Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 23.10.2003, Az. III ZR 354/02

III. Zivilsenat | REWIS RS 2003, 1064

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[X.] DES VOLKESURTEIL[X.]/02Verkündet am:23. Oktober 2003F r e i t a gJustizamtsinspektorals Urkundsbeamterder Geschäftsstellein dem [X.]:ja[X.]Z:[X.]:ja BGB § 839 Fi; StPO § 119 Abs. 1; [X.] Nr. 22Das Gebot, Untersuchungsgefangene von Strafgefangenen getrennt zu halten,hat nicht den Schutzzweck, die Untersuchungsgefangenen vor Schädigungendurch Strafgefangene zu bewahren.[X.], Urteil vom 23. Oktober 2003 - [X.]/02 -OLG [X.] LG Leipzig- 2 -Der III. Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche [X.] 18. September 2003 durch [X.] [X.] und dieRichter Dr. [X.], [X.], [X.] und [X.] Recht erkannt:Auf die Revision des Beklagten zu 2 wird das Urteil des 6. Zivil-senats des Oberlandesgerichts [X.] vom 27. September 2002im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil [X.] zu 2 erkannt worden ist.Auf die Berufung des Beklagten zu 2 wird das Schlußurteil [X.] vom 12. November 2001 abgeändert. [X.] gegen den Beklagten zu 2 wird in vollem Umfang abgewie-sen.Von den Gerichtskosten des ersten [X.] tragen der Klä-ger 98 v.H. und der Beklagte zu 1 2 v.H. Von den außergerichtli-chen Kosten des [X.] im ersten Rechtszug tragen der [X.] zu 1 2 v.H., von denjenigen des Beklagten zu 1 der Kläger44 v.H. Der Kläger trägt die außergerichtlichen Kosten des [X.]n zu 2. Im übrigen werden außergerichtliche Kosten des er-sten [X.] nicht erstattet.Die Kosten der Rechtsmittelzüge hat der Kläger zu tragen.Von Rechts wegen- 3 -TatbestandDer Kläger war im Jahre 1994 als Untersuchungsgefangener in der Un-tersuchungshaftabteilung der [X.]unterge-bracht. Zur gleichen Zeit verbüßte der Beklagte zu 1 in der dortigen Strafhaft-abteilung eine lebenslange Freiheitsstrafe wegen Mordes an seinem Vater. [X.], in dem der Beklagte zu 1 untergebracht war, befand sich im [X.] über der im zweiten Obergeschoß befindlichen Untersuchungs-haftabteilung. Die beiden Stockwerke waren durch ein horizontal verlaufendesMaschendrahtgitter getrennt, der Treppenaufgang durch senkrechte [X.] zu beiden Seiten und jeweils eine Stahlgittertür am Auf- und Abgang ge-sperrt. Am 20. September 1994 verschaffte sich der Beklagte zu 1 nach [X.] des Berufungsgerichts gewaltsam Zugang zur Untersuchungs-haftabteilung, indem er einen der metallenen Gitterstäbe an der Treppe [X.]. Er drang in die Zelle des [X.] ein und versuchte, die Herausgabevon dessen Armbanduhr zu erzwingen. Als der Kläger sich weigerte, stach [X.] zu 1 mit einem mitgeführten angespitzten Schraubenzieher, dessenStahlteil - ohne Griff - eine Länge von etwa 12 cm hatte, mehrfach auf ihn [X.] fügte ihm Verletzungen im Gesicht, am Kopf und im Nacken zu. Wegendieser Tat wurde der Beklagte zu 1 wegen versuchten Mordes in Tateinheit mitversuchtem schweren Raub zu einer Freiheitsstrafe von 14 Jahren rechtskräftigverurteilt. Der Kläger wurde von den Vorwürfen, derentwegen er in Untersu-chungshaft genommen worden war, rechtskräftig freigesprochen.Der Kläger wirft dem zweitbeklagten Freistaat als Träger der [X.] vor, die dortigen Bediensteten hätten die zu seinem Schutz beste-- 4 -henden Amtspflichten verletzt, Untersuchungs- und Strafgefangene voneinan-der zu trennen und den Beklagten zu 1 hinreichend zu überwachen. Deswegensei der Beklagte zu 2 neben dem Beklagten zu 1 für den Überfall und die [X.] mitverantwortlich.Der Kläger hat die Beklagten zu 1 und 2 ursprünglich als Gesamt-schuldner auf Ersatz der ihm entstandenen materiellen und immateriellenSchäden in Anspruch genommen. Im Umfang des in der mündlichen Verhand-lung vom 13. Januar 1998 gestellten eingeschränkten Klageantrags ist gegenden