Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 27.11.2012, Az. X ZR 58/07

X. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 964

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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR
58/07
Verkündet am:

27. November 2012

Anderer

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin

der Geschäftsstelle
in der Patentnichtigkeitssache
Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
ja
[X.]R:
ja

Neurale Vorläuferzellen II
[X.] § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3; BiotechnologieRL Art. 6 Abs. 2 Buchst. c
a)
Die uneingeschränkte Patentierung von Vorläuferzellen, die aus menschli-chen embryonalen Stammzellen gewonnen werden, ist gemäß §
2 Abs.
2 Satz
1 Nr.
3 [X.] ausgeschlossen, wenn in der Patentschrift ausgeführt wird, als Ausgangsmaterial kämen Stammzelllinien und Stammzellen in Betracht, die aus menschlichen Embryonen gewonnen werden.
b)
§
2 Abs.
2 Satz
1 Nr.
3 [X.] steht der Patentierung in der genannten Kons-tellation nicht entgegen, wenn der Patentanspruch dahin eingeschränkt wird, dass Vorläuferzellen aus humanen embryonalen Stammzellen, bei deren Gewinnung Embryonen zerstört worden sind, nicht umfasst sind.
c)
Menschliche Stammzellen, die ohne Zerstörung von Embryonen gewonnen wurden, sind nicht deshalb als Embryonen im Sinne von §
2 Abs.
2 Nr.
3 [X.] anzusehen, weil aus ihnen durch Kombination mit anderen Zellen mög-licherweise ein entwicklungsfähiger Embryo erzeugt werden kann.
[X.], Urteil vom 27. November 2012 -
X [X.] -
[X.]

-
2
-
Der X.
Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche Verhand-lung vom 27.
November 2012 durch den Vorsitzenden
Richter Prof.
Dr.
Meier-Beck, den Richter
Keukenschrijver, die Richterin Mühlens und [X.]
Grabinski
und Dr.
Bacher

für Recht erkannt:
Auf die Berufung des Beklagten wird das am 5.
Dezember 2006 [X.] Urteil des 3.
[X.]s ([X.]) des [X.] abgeändert.
Das [X.] Patent 197
56
864 wird unter Abweisung der [X.] Klage dadurch teilweise für nichtig erklärt, dass
-
in den Patentansprüchen 1, 12 und 16 in den mit "a)"
und ""
beginnenden Absätzen hinter "[X.]"
jeweils eingefügt wird:

"aus Zelllinien",
-
in Patentanspruch 1 am Ende zusätzlich angefügt wird:

", wobei
keine isolierten gereinigten Vorläuferzellen aus huma-nen embryonalen Stammzellen umfasst sind, bei deren Gewin-nung Embryonen zerstört worden sind",
-
in den Patentansprüchen 12 und 16 jeweils am Ende zusätzlich angefügt wird:

", wobei keine humanen embryonalen Stammzellen verwendet werden, bei deren Gewinnung Embryonen zerstört worden sind"
-
und die Rückbeziehung in Patentanspruch
8 sich auf die ge-änderte Fassung von Patentanspruch
1 bezieht.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
-
3
-
Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger ein Drittel und der Beklagte zwei Drittel.
Von Rechts wegen
-
4
-
Tatbestand:
Der Beklagte ist Inhaber des am 19.
Dezember 1997 angemeldeten deut-schen Patents 197
56
864 (Streitpatents), das isolierte und gereinigte neurale Vorläuferzellen, Verfahren zu ihrer Herstellung aus embryonalen Stammzellen und die Verwendung der neuralen Vorläuferzellen zur Therapie von neuralen Defekten betrifft. Patentanspruch 1 lautet:
"Isolierte, gereinigte Vorläuferzellen mit neuronalen oder glialen Eigenschaften aus embryonalen Stammzellen, enthaltend höchstens etwa 15% primitive embryonale und nicht-neutrale
[gemeint ist: nicht-neurale]
Zellen, erhältlich durch folgende Schritte:
a)
Kultivieren von [X.] zu [X.],
b)
Kultivieren der [X.] zu neuralen Vorläuferzellen,
c)
Proliferieren der neuralen Vorläuferzellen in einem Wachstumsfaktor-haltigen serumfreien Medium,
d)
Proliferieren der neuralen Vorläuferzellen aus Schritt c in einem weiteren Wachstumsfaktor-haltigen serumfreien Medium und Isolieren der gereinigten Vorläuferzellen und
e)
Proliferieren der neuralen Vorläuferzellen aus Schritt d in einem weiteren Wachstumsfaktor-haltigen serumfreien Medium und Isolieren der gereinigten Vorläuferzellen mit neuronalen oder glialen Eigenschaften,
oder

