Bundesfinanzhof, Urteil vom 04.02.2010, Az. II R 35/09

2. Senat | REWIS RS 2010, 9719

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Gegenstand

Kein Erlass der Erbschaftsteuer wegen insolvenzbedingter Aufgabe des begünstigt erworbenen Betriebs


Leitsatz

NV: Der Wegfall der Vergünstigungen nach § 13a Abs. 5 ErbStG a.F. infolge einer insolvenzbedingten Aufgabe des Betriebs ist kein sachlicher Grund für einen Erlass gemäß § 227 AO.

Tatbestand

1

I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) wurde [X.] ihrer am …. März 2001 verstorbenen Großmutter. Zum Nachlass gehörte u.a. neben weiterem Betriebsvermögen ein Anteil an einer [X.] ([X.]) mit einem Wert von rd. 335.000 DM. Nachdem über das Vermögen der [X.] am …. Juni 2003 das Insolvenzverfahren eröffnet worden war, gab die Klägerin den Betrieb auf.

2

Mit bestandskräftigem Änderungsbescheid vom 2. Januar 2006 versagte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --[X.]--) rückwirkend den zunächst für den Erwerb des [X.]-Anteils gewährten verminderten Wertansatz des § 13a Abs. 2 des [X.] in der vor dem [X.] 2009 geltenden Fassung ([X.]) und erhöhte dementsprechend die Steuer um 10.230,78 €, weil der Betrieb innerhalb der fünfjährigen Behaltensfrist des § 13a Abs. 5 Nr. 1 [X.] aufgegeben worden sei.

3

Die Klägerin beantragte am 11. Januar 2006, die auf den Erwerb des [X.]-Anteils entfallende und bereits bezahlte Erbschaftsteuer in Höhe von 10.230,78 € aus sachlichen Billigkeitsgründen zu erlassen, weil die Betriebsaufgabe durch die Insolvenz erzwungen worden sei und sie, die Klägerin, in der Insolvenz persönlich aus Bürgschaften für Verbindlichkeiten der [X.] in Anspruch genommen worden sei. Das [X.] lehnte den Antrag mit Bescheid vom 28. Februar 2006 ab.

4

Der Einspruch blieb ohne Erfolg. Zur Begründung führte das [X.] unter Hinweis auf das Urteil des [X.] ([X.]) vom 16. Februar 2005 II R 39/03 ([X.]E 209, 143, [X.], 571) aus, dass ein Ausnahmefall der sachlichen Unbilligkeit nicht vorliege. Die Vergünstigungen des § 13a [X.] entfielen unabhängig davon, aus welchen Gründen das Betriebsvermögen veräußert oder aufgegeben worden sei. Deshalb stelle die insolvenzbedingte Aufgabe keinen Billigkeitsgrund dar. Da es auf die individuellen Umstände der Betriebsaufgabe nicht ankomme, sei auch der Verlust privater Gelder zur Rettung des Unternehmens unerheblich.

5

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab, weil das [X.] den Antrag ermessensfehlerfrei abgelehnt habe.

6

Mit der Revision rügt die Klägerin fehlerhafte Anwendung des § 227 der Abgabenordnung ([X.]). Der Wegfall der Vergünstigungen nach § 13a Abs. 5 [X.] wegen insolvenzbedingter Aufgabe des Betriebs führe zu einer dem Zweck der Steuerermäßigung widersprechenden Besteuerung. Dies sei jedenfalls im [X.] zu berücksichtigen, da hier Härten des Steuerfestsetzungsverfahrens auszugleichen seien.

7

Die Klägerin beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung und den Ablehnungsbescheid vom 28. Februar 2006 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 10. April 2006 aufzuheben sowie das [X.] zu verpflichten, ihr die Erbschaftsteuer in Höhe von 10.230,78 € zu erlassen.

8

Das [X.] beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

9

II. Die Revision ist unbegründet und war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Das [X.] hat zu Recht angenommen, dass das [X.] einen [X.] der Erbschaftsteuer ermessensfehlerfrei abgelehnt hat. Der Wegfall der Vergünstigungen nach § 13a Abs. 5 [X.] infolge einer insolvenzbedingten Aufgabe des Betriebs stellt keinen sachlichen Grund für einen Erlass nach § 227 [X.] dar.

