Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 20.12.2007, Az. 4 StR 459/07

4. Strafsenat | REWIS RS 2007, 61

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[X.]IM NAMEN DES VOLKES Urteil 4 [X.] vom 20. Dezember 2007 in der Strafsache gegen 1. 2. wegen sexuellen Missbrauchs einer widerstandsunfähigen Person u.a.- 2 - Der 4. Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 20. Dezember 2007, an der teilgenommen haben: Vorsitzende [X.]in am [X.] [X.], [X.] am [X.] Maatz, [X.], [X.], [X.]in am [X.] [X.]als beisitzende [X.], Staatsanwalt

als Vertreter der [X.], Rechtsanwalt als Verteidiger für den Angeklagten [X.], Rechtsanwalt als Verteidiger für den Angeklagten [X.], Rechtsanwalt als Vertreter des [X.] [X.], Justizangestellte

als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle, für Recht erkannt: - 3 - 1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des [X.] wird das Urteil des [X.] vom 25. April 2007 mit den Feststellungen, mit Ausnahme derjenigen zum Vor- und Nachtatgeschehen, aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer [X.] und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere [X.] des Land-gerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehenden Revisionen werden verworfen. Von Rechts wegen Gründe: Das [X.] hat die zum Tatzeitpunkt jugendlichen Angeklagten we-gen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Verletzung des höchstper-sönlichen [X.] durch Bildaufnahmen schuldig gesprochen und die Tat mit Zuchtmitteln geahndet. Es hat beide Angeklagten verwarnt, ihnen die Erbringung von Arbeitsleistungen ([X.]
: 150 Stunden, [X.]