Kultivieren von [X.] zu [X.],

Kultivieren der [X.] zu neuralen Vorläuferzellen,

Proliferieren der neuralen Vorläuferzellen in einem Wachstumsfaktor-haltigen serumfreien Medium,

Proliferieren der neuralen Vorläuferzellen aus Schritt c' in einem weiteren Wachstumsfaktor-haltigen serumfreien Medium zu Sphäroiden mit neurona-lem und glialem
Differenzierungspotential und Isolieren der neuralen Sphäroide und
1
-
5
-

Proliferieren der neuralen Sphäre
aus Schritt d' in einem Wachstumsfaktor-haltigen serumfreien Medium bis zur Ausbildung eines aus glialen Vorläufer-zellen bestehenden Zellrasens und Isolieren der gereinigten Vorläuferzellen mit glialen Eigenschaften."
Patentanspruch 8 betrifft Zellen der genannten Art, die aus [X.], Ratte, Hamster, Schwein, Rind, Primaten oder Mensch isoliert worden sind. Die [X.] 12 und 16 betreffen Verfahren zur Herstellung gereinigter [X.] mit neuronalen oder glialen Eigenschaften, wobei Patentanspruch 12 die aus Patentanspruch 1 ersichtlichen Schritte a bis e und Patentanspruch 16 die aus Patenta

Der Kläger hat beantragt,
das Streitpatent
für nichtig zu erklären, soweit die Patentansprüche 1, 12 und 16 Vorläuferzellen umfassen, die aus mensch-lichen embryonalen Stammzellen gewonnen werden. Ferner hat er die Nichtig-erklärung
im Umfang des mittelbar auf Patentanspruch 1 zurückbezogenen Patentanspruchs
8 beantragt, soweit dieser menschliche Zellen einschließt. Zur Begründung hat der Kläger geltend gemacht, die technische Lehre des Streit-patents sei insoweit gemäß §
2 [X.] von der Patentierung ausgeschlossen.
Das Patentgericht hat das Streitpatent für nichtig erklärt, soweit die Patentansprüche
1 und 8 Vorläuferzellen und die Patentansprüche 12 und 16 die Herstellung von Vorläuferzellen umfassen, die aus embryonalen Stammzel-len von menschlichen Embryonen gewonnen werden. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.
Gegen das erstinstanzliche Urteil wendet sich der Beklagte mit der Beru-fung. Er begehrt weiterhin
die vollständige Abweisung der Nichtigkeitsklage. Hilfsweise verteidigt er das Streitpatent in eingeschränkter Fassung.
Nach Hilfsantrag
I sollen die Patentansprüche wie folgt geändert werden:
2
3
4
5
6
-
6
-
In den Patentansprüchen 1, 12 und 16 soll in den mit "a)"
und ""
beginnenden Absätzen hinter "[X.]"
jeweils eingefügt werden:

"aus Zelllinien",
In Patentanspruch 1 soll am Ende angefügt werden:

