Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 12.01.2023, Az. 2 A 2/22

2. Senat | REWIS RS 2023, 10286

© Bundesverwaltungsgericht, Foto: Michael Moser

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Ablehnung eines Letztentscheidungsrechts hinsichtlich der sicherheitsrechtlichen Eignung


Leitsatz

Auch die seit dem Beschluss des Senats vom 17. September 2015 - 2 A 9.14 - (BVerwGE 153, 36) beschlossenen Änderungen des Sicherheitsüberprüfungsgesetzes lassen ein behördliches Letztentscheidungsrecht des BND bei der Entscheidung über das Vorliegen eines Sicherheitsrisikos nicht hinreichend klar erkennen.

Tenor

Der Beklagten wird aufgegeben, diejenigen Aktenbestandteile vorzulegen, aus denen sich die von ihr gesehenen tatsächlichen Anhaltspunkte für ein Sicherheitsrisiko i. S. v. § 5 des Sicherheitsüberprüfungsgesetzes ([X.]) bei einer Tätigkeit des Klägers beim [X.] ergeben.

Gründe

I

1

Gegenstand des Verfahrens ist die Einbeziehung des [X.] in das Auswahlverfahren für eine Ausbildung im mittleren nichttechnischen Dienst im [X.] ([X.]).

2

Der im Jahr 1990 in [X.] geborene Kläger besitzt die [X.] Staatsangehörigkeit. Im [X.] 2021 bewarb er sich für eine Laufbahnausbildung im Verwaltungsdienst beim [X.]. Nach Abschluss des Auswahlverfahrens teilte ihm der [X.] mit, dass er das Auswahlverfahren bestanden habe und die Ausbildung entsprechend seiner im Auswahlverfahren erlangten Platzziffer Anfang März 2023 beginne. Zugleich wurde der Kläger darauf hingewiesen, dass das Bestehen des Auswahlverfahrens noch keine Einstellungszusage darstelle, weil zur Einstellung noch weitere Verfahrensschritte erforderlich seien.

3

Im April 2022 erklärte die für die Sicherheitsüberprüfung im [X.] zuständige Stelle, gegen die Einstellung des [X.] bestünden Sicherheitsbedenken. Dem Kläger wurde am 29. April 2022 mitgeteilt, weitere Bearbeitungs- und Auswahlschritte hätten dazu geführt, dass er trotz Bestehens des Auswahlverfahrens nicht für die Laufbahnausbildung im [X.] berücksichtigt werden könne.

4

Den vom Kläger hiergegen erhobenen Widerspruch wies der [X.] mit Widerspruchsbescheid vom 11. Juli 2022 zurück: Zur Eignung [X.] Art. 33 Abs. 2 GG zähle auch die sicherheitsrechtliche Eignung. Diese sei zu verneinen, wenn ein Sicherheitsrisiko vorliege. Im Zweifel hätten die Sicherheitsinteressen Vorrang vor anderen Belangen. Eine nähere Begründung des Ergebnisses der Sicherheitsüberprüfung sei ausgeschlossen, weil nur auf diese Weise eine Ausforschung des Erkenntnisstandes des [X.] und dessen Einstellungspraxis vermieden werden könne. Betroffene seien über das Ergebnis einer Sicherheitsüberprüfung im Bereich des [X.] nicht zu informieren. Dementsprechend könnten dem Kläger die konkreten Gründe für seine Ablehnung nicht mitgeteilt werden.

5

Zur Begründung der am 29. Juli 2022 erhobenen Klage trägt der Kläger vor: Es sei nicht anzunehmen, dass der Gesetzgeber der Behörde ein Letztentscheidungsrecht unter Ausschluss jeglicher gerichtlichen Kontrolle eingeräumt habe. Tatsächliche Anhaltspunkte für ein Sicherheitsrisiko seien nicht ersichtlich. Der [X.] sei von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen. Da der [X.] seine Annahme hinsichtlich des angeblichen Risikos nicht offenlege, sei es ihm nicht möglich, die gegen ihn angeführten Sicherheitsbedenken richtigzustellen oder zu widerlegen.