: 200 Stunden) und als Wiedergutmachungsleistung die ratenweise Zahlung eines Schmer-zensgeldes an den Nebenkläger ([X.] : 600 Euro, [X.] : 60 Euro) aufer-legt. Gegen dieses Urteil wenden sich die Staatsanwaltschaft, deren Rechtsmit-tel vom [X.] vertreten wird, und der Nebenkläger mit ihren zu Ungunsten der Angeklagten eingelegten Revisionen, mit denen sie die Verlet-zung materiellen Rechts rügen. Sie beanstanden, dass die Angeklagten nicht 1 - 4 - auch wegen tateinheitlich begangenen sexuellen Missbrauchs einer wider-standsunfähigen Person nach § 179 Abs. 1 und Abs. 5 StGB verurteilt worden sind. Die Rechtsmittel haben im Wesentlichen Erfolg. 2 1. Nach den Feststellungen feierten die zur Tatzeit 14 und 15 Jahre alten Angeklagten und andere Jugendliche im Alter zwischen 14 und 17 Jahren im Anwesen der Eltern eines Freundes dessen 16. Geburtstag. Im Laufe des Abends stieß auch der 14jährige Nebenkläger zu den Gästen. Der Nebenkläger ist von eher schmächtiger Statur, weshalb er sich immer wieder [X.], aber auch verbalen und gelegentlich körperlichen Angriffen anderer Jugendli-cher ausgesetzt sah. So hatten ihm etwa der Angeklagte [X.] und ein an-derer Jugendlicher einmal einen Holzstiel, an dem ein Deutschlandfähnchen befestigt war, "am Gesäß durch die Hose gesteckt" und dieses Geschehen mit der Kamera eines Mobiltelefons gefilmt. Das Video kursierte später unter Mit-schülern des [X.], die sich deshalb über ihn lustig machten. 3 Nachdem dem Nebenkläger ca. drei Stunden nach Eintreffen auf der Geburtstagsfeier infolge erheblichen Alkoholkonsums übel und schwindelig ge-worden und er schlafend "zusammengesackt" war, verbrachte ihn die Mutter des Gastgebers ins Wohnzimmer, wo er sich bäuchlings auf die Couch legte. Die leicht alkoholisierten Angeklagten begaben sich zum Nebenkläger. In Erin-nerung an den früheren Vorfall zog der Angeklagte [X.] dem Nebenkläger, der sich infolge seiner Trunkenheit, was die Angeklagten erkannten, gegen das Vorgehen nicht zur Wehr setzen konnte, die Hose herunter und führte mit dem Flaschenhals voran eine 0,7 Liter fassende, leere Glasflasche zwischen die entblößten Gesäßbacken des [X.] und bewegte diese mehrfach vor 4 - 5 - dem Anus des [X.] vor und zurück. Sodann übernahm der Angeklagte [X.] die Flasche und drückte gegen den Flaschenboden, sodass sie im Ge-säßbereich des [X.] nach oben ragend stecken blieb, worauf der [X.] vor Schmerzen aufschrie. Durch die Manipulationen mit der Flasche erlitt der Nebenkläger u.a. eine blutende Verletzung im Analbereich. Dieses insgesamt 38 Sekunden dauernde Geschehen filmten die Ange-klagten wiederum mit der Kamera eines Mobiltelefons. Die Videosequenz zeig-ten sie sodann zur Belustigung den anderen Partygästen. Der Angeklagte [X.] versandte überdies die Filmszene an Freunde und Bekannte, sodass der Nebenkläger in der Folgezeit u.a. von Mitschülern darauf angesprochen und deswegen auch verspottet wurde. 5 2. Die Beschwerdeführer beanstanden zu Recht die Ablehnung einer tat-einheitlichen Verurteilung der Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs einer widerstandsunfähigen Person gemäß § 179 Abs. 1 StGB. 6 a) Das [X.] ist zwar auf der Grundlage der getroffenen [X.] zutreffend davon ausgegangen, dass der 14jährige Nebenkläger zur Tatzeit infolge der festgestellten Beeinträchtigungen durch seinen schweren Alkoholrausch, mithin auf Grund einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung im Sinne des § 179 Abs. 1 Nr. 1 StGB (vgl. Fischer StGB 55. Aufl. § 179 Rdn. 9 b), unfähig war, einen ausreichenden Widerstandswillen gegen das Vorgehen der Angeklagten zu bilden, zu äußern und durchzusetzen, dass die Angeklagten dies erkannten und für ihr Vorhaben ausnutzten. Das Vorliegen einer sexuellen Handlung hat das [X.] indes verneint. Die von den Angeklagten vorge-nommenen Manipulationen seien nicht eindeutig und ausschließlich sexualbe-zogen gewesen. Vielmehr habe es sich unter Berücksichtigung der [X.] - 6 - stände um eine ambivalente Handlung, um einen "dummen Jungenstreich" ge-handelt, der allein dazu gedient habe, den Nebenkläger zu demütigen und zum Gespött der Anderen zu machen. Eine deshalb erforderliche sexuelle Motivation der Angeklagten habe bei dem Geschehen keine Rolle gespielt. b) Diese Wertung begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Das [X.] hat der Würdigung der Sexualbezogenheit des Vorgehens der [X.] einen falschen rechtlichen Maßstab zu Grunde gelegt. 8 Eine sexuelle Handlung im Sinne des § 179 Abs. 1 i.V.m. § 184 f Nr. 1 StGB liegt immer dann vor, wenn die Handlung objektiv, also allein gemessen an ihrem äußeren Erscheinungsbild, einen eindeutigen Sexualbezug aufweist. Ist dies der Fall, kommt es auf die Motivation des [X.] nicht an. Es ist deshalb gleichgültig, ob die Handlung etwa aus Wut, Sadismus, Scherz oder Aberglaube vorgenommen wird. Auch eine sexuelle Absicht des [X.] ist in diesem Fall - anders als bei äußerlich ambivalenten Handlungen - nicht erforderlich (vgl. [X.]R StGB § 178 Abs. 1 sexuelle Handlung 6; [X.] in [X.]