Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 25.03.2010, Az. 1 WB 28/09

1. Wehrdienstsenat | REWIS RS 2010, 7978

© Bundesverwaltungsgericht, Foto: Michael Moser

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Wehrbeschwerdeverfahren; Besorgnis der Befangenheit eines ehrenamtlichen Richters


Leitsatz

1. Die "organisatorische Nähe" des von einem ehrenamtlichen Richter geleiteten Referats zu dem im Verfahren im Auftrag des Bundesministers der Verteidigung mitwirkenden Prozessreferat rechtfertigt nicht die Annahme, der ehrenamtliche Richter sei gegenüber dem Antragsteller befangen.

2. Der Umstand, dass ein als ehrenamtlicher Richter herangezogener Soldat dem Abteilungsleiter unterstellt ist, dessen Entscheidung Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung ist, lässt bei der erforderlichen objektiven Betrachtung für sich allein nicht den Schluss zu, dieser ehrenamtliche Richter werde in der Sache nicht unparteilich, unvoreingenommen oder unbefangen entscheiden.

Tatbestand

Mit gerichtlichem Schreiben vom 24. Februar 2010 wurde Oberst [X.] als [X.] für eine Sitzung des [X.] herangezogen. Daraufhin teilte er Folgendes mit:

"...

Ergänzend mache ich rein vorsorglich darauf aufmerksam, dass ich [X.] als Leiter des Referats [X.] in organisatorischer Nähe zum Referat [X.] als Vertreter der Beklagtenseite befinde.

Das Referat [X.] ist zuständig für Teilbereiche der Themen Personallage und Personalstruktur, Personalorganisation, Personalbewirtschaftung und Grundsatzangelegenheiten von [X.] und Reservisten. Ich bin mit den zu verhandelnden Fällen nicht persönlich befasst, kenne keine Einzelheiten der zugrundeliegenden Sachverhalte und halte [X.] daher persönlich auch nicht für befangen."

Der Senat hat die Selbstanzeige als nicht begründet qualifiziert.

Entscheidungsgründe

3

Oberst [X.] ist weder kraft Gesetzes von der Ausübung des Amtes als [X.] ausgeschlossen noch hat er mit seinem Schreiben vom 4. März 2010 von einem Verhältnis Anzeige gemacht, das seine Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit rechtfertigt.

4

Über die Ausschließung und Ablehnung von [X.] ist im Antragsverfahren vor den [X.] nach den entsprechend anwendbaren Vorschriften des § 54 VwGO i.V.m. §§ 41 bis 49 ZPO zu entscheiden (vgl. Beschlüsse vom 6. März 2008 - BVerwG 1 [X.] 41.07 - und vom 11. August 2008 - BVerwG 1 [X.] 39.08, 1 [X.] 40.08, 1 [X.] 41.08, 1 [X.] 44.08, 1 [X.] 45.08 - jeweils m.w.N.).

5

Die durch das Gesetz zur Änderung wehrrechtlicher und anderer Vorschriften (Wehrrechtsänderungsgesetz 2008) vom 31. Juli 2008 ([X.] 1629) in die Wehrbeschwerdeordnung eingefügte und am 1. Februar 2009 in [X.] getretene Bestimmung des § 23a [X.]O hat daran nichts geändert. § 23a Abs. 2 [X.]O ordnet für die gerichtlichen Antragsverfahren nach §§ 17, 21, 22 sowie §§ 22a und 22b [X.]O n.F. ausdrücklich die entsprechende Anwendung der Vorschriften der Verwaltungsgerichtsordnung (und des Gerichtsverfassungsgesetzes) an, soweit nicht die Eigenart des Beschwerdeverfahrens entgegensteht. § 23a Abs. 2 VwGO stellt hinsichtlich der Ausschließung und Ablehnung von [X.] die speziellere Regelung dar, die der allgemeinen Verweisung auf die Vorschriften der Wehrdisziplinarordnung durch § 23a Abs. 1 VwGO vorgeht; die letztgenannte Vorschrift konzentriert - gerade auch für den Bereich möglicher Befangenheit - ihren Geltungsbereich auf das vorgerichtliche Beschwerdeverfahren vor dem Disziplinarvorgesetzten (vgl. [X.], [X.]O, 5. Aufl. 2009, § 23a Rn. 2; ebenso: Beschluss vom 26. Mai 2009 - BVerwG 1 [X.] 48.07 - BVerwGE 134, 59 = [X.] 449 § 2 SLV 2002 Nr. 14). Soweit die Verwaltungsgerichtsordnung keine bundeswehrspezifischen Regelungen für den Ausschluss von der Ausübung des [X.] enthält, gilt gemäß § 23a Abs. 1 [X.]O außerdem § 77 [X.] in entsprechender Anwendung (Beschluss vom 11. August 2008 - BVerwG 1 [X.] 39.08, 1 [X.] 40.08, 1 [X.] 41.08, 1 [X.] 44.08, 1 [X.] 45.08 -).

6

Ein Ausschließungsgrund liegt nicht vor.