", wobei keine isolierten gereinigten Vorläuferzellen aus humanen embryonalen Stammzellen umfasst sind, bei deren Gewinnung Embryonen zerstört worden sind"
In den Patentansprüchen 12 und 16 soll jeweils am Ende angefügt werden:

", wobei keine humanen embryonalen Stammzellen verwendet werden, bei deren Gewinnung Embryonen zerstört worden sind"
Der Kläger tritt dem Rechtsmittel entgegen.
Mit Beschluss vom 17.
Dezember 2009 (Xa
ZR
58/07, [X.], 212

Neurale Vorläuferzellen
I; nachfolgend: Vorlagebeschluss) hat der Bundes-gerichtshof dem [X.] mehrere Fragen zur Aus-legung von Art.
6 der [X.] und des Rates vom 6. Juli 1998 über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Er-findungen ([X.].
[X.] L
213/13; im Folgenden: Richtlinie) vorgelegt. Der Gerichts-hof hat mit Urteil vom 18.
Oktober 2011 ([X.], [X.], 1104 -
Oliver Brüstle ./. Greenpeace e.V.)
wie folgt entschieden:
"1.
Art.
6 Abs.
2 Buchst.
c der Richtlinie 98/44/[X.] des Europäischen Parla-ments und des Rates vom 6. Juli 1998 über den rechtlichen Schutz biotech-nologischer Erfindungen ist wie folgt auszulegen:

Jede menschliche Eizelle vom Stadium ihrer Befruchtung an, jede unbefruchtete
menschliche Eizelle, in die ein Zellkern aus einer [X.] menschlichen Zelle transplantiert worden ist, und jede unbefruchtete
menschliche Eizelle, die durch Parthenogenese zur [X.] und Weiterentwicklung angeregt worden ist, ist ein "menschlicher Embryo".
7
8
-
7
-

Es ist Sache des nationalen Gerichts, im Licht der technischen Ent-wicklung festzustellen, ob eine Stammzelle, die von einem mensch-lichen Embryo im Stadium der Blastozyste gewonnen wird, einen "menschlichen Embryo"
im Sinne von Art.
6 Abs.
2 Buchst.
c der Richtlinie 98/44 darstellt.
2.
Der Ausschluss von der Patentierung nach Art.
6 Abs.
2 Buchst.
c der Richt-linie 98/44, der die Verwendung menschlicher Embryonen zu industriellen oder kommerziellen Zwecken betrifft, bezieht sich auch auf die Verwendung zu Zwecken der wissenschaftlichen Forschung, und nur die Verwendung zu therapeutischen oder diagnostischen Zwecken, die auf den menschlichen Embryo zu dessen Nutzen anwendbar ist, kann Gegenstand eines Patents sein.
3.
Eine Erfindung ist nach Art.
6 Abs.
2 Buchst.
c der Richtlinie 98/44 von der Patentierung ausgeschlossen, wenn die technische Lehre, die Gegenstand des Patentantrags ist, die vorhergehende Zerstörung menschlicher Embryo-nen oder deren Verwendung als Ausgangsmaterial erfordert, in welchem Stadium auch immer die Zerstörung oder die betreffende Verwendung er-folgt, selbst wenn in der Beschreibung der beanspruchten technischen Lehre die Verwendung menschlicher Embryonen nicht erwähnt wird."
In der
mündlichen Verhandlung vor dem [X.] hat Professor Dr.

B.

als gerichtlicher Sachverständiger
ein Gut-
achten erstattet.
Der Kläger hat ein Privatgutachten von Prof. Dr.

