Bundesgerichtshof, Beschluss vom 25.09.2019, Az. XII ZB 29/18

12. Zivilsenat | REWIS RS 2019, 3208

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Gegenstand

Vollstreckbarkeit eines polnischen Unterhaltstitels: Zeitpunkt der Einleitung des Verfahrens als Voraussetzung der zeitlichen Anwendbarkeit der Europäischen Unterhaltsverordnung; Eigenständigkeit des Verfahrens auf Kindesunterhalt für die Zeit eines laufenden Ehescheidungsverfahrens


Leitsatz

1. Für die Einleitung des Verfahrens im Sinne von Art. 75 Abs. 1 EuUnthVO ist hinsichtlich der Vollstreckbarkeit eines gerichtlichen Titels auf die Maßnahme abzustellen, die das Verfahren auf Erlass des zu vollstreckenden Titels in Gang gesetzt hat. Ist der Titel nach dem Recht des Ausgangsstaates nur auf Antrag zu errichten, kommt es auf den Zeitpunkt der Antragstellung an.

2. Dass das Verfahren (hier: Verfahren auf Sicherung des Kindesunterhalts während des Scheidungsverfahrens nach polnischem Recht) im notwendigen Verbund mit der Scheidungssache steht, steht seiner Eigenständigkeit jedenfalls dann nicht entgegen, wenn es auf Errichtung eines selbständigen Vollstreckungstitels gerichtet ist, der sich auf einen vom Gegenstand der Hauptsache verschiedenen Streitgegenstand bezieht.

Tenor

Die Rechtsbeschwerden der Antragsteller gegen den Beschluss des 3. Senats für Familiensachen des [X.] vom 3. August 2017 werden mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Kosten der Rechtsmittelverfahren und des Verfahrens erster Instanz den Antragstellern je zur Hälfte auferlegt werden.

Gründe

I.

1

Die Beteiligten streiten über die Vollstreckbarkeit eines [X.] Titels zum Kindesunterhalt.

2

Die Antragsteller sind die minderjährigen Kinder des Antragsgegners. Zwischen der Kindesmutter und dem Antragsgegner war in [X.] am Bezirksgericht [X.] (im Folgenden: Bezirksgericht) seit 2010 ein Scheidungsverfahren anhängig. Auf Antrag der Kindesmutter vom 28. Dezember 2011 erließ das Bezirksgericht in jenem Verfahren am 5. Januar 2012 einen Beschluss, nach dem der Antragsgegner zu Gunsten der Antragsteller zu Händen der Kindesmutter "für den [X.]raum der laufenden Verhandlung" monatlichen Unterhalt von je 1.000 [X.] zu zahlen hat. Im Scheidungsurteil des Bezirksgerichts vom 16. April 2013 wurde der Antragsgegner zu einem (nachehelichen) Unterhalt von mtl. 1.000 [X.] für jedes Kind verpflichtet.

3

Die Antragsteller haben beantragt, den Beschluss des Bezirksgerichts vom 5. Januar 2012, wegen zwischenzeitlicher Rechtskraft der Scheidung begrenzt auf den [X.]raum bis zum 16. Mai 2013, im Inland für vollstreckbar zu erklären. Das Amtsgericht hat den Anträgen stattgegeben. Das [X.] hat diese auf die Beschwerde des Antragsgegners zurückgewiesen, weil der Titel ohne Exequatur vollstreckbar sei. Mit den von ihnen eingelegten Rechtsbeschwerden verfolgen die Antragsteller ihre Anträge weiter.

II.

4

Die gemäß § 46 Abs. 1 [X.] statthaften und auch im Übrigen zulässigen Rechtsbeschwerden bleiben in der Sache ohne Erfolg.

5

1. Nach Auffassung des [X.]s ist die Entscheidung des Bezirksgerichts ohne Exequaturverfahren vollstreckbar. Gemäß Art. 17 Abs. 2 der Verordnung ([X.]) Nr. 4/2009 des Rates vom 18. Dezember 2008 über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen ([X.] - EuUnthVO) seien Entscheidungen eines Mitgliedstaats der [X.], der wie [X.] durch das [X.] Protokoll von 2007 gebunden ist, unmittelbar vollstreckbar, so dass es eines Exequaturverfahrens nicht bedürfe. Die Voraussetzung für eine Anwendbarkeit der Verordnung gemäß Art. 75 Abs. 1, 76 EuUnthVO, dass das [X.] ab dem 18. Juni 2011 eingeleitet wurde, sei erfüllt.