7

Nach dem Inhalt der vorgelegten Akten sind in der Person des Oberst [X.] keine gesetzlichen Ausschließungsgründe nach § 54 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 41 ZPO, nach § 54 Abs. 2 VwGO oder nach § 77 [X.] gegeben. Auch die vom Gericht angehörten Verfahrensbeteiligten machen Ausschließungsgründe im Sinne dieser Vorschriften nicht geltend.

8

Ferner sind keine Gründe ersichtlich oder vorgetragen, die gemäß § 54 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 42 ZPO eine Ablehnung von Oberst [X.] wegen Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen könnten.

9

Wegen Besorgnis der Befangenheit findet die Ablehnung statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines (ehrenamtlichen) Richters zu rechtfertigen (§ 42 Abs. 2 ZPO). Ein solcher Grund kann sich - unter anderem - aus besonderen Beziehungen des Richters zu einem Verfahrensbeteiligten oder aus seinem persönlichen Verhalten im Hinblick auf den Verfahrensgegenstand ergeben; maßgeblich ist, ob [X.] bei verständiger Würdigung den Eindruck erweckt, er werde dem Antragsteller gegenüber möglicherweise eine nicht unvoreingenommene innere Haltung einnehmen (vgl. [X.], [X.]O, 5. Aufl. 2009, § 18 Rn. 13 m.w.N.).

Die "organisatorische Nähe" des von Oberst [X.] geleiteten Referats [X.] zu dem im vorliegenden Verfahren im Auftrag des [X.] mitwirkenden ([X.] [X.] rechtfertigt hiernach nicht die Annahme, Oberst [X.] sei gegenüber dem Antragsteller befangen. Ausschließlich strukturell bedingte Nähe-Aspekte begründen nach Wortlaut und Schutzzweck der im vorliegenden Verfahren zu beachtenden Normen über die Ausschließung und Befangenheit für sich allein nur dann die - unwiderlegliche - Vermutung fehlender Unparteilichkeit eines (ehrenamtlichen) Richters, wenn dieser bei dem vorausgegangenen Verwaltungsverfahren mitgewirkt hat oder Disziplinarvorgesetzter des Antragstellers ist, in dieser Funktion oder als Vertrauensperson im Verfahren des Antragstellers tätig war oder Angehöriger desselben Bataillons oder Truppenteils bzw. derselben Dienststelle wie der Antragsteller ist. Insoweit enthalten § 54 Abs. 2 VwGO und § 77 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 1, Nr. 2 und 3 [X.] abschließende [X.], die einer erweiternden Interpretation z.B. bei anderen strukturell bedingten Nähebeziehungen nicht zugänglich sind (vgl. auch [X.], in: [X.]/[X.]/[X.], VwGO, Stand Juli 2009, § 54 Rn. 17, 23 f. m.w.N.).

Andere strukturell bedingte Nähebeziehungen können nur dann die Ausübung des Richteramtes in Frage stellen, wenn zusätzlich individuelle Befangenheitsaspekte ersichtlich sind oder von den Verfahrensbeteiligten geltend gemacht werden. Das ist hinsichtlich der Person von Oberst [X.] nicht der Fall.

Die Tatsache, dass im vorliegenden Verfahren unter anderem die auf Empfehlung des [X.] ergangene Entscheidung des Leiters der Abteilung [X.] im [X.] vom 6. November 2008 Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung ist, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Der Umstand, dass ein als [X.] [X.] Soldat dem Abteilungsleiter [X.] unterstellt ist, lässt bei der erforderlichen objektiven Betrachtung für sich allein nicht den Schluss zu, [X.] werde in der Sache nicht unparteilich, unvoreingenommen oder unbefangen entscheiden (vgl. dazu im Einzelnen: Beschluss vom 24. Februar 1993 - BVerwG 1 [X.] 59.92 - [X.] 1993, 205). Die auch zu diesem Gesichtspunkt vom Gericht angehörten Beteiligten des Verfahrens haben insoweit ebenfalls keine Bedenken gegen die Mitwirkung des Oberst [X.] geltend gemacht.

Meta

1 WB 28/09

25.03.2010

Bundesverwaltungsgericht 1. Wehrdienstsenat

Beschluss

Sachgebiet: WB

§ 23a Abs 1 WBO, § 23a Abs 2 WBO, § 77 Abs 2 Nr 1 Alt 1 WDO 2002, § 77 Abs 2 Nr 2 WDO 2002, § 77 Abs 2 Nr 3 WDO 2002, § 54 Abs 1 VwGO, § 54 Abs 2 VwGO, § 42 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 25.03.2010, Az. 1 WB 28/09 (REWIS RS 2010, 7978)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 7978

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

1 WB 12/17 (Bundesverwaltungsgericht)

Selbstanzeige des ehrenamtlichen Richters; Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit


1 WB 13/17 (Bundesverwaltungsgericht)

Selbstanzeige des ehrenamtlichen Richters; Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit


1 WB 27/20 (Bundesverwaltungsgericht)


1 WB 6/22 (Bundesverwaltungsgericht)

Unbegründete Selbstanzeige eines ehrenamtlichen Richters


1 WB 46/22, 1 W-VR 15/22, 1 WB 46/22, 1 W-VR 15/22 (Bundesverwaltungsgericht)

Ablehnungsgesuch im Hinblick auf die Entscheidung des 1. Wehrdienstsenats 1 WB 2/22, 1 WB 5/22


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.