Bundesfinanzhof, Urteil vom 29.06.2011, Az. XI R 52/07

11. Senat | REWIS RS 2011, 5292

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Gegenstand

Steuerfreie Heilbehandlung im Bereich der Humanmedizin - Ort der Dienstleistung bei der Vermehrung menschlicher Knorpelzellen zur Eigenimplantation


Leitsatz

Die Umsätze aus dem Herauslösen von Gelenkknorpelzellen aus dem einem Menschen entnommenen Knorpelmaterial und ihre anschließende Vermehrung zur Reimplantation zu therapeutischen Zwecken sind nach § 4 Nr. 14 UStG steuerbefreit, wenn diese Tätigkeiten von Ärzten oder im Rahmen eines arztähnlichen Berufs ausgeübt werden .

Tatbestand

1

I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist ein in der [X.] ansässiges Biotechnologie-Unternehmen in der Rechtsform einer AG. Gegenstand ihres Unternehmens ist die Erforschung, Entwicklung, Produktion und Vermarktung von Technologien zur Diagnose und Therapie von Erkrankungen des Knorpels, der Knochen, des Bindegewebes und der Haut. Die Klägerin ist im Bereich der Gewebezüchtung ("[X.]") tätig. Streitig sind im Revisionsverfahren nur noch die Umsätze der Klägerin aus der Vermehrung körpereigener (autologer) Knorpelzellen (Chondrozyten) in den Fällen, in denen die Leistungsempfänger (Ärzte oder Kliniken) in anderen Mitgliedstaaten der [X.] ansässig sind und die Klägerin in ihren Rechnungen deren Umsatzsteuer-Identifikationsnummer angegeben hat.

2

Der Klägerin wird von dem behandelnden Arzt oder der behandelnden Klinik [X.] ("[X.]") übersandt, das einem Patienten entnommen wurde. Das Gewebe wird im Labor der Klägerin so bearbeitet, dass die [X.] (Chondrozyten) herauslösbar sind. Die [X.] werden nach spezieller Aufbereitung in der Umgebung ihres eigenen Blutserums in einem Brutschrank --in der Regel innerhalb von drei bis vier Wochen-- durch Züchtung vermehrt. Teilweise werden die gezüchteten Zellen im Labor in eine [X.] eingebracht, so dass eine Art "[X.]" entsteht. Dieses wird dem behandelnden Arzt oder der Klinik zur Implantation beim Patienten übersandt (sog. "Matrix-unterstützte autologe Knorpelzellen-Implantation" --MACI--). Teilweise beschränkt sich die Klägerin auch darauf, die Knorpelzellen zu züchten, ohne sie in eine Membran einzubringen (sog. "Autologe Chondrozytenimplantation" --ACI--).

3

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --[X.]--) behandelte im Umsatzsteuerbescheid für 2002 vom 17. Dezember 2003 die bislang von der Klägerin als nicht steuerpflichtig beurteilten Umsätze aus der Zellkultivierung gegenüber ausländischen Unternehmern als steuerbar und steuerpflichtig.

4

Die Klägerin vertrat dagegen die Auffassung, bei der Vermehrung der Knorpelzellen handele es sich um "Arbeiten an beweglichen körperlichen Gegenständen" i.S. des § 3a Abs. 2 Nr. 3 Buchst. c Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes 1999 (UStG).

5

Das Finanzgericht ([X.]) gab der Klage statt. Es folgte der Auffassung der Klägerin. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2007, 959 veröffentlicht.

6

Das [X.] hat zur Begründung seiner Revision geltend gemacht, durch die kurzzeitige Trennung vom Körper würden die Zellen nicht zu beweglichen Gegenständen. Darüber hinaus handele es sich bei den Zellvermehrungen auch nicht um "Arbeiten" i.S. des § 3a Abs. 2 Nr. 3 Buchst. c Satz 1 UStG. Es liege zudem keine "Verwendung" der [X.] Buchst. c Satz 2 UStG vor, da es an einer ausdrücklichen Vereinbarung zwischen der Klägerin und den Leistungsempfängern vor Ausführung der Leistung fehle.

7

Der Senat hat das Revisionsverfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof der [X.] ([X.]) folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt (Beschluss vom 1. April 2009 [X.], [X.], 236, [X.], 563):

8

"1. Ist Art. 28b Teil [X.]. 1 der [X.]/[X.] dahin auszulegen, dass

a) das einem Menschen entnommene [X.] ('[X.]'), welches einem Unternehmer zum Zwecke der Zellvermehrung und anschließenden Rückgabe als Implantat für den betroffenen Patienten überlassen wird, ein 'beweglicher körperlicher Gegenstand' im Sinne dieser Bestimmung ist,

b) das Herauslösen der [X.] aus dem [X.] und die anschließende Zellvermehrung 'Arbeiten' an beweglichen körperlichen Gegenständen im Sinne dieser Bestimmung sind,

c) die Dienstleistung dem Empfänger bereits dann 'unter seiner Umsatzsteuer-Identifikationsnummer erbracht' worden ist, wenn diese in der Rechnung des Erbringers der Dienstleistung angeführt ist, ohne dass eine ausdrückliche schriftliche Vereinbarung über ihre Verwendung getroffen wurde?

