Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 25.07.2017, Az. 3 StR 119/17

3. Strafsenat | REWIS RS 2017, 7485

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[X.]:[X.]:[X.]:2017:250717B3STR119.17.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3
StR 119/17

vom
25. Juli
2017
in der Strafsache
gegen

wegen versuchten Totschlags u.a.

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Der 3.
Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des [X.] und des [X.] -
zu
2. auf dessen Antrag
-
am 25.
Juli 2017 gemäß §
349 Abs.
2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:

1.
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Land-gerichts Hildesheim vom 30.
November 2016 im Maßregel-ausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-tels, an eine andere [X.] des [X.] zurück-verwiesen.
2.
Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Kranken-haus angeordnet. Dagegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg;
im Übrigen erweist es sich als unbegründet im Sinne des §
349 Abs.
2 StPO.
I.
Nach den Feststellungen des [X.] leidet der Angeklagte, der ab dem [X.] vermehrt Amphetamin konsumierte,
an einer paranoid-hallu-1
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zinatorischen Schizophrenie oder an einer durch psychotrope Substanzen her-vorgerufenen psychotischen Störung. Diese Grunderkrankung führt zu wahn-haften [X.]. In der Mitte des Jahres 2014 und im Verlauf des Jahres 2015 befand er sich in einer hochakuten psychotischen Phase, litt unter Verfolgungsängsten und befürchtete, vergiftet und abgehört zu werden. Nachdem er im [X.] 2015 eine neue Lebensgefährtin gefunden hatte und mit dieser zusammengezogen war, stabilisierte sich seine persönliche Situation, sein psychischer Zustand verbesserte sich aber nicht wesentlich. Im November 2015 wurde er wegen geäußerter suizidaler Gedanken in eine psychiatrische Klinik eingewiesen, in der er seine anhaltenden [X.] be-kundete, allerdings nach vier Tagen "bei rückläufiger Wahnvorstellung" entlas-sen wurde. Im Februar 2016 wurde er erneut eingewiesen, nachdem er seine Lebensgefährtin im Zuge einer Auseinandersetzung in den Bauch geboxt hatte;
in der Klinik
wurde indes weder eine Fremd-
noch eine Eigengefährdung fest-gestellt und der Angeklagte auf eigenen Wunsch entlassen.
Im Juni 2016 lieh sich der Angeklagte von einer Bekannten ein Messer, das er aber am Folgetag zurückgeben wollte. Auf einem Schützenfest nahm der Nebenkläger das Messer an sich und brachte es später mit in die Wohnung der Bekannten, in der es deren Lebensgefährte außer Sichtweite auf einen Schrank legte; dies vergaß er infolge seiner Alkoholisierung.
Am Tattag forderte die Bekannte das Messer von dem [X.], der antworten
ließ, dass der Nebenkläger das Messer haben müsse, an den er es weitergegeben habe. Darauf angesprochen antwortete dieser der Be-kannten, dass er das Messer nicht mehr habe. Da er zunehmend den Eindruck gewann, dass seine Freunde ihm nicht glaubten und ihn der Unterschlagung des Messers verdächtigten, geriet der Nebenkläger in Zorn. Er verabredete sich 3
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mit dem Angeklagten, um mit diesem über den Verbleib des Messers zu spre-chen; es kam zum Streit, zunächst auf dem Parkplatz eines Supermarkts und alsdann in der Wohnung der Bekannten. Im Gegensatz zu dem Nebenkläger, der immer [X.] wurde, blieb der Angeklagte ruhig und verließ nach dreißig Minuten mit seiner Lebensgefährtin "genervt" die Wohnung; sie machten sich auf den [X.]. Der Nebenkläger folgte ihnen und ließ sich zur Woh-nung des Angeklagten bringen. Unterwegs sahen er und seine Begleiterinnen den Angeklagten und seine Lebensgefährtin in Richtung eines weiteren Super-markts gehen und fuhren auf dessen Parkplatz. Als der Angeklagte diesen [X.], stieg der Nebenkläger aus und fasste den Angeklagten an der Schulter, um noch einmal über die "Messer-Geschichte" zu reden. Der Angeklagte wollte dies nicht und war erneut "genervt". Er ergriff nun einen zufällig mitgeführten Brieföffner, um den Nebenkläger abzuschrecken; dieser sah das, wollte aber nicht auf Distanz zum Angeklagten gehen. Die Männer schubsten sich gegen-seitig und der Angeklagte wurde immer [X.] und aggressiver. Gleich-wohl wollte er sich der Situation entziehen und verließ mit seiner Lebensgefähr-tin den Parkplatz, um mit ihr den [X.] fortzusetzen. Der Nebenkläger rief dem Angeklagten eine Beleidigung nach, die dieser mit einer weiteren pa-rierte. Das wiederum wollte der Nebenkläger nicht hinnehmen und lief dem [X.] hinterher, um ihn zur Rede zu stellen.
Ausweislich der landgerichtlichen Feststellungen befand sich der Ange-klagte ab diesem Zeitpunkt im Zustand erheblich verminderter Steuerungs-fähigkeit: Infolge seiner oben genannten Grunderkrankung habe er Verfol-gungsängste gehabt, die durch das Verhalten des [X.] verstärkt wor-den seien.
