Bundesgerichtshof, Beschluss vom 20.06.2023, Az. 5 StR 47/23

5. Strafsenat | REWIS RS 2023, 4747

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Gegenstand

Revisionsgrund: Verwertung einer nicht in den Prozess eingeführten Urkunde zu Lasten des Angeklagten


Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 28. Juli 2022 im Strafausspruch mit den Feststellungen zum Wirkstoffgehalt der Betäubungsmittel aufgehoben.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in vier Fällen und Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und acht Monaten verurteilt und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision führt zur Aufhebung des Strafausspruchs; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

2

1. Die Revision hat mit der Rüge der Verletzung des § 261 StPO Erfolg. Denn das [X.] hat sich bei der Bestimmung des [X.] der verfahrensgegenständlichen Betäubungsmittel auf eine Statistik des [X.] für das [X.] gestützt, die nicht Inbegriff der Hauptverhandlung war.

3

a) Nach dem – von den Berufsrichtern der erkennenden Strafkammer in ihrer dienstlichen Erklärung zugestandenen – Revisionsvortrag des Beschwerdeführers wurde die Statistik weder durch Verlesung nach § 249 Abs. 1 StPO oder einen Inhaltsbericht der Vorsitzenden (vgl. hierzu [X.], Urteil vom 10. Dezember 1980 – 3 [X.], [X.]St 30, 10) noch im Wege des [X.] nach § 249 Abs. 2 StPO oder der Vernehmung eines Zeugen oder Sachverständigen zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht.

4

b) Das [X.] hat die in der polizeilichen Statistik erfassten Mittelwerte zum Wirkstoffgehalt von Betäubungsmitteln daher zu Unrecht zum Nachteil des Angeklagten verwertet. Denn das Tatgericht darf seiner Entscheidung über die Schuld- und Straffrage nach § 261 StPO nur die Erkenntnisse zugrunde legen, die es in der Hauptverhandlung nach den Regeln des [X.] gewonnen hat (vgl. [X.], Beschluss vom 24. September 2015 – 2 [X.], [X.]R StPO § 261 Gerichtskundigkeit 5).

5

Soweit Berufsrichter in ihrer dienstlichen Erklärung auf die Gerichts- und Allgemeinkundigkeit des in der Statistik festgehaltenen durchschnittlichen [X.] der in Rede stehenden Betäubungsmittel hingewiesen haben, kann dies unter den hier gegebenen Umständen die prozessordnungsgemäße Einführung der Urkunde nicht ersetzen. Zwar ist es nicht grundsätzlich ausgeschlossen, außerhalb der Hauptverhandlung erlangtes Wissen ohne förmliche Beweiserhebung als offenkundige – also gerichts- oder allgemeinkundige – Tatsachen zu verwerten (vgl. hierzu sowie zur Hinweispflicht des Tatgerichts [X.] aaO; Urteil vom 17. Mai 2018 – 3 [X.], [X.], 579 mwN; Beschluss vom 27. Juli 2012 – 1 StR 68/12, [X.], 121). Aus dem mit der dienstlichen Erklärung nicht in Abrede gestellten Revisionsvortrag und den vom [X.] wegen zur Kenntnis zu nehmenden Urteilsgründen ergibt sich aber, dass das [X.] die polizeiliche Statistik als „zum Gegenstand der Hauptverhandlung“ gemacht und die darin aufgelisteten [X.] mithin gerade nicht als offenkundig behandelt hat.

6

2. Der Senat schließt angesichts des inmitten stehenden Handels mit Haschisch und Kokain im [X.] aus, dass der Schuldspruch auf dem Rechtsfehler beruht (§ 337 Abs. 1 StPO). Der Einziehungsausspruch wird von der Frage des [X.] der Betäubungsmittel nicht berührt. Der Aufhebung unterliegt daher lediglich der Strafausspruch mit den Feststellungen zum Wirkstoffgehalt der verfahrensgegenständlichen Betäubungsmittel (§ 353 StPO). Im Übrigen sind die Feststellungen zum Strafausspruch nicht von dem Rechtsfehler betroffen und bleiben daher bestehen (§ 353 Abs. 2 StPO).

7

Sollte das neue Tatgericht für eine Schätzung des [X.] der gehandelten Betäubungsmittel statistische Durchschnittwerte heranziehen, wird es in Betracht zu nehmen haben, dass das Geschäft im Fall 1 rückabgewickelt wurde, weil der Käufer nicht mit der Qualität der Betäubungsmittel „einverstanden“ war.

Cirener     

  

     Mosbacher     

  

Köhler

  

Ri[X.] von Häfen ist im
Urlaub und kann nicht
unterschreiben.

Cirener

  

Werner     

  

Meta

5 StR 47/23

20.06.2023

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Bremen, 28. Juli 2022, Az: 9 KLs 341 Js 78080/20

§ 249 Abs 1 StPO, § 249 Abs 2 StPO, § 261 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 20.06.2023, Az. 5 StR 47/23 (REWIS RS 2023, 4747)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 4747

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1 StR 68/12

3 StR 508/17

2 StR 126/15

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