6

Der Kläger beantragt,

den Bescheid des [X.] vom 29. April 2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des [X.]es vom 11. Juli 2022 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, über die Bewerbung des [X.], ihn unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Widerruf zum Regierungssekretäranwärter zu ernennen und in den gehobenen nichttechnischen Verwaltungsdienst im [X.] einzustellen, unter Beachtung der Rechtsauffassung des [X.] neu zu entscheiden,

sowie

die Hinzuziehung des Prozessbevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären.

7

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

8

Dem Kläger stehe kein Anspruch auf Begründung des angenommenen [X.] zu. Durch die gesetzliche Regelung der Sicherheitsüberprüfung habe der Gesetzgeber dem Bestand und der Sicherheit des Staates Vorrang gegenüber dem Grundrechtsschutz der Betroffenen eingeräumt. Ausländische Nachrichtendienste versuchten immer wieder, durch gesteuerte Bewerbungen den Erkenntnisstand der Nachrichtendienste und deren Einstellungspraktiken auszuforschen. Der Neuregelung in § 14 Abs. 4 Satz 2 [X.] sei zu entnehmen, dass die Nachrichtendienste des [X.] hinsichtlich der Feststellung des Fehlens der sicherheitlichen Eignung eines Bewerbers kein weiteres Darlegungserfordernis treffe. Damit sei auch eine gerichtliche Überprüfung dieser Erwägungen ausgeschlossen.

9

Gehe man dagegen von der Möglichkeit einer gerichtlichen Überprüfung aus, so führte dies infolge der Sperrerklärung regelmäßig zu einem In-Camera-Verfahren nach § 99 VwGO. Dieses gehe infolge des sachtypischen Beweisnotstands und den Grundsätzen der materiellen Beweislast regelmäßig zum Nachteil des Bewerbers aus. Dem Umstand, dass ein derart langwieriger Verfahrensgang mit einer übermäßigen Bindung von Ressourcen einhergehe und dem Bewerber letztlich regelmäßig nicht die Möglichkeit eröffnet sei, den nötigen Beweis der [X.] zu führen, habe der Gesetzgeber durch die Neuregelung Rechnung getragen. Ohnehin sei wegen der besonders exponierten Lage des [X.] bei der Entscheidung über die sicherheitliche Eignung ein besonders strenger Maßstab anzulegen. Deshalb gingen Lücken in der Aufklärung des Sachverhalts stets zu Lasten des Bewerbers. Dass das Ergebnis der Sicherheitsüberprüfung nicht zu überprüfen sei, ergebe sich auch daraus, dass es sich um eine Prognoseentscheidung im Bereich der Gefahrenabwehr handele, hinsichtlich derer der Behörde eine [X.] eingeräumt sei. Gehe das Gericht hingegen auch im Hinblick auf die Neuregelung davon aus, dass die Entscheidung hinsichtlich der Sicherheitsüberprüfung der beschränkten gerichtlichen Kontrolle unterliege und halte es weitere Teile des betreffenden Verwaltungsvorgangs für entscheidungserheblich, so werde der [X.] hinsichtlich dieser weiteren Verwaltungsvorgänge eine Sperrerklärung des [X.]kanzleramts vorlegen.

Der Vertreter des [X.]interesses beim [X.]verwaltungsgericht beteiligt sich nicht am Verfahren.

II

Gemäß § 86 Abs. 1 und § 99 Abs. 1 VwGO ist der Beklagten die (vollständige) Vorlage derjenigen Aktenbestandteile aufzugeben, aus denen sich die von ihr angenommenen tatsächlichen Anhaltspunkte für ein Sicherheitsrisiko [X.] § 5 und § 14 Abs. 3 des Gesetzes über die Voraussetzungen und das Verfahren von Sicherheitsüberprüfungen des [X.] - Sicherheitsüberprüfungsgesetz - ([X.]) vom 20. April 1994 ([X.]), zuletzt geändert durch Art. 4 des Gesetzes vom 5. Juli 2021 ([X.]), bei einer Tätigkeit des [X.] beim [X.] ergeben. Die Vorlage dieser Aktenbestandteile ist für eine Entscheidung im vorliegenden Verfahren entscheidungserheblich, weil der Senat nur so über das Rechtsschutzbegehren des [X.] befinden kann.