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In der folgenden beidseitigen Rangelei entschloss sich der Angeklagte, der durch das penetrante Verhalten des [X.] zunehmend verärgert war, diesen körperlich abzustrafen und dabei auch den Brieföffner als Waffe einzusetzen, um die Auseinandersetzung definitiv zu beenden. Zu diesem Zweck
stach er seinem zuvor gefassten Tatenschluss folgend mit dem [X.] [X.] in den linken Brustbereich des [X.] etwa zehn Zenti-meter oberhalb des Herzens. Die Spitze drang jeweils zwei bis drei Zentimeter in dessen Körper ein. Dabei war dem
Angeklagten bewusst, dass er durch [X.] Handlungen schwerwiegende lebensgefährliche Verletzungen hervorrufen konnte; die mögliche Todesfolge nahm er billigend in Kauf. Der Nebenkläger blieb zunächst stehen. Der Angeklagte hatte gesehen, dass die von ihm ausge-führten Stiche [X.] dessen Haut durchstoßen hatten; er verließ den [X.] gleichwohl und machte sich aus Gleichgültigkeit keine Vorstellungen über die weiteren Folgen seines Handelns. Der Nebenkläger, der kurz danach [X.], erlitt durch die Stiche, die potentiell lebensgefährlich waren, schwerwiegende Verletzungen.
II.
Auf der Grundlage dieser Feststellungen ist der Schuldspruch gegen den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Wie der Generalbun-desanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend ausgeführt hat, zeigt die auf die erhobene Sachrüge durchzuführende umfassende Überprüfung des Urteils auch unter Berücksichtigung der [X.] keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Auch der Strafausspruch hält rechtlicher Überprüfung stand.
III.
Die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Kran-kenhaus nach §
63 StGB kann hingegen keinen Bestand haben.
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1.
Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist eine außerordentlich belastende Maßnahme, die einen beson-ders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf [X.] nur angeordnet werden, wenn unter anderem zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der [X.] aufgrund einer nicht nur vorübergehenden psychischen Störung im Sinne eines
der in §
20 StGB ge-nannten Eingangsmerkmale schuldunfähig (§
20 StGB) oder vermindert schuld-fähig (§
21 StGB) war und die Tatbegehung hierauf beruht. In diesem Zusam-menhang ist darzulegen, wie sich die festgestellte, einem Merkmal der §§
20, 21 StGB unterfallende Störung in der jeweiligen [X.] auf die Einsichts-
oder die Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat und warum die [X.]en auf den entsprechenden Zustand zurückzuführen sind (st. Rspr.; vgl. etwa [X.], [X.] vom 26.
Juli 2016 -
3
StR
211/16, juris Rn.
5 mwN).
2.
Den sich daraus ergebenden Anforderungen an die Feststellung des symptomatischen Zusammenhangs zwischen dem Zustand, in dem der Ange-klagte sich krankheitsbedingt befand, und der ihm zur Last gelegten Tat genü-gen die Urteilsgründe nicht.
Die Diagnose entweder einer [X.] Schizophrenie oder einer psychotischen Störung durch psychotrope Substanzen führt für sich genommen nicht zur Feststellung einer generellen oder zumindest längere [X.] überdauernden gesicherten erheblichen Beeinträchtigung der [X.]. Es hätte vielmehr einer konkretisierenden Darlegung bedurft, in welcher Weise sich das festgestellte Krankheitsbild bei Begehung der Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in der konkreten [X.] ausgewirkt haben soll (st. Rspr.; vgl. zuletzt etwa [X.], Beschluss vom 12.
Ok-tober 2016 -
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StR
78/16, [X.], 74, 75 mwN). Konkrete Feststellun-9
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gen zu einem etwaigen Effekt der -
alternativ begründeten
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psychischen Er-krankung auf die Tatbegehung lassen sich den Urteilsgründen indes nicht ent-nehmen. Die von der [X.] mitgeteilte Einschätzung des [X.], es spreche alles dafür, dass der Angeklagte zur Tatzeit unter einer psy-chischen Störung im Sinne eines paranoiden Erlebens gelitten habe, weil die in ihm "schlummernden" paranoiden Gedanken, er werde verfolgt, durch die tat-sächliche Verfolgung durch den Nebenkläger so verstärkt worden seien, dass ein "akutes Störungsbild" vorgelegen habe, ist nicht geeignet, eine Beeinflus-sung der von dem Angeklagten begangenen Tat durch dessen psychotische Erkrankung tragfähig zu
belegen. Eine solche Beeinflussung ergibt sich hier auch nicht von selbst, denn der Angeklagte wurde tatsächlich von dem Neben-kläger in penetranter Weise verfolgt. Zur Tat kam es erst, nachdem mehrere Versuche, sich der Auseinandersetzung zu entziehen, immer wieder an dem hartnäckigen Verhalten des [X.] gescheitert waren.
Über die [X.] muss deshalb umfassend neu verhandelt und entschieden werden.
Becker
Gericke
Spaniol

Tiemann
Berg
12

Meta

3 StR 119/17

25.07.2017

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 25.07.2017, Az. 3 StR 119/17 (REWIS RS 2017, 7485)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 7485

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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