9

2. Falls eine der vorstehenden Fragen verneint wird:

Ist Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der [X.]/[X.] dahin auszulegen, dass das Herauslösen der [X.] aus dem einem Menschen entnommenen [X.] und die anschließende Zellvermehrung dann eine 'Heilbehandlung im Bereich der Humanmedizin' ist, wenn die durch die Zellvermehrung gewonnenen Zellen dem Spender wieder implantiert werden?"

Der [X.] hat auf die zweite Frage, die nach seiner Ansicht zuerst zu prüfen sei, geantwortet (Urteil vom 18. November 2010 [X.]/09 --Verigen Transplantation Service International AG--, [X.], 215, [X.] --HFR-- 2011, 121),

"dass Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der [X.] auszulegen ist, dass das Herauslösen von [X.] aus dem einem Menschen entnommenen [X.] und ihre anschließende Vermehrung zur [X.] aus therapeutischen Zwecken eine 'Heilbehandlung im Bereich der Humanmedizin' im Sinne dieser Bestimmung ist".

In Anbetracht seiner Antwort auf die zweite Frage hat der [X.] von einer Beantwortung der ersten Frage abgesehen.

Das [X.] trägt hierzu vor, im Streitfall komme nicht § 4 Nr. 14 UStG, sondern nur eine Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 16 Buchst. c UStG in Betracht. Die Klägerin habe die Voraussetzungen des § 4 Nr. 16 Buchst. c UStG aber nicht dargetan.

Der [X.] habe in seinem Urteil vom 8. Juni 2006 [X.]/05 --L. u. P. GmbH-- (Slg. 2006, [X.], [X.] Beilage 2006, 442) die Leistungen eines [X.] zwar als Heilbehandlungen angesehen, aber wegen des fehlenden Vertrauensverhältnisses zwischen Labor und Patienten nur eine Steuerbefreiung nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b der Sechsten [X.]/[X.] des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ([X.]/[X.]) für möglich gehalten. Dass generell nichtärztliche Leistungen, die durch qualifiziertes medizinisches Personal erbracht würden, unter Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b oder Buchst. c der [X.]/[X.] fielen, könne aus dem Urteil --L. u. P GmbH-- in Slg. 2006, [X.], [X.] Beilage 2006, 442 nicht geschlossen werden.

Sollte der Senat aber gleichwohl eine Befreiung nach § 4 Nr. 14 UStG bzw. Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der [X.]/[X.] für möglich erachten, so wären die dafür erforderlichen Anforderungen betreffend die Übernahme der Kosten ihrer Art nach durch die Sozialversicherungsträger und die gebotene berufliche Qualifikation des Unternehmers zu prüfen.

Das [X.] beantragt,

die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des vorinstanzli[X.]hen Urteils und zur Zurü[X.]kverweisung der Sa[X.]he an das [X.] (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgeri[X.]htsordnung).

1. Entgegen der Auffassung des [X.] hat die Klägerin ihre streitigen Leistungen im Inland erbra[X.]ht. Bei den Heilbehandlungen handelt es si[X.]h um sonstige Leistungen (§ 3 Abs. 9 i.V.m. Abs. 1 UStG). Der Ort dieser sonstigen Leistungen liegt gemäß § 3a Abs. 1 Satz 1 UStG mangels einer abwei[X.]henden Vors[X.]hrift im Inland, da die Klägerin ihr Unternehmen im Inland betreibt.

Na[X.]h § 3a Abs. 1 Satz 1 UStG wird eine sonstige Leistung an dem Ort ausgeführt, von dem aus der Unternehmer sein Unternehmen betreibt, soweit ni[X.]ht abwei[X.]hende Vors[X.]hriften anzuwenden sind.

Gemäß § 3a Abs. 2 Nr. 3 Bu[X.]hst. [X.] UStG gilt unter bestimmten Voraussetzungen u.a. bei "Arbeiten an bewegli[X.]hen körperli[X.]hen Gegenständen" ein anderer Ort als Leistungsort.

Der [X.] hat mit seinem zum Streitfall ergangenen Urteil ents[X.]hieden, dass es si[X.]h bei Leistungen, wie sie die Klägerin ausgeführt hat, um Heilbehandlungen i.S. des Art. 13 Teil A Abs. 1 Bu[X.]hst. [X.] der [X.]/[X.] handelt.

Damit ist die von § 3a Abs. 1 Satz 1 UStG abwei[X.]hende Regelung in § 3a Abs. 2 Nr. 3 Bu[X.]hst. [X.] UStG ni[X.]ht anwendbar. Denn die Annahme einer Heilbehandlung s[X.]hließt aus, dass es si[X.]h um "Arbeiten an bewegli[X.]hen körperli[X.]hen Gegenständen" handelt (vgl. dazu [X.]-Urteil vom 6. März 1997 C-167/95 --Maats[X.]hap [X.] Linthorst, K.G.P. Pouwels en J. S[X.]heren--, [X.]. 1997, [X.], [X.] 1997, 217, Rz 17).