Der Beklagten ist zwar zuzugeben, dass die Einräumung eines behördlichen Beurteilungsspielraums bei der Entscheidung über das Vorliegen eines [X.] im Hinblick auf die Sachgesetzlichkeit des [X.] naheliegt. Denn die anzustellende Prognose setzt einen "Akt wertender Erkenntnis" voraus, der von der fachlichen [X.] des [X.] geprägt ist und - geheim zu haltende - Kenntnisse von der Einstellungspraxis des [X.] voraussetzt. Sie kann von einem Gericht - auch unter Zuhilfenahme eines Sachverständigen - nicht ersetzt werden. Auch die seit dem Beschluss des Senats vom 17. September 2015 - 2 A 9.14 - (BVerwGE 153, 36) beschlossenen Änderungen des Sicherheitsüberprüfungsgesetzes lassen ein behördliches Letztentscheidungsrecht des [X.] aber nicht hinreichend klar erkennen. Auch nach den im Entscheidungszeitpunkt geltenden Vorschriften des Sicherheitsüberprüfungsgesetzes hat das [X.]verwaltungsgericht als das nach § 50 Abs. 1 Nr. 4 VwGO zuständige Gericht die Entscheidung des [X.], eine etwaige Tätigkeit des [X.] beim [X.] begründe ein Sicherheitsrisiko [X.] § 5 Abs. 1 [X.], grundsätzlich zu überprüfen. Dem [X.] steht insoweit kein gerichtlich nicht [X.] zu.

Nach den Vorgaben des [X.]verfassungsgerichts muss sich eine die Gerichte bindende behördliche Letztentscheidungsbefugnis ausdrücklich aus dem Gesetz ergeben oder jedenfalls durch Auslegung hinreichend deutlich zu ermitteln sein ([X.], Beschluss vom 31. Mai 2011 - 1 BvR 857/07 - [X.]E 129, 1 <22>, Kammerbeschlüsse vom 8. Dezember 2011 - 1 BvR 1932/08 - NVwZ 2012, 694 Rn. 24 und vom 9. November 2022 - 1 BvR 2263/21 - NVwZ-RR 2023, 121 = juris jeweils Rn. 26). Entgegen der Auffassung der Beklagten sind diese Voraussetzungen hinsichtlich der Entscheidung, die Beschäftigung einer bestimmten Person beim [X.] begründe ein Sicherheitsrisiko nach § 5 [X.], nicht erfüllt.

Weder aus der Neuregelung des § 14 Abs. 4 Satz 2 [X.] durch das Erste Gesetz zur Änderung des Sicherheitsüberprüfungsgesetzes vom 16. Juni 2017 ([X.]) noch aus den sonstigen Bestimmungen des Gesetzes ergibt sich ausdrücklich, dass die Feststellung eines [X.] durch die zuständige Stelle für Gerichte bindend sein oder für diese Feststellung und den dadurch zugleich bewirkten sicherheitsrechtlichen [X.] ein Letztentscheidungsrecht der Exekutive bestehen soll. Der Neuregelung kann auch nicht im Wege der Auslegung hinreichend deutlich entnommen werden, dass der Gesetzgeber der mit der Sicherheitsüberprüfung für Bewerber bei Nachrichtendiensten betrauten Stelle ein gerichtlich nicht [X.] einräumen wollte.

Zwar schafft die Neuregelung des § 14 Abs. 4 Satz 2 [X.], wonach die Unterrichtung für Bewerberinnen und Bewerber bei den Nachrichtendiensten des [X.] sowie für Personen im Sinne des § 3 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 [X.] unterbleibt, neben der bereits in § 6 Abs. 1 Satz 4 [X.] geregelten Ausnahme von der Anhörungspflicht des betroffenen Bewerbers bei Nachrichtendiensten und dem ihm gegenüber bestehenden, nicht zu begründenden Auskunftsverweigerungsrecht (§ 23 Abs. 3 Nr. 2 und Abs. 4 Satz 1 [X.]) eine weitere verfahrensrechtliche Ausnahme. Denn die - negative wie positive - Entscheidung über die Sicherheitsüberprüfung ist dem Betroffenen danach nicht mitzuteilen. Damit sind indes nur Regelungen zum Verwaltungsverfahren getroffen. Ein gerichtlich nicht [X.] hinsichtlich der materiellen Entscheidung über das Vorliegen eines [X.] ist der Behörde aber nicht eingeräumt.