6

Die Frage, wann ein Verfahren eingeleitet wurde, sei nicht nach nationalem Recht, sondern im Interesse einer einheitlichen Anwendung der Verordnung autonom unter entsprechender Heranziehung des unmittelbar nur für die Anwendung der Art. 12 und 13 EuUnthVO geltenden Art. 9 EuUnthVO zu bestimmen. Auch wenn nach nationalem [X.] Recht vorliegend im Rahmen des vor Inkrafttreten der [X.] eingeleiteten [X.] mit Urteil vom 16. April 2013 obligatorisch über den Kindesunterhalt entschieden worden sei, stelle die streitgegenständliche Entscheidung vom 5. Januar 2012 eine eigenständige, den Unterhalt für die Verfahrensdauer sichernde Regelung dar, die nicht von Amts wegen, sondern nur auf Verlangen eines Beteiligten, hier auf den nach Inkrafttreten der Verordnung eingereichten Antrag vom 28. Dezember 2011, ergangen sei.

7

2. Das hält rechtlicher Nachprüfung stand.

8

Das [X.] ist mit Recht davon ausgegangen, dass es zur Vollstreckung des Beschlusses des Bezirksgerichts vom 5. Januar 2012 im Inland nach Art. 17 Abs. 2 EuUnthVO (vgl. [X.]/Dose Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis 10. Aufl. § 9 Rn. 677 ff.) keiner Vollstreckbarerklärung bedarf.

9

a) Nach Art. 75 Abs. 1 EuUnthVO findet die [X.] vorbehaltlich Art. 75 Abs. 2 und 3 EuUnthVO nur auf ab dem Datum ihrer Anwendbarkeit eingeleitete Verfahren, gebilligte oder geschlossene gerichtliche Vergleiche und ausgestellte öffentliche Urkunden Anwendung. Der Tag der (erstmaligen) Anwendbarkeit der [X.] ist gemäß Art. 76 Unterabs. 3 EuUnthVO der 18. Juni 2011 (vgl. [X.]/Dose Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis 10. Aufl. § 9 Rn. 602).

Für die Einleitung des Verfahrens ist auf das dem zu vollstreckenden Titel vorausgegangene Verfahren abzustellen. Das dem Beschluss des Bezirksgerichts vom 5. Januar 2012 vorausgegangene Verfahren ist in diesem Sinne erst mit dem darauf bezogenen Antrag vom 28. Dezember 2011 eingeleitet worden. Da schon der Antrag nach Inkrafttreten der [X.] datiert, kommt es nicht darauf an, ob auf die Einreichung oder die Zustellung des Antrags abzustellen ist.

b) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde kann für die Einleitung des Verfahrens im Sinne von Art. 75 Abs. 1 EuUnthVO nicht auf die Einleitung des Scheidungsverfahrens abgestellt werden. Insbesondere hat der Antrag auf Scheidung noch nicht das hier gegenständliche Verfahren auf Sicherung des Kindesunterhalts für die [X.] vor der Scheidung eingeleitet.

Die vom [X.] aufgrund einer Auskunft des Bezirksgerichts zum [X.] Recht getroffenen Feststellungen sind für das Rechtsbeschwerdegericht grundsätzlich bindend. Die Rechtsbeschwerde hat diesbezüglich auch keine Verfahrensrüge erhoben.

Nach den Feststellungen des [X.]s ist zwar nach [X.] Verfahrensrecht der Kindesunterhalt für die [X.] ab der Scheidung von Amts wegen vom zuständigen Gericht in jedem Scheidungsverfahren auszusprechen (Art. 58 § 1 [X.] [X.]; vgl. [X.]/Dose Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis 10. Aufl. § 9 Rn. 299). Demgegenüber wird der Unterhalt für die [X.] bis zur Scheidung nur auf entsprechenden Antrag durch vorläufige Maßnahme festgesetzt (Art. 730 § 1 der [X.] Zivilprozessordnung). Insoweit wird also vom Gericht ein eigenständiger Titel errichtet, der gesondert zu vollstrecken ist. Da diese Entscheidung mithin nicht, wie der Titel zum (nachehelichen) Kindesunterhalt, von Amts wegen, sondern nur auf einen eigenständigen Antrag ergeht, ist von getrennten Verfahren auszugehen (unklar insoweit [X.] FamRZ 2015, 355, 356 f.). Auch wenn der Kindesunterhalt nach [X.] Recht - der [X.] Rechtslage entsprechend (vgl. Senatsbeschluss vom 7. Dezember 2016 - [X.] 422/15 - FamRZ 2017, 370 Rn. 40) - als einheitlicher Anspruch anzusehen ist, handelt es sich bei dem Unterhalt für die [X.] nach der Scheidung und dem Unterhalt für die Dauer des Scheidungsverfahrens aufgrund der zeitlichen Abschichtung um verschiedene Streitgegenstände.

Dementsprechend begründet allein das Scheidungsverfahren wegen der Verschiedenheit der Streitgegenstände hinsichtlich des Kindesunterhalts für die [X.] vor der Ehescheidung auch noch keine nach Art. 12 EuUnthVO zu beachtende Rechtshängigkeit. Dass für den Kindesunterhalt bis zur Ehescheidung nach Art. 3 lit. [X.] die internationale Zuständigkeit der Gerichte des Staates gegeben sein dürfte, die auch für die Scheidung international zuständig wären (vgl. [X.] Urteil vom 16. Juli 2015 - [X.]/14 - FamRZ 2015, 1582), stellt die Eigenständigkeit des Streitgegenstands und des darauf bezogenen ([X.] nicht in Frage.

