Bundesfinanzhof, Beschluss vom 05.12.2018, Az. VIII B 130/18

8. Senat | REWIS RS 2018, 845

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Gegenstand

(Veränderte Umstände gemäß § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO)


Leitsatz

1. NV: Die Wiederholung eines bereits durch das FG abgelehnten Antrags auf Aussetzung der Vollziehung ist nur unter den Voraussetzungen des § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO zulässig .

2. NV: Wird ein (erster) Antrag auf Aussetzung der Vollziehung mangels Vorliegen der Zugangsvoraussetzungen des § 69 Abs. 4 FGO als unzulässig abgelehnt, so ist die nachträgliche Ablehnung der Aussetzung der Vollziehung durch das FA ein veränderter Umstand gemäß § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO .

Tenor

1. Auf die Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluss des [X.] vom 29. August 2018  12 V 2258/18 A ([X.]) aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und [X.]ntscheidung an das Finanzgericht zurückverwiesen.

2. Die [X.]ntscheidung über die Kosten des Verfahrens wird dem Finanzgericht übertragen.

Tatbestand

I.

1

Die Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) streiten in der Hauptsache über die Rechtmäßigkeit von [X.]inkommensteueränderungsbescheiden für die Jahre 2004 bis 2010 vom 3. März 2017, die nach einer Steuerfahndungsprüfung ergangen sind. Die Antragsteller wenden insbesondere ein, die Bescheide hätten infolge Festsetzungsverjährung nicht mehr ergehen dürfen, weil keine Steuerhinterziehung vorgelegen habe. Zudem sei die Höhe der Kapitalerträge unzutreffend vom Antragsgegner und Beschwerdegegner (Finanzamt --[X.]---) ermittelt worden.

2

Das [X.] hatte die Vollziehung der [X.]inkommensteueränderungsbescheide vom 3. März 2017 zunächst mit Verfügung vom 25. April 2017 antragsgemäß bis einen Monat nach Bekanntgabe der [X.]ntscheidung über den [X.]inspruch der Antragsteller ausgesetzt. Nachdem das [X.] den [X.]inspruch der Antragsteller mit [X.]inspruchsentscheidung vom 30. Mai 2018 (datiert auf 30. Juni 2018) als unbegründet zurückgewiesen hatte, beantragten die Antragsteller am 19. Juni 2018 die Aussetzung der Vollziehung (AdV) beim Finanzgericht --[X.]-- (12 V 1689/18 A ([X.])). Über die am 28. Juni 2018 erhobene Klage (12 K 1756/18 [X.]) hat das [X.] noch nicht entschieden.

3

In dem Verfahren 12 V 1689/18 A ([X.]) wies das [X.] die Antragsteller darauf hin, dass ihr Antrag auf AdV mangels Vorliegen der Zugangsvoraussetzungen des § 69 Abs. 4 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) unzulässig sei und regte an, den Antrag zurückzunehmen. Da keine Rücknahmeerklärung der Antragsteller beim [X.] einging, wies es den Antrag mit Beschluss vom 23. Juli 2018 ab.

4

Nachfolgend beantragten die Antragsteller die AdV beim [X.]. Diesen Antrag lehnte das [X.] am 10. August 2018 ab. Hierauf wandten sich die Antragsteller erneut an das [X.]. Zur Begründung ihres neuerlichen Aussetzungsantrages verwiesen sie auf die zwischenzeitlich erfolgte Antragsablehnung durch das [X.] sowie ihr Vorbringen im Hauptsacheverfahren (12 K 1756/18 [X.]).