K.

vorgelegt.
9
-
8
-
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung hat nur mit dem ersten Hilfsantrag Erfolg.
I.
Wie der [X.]
im Vorlagebeschluss (Rn.
8
ff.) näher dargelegt hat, liegt dem Streitpatent das
technische Problem zugrunde, aus embryonalen Stammzellen gewonnene isolierte und gereinigte Vorläuferzellen mit neuronalen oder glialen Eigenschaften sowie Verfahren zu ihrer Herstellung in praktisch unbegrenzter Menge bereitzustellen. Zur Lösung dieses Problems werden die in Patentanspruch
1 beanspruchten Vorläuferzellen vorgeschlagen, die mit einem der in den Patentansprüchen 12 und 16 beanspruchten Verfahren erhältlich sind.
II.
Der Gegenstand der Patentansprüche 1, 8, 12 und 16 in der erteilten Fassung ist gemäß §
2 Abs.
2 Satz
1 Nr.
3 [X.] von der Patentierung aus-geschlossen.
1.
Wie der [X.] bereits im Vorlagebeschluss (Rn.
30
ff.) näher dargelegt hat,
ist §
2 Abs.
2 Satz
1 Nr.
3 [X.] in Einklang mit Art.
6 Abs.
2 Buchst.
c der Richtlinie auszulegen. Nach der Entscheidung des [X.] steht die Vorschrift mithin der Patentierung entgegen, wenn die tech-nische Lehre, die Gegenstand des Patentantrags ist, die vorhergehende Zerstö-rung menschlicher Embryonen oder deren Verwendung als Ausgangsmaterial erfordert.
Diese Voraussetzung ist beim Streitpatent jedenfalls deshalb erfüllt, weil dessen Gegenstand auch Verfahren umfasst, bei denen die zur Herstellung der 10
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-
9
-
Vorläuferzellen eingesetzten Stammzellen aus Zelllinien stammen, zu deren Erzeugung menschliche Embryonen zerstört worden sind.
2.
Der Vortrag des
Beklagten, wonach menschliche Stammzellen auch ohne Zerstörung von Embryonen gewonnen werden können, kann nicht zu einer
vollständigen Abweisung der Nichtigkeitsklage führen.
a)
Wie der [X.] ebenfalls bereits im Vorlagebeschluss (Rn.
22
f.) ausgeführt hat, zwingt der Umstand, dass die geschützte Lehre so-wohl in einer gegen die öffentliche Ordnung oder die guten Sitten verstoßenden Weise als auch in einer Weise verwertbar ist, die mit der Rechtsordnung in [X.] steht und unter Umständen sogar als förderungswürdig anzusehen ist, im Zusammenhang mit §
2 Abs.
1 [X.] grundsätzlich nicht dazu, in die Patent-schrift einen
Hinweis aufzunehmen, dass das Schutzrecht nicht als Grundlage für unerlaubte Verwertungshandlungen dienen soll. Eine ausdrückliche Be-schränkung im Patentanspruch ist nach dem Zweck des §
2 Abs.
1 [X.] aber dann geboten, wenn eine bestimmte Ausführungsform, deren Verwertung stets einen Verstoß gegen die öffentliche Ordnung oder die guten Sitten darstellen würde, in der Patentschrift ausdrücklich hervorgehoben wird
und damit der [X.] erweckt wird, durch die Erteilung des Patents würden auch diese [X.] seitens der mit der Erteilung befassten Behörden und Gerichte gebil-ligt.

