Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 15.03.2017, Az. 2 StR 270/16

2. Strafsenat | REWIS RS 2017, 14064

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[X.]:[X.]:[X.]:2017:150317B2STR270.16.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2
StR 270/16

vom
15. März
2017
in der Strafsache
gegen

wegen
besonders schwerer Vergewaltigung u.a.

-
2
-
Der 2. Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des [X.] und des Beschwerdeführers am
15. März
2017
gemäß §
349 Abs.
4 StPO beschlossen:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 29. Januar 2016, soweit der Angeklagte
ver-urteilt worden ist,
mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere [X.] des [X.] zurückverwiesen.

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen besonders schwerer Ver-gewaltigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, Vergewaltigung, Körperverletzung in drei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit versuchter Nötigung, Nötigung und wegen
Verstoßes
gegen das Gewaltschutzgesetz in drei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Bedrohung,
zu einer Gesamt-freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt, von denen zwei Monate als vollstreckt gelten. Im Übrigen hat es den Angeklagten freigesprochen.
Die Revision des Angeklagten gegen seine Verurteilung führt mit der Sachrüge zum Erfolg, sodass es auf die geltend gemachten Verfahrensrügen nicht mehr ankommt.

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-
3
-
I.
1. Das [X.] hat folgende Feststellungen getroffen:
a)
An einem nicht mehr näher bestimmbaren Tag Ende des Jahres 2012 schlug der Angeklagte der
Nebenklägerin, seiner
damaligen
Ehefrau, in der Ehewohnung in [X.]

im Rahmen eines zunächst verbal geführten Streits mit
der flachen Hand ins Gesicht und riss an ihren Haaren, wodurch die Geschädig-te
nicht unerhebliche Schmerzen erlitt
(Fall
1).
Anschließend
zerrte der Angeklagte die Nebenklägerin, die weder eine Jacke trug
noch Geld oder Wohnungsschlüssel bei sich hatte, aus der [X.]. Er
ließ sie in diese nicht mehr hinein, sodass sie
die Nacht im [X.] auf einem Spielplatz verbringen musste
(Fall
2).
b)
An einem nicht mehr näher bestimmbaren Tag in den ersten beiden Monaten des Jahres 2013 näherte sich der Angeklagte in der Absicht, mit ihr den Geschlechtsverkehr zu vollziehen,
der Nebenklägerin, als diese
auf einem Gebetsteppich in der Ehewohnung betete.
Er zog ihr dazu ihr Gewand nach oben
und ihre Shorts herunter. Den Versuch der Nebenklägerin, sich von dem Angeklagten zu entfernen, unterband dieser, indem er sie an einer Brust fest-hielt. Als die Nebenklägerin den Wunsch des
Angeklagten
zurückwies, mit ihr den Geschlechtsverkehr zu vollziehen, ergriff er ihre
Arme, drehte sie um und zog sie auf die
Knie. Als sie
versuchte,
den Angeklagten wegzustoßen, hielt dieser sie
unterhalb der Brust umklammert, um so ihren Widerstand zu brechen und dann mit seinem Penis in den After der Nebenklägerin einzudringen. Wäh-rend dessen
riss er an ihren Haaren, bis die Nebenklägerin schließlich keinen Widerstand mehr leistete. Der Angeklagte vollzog den Analverkehr bis zum Samenerguss.
Die Nebenklägerin erlitt durch den Vorfall Verletzungen am Af-3
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4
-
ter, die unmittelbar nach dem Vorfall sowie in den folgenden Tagen bluteten und nicht unerhebliche Schmerzen verursachten
(Fall
3).
c)
Als der Angeklagte ein bis drei Tage vor dem 5. April 2013 nachts nach [X.] kam, weckte er die Nebenklägerin und forderte
sie auf, mit ihm den Geschlechtsverkehr zu vollziehen. Nachdem
die
Nebenklägerin
dies abgelehnt hatte, verließ er zunächst das Schlafzimmer, kam jedoch 15 bis 20 Minuten später zurück,
zog der Nebenklägerin, die auf dem Bauch lag, Shorts und Slip herunter und legte sich
mit seinem Oberkörper über sie, sodass sie nur noch ihre Füße bewegen konnte. Dennoch versuchte sie
aufzustehen, was ihr jedoch wegen des Gewichts des Angeklagten nicht gelang. Sodann führte der Ange-klagte eine brennende Zigarette jeweils einmal gegen jede Gesäßbacke der Nebenklägerin, wodurch diese Brandverletzungen erlitt. Der Angeklagte fragte sie daraufhin, warum sie nicht mit ihm schlafe,
und erklärte, dass es "[X.] im Gesicht" sein werde. Er erkannte dabei, dass die Nebenklägerin
nicht unerhebliche Schmerzen hatte und zog sie, nachdem er ihren Widerstand überwunden hatte, auf die Knie, drang anal in sie ein und vollzog den [X.] bis zum Samenerguss. Sie
erlitt dabei insbesondere im Anal-bereich Schmerzen und blutete noch etwa eine Stunde nach dem Vorfall
(Fall
4).
d)
In Eskalation eines Streites in der Ehewohnung am 5.
April 2013
stieß der Angeklagte den Kopf der Nebenklägerin heftig gegen eine Wand, sodass die
Geschädigte
zu Boden ging. Daraufhin hielt er sie an den
Haaren fest und zog ihren Kopf
an der Zimmerwand entlang, wobei er sagte "ich mache Dir Dein Gesicht kaputt". Die Nebenklägerin erlitt Schürfwunden in der linken [X.],
eine Schädelprellung sowie Prellungen beider Oberschenkel und der linken Schulter.
Durch
eine Nachbarin alarmierte Polizeibeamte sprachen ge-gen den Angeklagten daraufhin ein zehntägiges Rückkehrverbot aus
(Fall
5).
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5
-
e)
Am 7.
März 2013 (richtig: 7.
Mai 2013) wartete der Angeklagte vor dem Frauenhaus in der G.