Beklagten zu 1 ein rechtskräftiges Versäumnisurteil ergangen. [X.] Klage nachträglich erweitert worden war, hat das Landgericht den [X.] zu 2 verurteilt, an den Kläger ein Schmerzensgeld von 30.000 DM nebstZinsen, eine monatliche Schmerzensgeldrente von 500 DM beginnend ab No-vember 2001, Verdienstausfall in Höhe von 331.613,58 DM nebst Zinsen sowieweiteren Schadensersatz in Höhe von 6.508,21 DM zu zahlen. Außerdem [X.] festgestellt, daß der Beklagte zu 2 als Gesamtschuldner mit dem [X.] verpflichtet sei, dem Kläger sämtliche weiteren künftigen materiellen undimmateriellen Schäden aus der Tat des Beklagten zu 1 vom [X.] zu ersetzen. Gegen dieses Urteil haben der Beklagte zu 2 Berufung [X.] Kläger Anschlußberufung eingelegt. Die Berufung des Beklagten zu [X.] einer Herabsetzung des dem Kläger zuerkannten Schmerzensgeldes auf7.700 nd der Schmerzensgeldrente auf monatlich 127,82 sie, ebenso wie die Anschlußberufung des [X.], erfolglos (OLG [X.]VersR 2003, 1041). Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision ver-folgt der Beklagte zu 2 seinen Klageabweisungsantrag [X.] 5 -- 6 -EntscheidungsgründeDie Revision ist begründet. Sie führt zur Abweisung der gegen denzweitbeklagten [X.] erhobenen Amts- und Staatshaftungsklage.Dem Kläger steht gegen den Beklagten zu 2 weder ein Amtshaftungsanspruchnach § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG noch ein Anspruch nach § 1 des in [X.] inzwischen aufgehobenen, auf den Streitfall aber noch anwendbarenDDR-StHG zu.1.Zutreffend ist allerdings der rechtliche Ausgangspunkt des [X.], daß die [X.] Amtspflichten zum Schutze des [X.] der körperlichen Unversehrtheit der Untersuchungs- und Strafgefangenenhaben (so schon Senatsurteil [X.]Z 21, 214, 219 f; vgl. ferner [X.]/[X.] BGB 13. Bearb. 2002 § 839 Rn. 635 m.w.N.). Diese Amtspflicht umfaßtauch die Verhütung von drohenden Schädigungen des Häftlings durch Mitge-fangene ([X.]/[X.] aaO).2.Eine besondere Ausprägung dieser Pflicht erblickt das Berufungsgerichtin dem Gebot, den Untersuchungsgefangenen nicht mit anderen [X.] demselben Raum unterzubringen und ihn auch sonst von Strafgefangenen,soweit möglich, getrennt zu halten (§ 119 Abs. 1 StPO i.V.m. den dieses [X.] konkretisierenden Bestimmungen der Nr. 22 [X.]). Es lastetden Amtsträgern des Beklagten zu 2 zwar keinen Verstoß gegen § 119 Abs. 1Satz 1 StPO i.V.m. Nr. 22 Abs. 1 Satz 1, Nr. 11 Abs. 2 Satz 1 [X.] an, wohlaber einen solchen gegen § 119 Abs. 1 Satz 2 StPO i.V.m. Nr. 22 Abs. 1[X.], indem sie es nicht verhindert hätten, daß der Beklagte zu 1 in [X.] habe eindringen und den Kläger in dessen [X.] 7 -raum habe aufsuchen können. Die fahrlässige Pflichtverletzung sieht es darin,daß die senkrechten Metallstäbe im [X.] zwischen Straf- und Un-tersuchungshaftabteilung nicht durch einfache bauliche Maßnahmen wie zu-sätzliche [X.] gegen die Möglichkeit des Herausbrechens gesi-chert worden [X.] Ausführungen vermag der Senat insoweit nicht zu folgen, als dasBerufungsgericht dem Trennungsgebot des § 119 Abs. 1 StPO i.V.m. Nr. 22[X.] den unmittelbaren Schutzzweck beigemessen hat, die körperliche Un-versehrtheit des Untersuchungsgefangenen gegen Bedrohungen durch [X.] zu sichern. Es ist - wie auch das Berufungsgericht vom [X.] richtig sieht - anerkannt, daß das Trennungsgebot ein aus der Unschulds-vermutung des Art. 6 Abs. 2 [X.], die Verfassungsrang hat ([X.] 74, 358 =NJW 1987, 2427; [X.], [X.]. 2002 § 119 Rn. 1), hergeleitetes Privi-leg des Untersuchungsgefangenen ist (Boujong in [X.] Kommentar,[X.]. 2003 § 119 Rn. 5; [X.] in [X.] Kommentar, StPO3. Aufl. 2001 § 119 Rn. 7). Die Trennung von Strafgefangenen ist dementspre-chend eine Grundforderung, die sich aus der Notwendigkeit ergibt, den [X.] der Untersuchungshaft als einer prozessualen Sicherungsmaßnahmegegen den als unschuldig Geltenden von der Vollstreckung der Strafe an ei-nem Schuldigen eindeutig abzugrenzen (Löwe/[X.]