b)
Diese Grundsätze sind auch im Anwendungsbereich von §
2 Abs.
2 Satz
1 Nr.
3 [X.] heranzuziehen.
Der [X.] hat in seiner Entscheidung aus-geführt, dem Verbot des Art.
6 Abs.
2 Buchst.
c der Richtlinie könnte die prakti-sche Wirksamkeit genommen werden, wenn eine technische Lehre allein [X.] nicht in ihren Anwendungsbereich einbezogen würde, weil die Verwen-15
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-
dung menschlicher Embryonen, die deren vorhergehende Zerstörung voraus-setze, darin nicht erwähnt sei; ansonsten könne durch eine "geschickte Abfas-sung des Anspruchs"
das Verbot umgangen werden ([X.],
aaO Rn.
50). Der [X.] hat deshalb das [X.] auf eine technische Lehre erstreckt, die selbst nicht die Zerstörung menschlicher Embryonen betrifft, weil die Wirksamkeit des diesbezüglichen (Patentierungs-)Verbots aufgehoben oder jedenfalls beeinträchtigt würde, wenn nicht auch Handlungen erfasst würden, die zwar ihrerseits keinen Verstoß gegen dieses Verbot darstellen, einen sol-chen Verstoß aber voraussetzen. Damit wird der Anschein einer staatlichen Billigung einer gegen die Menschenwürde verstoßenden Behandlung von [X.] vermieden.
c)
Im Streitfall würde der Anschein einer staatlichen Billigung einer ge-gen die Menschenwürde verstoßenden Behandlung von Embryonen vermittelt, wenn das Streitpatent ohne Einschränkung Bestand hätte.
In der Beschreibung des Streitpatents wird mehrfach
hervorgehoben, dass die beanspruchte Lehre auch mit menschlichen Zellen durchgeführt werden kann (S.
4 Z.
64 bis 65; S.
7 Z.
51
bis 57; S.
9 Z.
49
bis 50; Patentanspruch
8)
und dass als Ausgangsmaterial neben Stammzelllinien auch Stammzellen in Betracht kommen, die aus Embryonen gewonnen werden (S.
2 Z.
56 bis 59; S.
4 Z.
32 bis 34; S.
7 Z.
47 bis 50; S.
9 Z.
50 bis 51). Die Gewinnung von Stammzellen aus Embryonen ist nach dem Verständnis des Fachmanns am [X.] typischerweise mit der Zerstörung des Embryos verbunden. Hieran hat sich in der Zwischenzeit nichts Entscheidendes geändert. Zwar mag alter-nativen Verfahren, bei denen Stammzellen ohne Zerstörung von Embryonen gewonnen werden können, mittlerweile größere Bedeutung zukommen. Die nicht auf solche Verfahren beschränkten Ausführungen in der Streitpatentschrift sind aber auch vor diesem Hintergrund dahin zu verstehen, dass sie nicht nur solche speziellen Verfahren umfassen, sondern auch solche, bei denen die 19
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-
11
-
Stammzellen oder die Zelllinien, aus denen diese entnommen werden, durch Zerstörung eines Embryos gewonnen worden sind. Dies widerspricht dem oben dargestellten Zweck des §
2 [X.].
III.
Der Gegenstand der Patentansprüche 1, 8, 12 und 16
in der [X.] von Hilfsantrag
I ist nicht gemäß §
2 Abs.
2 Satz
1 Nr.
3 [X.] von der Patentierung
ausgeschlossen.
1.
Das Rechtsmittel des
Beklagten ist auch mit diesem Hilfsantrag zu-lässig. Die damit angestrebte Fassung der Patentansprüche ist weiter als die Fassung nach dem angefochtenen Urteil.
In
der Fassung, die die Patentansprüche nach dem angefochtenen Urteil erhalten sollen, sind Zellen und Herstellungsverfahren vom Patentschutz aus-geschlossen, soweit die Vorläuferzellen aus embryonalen Stammzellen von menschlichen Embryonen gewonnen werden. Nach den zur Auslegung des Urteilstenors
