Bundesgerichtshof, Beschluss vom 22.07.2021, Az. IX ZB 7/20

9. Zivilsenat | REWIS RS 2021, 3877

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Gegenstand

Zweites Insolvenzverfahren: Zulässigkeit eines Antrags auf Restschuldbefreiung in einem gesonderten Insolvenzverfahren über das vom Insolvenzverwalter freigegebene Vermögen aus der selbstständigen Tätigkeit des Schuldners; Antrag auf Kostenstundung


Leitsatz

1. Gibt der Insolvenzverwalter das Vermögen des Schuldners aus seiner selbständigen Tätigkeit frei und wird über dieses Vermögen ein gesondertes Insolvenzverfahren eröffnet, ist ein in diesem Verfahren gestellter Antrag des Schuldners auf Restschuldbefreiung unzulässig, wenn über seinen im Ausgangsverfahren gestellten Restschuldbefreiungsantrag nicht entschieden ist (Fortführung BGH, Beschluss vom 18. Dezember 2014 - IX ZB 22/13).

2. Ein Antrag auf Kostenstundung ist unzulässig, wenn der Schuldner in dem Insolvenzverfahren keine Restschuldbefreiung erreichen kann (Festhaltung BGH, Beschluss vom 4. Mai 2017 - IX ZB 92/16).

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 5. Zivilkammer des [X.] vom 23. April 2019 wird auf Kosten des Schuldners zurückgewiesen.

Der Gegenstandswert des [X.] wird auf 5.000 € festgesetzt.

Gründe

A.

1

Am 25. Juni 2014 stellte der Schuldner Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen und auf Restschuldbefreiung. Mit Beschluss vom 1. September 2014 eröffnete das Amtsgericht das Insolvenzverfahren. Am gleichen Tag gab der Insolvenzverwalter die selbständige Tätigkeit des Schuldners als Spediteur frei.

2

Am 27. November 2018 hat der Schuldner die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen aus der freigegebenen Tätigkeit beantragt und erneut einen Antrag auf Restschuldbefreiung gestellt sowie Stundung der Verfahrenskosten beantragt. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist zudem durch mehrere Gläubiger beantragt worden. Mit Beschluss vom 13. März 2019 hat das Amtsgericht auch dieses Verfahren eröffnet, zugleich aber die Anträge des Schuldners auf Restschuldbefreiung und Verfahrenskostenstundung als unzulässig zurückgewiesen. Nach Übertragung der Sache auf die Kammer hat das Beschwerdegericht am 23. April 2019 die sofortige Beschwerde des Schuldners mit einem an dessen Verfahrensbevollmächtigte formlos übersandten Beschluss zurückgewiesen. Mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen, am 13. März 2020 eingegangenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Schuldner seine Anträge weiter.

B.

3

Die zulässige Rechtsbeschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

I.

4

Die Rechtsbeschwerde ist zulässig.

5

1. Sie ist aufgrund ihrer Zulassung durch das Beschwerdegericht uneingeschränkt statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO, § 4 Satz 1, § 6 Abs. 1 Satz 1, § 287a Abs. 1 Satz 3 [X.]).

6

2. Die Rechtsbeschwerde ist auch im Übrigen zulässig; insbesondere ist sie nicht verspätet eingelegt worden.

7

Für die Einlegung der Rechtsbeschwerde gilt eine [X.] von einem Monat, die mit Zustellung des anzufechtenden Beschlusses beginnt (§ 575 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Der Lauf der [X.] hat nicht begonnen, weil der Beschluss den Verfahrensbevollmächtigten des Schuldners lediglich formlos übersandt worden ist. Wegen der Zulassung der Rechtsbeschwerde wäre aber die förmliche Zustellung erforderlich gewesen (vgl. § 329 Abs. 2 Satz 2 ZPO), um die [X.] des § 575 Abs. 1 Satz 1 ZPO in Gang zu setzen (vgl. [X.], Beschluss vom 17. September 2009 - [X.] 44/08, juris Rn. 3; [X.]/[X.], 6. Aufl., § 575 Rn. 5 f mwN).

8

Der angefochtene Beschluss gilt auch nicht nach § 189 ZPO als in dem Zeitpunkt zugestellt, in dem er den zweitinstanzlichen Verfahrensbevollmächtigten des Schuldners tatsächlich zuging. Eine Heilung nach § 189 ZPO setzt voraus, dass eine Zustellung beabsichtigt war; der Wille, dem Empfänger das Dokument zur Kenntnis zu geben, genügt nicht. Der Zugang eines Schriftstücks im Wege - irrig für ausreichend gehaltener - formloser Übersendung bewirkt daher grundsätzlich keine Heilung (vgl. [X.], Beschluss vom 26. November 2002 - [X.], NJW 2003, 1192, 1193; [X.]/[X.]/[X.], 6. Aufl., § 189 Rn. 4 mwN; [X.]/[X.], ZPO, 33. Aufl., § 189 Rn. 2). Nach diesen Grundsätzen scheidet eine Heilung der fehlenden Zustellung aus, denn das Beschwerdegericht hat, wie sich aus der Verfügung des Vorsitzenden vom 23. April 2019 ergibt, eine Zustellung nicht beabsichtigt, sondern eine formlose Mitteilung für ausreichend erachtet.

II.

9

Die Rechtsbeschwerde ist jedoch unbegründet.

