Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 09.06.2011, Az. IX ZB 175/10

IX. Zivilsenat | REWIS RS 2011, 5810

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
IX [X.]/10

vom

9. Juni 2011

in dem Verfahren auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
[X.] § 14 Abs. 1, § 35 Abs. 2
Hat der Insolvenzverwalter erklärt, das Vermögen aus der selbständigen Tätigkeit des Schuldners gehöre nicht zur Insolvenzmasse, kann auf Antrag eines Neugläubi-gers ein auf dieses Vermögen beschränktes zweites Insolvenzverfahren eröffnet werden.
[X.], Beschluss vom 9. Juni 2011 -
IX [X.]/10 -
[X.]

LG [X.]

-

2

-

Der
IX.
Zivilsenat des [X.] hat durch [X.] [X.],
[X.] Dr. Gehrlein, [X.], die Richterin [X.] und den Richter Dr. Fischer

am
9. Juni 2011
beschlossen:

Auf die Rechtsmittel der weiteren Beteiligten werden der Be-schluss der 3. Zivilkammer des [X.] vom 23. Juli 2010 und der Beschluss des [X.] vom 6. Juli 2010 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel,
an das Amtsgericht zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Am 10.
April 2007 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners eröffnet.
Der Schuldner war und ist als selbständiger Steuerbe-rater tätig.
Mit Schreiben vom 18. Juli 2008 gab der Insolvenzverwalter die selbständige Tätigkeit des Schuldners frei.

Mit Schreiben vom
15.
Juni 2010
hat die weitere Beteiligte (fortan: Gläu-bigerin) wegen rückständiger Sozialversicherungsbeiträge und Pauschsteuern 1
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im Zeitraum 1.
Februar 2009 bis 31.
Mai 2010
die Eröffnung des [X.] über das freigegebene Vermögen des Schuldners beantragt. Das [X.] hat den Antrag als unzulässig abgewiesen. Die sofortige Be-schwerde der Gläubigerin ist erfolglos geblieben. Mit ihrer Rechtsbeschwerde will die Gläubigerin weiterhin die Eröffnung eines zweiten Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners erreichen.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist nach §
34 Abs.
1, §§
6, 7 [X.], §
574 Abs.
1 Satz
1 Nr.
1 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig.
Sie führt zur Aufhe-bung der angefochtenen Entscheidung
und zur Zurückverweisung der Sache
an das Insolvenzgericht.

1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt: Dem Antrag fehle das Rechtsschutzbedürfnis. Voraussetzung der Eröffnung eines weiteren [X.] sei, dass
sich die freigegebenen Vermögensgegenstände wider Erwarten als wirtschaftlich werthaltig und verwertbar erwiesen oder der Schuld-ner die freigegebene selbständige Tätigkeit fortführe. Dies habe die Gläubigerin
weder dargetan noch glaubhaft gemacht. Die Freigabe lasse den Schluss [X.] zu, dass die selbständige Tätigkeit nicht wirtschaftlich fortgeführt werden könne und Einkünfte nicht zu erzielen seien.

2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Der Antrag auf Eröffnung eines zweiten Insolvenzverfahrens über das Vermö-gen des Schuldners kann mit dieser Begründung nicht abgewiesen werden.

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4

-

a) Nach gefestigter Rechtsprechung des [X.] haben die [X.] auch dann, wenn der nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens selbständig tätige Schuldner die daraus herrührenden Verbindlichkeiten nicht erfüllen kann, grundsätzlich kein rechtlich geschütztes Interesse an der Eröff-nung eines weiteren Insolvenzverfahrens ([X.], Beschluss vom 18.
Mai 2004 -
IX
ZB 189/03, [X.], 444; vom 3.
Juli 2008 -
IX
ZB 182/07, [X.], 609 Rn.
10). Für ein weiteres Insolvenzverfahren ist deshalb kein Raum, weil das gesamte vom Schuldner nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erworbene Vermögen einschließlich aller Einkünfte aus einer selbständigen Tätigkeit ge-mäß §
35 Abs.
1 [X.] in die Insolvenzmasse des eröffneten Verfahrens fällt. Dem Schuldner bleibt nur das unpfändbare Vermögen (§
36 [X.]), das aber nicht die Grundlage für ein weiteres Insolvenzverfahren darstellen kann.