heranzuziehenden Entscheidungsgründen erstreckt sich die Teil-nichtigerklärung zwar nicht auf alternative Verfahren, bei denen die zur Herstel-lung der Vorläuferzellen eingesetzten menschlichen Stammzellen ohne Ver-wendung eines Embryos und unter Umgehung des Totipotenzstadiums herge-stellt werden,
und auch nicht auf Verfahren, bei denen die Stammzellen aus sogenannten primordialen Keimzellen gewonnen werden,
die aus mehrere Wo-chen alten abgegangenen menschlichen Föten isoliert worden sind.
Vom Patentschutz
ausgeschlossen sind aber Verfahren, bei denen die Stammzellen aus einem menschlichen Embryo entnommen werden, unabhängig davon, ob dieser zerstört wird oder nicht.
Nach
der mit Hilfsantrag
I verteidigten Fassung der Patentansprüche schließt die Gewinnung der Vorläuferzellen aus einem menschlichen Embryo den Patentschutz
hingegen nicht aus, wenn der Embryo dabei nicht zerstört 21
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-
12
-
wird. Diese Fassung ist mithin auf einen weitergehenden Gegenstand gerichtet als die Fassung nach dem angefochtenen Urteil.
2.
Die Erfindung ist auch bei dieser Fassung der Patentansprüche in der Patentschrift so offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen kann.
In der Beschreibung des Streitpatents wird ausgeführt, embryonale Stammzellen
könnten auch aus embryonalen Keimzellen erhalten werden (S.
9 Z.
53 bis 54). Aus diesen Ausführungen geht hervor, dass auch solche Zellen als embryonale Stammzellen im Sinne des Streitpatents anzusehen sind. Damit ist dem Fachmann ein Weg aufgezeigt, auf dem die für die Ausführung der Er-findung benötigten Stammzellen ohne Zerstörung menschlicher Embryonen gewonnen werden können.
Dass das Streitpatent in der mit Hilfsantrag
I verteidigten Fassung nicht ausschließlich auf diesen Weg beschränkt ist und dass andere Wege zur Ge-winnung von embryonalen Stammzellen ohne Zerstörung von menschlichen Embryonen in der Patentschrift nicht aufgezeigt werden, steht der Zulässigkeit der verteidigten Fassung nicht entgegen.
Nach der Rechtsprechung des [X.] genügt die ausführ-bare Offenbarung eines von mehreren denkbaren Wegen zur Verwirklichung eines "generisch"
beanspruchten Verfahrensschritts, wenn dieser Schritt bei wertender Betrachtung in seiner allgemeinen Bedeutung zur Problemlösung
gehört. Der Patentschutz muss nur dann auf den konkret offenbarten Weg be-schränkt werden, wenn eine generalisierende Formulierung im Patentanspruch den durch das Patent geschützten Bereich über die erfindungsgemäße, dem Fachmann in der Beschreibung an die Hand gegebene
Lösung hinaus verall-gemeinern
würde. In einem solchen Fall beansprucht der Satz Geltung, dass der mögliche Patentschutz durch den Beitrag zum Stand der Technik begrenzt 25
26
27
28
-
13
-
wird
([X.], Urteil vom 25.
Februar 2010 -
Xa
ZR
100/05, [X.]Z 184, 300 = [X.], 414 Rn.
23 -
Thermoplastische Zusammensetzung).
Im Streitfall gehört der Einsatz von embryonalen Stammzellen zur [X.] des patentgemäßen Verfahrens in seiner allgemeinen Bedeutung zur Problemlösung. Auf welche Weise diese Zellen gewonnen werden, ist
allein unter dem Gesichtspunkt von §
2 Abs.
2 Satz
1 Nr.
3 [X.] von Bedeutung. Ver-fahren, die nicht unter den darin normierten Patentierungsausschluss fallen, sind von dem Beitrag, den das Streitpatent zum Stand der Technik erbringt, mit umfasst.
3.
Der
mit Hilfsantrag
I verteidigten Fassung der Patentansprüche steht der Patentierungsausschluss in §
2 Abs.
2 Satz
1 Nr.
3 [X.] nicht entgegen.