/[X.], [X.]. 1997 § 119 Rn. 16). Eine darüber hinausgehende Zielrichtung, [X.] der Untersuchungshäftlinge speziell vor Übergriffen aus der Gruppeder Strafgefangenen zu schützen, läßt sich dem Trennungsgebot hingegennicht entnehmen. Die allgemeine Amtspflicht zum Schutz der körperlichen Un-versehrtheit besteht unterschiedslos zugunsten der Untersuchungs- und [X.]. Die vom Berufungsgericht aufgezeigte Gefahr, daß die Ver-- 8 -günstigungen, die die Untersuchungsgefangenen genießen, insbesondere [X.] die Erlaubnis, eigene Uhren zu besitzen (Nr. 53 Abs. 2 Satz 2 [X.]),Begehrlichkeiten von Strafgefangenen wecken können - diese Gefahr hat [X.] vorliegenden Fall in der Tat verwirklicht -, ist nicht von einem solchen Ge-wicht, daß sie generalpräventive Sicherungsmaßnahmen speziell zum Schutzder Untersuchungsgefangenen vor Strafgefangenen erfordert. Solche besonde-ren Gefährdungspotentiale gibt es auch innerhalb der jeweiligen [X.] müssen durch geeignete Überwachung der besonders gefährdeten und [X.] gefährlichen Häftlinge gebannt werden. Diesem Zweck dient [X.] in Nr. 22 Abs. 5 [X.], wonach innerhalb der Gruppe der [X.] solche, die nach ihrer Persönlichkeit, insbesondere nachArt, Zahl oder Dauer der von ihnen verbüßten Freiheitsstrafen oder wegen deran ihnen vollzogenen Maßregeln der Besserung und Sicherung eine Gefahr fürandere Gefangene bedeuten, von diesen getrennt zu halten sind. Eine Verlet-zung dieses Gebotes hat das Berufungsgericht nicht festzustellen [X.] hat das Berufungsgerichtferner festgestellt, daß auch die Persönlichkeit des Beklagten zu 1 und [X.] während der bisherigen Haftverbüßung den Amtsträgern des [X.]n zu 2 keinen Anlaß für besondere Sicherungsmaßnahmen gebotenhatten. Insbesondere rechtfertigte die Schwere des vom Beklagten zu 1 [X.] [X.] nicht von vornherein den Rückschluß auf einebesondere Aggressivität gegenüber seinen Mitgefangenen. Vor diesem Hinter-grund läßt sich eine Haftung des Beklagten zu 2 auch nicht aus dem [X.], daß die [X.] die - das Trennungsgebot als solchesnicht in Frage stellende - Überwindbarkeit der [X.] den beiden Abteilungen hätten erkennen [X.] 9 -5.Der Kläger erblickt eine weitere Amtspflichtverletzung darin, daß sich [X.] kein Aufsichtsbeamter auf der Station befunden habe. Das Berufungs-gericht hat indessen bereits in der mündlichen Verhandlung vom 12. Juni 2002zutreffend darauf hingewiesen, daß eine dauernde Anwesenheitspflicht inso-weit nicht besteht. Außerdem befanden sich die zuständigen [X.] in Hörweite und sind auf die Schreie des [X.] sofort [X.] Umstand, daß sich der Beklagte zu 1 im Besitz des Tatwerkzeugs,nämlich des angespitzten Schraubenziehers, befunden hatte, läßt ebenfallskeinen Rückschluß auf ein Überwachungsverschulden der Amtsträger der [X.] zu. Es wird sich selbst bei sorgfältiger Kontrolle nicht aus-schließen lassen, daß derartige Gegenstände in den Besitz eines [X.] gelangen können.7.Die vorstehend aufgezeigten Gesichtspunkte, die einen Amtshaftungs-anspruch ausschließen, gelten in gleicher Weise für den Anspruch nach [X.]. Insbesondere ist in der Rechtsprechung des Se-nats anerkannt, daß auch insoweit der Schutzzweck der möglicherweise [X.] Norm (hier des Trennungsgebotes) als haftungsbegrenzendes Kriteriumheranzuziehen ist (vgl. Senatsurteil [X.]Z 142, 259, 271 f).[X.][X.][X.][X.] Galke

Meta

III ZR 354/02

23.10.2003

Bundesgerichtshof III. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 23.10.2003, Az. III ZR 354/02 (REWIS RS 2003, 1064)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2003, 1064

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