Bundesfinanzhof, Beschluss vom 23.08.2011, Az. VII B 8/11

7. Senat | REWIS RS 2011, 3818

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Gegenstand

Aufrechnung mit vorinsolvenzlichen Steuerforderungen gegen einen aus freigegebener gewerblicher Tätigkeit entstandenen Umsatzsteuervergütungsanspruch des Insolvenzschuldners - Kein "Durchgangserwerb durch die Masse"


Leitsatz

NV: Hat der Insolvenzverwalter dem Insolvenzschuldner eine gewerbliche Tätigkeit durch Freigabe aus dem Insolvenzbeschlag ermöglicht, fällt ein mit dieser Tätigkeit zusammenhängender Umsatzsteuervergütungsanspruch nicht in die Insolvenzmasse und kann vom FA mit vorinsolvenzlichen Steuerschulden verrechnet werden .

Tatbestand

1

I. Über das Vermögen der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) wurde in 2002 das Insolvenzverfahren eröffnet. Ihren bisherigen Gewerbebetrieb meldete die Klägerin daraufhin ab, gründete aber mit Zustimmung des Insolvenzverwalters ein neues Unternehmen. Der Insolvenzverwalter gab gegenüber dem Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt --[X.]--) an, dass die Klägerin über die Einnahmen aus ihrer neuen selbstständigen Tätigkeit verfügen könne, da eine Abtretung für die den [X.] übersteigenden Beträge vorliege. Außerdem erklärte er sowohl dem [X.] als auch der Klägerin, dass es sich bei dem neuen Gewerbebetrieb um insolvenzfreies Vermögen handele.

2

Aus den die neue selbstständige Tätigkeit betreffenden Umsatzsteuervoranmeldungen für August und Oktober 2003 ergaben sich [X.] von insgesamt … €, die das [X.] mit Umsatzsteuerschulden der Klägerin aus ihrer Tätigkeit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens verrechnete und worüber es auf Antrag der Klägerin einen entsprechenden Abrechnungsbescheid erteilte.

3

Die hiergegen nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage wies das [X.] ([X.]) ab. Es urteilte, ein Aufrechnungsverbot habe nicht bestanden, weil die Erstattungsansprüche der Klägerin nicht zur Insolvenzmasse, sondern zum insolvenzfreien Vermögen der Klägerin gehörten. Zum einen habe die Klägerin keine zur Insolvenzmasse gehörenden Gegenstände für ihr neues Unternehmen verwendet, weil solche Gegenstände bereits frühzeitig vom Insolvenzverwalter verwertet gewesen seien. Außerdem habe dieser nach den von ihm abgegebenen Erklärungen den neuen Gewerbebetrieb der Klägerin bereits zu Beginn des Insolvenzverfahrens freigegeben. Damit sei dieser aus der Insolvenzmasse ausgeschieden mit der Folge, dass auch mit diesem Unternehmen erworbene Vermögensgegenstände und Forderungen nicht vom [X.] erfasst worden seien.

4

Hiergegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin, welche sie auf die Zulassungsgründe der Fortbildung des Rechts, der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung sowie des [X.] (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 und 3 der [X.]sordnung --[X.]O--) stützt.

Entscheidungsgründe

5

II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe z.T. nicht schlüssig dargelegt sind, wie es § 116 Abs. 3 Satz 3 [X.]O verlangt, jedenfalls aber nicht vorliegen.

6

1. Der beschließende Senat hat bereits entschieden, dass [X.] des Insolvenzschuldners, welche dieser im Rahmen einer aus dem [X.] freigegebenen gewerblichen Tätigkeit erworben hat, nicht in die Insolvenzmasse fallen und somit keine insolvenzrechtlichen [X.]e einer vom Finanzamt erklärten Aufrechnung gegen solche Ansprüche mit vorinsolvenzlichen Steuerforderungen entgegenstehen (Senatsbeschluss vom 1. September 2010 [X.]/08, [X.], 490, [X.], 336). Von jenem Fall unterscheidet sich der Streitfall nicht, weil das [X.] die Erklärungen des Insolvenzverwalters dahin gewürdigt hat, dass dieser das neue Unternehmen der Klägerin bereits zu Beginn des Insolvenzverfahrens freigegeben hatte, woraus das [X.] geschlossen hat, dass dieses Unternehmen sowie die mit diesem erworbenen Forderungen der Klägerin von Anfang an nicht zur Insolvenzmasse gehörten.