a)
Die in Hilfsantrag
I vorgenommene Klarstellung in den Patentansprü-chen genügt, um von der Patentierung ausgeschlossene Verfahren vom [X.] auszunehmen.
Dabei kann dahingestellt bleiben, ob dem Fachmann gangbare Wege zur Verfügung stehen, um Stammzellen aus Embryonen zu gewinnen, ohne diese zu zerstören. Sofern solche Wege verfügbar
sind, werden sie aus den bereits genannten Gründen vom Patentschutz auch dann umfasst, wenn sie in der Patentschrift
nicht offenbart sind. Sofern solche Wege nicht verfügbar sind, kann die Ausführung von Verfahren, für die mit Hilfsantrag
I Schutz begehrt
wird, ohnehin nicht zu einer nach §
2 Abs.
2 Satz
1 Nr.
3 [X.] von der Patentie-rung ausgeschlossenen Verwendung von menschlichen Embryonen führen.
Unabhängig davon ist im Streitfall durch die vom Beklagten vorgelegten Veröffentlichungen, deren Inhalt insoweit auch von der Privatgutachterin des Klägers
nicht in Zweifel gezogen wird,
hinreichend belegt, dass menschliche 29
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32
33
-
14
-
embryonale Stammzellen auch ohne Zerstörung von Embryonen gewonnen werden können.
In zwei dieser Veröffentlichungen (Gavrilov, Prosser
et al, Non-viable hu-man embryos as a source of viable cells for embryonic stem
cell derivation, Re-prod [X.], Februar 2009, S.
301
ff., [X.]; Gavrilov, [X.] et al, [X.], [X.], Volume
2011, Article ID 765378, [X.]), wird berichtet, menschliche embryonale Stammzellen könnten aus Embryonen ge-wonnen werden, die ihre weitere Entwicklung endgültig eingestellt haben. [X.] ist nicht mit der Zerstörung von Embryonen verbunden. Als [X.] ist nach der Entscheidung des [X.]s ein Organismus anzusehen, der die Fähigkeit aufweist, den Prozess der Entwicklung eines Menschen in Gang zu setzen. Diese Fähigkeit hatten die Embryonen, denen in den in [X.] und [X.] geschilderten Stammzellen entnommen worden sind, im Zeitpunkt der [X.] ohne Einwirkung von außen eingebüßt. Die Entnahme von Zellen aus sol-chen Organismen ist deshalb nicht als Verwendung
von Embryonen anzuse-hen.
Dass die Entwicklungsfähigkeit von Embryonen, die aufgrund morphologi-scher oder sonstiger Besonderheiten vom Transfer in den Uterus ausgeschlos-sen werden, im Voraus möglicherweise nicht mit Sicherheit vorhersehbar ist, führt nicht zu einer abweichenden Beurteilung. Aus [X.] und [X.] ist
zu entneh-men, dass jedenfalls am sechsten Entwicklungstag feststellbar ist, ob ein [X.] die Entwicklung eingestellt hat,
und dass in diesem Stadium -
wenn auch in relativ geringer Anzahl -
noch einzelne lebende Zellen vorhanden sind, aus de-nen Stammzellen gewonnen werden können. Damit ist ein gangbarer Weg auf-gezeigt. Ob es möglich ist, eine irreversible Arretierung mit hinreichender Si-cherheit schon in einem früheren Stadium festzustellen, bedarf angesichts des-sen keiner Aufklärung.
34
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15
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b)
Die Patentierung ist auch nicht deshalb gemäß §
2 Abs.
2 Nr.
3 [X.] ausgeschlossen, weil menschliche Stammzellen, die ohne Zerstörung von [X.] gewonnen worden sind, ihrerseits als Embryonen im Sinne der Vor-schrift anzusehen wären.
Wie bereits erwähnt,
ist als Embryo nach der Entscheidung des Gerichts-hofs ein Organismus anzusehen, der die Fähigkeit aufweist, den Prozess der Entwicklung eines Menschen in Gang zu setzen. Diese Fähigkeit kommt Stammzellen, die aus Embryonen im Blastozystenstadium entnommen werden, nicht zu.