Auch die Gesetzesmaterialien bieten keine Anhaltspunkte für ein weitergehendes Verständnis der Neuregelung; insbesondere sind auch der Begründung des [X.] zur Neufassung des § 14 Abs. 4 [X.] ([X.]. 18/11281 [X.]) keine Hinweise auf ein Letztentscheidungsrecht der Behörde zu entnehmen. In Bezug auf den neuen Satz 2 wird lediglich ausgeführt, die Regelung trage dem Umstand Rechnung, dass ausländische Nachrichtendienste immer wieder versuchten, durch gesteuerte Bewerbungen den Erkenntnisstand der Nachrichtendienste und deren Einstellungspraktiken auszuforschen. Die von der Beklagten im gerichtlichen Verfahren für die Annahme eines solchen behördlichen Letztentscheidungsrechts vorgebrachten Erwägungen - allein bei Annahme eines behördlichen Letztentscheidungsrechts habe § 14 Abs. 4 Satz 2 [X.] einen eigenständigen Regelungsgehalt und der Gesetzgeber habe durch die Regelung eines solchen Letztentscheidungsrechts ein aufwändiges und für den Betroffenen regelmäßig negativ ausfallendes In-Camera-Verfahren nach § 99 VwGO vermeiden wollen - haben in der Begründung des [X.] keinen Niederschlag gefunden. Wenn es Absicht des Gesetzgebers gewesen wäre, über die bestehende Rechtslage hinauszugehen und sich für ein Letztentscheidungsrecht der Behörde auszusprechen, so hätte es nahegelegen, diese weitreichende Entscheidung zumindest in den Gesetzesmaterialien deutlich werden zu lassen.

Danach dürfte die Neuregelung des § 14 Abs. 4 Satz 2 [X.] dem Zweck dienen, das vom Senat im Beschluss vom 17. September 2015 - 2 A 9.14 - (BVerwGE 153, 36 Rn. 34 f.) zu § 14 Abs. 4 [X.] a. F. angenommene Auslegungsergebnis, wonach bei Bewerbern bei Nachrichtendiensten die Ablehnung nicht zu begründen ist, klarstellend in das Gesetz aufzunehmen.

Aus den bisher dem Gericht vom [X.] vorgelegten Akten lässt sich nicht eindeutig entnehmen, worin die tatsächlichen Anhaltspunkte bestehen, aus denen der [X.] die Annahme eines [X.] [X.] § 5 [X.] im Falle einer Beschäftigung des [X.] im Geschäftsbereich des [X.] ableitet. Für die Entscheidung über den sachdienlichen Klageantrag bedarf es daher der Vorlage der bisher dem Gericht nicht zur Verfügung gestellten Teile der Unterlagen des [X.].

Meta

2 A 2/22

12.01.2023

Bundesverwaltungsgericht 2. Senat

Beschluss

Sachgebiet: A

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 12.01.2023, Az. 2 A 2/22 (REWIS RS 2023, 10286)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 10286

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

2 A 9/14 (Bundesverwaltungsgericht)

Beurteilungsspielraum der zuständigen Stelle bei der Sicherheitsüberprüfung gemäß §§ 5 und 14 Abs. 3 SÜG


20 F 14/23 (Bundesverwaltungsgericht)

Reicheweite der Vorlageverweigerung bei Sicherheitsüberprüfungsakten


2 A 2/16, 2 A 2/16 (2 A 9/14, 20 F 1/16) (Bundesverwaltungsgericht)

Beweislast des Einstellungsbewerbers nach rechtmäßig verweigerter Aktenvorlage zu angenommenem Sicherheitsrisiko


2 A 1/12 (Bundesverwaltungsgericht)

Mitwirkungspflicht bei der Wiederholung der Sicherheitsüberprüfung beim BND beschäftigter Beamter; zum Gehalt des Gebots zum …


2 L 2794/22 (Verwaltungsgericht Düsseldorf)


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

1 BvR 2263/21

1 BvR 1932/08

1 BvR 857/07

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.