz der erwerbstätigen Mutter --[X.]--) und mit dem der Niederkunft am 11. Juni 2005 folgenden achtwöchigen Beschäftigungsverbot (§ 6 Abs. 1 [X.]) im August 2005 endete, obwohl sie währenddessen von der Agentur mit Hinweis auf den Mutterschutz "abgemeldet" worden war.

aa) Der [X.] hat bereits entschieden, dass ein Kind während der Unterbrechung seiner Ausbildung aufgrund der Schutzfristen nach § 3 Abs. 2 und § 6 Abs. 1 Satz 1 [X.] grundsätzlich weiter zu berücksichtigen ist ([X.]-Urteile vom 15. Juli 2003 VIII R 47/02, [X.]E 203, 106, [X.] 2003, 848; vom 24. September 2009 III R 79/06, [X.]/NV 2010, 614); dies entspricht auch der Ansicht der Verwaltung (Dienstanweisung zur Durchführung des Familienausgleichs nach dem X. Abschnitt des Einkommensteuergesetzes --DA-FamEStG-- 63.3.2.7 Abs. 3, [X.], 393; DA-FamEStG 63.3.2.8 Abs. 3 Satz 1, [X.], 774). Denn das Kind hat in diesem [X.]raum den Willen, sich der Ausbildung zu unterziehen, ist aber aus objektiven Gründen wegen des [X.] nach dem [X.] vorübergehend daran gehindert, weil ihm die Durchführung der Ausbildungsmaßnahmen nicht möglich oder nicht zumutbar ist.

bb) [X.] nach einem Ausbildungsplatz während der [X.] ist im Hinblick auf die Berücksichtigung als Kind nicht anders zu behandeln als die mutterschutzbedingte Unterbrechung der Ausbildung.

(1) Die Gleichstellung von Kindern, die einen Ausbildungsplatz suchen, mit denen, die bereits einen Ausbildungsplatz gefunden haben, setzt voraus, dass der Beginn oder die Fortsetzung der Ausbildung nicht an anderen Umständen als dem Mangel eines Ausbildungsplatzes scheitern (Senatsurteil vom 7. April 2011 III R 24/08, [X.]E 233, 44, [X.], 210). Das einen Ausbildungsplatz suchende Kind muss diesen daher im Fall einer erfolgreichen Suche auch antreten können. Wenn dies --z.[X.] aus ausländerrechtlichen Gründen (Senatsurteil in [X.]E 233, 44, [X.], [X.] ausgeschlossen ist, scheidet eine Berücksichtigung aus. Ein derartiger Hinderungsgrund besteht bei jungen Müttern indessen nicht. Sie könnten eine angebotene Ausbildung antreten und --nach Ablauf der [X.] auch durchführen.

(2) Die Beschäftigungsverbote nach dem [X.] hindern Frauen nicht aus rechtlichen Gründen an der Ausbildungsplatzsuche, diese ist aber in vielen Fällen praktisch unmöglich und regelmäßig auch nicht zumutbar. Denn eine erfolgversprechende Suche nach einem Ausbildungsplatz erfordert nicht lediglich das Verfassen von Bewerbungsschreiben, wozu eine Frau meist auch kurz vor oder nach der Entbindung imstande sein wird, sondern regelmäßig auch Vorstellungsgespräche, die Teilnahme an [X.], [X.] oder Betriebsbesichtigungen und gelegentlich sogar "Probearbeit". Diese Tätigkeiten können physisch und psychisch ebenso anstrengend sein wie eine --durch das [X.] untersagte-- "normale Arbeit". Da das Kindergeldrecht als "Massenrecht" der Typisierung bedarf, kann es auch nicht darauf ankommen, ob die Suche nach einem Ausbildungsplatz im Einzelfall --z.[X.] bei ausschließlich schriftlichen [X.] trotz der besonderen Schutzbedürftigkeit werdender und junger Mütter auch während der Mutterschutzfrist möglich und zumutbar wäre.

