Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 22.01.2013, Az. XI ZR 471/11

XI. Zivilsenat | REWIS RS 2013, 8817

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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
XI ZR 471/11
vom
22. Januar 2013
in dem Rechtsstreit

-
2
-
Der XI. Zivilsenat des [X.] hat durch [X.] [X.], [X.], [X.] und Dr.
Matthias sowie die Richterin Dr. Menges

am 22.
Januar 2013

beschlossen:

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin wird das Urteil des 16.
Zivilsenats des [X.] vom 17.
Oktober 2011
aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens, an den 23.
Zivilsenat des Berufungsgerichts
zurückverwiesen.
Streitwert: 212.745,68

.

Gründe:
I.
Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass sie der beklagten Sparkasse nicht zum Ausgleich eines
(kausalen negativen) Saldos nach Beendigung eines Kontokorrents aufgrund Girovertrags verpflichtet sei.
Die Klägerin unterhielt bei der Beklagten ein Girokonto, über das sie ne-ben "privaten"
(gemeint wohl: der privaten Lebensführung gewidmeten) Ein-nahmen und Ausgaben über Jahre hinweg auch [X.] ab-1
2
-
3
-
wickelte. Bei der Durchführung dieser Geschäfte, bei denen es sich der Sache nach um [X.] mit der Beklagten auf das Verhältnis des [X.] zum [X.] Yen handelte, ließ sich die Klägerin durch ihren Ehemann, früher zeitweilig [X.] an der [X.], vertreten.
Da die Klägerin nicht bereit war, der Forderung der Beklagten nach der Erhöhung von Sicherheiten zu entsprechen, kündigte die Beklagte die "Ge-schäftsverbindung"
mit Schreiben vom 27.
Januar 2009
fristlos und rechnete zu ihren Gunsten 212.745,68

wegen arglistiger Täuschung über die Risiken der Geschäfte an.
Ihre mit Gegenansprüchen begründete negative Feststellungsklage ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben. Zur Begründung hat das Berufungsge-richt im Wesentlichen ausgeführt, ein Anspruch der Klägerin aus [X.] gegen den Anspruch der Beklagten aus kausalem Saldo gemäß §
355 Abs.
3 [X.] bestehe nicht, weil in einer von der Klägerin
behaupteten unzu-reichenden Risikoaufklärung durch die Beklagte keine arglistige Täuschung lie-ge. Außerdem sei wohl die Frist für die Anfechtung "der meisten Geschäfte ab-gelaufen". Einen Anspruch auf Schadenersatz unter dem Gesichtspunkt einer Beratungspflichtverletzung habe die Klägerin -
das Zustandekommen von [X.] und eine Beratungspflichtverletzung mangels hinreichender Ri-sikoaufklärung dahingestellt
-
nicht substantiiert dargelegt, weil sie nicht den Verlauf sämtlicher [X.] nachgezeichnet, sondern sich im Wesentlichen auf eine (für sich ebenfalls nicht vollständige) Darstellung der für sie mit Verlusten verbundenen Geschäfte beschränkt habe. Ansprüche wegen einer sittenwidrigen
vorsätzlichen Schädigung aus dem Gesichtspunkt einer durchgängig auf eine unzureichende
Vergütung der Klägerin zielenden Ge-schäftsgestaltung schieden aus, weil die Entgelte frei vereinbart worden seien.
3
4
-
4
-
Gegen dieses Urteil wendet sich die Klägerin mit der Nichtzulassungsbe-schwerde.

II.
1. Die Revision ist nach §
543 Abs.
2 Satz
1 Nr.
2 Fall
2 ZPO zur Siche-rung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen, weil das angegriffene Ur-teil den Anspruch der Klägerin
auf rechtliches Gehör aus Art.
103 Abs.
1 GG verletzt (vgl. Senatsbeschlüsse vom 11.
Mai 2004 -
XI
ZB
39/03, [X.]Z
159,
135, 139
f.
und vom 9.
Februar 2010 -
XI
ZR
140/09, BKR
2010, 515, 516). Aus demselben Grund ist es
gemäß §
544 Abs.
7 ZPO aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzu-verweisen.
Dabei hat der Senat von der Möglichkeit des §
563 Abs.
1 Satz
2 ZPO Gebrauch gemacht.
a) Art.
103 Abs.
1 GG verpflichtet das Gericht, den Vortrag der Parteien zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen (vgl. BVerfGE
60, 247, 249; 65,
293, 295; 70,
288, 293; 83,
24, 35). Ein Verstoß gegen Art.
103 Abs.
1 GG setzt dabei eine gewisse Evidenz der Gehörsverlet-zung voraus (vgl. BVerfGE
22, 267, 274; 65, 293, 295
f.; 70, 288, 293; 79, 51, 61; 86, 133, 145
f.; 96, 205, 216
f.).
Überspannt das Gericht offenkundig Anfor-derungen an die Substantiierung und versäumt es deshalb, entscheidungser-heblichen Sachvortrag in der nach Art.
103 Abs.
1 GG gebotenen Weise zur Kenntnis zu nehmen, ist der verfassungsrechtlich verbürgte Anspruch auf Ge-währung rechtlichen Gehörs
evident verletzt (vgl. [X.], Beschluss vom 28.
Februar 2012 -
VIII
ZR
124/11, [X.], 311
Rn.
5).