b) An dieser Rechtsprechung hält der [X.] fest. Sie betrifft jedoch nicht den Sonderfall des §
35 Abs.
2 [X.]. Nach dieser Vorschrift
kann der [X.] erklären, dass Vermögen aus einer ausgeübten oder beabsich-tigten selbständigen Tätigkeit des Schuldners nicht zur Insolvenzmasse gehört und Ansprüche aus dieser Tätigkeit nicht im Insolvenzverfahren geltend ge-macht werden können. Die Vorschrift ist eingeführt worden, um dem [X.] die Möglichkeit einer selbständigen Tätigkeit außerhalb des [X.] zu eröffnen (BT-Drucks. 16/3227, 17). Es handelt sich um eine Art Freigabe des Vermögens, welches der gewerblichen Tätigkeit gewidmet ist, einschließlich der dazu gehörenden Vertragsverhältnisse (BT-Drucks. 16/3227, 17). Die Einkünfte, welche der Schuldner von der Erklärung des Verwalters an im Rahmen dieser Tätigkeit
erzielt, stehen den Gläubigern,
deren Forderungen erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden sind,
als [X.] zur Verfügung (BT-Drucks. 16/3227, 17). Gibt es eine Haftungs-masse, ist auch ein gesondertes zweites Insolvenzverfahren, das nur der Be-6
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friedigung der [X.] dient, rechtlich möglich ([X.]/Hirte, [X.],
13.
Aufl.,
§
35 Rn.
107; MünchKomm-[X.]/Lwowski/[X.], 2.
Aufl.,
§
35 Rn.
75; [X.] in Kübler/Prütting/Bork, [X.],
§
35 Rn.
116; [X.] in Kohte/
[X.]/[X.]/[X.], Verfahrenskostenstundung, Restschuldbefreiung und Verbraucherinsolvenzverfahren, 5.
Aufl.,
§
287 Rn.
37; [X.], [X.] 2007, 289, 292; Zipperer, [X.] 2007, 541, 542;
Berger,
Z[X.] 2008, 1101, 1106;
AG Ham-burg [X.] 2008, 295, 296; [X.], Beschluss
vom
21.
September 2009 -
23
IN 91/09, juris Rn.
13
f;
AG Köln NZI 2010, 743, 744; [X.]; AG Dresden [X.] 2009, 289, 290; LG Dresden [X.] 2011, 179
f).

c) [X.] systematische Bedenken gegen ein Zweitverfahren über das gemäß §
35 Abs.
2 [X.] insolvenzfreie Vermögen eines Verfahrens-schuldners bestehen nicht:

[X.]) Die Vorschrift des §
295 Abs.
2 [X.], die gemäß §
35 Abs.
2 Satz
2 [X.] nach der "Freigabe"
der selbständigen Tätigkeit des Schuldners entspre-chend anwendbar ist, steht einem Zweitverfahren nicht entgegen. Nach dieser Bestimmung obliegt es dem Schuldner, die Insolvenzgläubiger durch [X.] an den Insolvenzverwalter so zu stellen, wie wenn er ein angemessenes Dienstverhältnis eingegangen wäre. Die Abführungspflicht ist eingeführt [X.], um eine pauschale Besserstellung der Selbständigen gegenüber den ab-hängig Beschäftigten -
die den pfändbaren Teil ihrer Einkünfte an den [X.] abführen müssen
-
zu vermeiden (BT-Drucks. 16/3227, 17). Im Hinblick auf ein Zweitverfahren hat sie entweder zur Folge, dass der an den Insolvenzver-walter des eröffneten Verfahrens abzuführende Teil des Einkommens im Zweit-verfahren nicht mehr zur Verfügung steht, also dessen Masse schmälert. Oder der Insolvenzverwalter des ersten Verfahrens muss den Anspruch auf Abfüh-8
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rung des entsprechenden Betrages im Zweitverfahren anmelden. [X.] ist ein Zweitverfahren damit nicht.

[X.]) Auch die Vorschrift des §
89 Abs.
1 [X.] verbietet nicht die Anord-nung eines weiteren Insolvenzverfahrens über das freigegebene Vermögen des Schuldners. Nach §
89 Abs.
1 [X.] sind Zwangsvollstreckungen für einzelne Insolvenzgläubiger während der Dauer des Insolvenzverfahrens auch in das sonstige Vermögen des Schuldners unzulässig. Ein vom Insolvenzverwalter freigegebener Vermögensgegenstand stellt "sonstiges Vermögen"
im Sinne dieser Vorschrift dar ([X.], Beschluss vom 12.
Februar 2009 -
IX
ZB 112/06, [X.], 382 Rn.
8
ff). Die Eröffnung des weiteren Insolvenzverfahrens ist jedoch keine Zwangsvollstreckung zugunsten einzelner Insolvenzgläubiger. An ihm sind nur die [X.] beteiligt, diejenigen Gläubiger also, deren Forde-rungen im Zeitpunkt der Eröffnung des ersten Insolvenzverfahrens noch nicht bestanden und in diesem Verfahren also keine Insolvenzgläubiger sind (vgl. §
38 [X.]).