(3) Angesichts der zeitlich beschränkten, regelmäßig lediglich etwa vierzehnwöchigen [X.] braucht der Senat nicht zu entscheiden, von welcher [X.]dauer an bei kranken Kindern die Unterbrechung der Suche nach einem Ausbildungsplatz oder die Unterbrechung der Ausbildung eine Berücksichtigung nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a oder Buchst. c EStG ausschließen würde.

cc) Der weiteren Berücksichtigung während der Mutterschutzfrist steht nicht entgegen, dass die Suche nach einem Ausbildungsplatz nach ihrem Ende nicht umgehend wieder aufgenommen wird. Denn ein Kind wird durch den Beginn der Mutterschutzfrist an der Fortsetzung der Suche nach einem Ausbildungsplatz objektiv gehindert, während der Entschluss, die Bemühungen um einen Ausbildungsplatz zwecks Pflege und Erziehung des Kindes nicht fortzusetzen, erst nach deren Ende wirksam wird.

c) Da die übrigen Voraussetzungen der Berücksichtigung der Tochter nicht streitig sind, ist der Klage stattzugeben, soweit sie sich gegen die Aufhebung der Festsetzung für die Monate Mai bis August 2005 richtet (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 [X.]O).

2. Für die übrigen Monate, d.h. für September 2005 bis Mai 2006 und September 2007 bis März 2008, kann die Tochter nicht als Kind berücksichtigt werden. Denn ein Kind, das seine Ausbildung während der Elternzeit unterbricht, ist nicht zu berücksichtigen (Senatsurteil in [X.]/NV 2010, 614). Für ein Kind, das die Suche nach einem Ausbildungsplatz während der Elternzeit unterbricht, gilt nichts anderes: In beiden Fällen ist das Kind --anders als bei einer Erkrankung oder während des [X.] nach dem [X.]-- nicht aus objektiven Gründen an der Ausbildung oder der Suche nach einem Ausbildungsplatz gehindert, sondern weil es diese aufgrund eines eigenen Entschlusses zugunsten der Förderung des [X.] während dieser [X.] nicht fortsetzt.

3. Die Rückforderung des Kindergeldes ist nicht aus Vertrauensschutzgründen ausgeschlossen.

Die Rückforderung von Kindergeld richtet sich nur nach der Abgabenordnung ([X.]); der Gesetzgeber war nicht verpflichtet, eine Vertrauensschutzregelung --wie z.[X.] § 45 Abs. 2 des [X.] -- in das System steuerlicher Änderungs- und Aufhebungsvorschriften aufzunehmen (Senatsbeschluss vom 30. November 2009 III B 187/08, [X.]/NV 2010, 645). Der Grundsatz von Treu und Glauben steht der Rückforderung von überzahltem Kindergeld selbst dann nicht entgegen, wenn die Behörde trotz Kenntnis von Umständen, die zum Wegfall des [X.] führen, zunächst weiterhin Leistungen erbringt (z.[X.] [X.]-Urteil vom 14. Oktober 2003 VIII R 56/01, [X.]E 203, 472, [X.] 2004, 123); auch das [X.]moment ist insoweit bedeutungslos (Senatsbeschluss vom 23. Mai 2011 III B 177/10, [X.], 1507). Erforderlich sind vielmehr besondere Umstände, die die Geltendmachung des Rückforderungsanspruchs als illoyale Rechtsausübung erscheinen lassen und dazu führen, dass sich der [X.] nach dem gesamten Verhalten der Familienkasse darauf verlassen durfte und verlassen hat, dass er nicht mehr in Anspruch genommen werden solle (Senatsbeschluss vom 8. Dezember 2011 III B 72/11, [X.]/NV 2012, 379). Derartige Umstände hat das [X.] nicht festgestellt; es hat auch zutreffend entschieden, dass die Familienkasse sich die vom Kläger behaupteten diesbezüglichen Äußerungen der bei der [X.] tätigen Frau Z nicht zurechnen lassen muss.

4. Der Senat weist darauf hin, dass --soweit der Kläger unterlegen [X.] ein [X.] nach § 227 [X.] gerechtfertigt sein kann, wenn das Kindergeld bei der Berechnung der Höhe von Sozialhilfeleistungen als Einkommen angesetzt wurde und eine nachträgliche Korrektur dieser Leistungen nicht möglich ist (vgl. Senatsurteil vom 22. September 2011 III R 78/08, [X.]/NV 2012, 204).

Meta

III R 58/12

13.06.2013

Bundesfinanzhof 3. Senat

Urteil

vorgehend Thüringer Finanzgericht, 22. März 2011, Az: 4 K 814/08, Urteil

§ 32 Abs 4 S 1 Nr 2 Buchst c EStG 2002, § 70 Abs 2 EStG 2002

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 13.06.2013, Az. III R 58/12 (REWIS RS 2013, 5051)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 5051

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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