5

Das [X.] wies den neuerlichen Aussetzungsantrag mit Beschluss vom 29. August 2018 als unzulässig ab. Zwar seien die Zugangsvoraussetzungen des § 69 Abs. 4 [X.]O erfüllt. Da der Senat aber bereits über einen Aussetzungsantrag der Antragsteller entschieden habe, sei ein erneuter Antrag nur nach Maßgabe des § 69 Abs. 6 Satz 2 [X.]O zulässig. Dessen Voraussetzungen lägen nicht vor, weil die Antragsteller zur Begründung ihres neuerlichen Antrages auf die Begründung ihres ursprünglichen, vom Gericht bereits beschiedenen Antrags verwiesen hätten. [X.]ine Änderung des Beschlusses vom 23. Juli 2018 gemäß § 69 Abs. 6 Satz 1 [X.]O lehnte das [X.] ebenfalls ab, da eine solche dem Sinn und Zweck des § 69 Abs. 6 Satz 2 [X.]O zuwiderliefe.

6

Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Antragsteller.

7

Sie beantragen sinngemäß,
den Beschluss des [X.] vom 29. August 2018 aufzuheben und die Vollziehung der [X.]inkommensteueränderungsbescheide 2004 bis 2010 vom 3. März 2017 in Gestalt der [X.]inspruchsentscheidung ab Fälligkeit in Höhe von 82.895,80 € auszusetzen.

8

Das [X.] beantragt,
die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

9

Die gemäß § 128 Abs. 3 [X.]O zulässige Beschwerde der Antragsteller ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung an das [X.].

1. Das [X.] hat den Aussetzungsantrag der Antragsteller zu Unrecht als unzulässig abgelehnt. Zwar hat es zutreffend erkannt, dass § 69 Abs. 6 Satz 2 [X.]O auch im Streitfall anwendbar ist. Es hat aber rechtsfehlerhaft angenommen, dass dessen Voraussetzungen nicht vorliegen.

a) [X.] kann einen einmal ergangenen Beschluss jederzeit ändern oder aufheben (§ 69 Abs. 6 Satz 1 [X.]O). Die Beteiligten können die Aufhebung oder Änderung jedoch nur wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen (§ 69 Abs. 6 Satz 2 [X.]O).

aa) § 69 Abs. 6 Satz 2 [X.]O erfasst nicht nur diejenigen Fälle, in denen formal die Aufhebung oder Änderung einer ergangenen Entscheidung begehrt wird, sondern greift auch dann ein, wenn zunächst über einen Aussetzungsantrag entschieden worden ist und nunmehr ein Beteiligter erneut einen solchen Antrag stellt. Demgemäß ist die Zulässigkeit eines solchen Folgeantrags ebenfalls an die Voraussetzungen des § 69 Abs. 6 Satz 2 [X.]O gebunden (z.B. Beschlüsse des [X.] --BFH-- vom 8. März 2013 III S 2/12, [X.], 960; vom 18. September 1996 I B 39/96, [X.] 1997, 247, m.w.[X.]).

bb) Umstände i.S. des § 69 Abs. 6 Satz 2 [X.]O können Vorgänge tatsächlicher und rechtlicher Art sein ([X.] in [X.] 1997, 247). Sie liegen vor, wenn entweder nachträglich eingetretene oder bekannt gewordene Gegebenheiten den Fall in tatsächlicher Hinsicht in einem neuen Licht erscheinen lassen oder wenn eine Gesetzesänderung oder eine zwischenzeitlich ergangene gerichtliche Entscheidung zu einer veränderten Beurteilung der maßgeblichen Rechtslage führen kann (z.B. [X.] in [X.], 960, m.w.[X.]). Erfasst sind nicht nur solche Umstände, die die materielle Begründetheit eines Antrags auf [X.] berühren. Auch Vorgänge tatsächlicher oder rechtlicher Art, die die Zulässigkeit eines Antrags beeinflussen können, sind Umstände i.S. des Gesetzes ([X.] in [X.] 1997, 247). Demgegenüber erfüllen --bei unveränderter tatsächlicher und rechtlicher Ausgangslage-- neue rechtliche Überlegungen des Antragstellers ebenso wie die bloße Wiederholung der bisherigen Argumentation den Tatbestand des § 69 Abs. 6 Satz 2 [X.]O nicht ([X.] in [X.], 960, m.w.[X.]).