Aus den S[X.]hlussanträgen der Generalanwältin vom 29. Juli 2010 in dem den Streitfall betreffenden [X.]-Verfahren ergibt si[X.]h entgegen der Auffassung der Klägerin ni[X.]hts Anderes. Die Generalanwältin hat ni[X.]ht die Ansi[X.]ht vertreten, die Leistungen seien dann als "Arbeiten an bewegli[X.]hen körperli[X.]hen Gegenständen" zu beurteilen, wenn eine Steuerbefreiung na[X.]h den nationalen Befreiungsvors[X.]hriften versagt werden sollte. Vielmehr hat sie zum Vorliegen dieses Tatbestandsmerkmals ausdrü[X.]kli[X.]h nur vorsorgli[X.]h für den Fall Stellung genommen, dass der [X.] das Vorliegen einer Heilbehandlung verneinen sollte (vgl. Rz 31 und 34 der S[X.]hlussanträge).

2. Die Vorents[X.]heidung ist von anderen Voraussetzungen ausgegangen und daher aufzuheben. Die Sa[X.]he ist ni[X.]ht spru[X.]hreif und an das [X.] zurü[X.]kzuverweisen.

a) Die vom [X.] festgestellte Heilbehandlung im Berei[X.]h der Humanmedizin kann nur zu einer Steuerbefreiung na[X.]h § 4 Nr. 14 UStG führen, wenn die Laborleistungen der Klägerin von Ärzten oder im Rahmen der Ausübung eines arztähnli[X.]hen Berufs erbra[X.]ht worden sind.

Soweit das FA § 4 Nr. 14 UStG im Streitfall wegen eines fehlenden Vertrauensverhältnisses zwis[X.]hen der Klägerin und den Patienten für ni[X.]ht anwendbar hält, vermag der Senat dem ni[X.]ht zu folgen.

Denn ein Vertrauensverhältnis zum Patienten ist ni[X.]ht ausnahmslos Voraussetzung für die Steuerbefreiung einer Tätigkeit im Rahmen einer Heilbehandlung. Vielmehr übt na[X.]h dem Urteil des [X.] ([X.]) vom 29. Januar 1998 [X.] ([X.]E 185, 287, BStBl II 1998, 453) au[X.]h eine medizinis[X.]h-te[X.]hnis[X.]he Assistentin für Funktionsdiagnostik eine den in § 4 Nr. 14 Satz 1 UStG genannten Heilhilfsberufen ähnli[X.]he Tätigkeit aus mit der Folge, dass die entspre[X.]henden Umsätze steuerfrei sind.

Dana[X.]h ist --wie der Senat bereits in seinem Vorlagebes[X.]hluss in [X.]E 225, 236, [X.], 563 (unter II.3.) für den Fall, dass der [X.] eine Heilbehandlung annehmen sollte, ausgeführt hat-- die Steuerbefreiung bei einer entspre[X.]henden berufli[X.]hen Qualifikation der Mitarbeiter der Klägerin zu gewähren.

Au[X.]h der [X.] geht davon aus, dass Laborleistungen im Rahmen des Art. 13 Teil A Abs. 1 Bu[X.]hst. [X.] der [X.]/[X.], auf dem § 4 Nr. 14 UStG beruht, steuerbefreit sein können. Dies belegt sein Hinweis im vorliegenden Verfahren, dass die Annahme, die von der Klägerin ausgeführten Tätigkeiten seien eine Heilbehandlung, im Einklang mit dem Zwe[X.]k des Art. 13 Teil A Abs. 1 Bu[X.]hst. [X.] der [X.]/[X.] stehe, die Kosten ärztli[X.]her Heilbehandlung zu senken (Rz 27 des Urteils in [X.] 2011, 215, [X.] 2011, 121).

b) Im Streitfall hat das [X.] --von seiner Re[X.]htsauffassung ausgehend zu Re[X.]ht-- no[X.]h keine tatsä[X.]hli[X.]hen Feststellungen zu der berufli[X.]hen Qualifikation der Mitarbeiter der Klägerin getroffen. Es wird dies im zweiten Re[X.]htsgang na[X.]hzuholen und unter Berü[X.]ksi[X.]htigung der Grundsätze des [X.]-Urteils in [X.]E 185, 287, BStBl II 1998, 453 zu ents[X.]heiden haben, ob dana[X.]h die Steuerbefreiung zu gewähren ist.

Meta

XI R 52/07

29.06.2011

Bundesfinanzhof 11. Senat

Urteil

vorgehend FG Köln, 19. Dezember 2006, Az: 6 K 912/04, Urteil

§ 3 Abs 9 UStG 1999, § 3a Abs 1 UStG 1999, § 3a Abs 2 Nr 3 Buchst c UStG 1999, § 4 Nr 14 UStG 1999, Art 9 Abs 2 Buchst c EWGRL 388/77, Art 13 Teil A Abs 1 Buchst c EWGRL 388/77

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 29.06.2011, Az. XI R 52/07 (REWIS RS 2011, 5292)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 5292

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2 K 221/15

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