Dass aus solchen Stammzellen möglicherweise durch Kombination mit anderen Zellen ein entwicklungsfähiger Embryo erzeugt werden kann, wie dies in der Veröffentlichung von Denker (Jahrbuch für Wissenschaft und Ethik, Band
9, 2004, S.
367-371, K14)
und in dem vom Kläger vorgelegten Privatgut-achten beschrieben wird, führt nicht zu einer abweichenden Beurteilung. Hierbei kann offen bleiben, ob dieser Weg tatsächlich mit Erfolg beschritten werden könnte. Entscheidend ist, dass auf diesem Weg ein Lebewesen nur erzeugt werden kann, wenn die Stammzelle mit anderen Zellen kombiniert wird, nämlich mit tetraploiden, d.h. mit einem
vierfachen Chromosomensatz ausgestatteten Blastomeren aus einem anderen Embryo, die durch Unterdrückung einer Zell-teilung zu einer
Differenzierung zu extraembryonalen Zelltypen (Trophoblast u.a.) determiniert wurden (K14 S.
367 Fn.
3). Die bloße Möglichkeit, einer Zelle, die nicht die Fähigkeit aufweist, den Prozess der Entwicklung eines Menschen in Gang zu setzen, diese Fähigkeit durch Kombination mit anderen Zellen, durch Reprogrammierung oder durch sonstige Eingriffe zu verleihen, reicht, wie der [X.] schon im Vorlagebeschluss (Rn.
39) ausgeführt hat, nicht aus, um eine solche Zelle schon vor einer entsprechenden Behandlung als Embryo anzusehen.
36
37
38
-
16
-
IV.
Eine erneute Vorlage an den [X.] zur Klärung der Frage, ob dessen Auslegung von Art.
6 Abs.
2 Buchst.
c der Richtlinie in Widerspruch zu Art.
27 des Übereinkommens über handelsbezo-gene Aspekte des geistigen Eigentums ([X.]) steht, ist weder rechtlich gebo-ten noch aus sonstigen Gründen angezeigt.
Wie auch der Beklagte nicht verkennt, ist der Umstand, dass Art.
27 [X.] für die Auslegung von Art.
6 Abs.
2 Buchst.
c der Richtlinie Bedeutung zukommt, schon im Vorlagebeschluss des [X.] (Rn.
62) ange-sprochen worden. Der Beklagte hat in einer Eingabe an den [X.] zu die-ser Frage ausführlich vorgetragen. Vor diesem Hintergrund hat der [X.] kei-nen Anlass zu der Annahme, dass der [X.] diese Frage übersehen hat, auch wenn er sie in den Gründen seiner Entscheidung nicht ausdrücklich ange-sprochen hat. Angesichts dessen kann offenbleiben, ob und unter welchen [X.] eine erneute Vorlage gemäß Art.
267 AEUV zulässig ist.
Unabhängig davon hat der [X.] Art.
27 [X.] ausdrücklich zitiert (Rn.
3)
und seine Entscheidung auf die Erwägung gestützt, dass ein Patentie-rungsverbot in dem von ihm angenommenen Umfang erforderlich ist, um die Würde und die Unversehrtheit des Menschen zu gewährleisten (Rn.
32-34). Damit hat er den Maßstab des Art.
27 Abs.
2 [X.] angewendet, auch wenn er

39
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41
-
17
-
die Vorschrift in diesem Zusammenhang nicht ausdrücklich erwähnt hat. Der [X.] hat auch vor diesem Hintergrund keinen Anlass, den [X.] unter erneuter Vorlage der Sache um ausdrückliche Beantwortung der vom Beklagten aufgeworfenen Fragen im Zusammenhang mit Art.
27 [X.] zu ersuchen.
Meier-Beck
Keukenschrijver
Mühlens

Grabinski
Bacher
Vorinstanz:
[X.], Entscheidung vom 05.12.2006 -
3 Ni 42/04 -

Meta

X ZR 58/07

27.11.2012

Bundesgerichtshof X. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 27.11.2012, Az. X ZR 58/07 (REWIS RS 2012, 964)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 964

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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