cc) Somit ist es einem Antragsteller, dessen ursprünglicher Aussetzungsantrag mangels Vorliegen der Zugangsvoraussetzungen gemäß § 69 Abs. 4 Satz 1 [X.]O als unzulässig abgelehnt wurde, nicht verwehrt, nach einer nachträglichen Ablehnung der [X.] durch die Finanzbehörde einen neuen Antrag zu stellen bzw. eine Änderung des ablehnenden Beschlusses aufgrund "veränderter Umstände" zu beantragen ([X.] in [X.] 1997, 247; vgl. auch im Ausgangspunkt [X.] Hamburg, Beschluss vom 11. Januar 2006 I 250/05, Entscheidungen der Finanzgerichte 2006, 513; [X.] Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 31. Juli 2018  10 V 10006/18, juris).

Diesem --vom Wortlaut des § 69 Abs. 6 Satz 2 [X.]O gedeckten-- Verständnis steht nicht entgegen, dass die Begrenzung der [X.] in § 69 Abs. 6 Satz 2 [X.]O der Entlastung der Gerichte dienen und verhindern soll, dass sich das Gericht wiederholt mit demselben Aussetzungsbegehren befassen muss (vgl. Senatsbeschlüsse vom 29. Januar 2007 VIII S 31/06, [X.] 2007, 952; vom 24. August 2004 VIII S 1/04, juris; [X.] vom 13. Mai 2008 VI S 7/08, [X.] 2008, 1352). Denn eine solche wiederholte Befassung liegt nicht vor. Weist das [X.] den ersten Aussetzungsantrag mangels Vorliegen der Zugangsvoraussetzungen des § 69 Abs. 4 [X.]O als unzulässig ab, ist es ihm verwehrt, die Frage ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bzw. der unbilligen Härte der Vollziehung (vgl. § 69 Abs. 2 Satz 2 [X.]O) zu prüfen. Mit dem Inhalt des [X.] kann sich das [X.] erstmals --nachdem die Zugangsvoraussetzungen [X.] im Rahmen eines neuerlichen Aussetzungsverfahrens befassen.

b) Bei Anwendung dieser Grundsätze war der (neuerliche) Aussetzungsantrag der Antragsteller zulässig, denn die Voraussetzungen des § 69 Abs. 6 Satz 2 [X.]O sind erfüllt. Mit der Ablehnung des außergerichtlichen Aussetzungsantrages am 10. August 2018 durch das [X.] liegt ein veränderter Umstand vor, der nachträglich, d.h. nach dem ersten Beschluss des [X.] über die [X.] vom 23. Juli 2018 eingetreten ist. Der auf einer anderen Rechtsauffassung beruhende Beschluss des [X.] war daher aufzuheben.

2. Der Senat entscheidet nicht selbst über den Aussetzungsantrag, sondern verweist die Sache an das [X.] zurück. Eine Zurückverweisung ist grundsätzlich auch im Beschwerdeverfahren betreffend die [X.] zulässig (z.B. Senatsbeschluss vom 14. Juli 2008 VIII B 176/07, [X.], 36, [X.], 117; [X.] vom 31. Januar 2002 V B 108/01, [X.], 208, [X.], 622; vom 6. November 2008 IV B 126/07, [X.], 294, [X.], 156, m.w.[X.]). Eine Zurückverweisung an das [X.] erscheint nicht nur wegen der größeren Sachnähe des [X.], bei dem die Hauptsache anhängig ist, sachgerecht (vgl. [X.] in [X.], 294, [X.], 156), sondern auch deshalb, weil den Beteiligten ansonsten eine Instanz genommen würde (vgl. [X.] vom 25. Oktober 1994 VII B 155/94, [X.], 525, [X.] 1995, 131).

3. [X.] folgt aus § 143 Abs. 2 [X.]O.

Meta

VIII B 130/18

05.12.2018

Bundesfinanzhof 8. Senat

Beschluss

vorgehend FG Düsseldorf, 29. August 2018, Az: 12 V 2258/18 A (E), Beschluss

§ 69 Abs 6 FGO, § 69 Abs 4 FGO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 05.12.2018, Az. VIII B 130/18 (REWIS RS 2018, 845)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 845

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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