[X.]) Die Eröffnung eines Zweitverfahrens vor Aufhebung des eröffneten Insolvenzverfahrens
widerspricht allerdings dem Grundgedanken der Insolven-zordnung, dass über das Vermögen einer Person nicht mehr als ein Insolvenz-verfahren eröffnet wird (vgl. [X.]/[X.], [X.] §
35 Rn.
131). Dieser Grundsatz gilt jedoch nicht ausnahmslos.
Die [X.] kennt durchaus Sonderinsolvenzverfahren über Vermögensmassen, die nicht allen Gläubigern gleichermaßen haften
([X.]/[X.], [X.]O Rn.
132
f; vgl. insbesondere die Fälle des §
11 Abs.
2 Nr.
2 [X.]). Der nach "Freigabe"
einer selbständigen Tä-tigkeit gemäß §
35 Abs.
2 [X.] vom Schuldner durch diese Tätigkeit erzielte Neuerwerb haftet während des eröffneten ([X.] grundsätzlich nur 10
11
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-

den [X.]n,
nicht aber den Insolvenzgläubigern
[X.], Z[X.] 2008, 1101, 1106).

d) Entgegen der Ansicht der Vorinstanzen (ebenso
aber
AG Dresden [X.] 2009, 289, 290; AG Oldenburg [X.] 2009, 196, 197; AG Oldenburg [X.] 2009, 195, 196; LG Dresden [X.] 2011, 179, 180) ist der Antrag eines Gläubigers nicht nur dann zulässig, wenn der Gläubiger das Vorhandensein neuen Vermö-gens darlegt und glaubhaft macht. Eine gesetzliche Grundlage für diese zusätz-liche Anforderung gibt es nicht. Für die Eröffnung des Zweitverfahrens
gelten grundsätzlich die allgemeinen Vorschriften der [X.]. Der Antrag eines Gläubigers ist zulässig, wenn der Gläubiger ein rechtliches Interesse an der Eröffnung
des Insolvenzverfahrens hat und seine Forderung und den [X.] glaubhaft macht (§
14 Abs.
1 [X.]). Dass seine Forderung ganz oder teilweise befriedigt werden kann, braucht der Gläubiger nicht darzulegen. Das Rechtsschutzinteresse für einen Insolvenzantrag besteht unabhängig da-von, ob der Gläubiger in dem Verfahren eine Befriedigung erlangen kann. Auch Masseunzulänglichkeit berührt das Rechtsschutzinteresse für einen Eröff-nungsantrag nicht ([X.], Beschluss vom 23.
September 2010 -
IX
ZB 282/09, [X.], 58 Rn.
11 zum Eröffnungsantrag eines nachrangigen Insolvenzgläu-bigers). Eröffnet werden kann das Zweitverfahren
allerdings
nur, wenn die [X.] gedeckt sind (§
26 Abs.
1 [X.]). Ob dies der Fall ist, hat das Insolvenzgericht
jedoch
von Amts wegen zu ermitteln (§
5 Abs.
1 [X.]).

III.

Der angefochtene Beschluss kann damit keinen Bestand haben.
Er ist aufzuheben; die Sache ist zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen 12
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577 Abs.
4 Satz
1 ZPO). Da eine Prüfung der
Zulässigkeit des [X.] sowie der
Eröffnungsvoraussetzungen bislang noch nicht stattgefunden hat, hält der [X.] es für sachgerecht, die Sache an das Insolvenzgericht zu-rückzuverweisen (vgl. [X.], Beschluss vom 22.
Juli 2004 -
IX
ZB 161/03, [X.]Z 160,176, 185).

Kayser
Gehrlein
[X.]

[X.]
Fischer

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 06.07.2010 -
70 IN 236/10 -

LG [X.], Entscheidung vom 23.07.2010 -
3 T 140/10 -

Meta

IX ZB 175/10

09.06.2011

Bundesgerichtshof IX. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 09.06.2011, Az. IX ZB 175/10 (REWIS RS 2011, 5810)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 5810

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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