Nach § 227 [X.] können Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen werden, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Beim Erlass handelt es sich um eine Ermessensentscheidung, bei der Inhalt und Grenzen des Ermessens durch den Begriff der Unbilligkeit bestimmt werden (vgl. Beschluss des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des [X.] vom 19. Oktober 1971 GmS-OGB 3/70, [X.], 101, [X.] 1972, 603). Die Entscheidung darf gemäß § 102 [X.]O gerichtlich (nur) daraufhin überprüft werden, ob die Behörde die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder sie von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat.

a) Ein Erlass kommt aus sachlichen Gründen in Betracht, wenn die Einziehung der Steuer zwar dem Gesetz entspricht, aber infolge eines Gesetzesüberhangs den Wertungen des Gesetzgebers derart zuwiderläuft, dass sie unbillig erscheint (BFH-Urteile vom 23. März 1998 II R 41/96, [X.], 270, [X.] 1998, 396, und [X.], [X.] 1998, 1098). Dies setzt voraus, dass der Gesetzgeber die mit der Einziehung der Steuer verbundene Härte nicht bewusst in Kauf genommen hat. § 227 [X.] stellt keine Ermächtigung zur Korrektur des Gesetzes dar. Die Billigkeitsmaßnahme darf nicht auf Erwägungen gestützt werden, die die vorgesehene Besteuerung allgemein oder für bestimmte Fallgruppen außer [X.] setzen würde. Ein Erlass wegen sachlicher Unbilligkeit ist nur insoweit durch die Vorschrift gedeckt, wie angenommen werden kann, der Gesetzgeber würde die im Billigkeitswege zu entscheidende Frage --hätte er sie geregelt-- im Sinne des vorgesehenen Erlasses entscheiden (BFH-Urteile in [X.], 270, [X.] 1998, 396, und in [X.] 1998, 1098).

Gesichtspunkte, die bereits im Steuerfestsetzungsverfahren vorzubringen waren oder noch sind, können im Billigkeitsverfahren regelmäßig nicht berücksichtigt werden (BFH-Urteil vom 13. Mai 1998 II R 98/97, [X.] 1998, 1376).

b) Das [X.] hat ermessensfehlerfrei angenommen, dass die Erbschaftsteuer nicht deshalb wegen sachlicher Unbilligkeit zu erlassen ist, weil der begünstigte Betrieb wegen Insolvenz aufgegeben wurde. Ein Gesetzesüberhang liegt insoweit nicht vor.

Nach § 13a [X.] werden u.a. beim Erwerb eines Gewerbebetriebs, eines Teilbetriebs oder eines Anteils an einer [X.] des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes ein Freibetrag und ein verminderter Wertansatz gewährt. Diese Vergünstigungen fallen jedoch gemäß § 13a Abs. 5 Nr. 1 [X.] mit Wirkung für die Vergangenheit weg, soweit das begünstigte Betriebsvermögen innerhalb von fünf Jahren nach dem Erwerb veräußert wird ("Nachversteuerung"); als Veräußerung gilt nach § 13a Abs. 5 Nr. 1 Satz 1 Halbsatz 2 [X.] auch die Aufgabe des Gewerbebetriebs. Durch den rückwirkenden Wegfall der Vergünstigungen wird im Ergebnis die im Zeitpunkt des Erwerbs tatsächlich vorhandene Bereicherung besteuert.

Der Senat hat bereits entschieden, dass der Wegfall der Vergünstigungen selbst dann mit dem Gesetzeszweck im Einklang steht, wenn das Betriebsvermögen krisen- oder insolvenzbedingt veräußert oder aufgegeben wird (zu § 13 Abs. 2a Satz 3 [X.] in der in den Jahren 1994 und 1995 geltenden Fassung: BFH-Urteil in [X.], 143, [X.] 2005, 571; zu § 13a Abs. 5 Nr. 4 [X.]: BFH-Urteil vom 21. März 2007 II R 19/06, [X.] 2007, 1321). Hierauf hat das [X.] bei seiner Ermessensentscheidung zu Recht Bezug genommen und daraus den richtigen Schluss gezogen, dass damit auch der für einen [X.] erforderliche Gesetzesüberhang über die Wertungen des Gesetzgebers nicht besteht. Entscheidend ist, dass der Gesetzgeber im Rahmen seiner Typisierungsbefugnis die Vergünstigungen bei jeder Betriebsveräußerung und Betriebsaufgabe versagt und die Umstände des jeweiligen Einzelfalls, die dazu geführt haben, bewusst nicht berücksichtigt.

c) Ein atypischer Einzelfall kann entgegen der Ansicht der Klägerin auch nicht darin gesehen werden, dass sie durch die Unternehmensinsolvenz in erheblichem Umfang Privatvermögen verloren hat. Das [X.] hat seiner Entscheidung zutreffend die Erwägung zugrunde gelegt, dass es auf die individuellen Umstände der Betriebsaufgabe nicht ankomme. Eine Unternehmensinsolvenz ist häufig mit einem Verlust von Privatvermögen --insbesondere durch Bürgschaften oder Darlehen-- verbunden. Dieser Umstand rechtfertigt regelmäßig keinen Erlass aus sachlichen Gründen.

Meta

II R 35/09

04.02.2010

Bundesfinanzhof 2. Senat

Urteil

vorgehend FG Münster, 7. Mai 2009, Az: 3 K 1861/06 Erb, Urteil

§ 13a Abs 5 ErbStG 1997, § 227 AO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 04.02.2010, Az. II R 35/09 (REWIS RS 2010, 9719)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 9719

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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(Inhaltsgleich mit BFH-Urteil vom 01.07.2020 II R 19/18 - Wegfall des Verschonungsabschlags)


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