in [X.]

, in welches die Nebenkläge-
rin
am 3.
Mai 2013 verzogen war, auf sie und forderte sie
auf,
als sie das Haus verließ, die Strafanzeige gegen ihn zurückzunehmen. Zugleich kündigte er ihr an, er werde ihr Gesicht und ihr Leben kaputtmachen. Schließlich schlug er ihr, als sie davon lief,
mit dem Handrücken ins Gesicht
(Fall
6).
f)
Unter bewusster Missachtung
einer ihm am 16.
Mai 2013 zugestellten einstweiligen Anordnung nach dem Gewaltschutzgesetz, die ihm
u.a. untersag-te, sich der Nebenklägerin weniger als 20
Meter zu nähern, ihr aufzulauern, oder
ein Zusammentreffen mit ihr herbeizuführen, fuhr der Angeklagte am 21.
Mai 2013, als die Nebenklägerin das Frauenhaus verließ, mit seinem Pkw neben ihr her und rief ihr durch das geöffnete Fenster des Kraftfahrzeuges zu,
dass er sie kaputtmachen und umbringen werde
(Fall
7).
g)
Als der Angeklagte am 23.
August 2013 im Jobcenter in der V.

in [X.]

auf die Nebenklägerin traf, folgte er ihr bis zu einer Bushalte-
stelle und versuchte, mit ihr ins Gespräch zu
kommen, obwohl er
wusste, dass ihm dies durch die
in den mündlichen Verhandlungen vom 23.
Juli 2013 und 30.
Juli 2013 aufrechterhaltene
Anordnung vom 16.
Mai 2013 untersagt war. Nachdem
die Nebenklägerin ihn ignorierte, stieg er mit ihr in den Bus
und folgte ihr, nachdem
sie wieder ausgestiegen war, bis sie
in eine Gaststätte flüchten konnte
(Fall
8).
h)
Als die Nebenklägerin einige [X.] nach dem Vorfall vom 23.
August 2013 an einer Bushaltestelle in der Nähe eines Einkaufsmarktes in [X.]

auf
den Bus wartete, ging der Angeklagte auf sie zu, obwohl ihm weiterhin [X.] war, Kontakt zur Nebenklägerin aufzunehmen. Sie lief davon, der Ange-9
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klagte folgte ihr
und erklärte, er könne sie überall finden, "[X.] war es eine Zigarette, jetzt mache ich
das mit Benzin"
(Fall
9).
2. Von dem Vorwurf, die Geschädigte im Dezember 2012 [X.] körperlich misshandelt und vergewaltigt und zwischen Februar und April 2013 die Nebenklägerin erneut vergewaltigt zu haben, hat das [X.] den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen freigesprochen.
3. Das [X.] hat die Verurteilung des Angeklagten, der sich in der Hauptverhandlung zu den Tatvorwürfen nicht geäußert hat, maßgeblich auf die Aussage der Nebenklägerin gestützt.
Es ist
dabei von deren
Aussagetüchtigkeit und der Glaubhaftigkeit ihrer Aussage ausgegangen.

II.
Die Beweiswürdigung des [X.] hält sachlich-rechtlicher Prüfung nicht stand. Zwar ist die Beweiswürdigung grundsätzlich allein Aufgabe des Tatrichters; das Revisionsgericht kann nicht eine eigene
Würdigung an die [X.] von dessen Bewertungen setzen, wenn diese Rechtsfehler nicht erkennen lassen. Solche Rechtsfehler liegen aber vor, wenn die in den Urteilsgründen wiedergegebene Beweiswürdigung des Tatrichters lückenhaft, unklar, wider-sprüchlich oder mit den Denkgesetzen nicht vereinbar ist (st. Rspr.; [X.], [X.] vom 11.
Februar 2016 -
3
StR 436/15 und vom 14.
Dezember 2011 -
1
StR 501/11, [X.], 148, 149
jew. mwN),
wenn sie sich auf nicht existieren-de Erfahrungssätze stützt (Senat, Beschluss vom 18.
Juni 2008 -
2
StR 225/08
-
juris Rn.
5) oder sie nicht den
an besondere Beweiskonstellationen zu stellenden Anforderungen genügt.
Ein solcher Fall ist hier gegeben.
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16
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7
-
1.
Die Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben der Nebenklägerin stützt das [X.] an maßgeblichen Stellen auf zweifelhafte oder unklar bleibende Erfahrungssätze.
a) Im Rahmen der Erörterung einer möglichen Motivation für eine Falschaussage sieht es
keinen Anlass, der geeignet wäre, die Nullhypothese einer intentionalen Falschaussage zu stützen. Das Ziel, ein eigenes Aufent-
,
und vermag daher aus Sicht der [X.] die Falschbelastungshypothese nicht zu unterlegen. [X.] wird dies insbesondere mit der Erwägung, es hätte nicht der Schilde-rung eines derart vielschichtigen Geschehens, namentlich der Vorwürfe [X.], bedurft, um den Angeklagten gegenüber dem Ausländeramt zu dis-kreditieren. Vielmehr wäre es, wenn es der Nebenklägerin nur darum gegangen
Diese Überlegungen der [X.] gehen von einer Wertung
einer mögli-chen Falschaussage als