. 2 ff.; [X.]/[X.] in [X.] § 184 f Rdn. 2). Dies zu Grunde gelegt, steht hier das Vorliegen einer sexualbezogenen Handlung außer Frage. Die Angeklagten führten im Analbereich des entblößten [X.] mit der Fla-sche Penetrationsbewegungen aus, und ahmten damit, worauf die Jugend-kammer selbst hinweist, eindeutig homosexuelle Praktiken nach. Dabei kommt es nicht darauf an, ob es - was nach den Feststellungen allerdings nahe liegt - zu einer Penetration kam. Soweit die [X.] gleichwohl einen eindeuti-gen Sexualbezug des Vorgehens mit der Begründung in Frage gestellt hat, we-der die Angeklagten noch das Tatopfer seien homosexuell veranlagt, die Ange-klagten hätten den Übergriff ohne jede sexuelle Absicht im frei zugänglichen Wohnzimmer vorgenommen und ihr Vorgehen alsbald durch Vorzeigen des [X.] - 7 - [X.] gegenüber [X.] offenbart, verkennt sie, dass diese Umstände - auch in ihrer Gesamtheit - für die Beurteilung, ob eine sexuelle Handlung vorliegt, unerheblich sind, wenn die Handlung, wie hier, schon rein objektiv einen ein-deutigen Sexualbezug aufweist. Diesen Charakter verlor die Handlung der [X.] insbesondere nicht dadurch, dass [X.] keine sexuelle Motivati-on zu Grunde lag. Dass das Vorgehen der Angeklagten eine sozial nicht mehr hinnehmbare Rechtsgutsbeeinträchtigung darstellte, mithin im Sinne des § 184 f Nr. 1 StGB von einiger Erheblichkeit war, liegt ebenfalls auf der Hand. c) Eine Anwendung des § 179 Abs. 1 StGB scheidet auch nicht deshalb aus, weil den Angeklagten das Bewusstsein fehlte, dass ihren Handlungen eine Sexualbezogenheit innewohnte (vgl. [X.]R StGB § 178 Abs. 1 sexuelle [X.]). Diese von der [X.] hilfsweise getroffene Feststellung zur subjektiven Tatseite ist nicht tragfähig begründet. Vielmehr weist das [X.] selbst darauf hin, dass die Angeklagten mit [X.] eine weitere Demü-tigung des [X.] durch dessen Darstellung in einer "entwürdigenden Position" erreichen wollten. Wenn die Angeklagten jedoch das "[X.]" ihres Tuns erkannten, ist damit nicht ohne Weiteres in Einklang zu bringen, dass sie die gerade aus der Sexualbezogenheit der Darstellung folgende Her-abwürdigung ihres [X.] nicht in ihr Bewusstsein aufgenommen haben [X.]. Dies hätte der näheren Erörterung bedurft. 10 3. Da die subjektive Tatseite des § 179 StGB nicht rechtsfehlerfrei fest-gestellt ist, kann der Senat den Schuldspruch nicht ergänzen. Vielmehr führen die dargelegten Rechtsfehler zur Aufhebung des Urteils insgesamt, da das [X.] eine einheitliche Tat im Sinne des § 52 StGB bil-det. Von der Aufhebung betroffen ist deshalb auch die Verurteilung wegen ge-fährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Verletzung des höchstpersönlichen 11 - 8 - [X.] durch Bildaufnahmen (vgl. [X.]R StPO § 353 Aufhebung 1). Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum Tatvorgeschehen (Teil II. des Urteils bis [X.], Ende des 1. Absatzes) und zum Nachtatgeschehen (ab [X.], 3. Absatz) können jedoch aufrechterhalten bleiben. Ergänzende [X.] sind insoweit möglich, sofern sie zu den bisher getroffenen nicht in [X.] stehen. 4. a) Sollte der neue Tatrichter die Tatbestandsmäßigkeit des [X.] (auch) nach § 179 Abs. 1 StGB feststellen, wird er, wovon die [X.] - aus ihrer Sicht folgerichtig - bisher abgesehen hat, Gelegen-heit haben zu erörtern, ob auch die Qualifikationstatbestände des § 179 Abs. 5 Nrn. 1 und 2 StGB erfüllt sind (vgl. [X.], 325 und [X.], 367). 12 b) Der neue Tatrichter wird ferner zu prüfen haben - was der Senat ge-mäß § 301 StPO zu Gunsten der Angeklagten zu beachten hat -, ob mit Blick auf den Vorwurf der Verletzung des höchstpersönlichen [X.] durch Filmaufnahmen nach § 201 a StGB ein wirksamer Strafantrag nach § 205 Abs. 1 StGB vorliegt. Zwar hat die Mutter des minderjährigen [X.] (§ 77 Abs. 3 StGB), Heike [X.] , rechtzeitig Strafantrag gestellt ([X.]). Nach Aktenlage kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass die Mutter des [X.] nicht das alleinige Sorgerecht hatte, sie dieses vielmehr gemeinsam mit dem in der Hauptverhandlung als "gesetzlicher Vertreter des [X.]" bezeichneten Michael [X.], wohl dem Vater des [X.], ausübte. Im Falle einer bestehenden Ehe sind jedoch beide Elternteile nur gemeinsam [X.] (vgl. [X.], Beschluss vom 6. Juli 1993 - 1 [X.]). Entge-gen der Auffassung des [X.]s sind die Eltern als gesetzliche Vertreter nicht "mehrere" [X.] im Sinne des § 77 Abs. 4 StGB (vgl. 13 - 9 - [X.]/[X.] in [X.]/[X.] StGB 27. Aufl. § 77 Rdn. 33). Es wird deshalb zu klären sein, ob der Vater des [X.] gegebenenfalls mit der Stellung des Strafantrags durch die Mutter einverstanden war oder nach-träglich innerhalb der Antragsfrist seine Zustimmung hierzu erteilt hat (vgl. [X.] NJW 1956, 521; [X.]/[X.] aaO § 77 Rdn. 16). Tepperwien Maatz [X.] Ernemann Sost-Scheible

Meta

4 StR 459/07

20.12.2007

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 20.12.2007, Az. 4 StR 459/07 (REWIS RS 2007, 61)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2007, 61

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