Da die Einleitung des Sicherungsverfahrens nach [X.] Recht der gesonderten Initiative der Beteiligten überlassen ist, unterscheidet es sich hinsichtlich der Einleitung von dem Hauptsacheverfahren und der insoweit von Amts wegen auszusprechenden Regelung des Kindesunterhalts nach der Scheidung. Es handelt sich mithin um zwei voneinander zu trennende Titel und dementsprechend auch um zwei getrennte Verfahren. Da diese folglich auch unterschiedlich eingeleitet wurden, ist für die zeitliche Anwendbarkeit der [X.] auf die Einleitung des Verfahrens auf Kindesunterhalt vor der Scheidung abzustellen, die hier erst durch die Stellung des Antrags auf Sicherung (Zahlung) des Kindesunterhalts für die Dauer des Scheidungsverfahrens erfolgte.

Zwar konnte der Antrag auf vorläufige Sicherung des Kindesunterhalts nach dem maßgeblichen [X.] Recht nur im Rahmen des Scheidungsverfahrens gestellt werden. Auch das ändert aber nichts daran, dass es sich bei dem zu vollstreckenden Beschluss um eine auf einen abgrenzbaren Streitgegenstand gerichtete Entscheidung handelt, die im Gegensatz zum Kindesunterhalt für die [X.] nach der Scheidung antragsgebunden ist.

c) Zur Entscheidung über die Rechtsfrage bedarf es nicht der Vorlage an den [X.] gemäß Art. 267 AEUV.

Auf die von der Rechtsbeschwerde aufgeworfene Frage, ob der Begriff der Einleitung des Verfahrens in Art. 75 Abs. 1 EuUnthVO autonom oder nach nationalem (hier [X.]) Recht auszulegen ist (vgl. [X.] Internationales und Europäisches Familienrecht 2. Aufl. 1. Teil [X.] Rn. 333 mwN, 2. Teil M Unterhaltssachen Rn. 374 mwN), kommt es im Ergebnis nicht an. Abgesehen davon, dass Normen des Europarechts grundsätzlich autonom auszulegen sind, wovon auch das [X.] ausgegangen ist, stellen sich im vorliegenden Fall keine spezifischen Fragen der [X.] und der in Art. 75 Abs. 1 EuUnthVO in Bezug genommenen Einleitung des Verfahrens. Vielmehr geht es allein um die Frage der Eigenständigkeit des ([X.] auf Kindesunterhalt für die [X.] des laufenden Scheidungsverfahrens nach [X.] Recht sowie des daraus hervorgegangenen Titels. Da das Europarecht die Vollstreckbarkeit des nach nationalem Recht des Ausgangsstaates errichteten Titels in anderen Mitgliedstaaten ([X.]) regelt und sich insoweit auf das Verfahrensrecht des jeweiligen Mitgliedstaats bezieht, ist die prozessrechtliche Natur der Entscheidung und des dieser zugrunde liegenden Verfahrens nach dem jeweiligen nationalen Recht zu beurteilen, hier also nach [X.] Recht.

Selbst wenn das [X.] Nürnberg in der von der Rechtsbeschwerde angeführten Entscheidung ([X.] FamRZ 2015, 355, 356 f.) hinsichtlich des [X.] Rechts und der daraus zu ziehenden Folgerungen zu einem anderen Ergebnis gelangt sein sollte, würde dies die Notwendigkeit der Vorlage an den [X.] entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde für sich genommen nicht begründen.

d) Der Beschluss des Bezirksgerichts vom 5. Januar 2012 ist mithin gemäß Art. 17 Abs. 2 EuUnthVO vollstreckbar, ohne dass es einer Vollstreckbarerklärung bedarf (vgl. auch § 30 Abs. 1 [X.]). Der Antrag auf Vollstreckbarerklärung ist vom [X.] deswegen mit Recht zurückgewiesen worden.

Dose     

      

[X.]     

      

[X.]

      

Guhling     

      

Krüger     

      

Meta

XII ZB 29/18

25.09.2019

Bundesgerichtshof 12. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend OLG Frankfurt, 3. August 2017, Az: 3 UF 385/12

Art 17 Abs 2 EGV 4/2009, Art 75 Abs 1 EGV 4/2009

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 25.09.2019, Az. XII ZB 29/18 (REWIS RS 2019, 3208)

Papier­fundstellen: MDR 2019, 1532-1533 REWIS RS 2019, 3208

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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XII ZB 234/15 (Bundesgerichtshof)


Referenzen
Wird zitiert von

11 UF 139/20

Zitiert

XII ZB 422/15

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