i-nem allgemeinen nachvollziehbaren Maßstab fehlt. Sie wird
auch nicht durch die Erwägung getragen, es sei zu erwarten gewesen, dass im Falle einer [X.] Aufenthaltserlangung durch Falschangaben lediglich ein oder zwei leichter zu reproduzierende Vorwürfe erhoben worden wären. Das [X.] beruft sich insoweit auf einen
Erfahrungssatz, für dessen Existenz es einen tragfähigen Nachweis schuldig bleibt.
b) Einen zweifelhaften Erfahrungssatz legt die [X.] auch an an-derer Stelle ihrer Beweiswürdigung zugrunde. So legt sie dar, die Nebenkläge-rin habe im Rahmen ihrer ermittlungsrichterlichen Vernehmung hinsichtlich der Vergewaltigung auf dem Gebetsteppich von Vaginalverkehr, in der Hauptver-17
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8
-
handlung hingegen von [X.] gesprochen. Aussagekonstanz erach-tet das [X.] ungeachtet dieses Widerspruchs gleichwohl für gegeben, weil es in einer solchen Stresssituation (lang andauernde Vernehmung der emotional stark belasteten Nebenklägerin im Beisein eines männlichen Dolmet-s-nn eine Zeugin eine genaue Zuordnung des Eindringens von hinten im Sinne von erzwungenem Vaginal-

Mit dieser nicht nachvollziehbaren Überlegung kann eine Inkonstanz der Aussagen in einem wesentlichen Punkt nicht
dementiert werden.
2. Die Beweiswürdigung der [X.] ist auch widersprüchlich.

t-i-nen, durch [X.]ablauf
bedingten Erinnerungsverlust, einem Prozess motivierten Vergessens sowie der Aufregung
der Zeugin
im Rahmen der Vernehmung in einem Gerichtssaal. Ungeachtet dessen, dass eine verstärkte Heranziehung solch allgemeiner Grundsätze bei der Würdigung einer konkreten Zeugenaus-sage die Besorgnis begründen kann,
der Tatrichter habe
die Bedeutung des t
(vgl. [X.], Urteil vom
27.
Februar 2013 -
2
StR 206/12
-
juris
Rn.
18), stehen diese Ausführungen im Widerspruch zu der an anderer Stelle getroffenen Feststellung, die Schilderun-

Wie sich dem Senat ohne nähere Erörterung nicht.
3. Die Beweiswürdigung genügt schließlich nicht den Anforderungen, die der [X.] für besonders problematische Beweiskonstellationen 20
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9
-
aufgestellt hat, in denen Aussage gegen Aussage steht. Die [X.] setzt sich im Rahmen der Bewertung
der Glaubhaftigkeit der Aussage der Nebenklä-gerin nicht mit dem Umstand auseinander, dass sie
in der Hauptverhandlung zwei Vorwürfe der sexuellen Nötigung nicht aufrechterhalten hat, so dass der Angeklagte aus tatsächlichen Gründen insoweit freigesprochen wurde.
Insoweit
lassen die Urteilsgründe eine Darstellung, warum die Zeugin die Anwendung von Gewalt in der Hauptverhandlung nicht mehr schildert, [X.].
Die Sache
bedarf daher insgesamt neuer tatrichterlicher Prüfung.
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
Eine Verurteilung nach § 4 Satz 1 GewSchG wegen einer Zuwiderhand-lung gegen eine Anordnung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 GewSchG setzt
voraus, dass das Strafgericht die materielle Rechtmäßigkeit der Anordnung
überprüft und dabei deren tatbestandliche Voraussetzungen eigenständig feststellt ([X.], 23
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10
-
Beschluss vom 28.
November 2013 -
3 StR 40/13, [X.]St 59, 94). Überdies empfiehlt es sich, in der Sachverhaltsdarstellung die Anordnungen des Famili-engerichtes konkret
darzustellen.
[X.] Bartel

Wimmer Grube

Meta

2 StR 270/16

15.03.2017

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 15.03.2017, Az. 2 StR 270/16 (REWIS RS 2017, 14064)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 14064

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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3 StR 40/13

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