7

Der Streitfall wirft auch keine weiteren, bisher nicht beantworteten Rechtsfragen auf, deren Klärung zur Fortbildung des Rechts erforderlich ist. Es erschließt sich nicht, weshalb das Vorliegen eines insolvenzrechtlichen [X.]s von der Frage abhängt, "was jetzt eigentlich eine Freigabe eines selbstständigen Gewerbebetriebs aus der Insolvenzmasse zivilrechtlich bewirkt und zu welchem Zeitpunkt". Soweit der Beschwerdebegründung sinngemäß die Auffassung zu entnehmen ist, dass die vom Insolvenzverwalter erklärte Freigabe einer selbstständigen Tätigkeit des Insolvenzschuldners wie eine Vorausabtretung künftiger, im Rahmen dieser neuen Tätigkeit erworbener Forderungen zu behandeln ist, diese Forderungen für eine logische Sekunde in die Insolvenzmasse fallen und damit in analoger Anwendung des § 401 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ([X.]) mit dem [X.] gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 1 der Insolvenzordnung ([X.]) verbunden bleiben, ist dieser Ansicht nicht zu folgen, was keiner Klärung in einem Revisionsverfahren bedarf. Forderungen, die während des Insolvenzverfahrens im Rahmen einer freigegebenen selbstständigen Tätigkeit erworben werden, sind dem Schuldner nicht vom Insolvenzverwalter im Voraus abgetreten. Vielmehr handelt es sich [X.] wie bei außerhalb dieser selbstständigen Tätigkeit erworbenen [X.] von Anfang an um solche des Schuldners, die keiner Abtretung von Seiten des Insolvenzverwalters bedürfen. Für die Frage, ob hinsichtlich solcher Forderungen ein von ihrem jeweiligen Schuldner zu beachtendes [X.] gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 1 [X.] besteht, kommt es nur darauf an, ob die betreffenden Forderungen zur Insolvenzmasse gehören. Bei Forderungen, die im Rahmen einer vom Insolvenzverwalter freigegebenen selbstständigen Tätigkeit erworben werden, ist dies --wie sich aus dem vorgenannten Senatsbeschluss in [X.], 490, [X.], 336 ergibt-- nicht der Fall. Solche Forderungen unterliegen ebenso wenig dem [X.] wie die für die selbstständige Tätigkeit freigegebenen Vermögensgegenstände des Insolvenzschuldners, ohne dass zuvor ein "Durchgangserwerb durch die Masse" stattfindet. Für eine analoge Anwendung der die rechtsgeschäftliche Übertragung von Forderungen betreffenden §§ 401 ff. [X.] ist daher kein Raum.

8

2. Die ordnungsgemäße Erhebung einer [X.] setzt voraus, dass der Beschwerdeführer tragende und abstrakte Rechtssätze aus dem angefochtenen Urteil des [X.] einerseits und aus den behaupteten Divergenzentscheidungen andererseits herausarbeitet und gegenüberstellt, um so eine Abweichung zu verdeutlichen (vgl. Beschlüsse des [X.] vom 12. Juli 2002 [X.]/01, [X.] 2002, 1482, und vom 11. September 2003 [X.], [X.] 2004, 180). Diesen Anforderungen wird die Beschwerde nicht gerecht. Im Übrigen ist eine Abweichung des [X.]-Urteils von den seitens der Beschwerde bezeichneten Urteilen des [X.] auch nicht erkennbar. In keiner dieser Entscheidungen ist die Rede davon, dass die mit der Freigabe einer selbstständigen Tätigkeit des Insolvenzschuldners verbundene Freigabe der durch diese Tätigkeit erworbenen Forderungen im Wege der Vorausabtretung stattfindet oder dass solche Forderungen für eine logische Sekunde in die Insolvenzmasse fallen.

9

3. Der geltend gemachte Verfahrensmangel einer Verletzung der dem [X.] von Amts wegen obliegenden Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 Satz 1 [X.]O) ist nicht schlüssig dargelegt. Die Beschwerde meint lediglich, dass das [X.] die Erklärungen des Insolvenzverwalters nicht als eindeutige Freigabe der selbstständigen Tätigkeit und der in diesem Rahmen erworbenen Forderungen hätte ansehen dürfen.

Meta

VII B 8/11

23.08.2011

Bundesfinanzhof 7. Senat

Beschluss

vorgehend Sächsisches Finanzgericht, 8. Dezember 2010, Az: 5 K 467/06, Urteil

§ 226 Abs 1 AO, § 401 BGB, § 35 InsO, § 96 Abs 1 InsO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 23.08.2011, Az. VII B 8/11 (REWIS RS 2011, 3818)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 3818

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