5
6
7
-
5
-
b) Das Berufungsgericht hat die Anforderungen an die prozessuale Dar-legungslast der Klägerin in einem nach Art.
103 Abs.
1 GG relevanten Maße verfehlt:
[X.]) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts oblag es nicht der Klägerin, sondern zunächst der Beklagten
als Anspruchstellerin
des vom [X.] als kausale Saldoforderung nach §
355 Abs.
3 [X.] (vgl. [X.], Urteil vom 2.
November 1967 -
II
ZR
46/65, [X.]Z
49, 24, 26; Urteil vom 4.
Juli 1985 -
IX
ZR
135/84, WM
1985, 969, 971
f.; [X.]/[X.], [X.], 2.
Aufl., §
355 Rn.
84) erkannten
Anspruchs, zu den in den Saldo eingestellten Aktiv-
und Passivposten konkret vorzutragen. Sie konnte sich dabei entweder darauf beschränken, das letzte Saldoanerkenntnis und etwaige danach eingetretene Änderungen des Saldos substantiiert darzutun oder,
sofern sie diesen Weg nicht gehen konnte
oder wollte
(etwa
weil es zu einem bestätigten [X.] nicht gekommen oder ein solcher nicht zu beweisen war),
die in das Kontokorrent eingestellten Einzelforderungen darlegen. Dabei hatte sie unter Einschluss aller von ihr
akzeptierten Passivposten so vorzutragen, dass das Gericht die eingeklagte Saldoforderung rechnerisch nachvollziehen und über-prüfen konnte
(Senatsurteile vom 18.
Dezember 2001 -
XI
ZR
360/00, WM
2002, 281, 282
und vom 28.
Mai 1991 -
XI
ZR
214/90, WM
1991, 1294, 1295;
[X.], Urteil
vom 2.
November 1967 -
II
ZR
46/65, [X.]Z
49, 24, 26
f.; Urteil vom 5.
Mai
1983 -
III
ZR
187/81, [X.], 704, 705). Die Umkehr der [X.] bei der negativen Feststellungsklage war auf die Darlegungs-
und Be-weislastverteilung gemäß dieser Grundsätze ohne Einfluss (Senatsurteil vom 17.
Juli 2012 -
XI
ZR
198/11, NJW
2012, 3294 Rn.
35).
bb) Entsprechenden Vortrag hat die Beklagte nicht gehalten, sondern in erster Instanz zunächst lediglich in Aussicht gestellt. Sie hat es später [X.] abgelehnt, zu der Entwicklung des Kontokorrents im Einzelnen vorzu-8
9
10
-
6
-
tragen. Selbst
wenn sie später hätte zum Ausdruck bringen wollen, sie mache sich Ausführungen der Klägerin zur Entwicklung des Girokontos
partiell zu ei-gen, war ihr Vorbringen für die Herleitung eines
von der Klägerin bestrittenen
Zahlungsanspruchs in Höhe von 212.745,68

unzureichend.
Die Angabe des Berufungsgerichts, die Höhe des Saldos stehe nicht in Streit, steht in [X.] zu den vom Berufungsgericht ebenfalls umfänglich festgestellten Ein-wendungen der Klägerin und ist nur so zu verstehen, die Klägerin habe die rechnerische Richtigkeit des Saldos akzeptiert. Mangels einer schlüssigen Dar-legung der in Streit stehenden Forderung aus §
355 Abs.
3 [X.] kam es auf die Erheblichkeit der Einwendungen der Klägerin nicht an, so dass das Berufungs-gericht nicht unter Verweis auf die mangelnde Substanz des klägerischen [X.] entscheiden durfte.
[X.]) Darüber hinaus geht das Berufungsgericht in der Annahme fehl, es habe der Klägerin oblegen, zum Umfang der von ihr mit Gewinn durchgeführten [X.] vorzutragen. Bei den von der Klägerin getätigten [X.] handelte es sich -
die übrigen Voraussetzungen eines Schadenersatz-anspruchs mangels anderer Feststellungen des Berufungsgerichts als gegeben unterstellt
-
um selbständige Schadensereignisse, die auch durch die Gleich-förmigkeit einer möglichen ([X.] seitens der [X.] nicht zu einem einzigen Schadensereignis verbunden wurden. [X.] war bei der Bemessung des aus jedem Schadensereignis resultierenden Vermögensschadens mittels der [X.] nur die tatsächliche Güter-lage mit der im gedachten Falle eines [X.] vom konkreten Geschäft zu vergleichen und von der Klägerin darzulegen. Bei der Ermittlung des negativen Interesses beachtlich waren lediglich die im Zuge von [X.] Prämien. Gewinne aus sonstigen Geschäften waren weder bei der Scha-densberechnung nach der [X.] zu berücksichtigen noch im Zuge einer -
von der [X.] und zu [X.] (vgl. [X.], Urteil 11
-
7
-
vom 15.
Juli
2010 -
III
ZR
336/08, [X.]Z
186, 205 Rn.
45)
-
Vorteilsausglei-chung in Ansatz
zu bringen, weil es an einem kongruenten Vorteil fehlte
(vgl. [X.], Urteil vom 6.
Juni 1997 -
V
ZR
115/96, [X.]Z
136, 52, 54
f.).
c) Das angefochtene Urteil beruht auf dem
in der Überspannung von Substantiierungsanforderungen liegenden Verstoß gegen Art.
103 Abs.
1 GG. Es ist nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht zu einer abweichenden Entscheidung gelangt wäre, wenn es bei der Verteilung der Darlegungs-
und Beweislast die richtigen Maßstäbe angelegt hätte.
2. Im weiteren Verfahren wird zu beachten sein, dass die Einwände der Klägerin gegen die Einstellung von Ansprüchen der Beklagten aus [X.] in das Kontokorrent keine
Aufrechnung mit Gegenansprüchen aus §
812 Abs.
1 Satz
1 Fall
1 BGB oder §
280 BGB zum Gegenstand
hatten. Die Einstellung in das Kontokorrent erfolgte im Wege der Belastungsbuchung. Eine Belastungsbuchung auf einem Girokonto ist
ein bloßer Realakt mit rein deklaratorischer Wirkung (Senatsurteile
vom 11.
Oktober 1988 -
XI
ZR
67/88, [X.]Z
105, 263, 269
f.
und
vom 18.
April 1989 -
XI
ZR
133/88, [X.]Z 107, 192, 197; außerdem [X.], Urteil vom 7.
März 2002 -
IX
ZR
223/01, [X.]Z
150, 122, 128; [X.] in [X.]/Bunte/[X.], Bankrechts-Handbuch,
4.
Aufl., §
47 Rn.
51). Besteht die angebliche Forderung nicht, ist die [X.] ([X.] [X.]O) und der kausale Saldo ohne weiteres um die-sen Betrag reduziert. Das gilt auch, soweit der Anspruchsgegner -
hier die Klä-gerin
-
einen untechnisch auf "Freistellung"
gerichteten Schadenersatzanspruch gegen den Anspruchsteller geltend macht
(vgl. [X.], Beschluss vom 9.
Juli 2009 -
IX
ZR
135/08, WM
2009, 1818
Rn.
3).

Sollte die Beklagte ein abstraktes Saldoanerkenntnis dartun und bewei-sen, sind die dieses Saldoanerkenntnis betreffenden Einwendungen
der Kläge-12
13
14
-
8
-
rin nach Maßgabe des §
821 BGB relevant (näher [X.]/[X.],
[X.], 2.
Aufl., §
355 Rn.
77; MünchKomm[X.]/Langenbucher, 2.
Aufl., §
355 Rn.
105).
Bei der Prüfung einer Haftung
der Beklagten aufgrund unzureichender Aufklärung über die Eigenart und Risiken der [X.] wird das Berufungsgericht sich nach Maßgabe der Rechtsprechung des Senats (Senats-urteil vom 28.
September 2004 -
XI
ZR
259/03, WM
2004, 2205, 2206
f. [X.]) mit dem Vorbringen
der Parteien zur [X.] der Klägerin bzw. ihres Vertreters zu befassen haben. Im Übrigen wird es dem in Anlehnung an die Rechtsprechung des Senats zur Haftung eines außerhalb des banküblichen Effektenhandels tätigen gewerblichen
Vermittlers
von [X.], der von vornherein chancenlose Geschäfte zum ausschließlich eigenen Vorteil vertreibt
(vgl. Senatsurteile vom 9.
März 2010
-
XI
ZR
93/09, [X.]Z
184, 365
Rn.
25
f., vom 8.
Juni 2010
-
XI
ZR
349/08, WM
2010, 2025
Rn.
41, vom 13.
Juli 2010
-
XI
ZR
57/08, ZIP
2010, 2004 Rn.
37 und -
XI
ZR
28/09, WM
2010, 1590 Rn.
39, vom 12.
Oktober 2010
-
XI
ZR
394/08, WM
2010, 2214
Rn.
40 und vom
15
-
9
-
25.
Januar 2011 -
XI
ZR
195/08, WM
2011, 543 Rn.
21 [X.]), gehaltenen Vor-trag der Klägerin
zu einer sittenwidrigen Übervorteilung durch die Beklagte un-ter dem Gesichtspunkt einer Nichtigkeit der von den Parteien getätigten Devi-senoptionsgeschäfte
nach §
138 Abs.
2 BGB nachzugehen haben.

[X.]
Joeres
Ellenberger

Matthias
Menges

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 17.11.2009 -
1 [X.]/09 -

OLG [X.], Entscheidung vom 17.10.2011 -
16 U 261/09 -

Meta

XI ZR 471/11

22.01.2013

Bundesgerichtshof XI. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 22.01.2013, Az. XI ZR 471/11 (REWIS RS 2013, 8817)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 8817

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Wird zitiert von

XI ZR 352/14

Zitiert

XI ZR 471/11

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