1. Das Beschwerdegericht hat gemeint, der erneute [X.] vom 27. November 2018 sei unzulässig, weil über den [X.] im vorausgegangenen Verfahren noch nicht entschieden sei. Bei der Prüfung der Zulässigkeit seien nicht nur die Sperrfristen des § 287a Abs. 2 [X.], sondern nach der Rechtsprechung des [X.] (Beschluss vom 18. Dezember 2014 - [X.], [X.], 289 Rn. 13) auch die Voraussetzungen des § 287 Abs. 2 [X.] zu berücksichtigen. Letztere könne der Schuldner aber nicht erfüllen, weil er keine wirksame, nicht ins Leere laufende Abtretungserklärung abgeben könne. Auch könne der Schuldner seinen Obliegenheiten im Rahmen des [X.] nur einmal und nicht in zwei parallel geführten Verfahren nachkommen. Hieran habe sich auch durch die seit dem 1. Juli 2014 geltende Neufassung der [X.] nichts geändert. Hiervon sei der [X.] auch nicht in seiner Entscheidung vom 4. Mai 2017 ([X.], [X.], 627 Rn. 11 ff) abgerückt; dort sei lediglich die Frage der Zulässigkeit eines erneuten [X.]s nach Einstellung des vorausgegangenen Insolvenzverfahrens mangels Masse - und nicht die Zulassung zweier parallel geführter [X.] - zu beurteilen gewesen. Das Beschwerdegericht hat zudem die Auffassung vertreten, eine Kostenstundung für ein [X.] sei nicht zulässig.

2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung im Ergebnis stand.

a) Maßgeblich sind gemäß Art. 103h Satz 1 EG[X.] die Vorschriften der [X.] in der Fassung des Gesetzes zur Verkürzung des [X.] und zur Stärkung der Gläubigerrechte vom 15. Juli 2013 ([X.] I S. 2379), weil der Schuldner den Antrag auf Insolvenzeröffnung hinsichtlich des Vermögens aus der freigegebenen Tätigkeit nach dem 1. Juli 2014 gestellt hat. Die Vorschriften der [X.] in der Fassung des Gesetzes zur weiteren Verkürzung des [X.] und zur Anpassung pandemiebedingter Vorschriften im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins- und Stiftungsrecht sowie im Miet- und Pachtrecht vom 22. Dezember 2020 ([X.] I S. 3328) finden hingegen noch keine Anwendung (vgl. Art. 103k Abs. 1, Abs. 2 EG[X.]).

b) Für das danach anwendbare Recht ist der Antrag auf Restschuldbefreiung in analoger Anwendung von § 287a Abs. 2 Nr. 1 Fall 1 [X.] unzulässig.

aa) Der [X.] hat mit Beschluss vom 18. Dezember 2014 ([X.], [X.], 289 Rn. 6 ff) zum alten Recht entschieden, dass der [X.] eines Schuldners in einem [X.] nach Freigabe seiner selbständigen Tätigkeit in analoger Anwendung des § 290 Abs. 1 Nr. 3 [X.] aF jedenfalls solange unzulässig ist, als über seinen im Ausgangsverfahren gestellten [X.] nicht entschieden ist. Der [X.] hat sich hierbei zum einen von der Erwägung leiten lassen, dass § 290 Abs. 1 Nr. 3 [X.] aF einen Missbrauch des Insolvenzverfahrens zur wiederholten Reduzierung der Schuldenlast verhindern soll (vgl. [X.], Beschluss vom 18. Dezember 2014, aaO Rn. 14). Die Restschuldbefreiung soll als Hilfe für unverschuldet in Not geratene Personen dienen, nicht als Zuflucht für diejenigen, die bewusst finanzielle Risiken auf andere abwälzen wollen. Der Schuldner soll aus dem vorherigen Verfahren die richtigen Konsequenzen ziehen und zu einem vorsichtigeren Wirtschaften angehalten werden. Diese Überlegungen gelten erst recht, wenn der Schuldner während eines noch laufenden Insolvenz- und [X.] einen weiteren [X.] stellt. Zum anderen hat der [X.] aufgezeigt, dass bereits die gesetzliche Systematik der §§ 287 ff [X.] aF keinen Raum für zwei parallel geführte [X.] lässt (vgl. [X.], Beschluss vom 18. Dezember 2014, aaO Rn. 13). So kann die für einen zulässigen [X.] erforderliche Abtretungserklärung nach § 287 Abs. 2 [X.] aF nicht wirksam für zwei verschiedene, zeitgleich stattfindende Verfahren abgegeben werden; die für das Zweitverfahren erklärte Abtretung würde wegen des anhängigen [X.] leerlaufen. Auch kann der Schuldner seinen Obliegenheiten - etwa gemäß § 295 Abs. 1 Nr. 2 aF [X.] - nur in einem einzigen Verfahren nachkommen.

[X.]) An dieser Rechtsprechung hält der [X.] auch für Insolvenzverfahren, deren Eröffnung nach dem 1. Juli 2014 beantragt worden ist, fest.

(1) Der Beschluss vom 18. Dezember 2014 ([X.], [X.], 289 Rn. 6 ff) war Teil einer Reihe von Entscheidungen, in denen der [X.] Analogien zu § 290 Abs. 1 Nr. 3 [X.] aF angenommen hat. Diese weiteren Entscheidungen betrafen Fallgestaltungen, in denen nach einem abgeschlossenen Erstverfahren ein erneuter Antrag auf Restschuldbefreiung gestellt wurde (vgl. [X.], Beschluss vom 16. Juli 2009 - [X.], [X.]Z 183, 13 Rn. 8 ff; vom 3. Dezember 2009 - [X.], [X.], 225 Rn. 6; vom 14. Januar 2010 - [X.], [X.], 625 Rn. 6; vom 11. Februar 2010 - [X.] 45/09, [X.], 716 Rn. 6; vom 7. Mai 2013 - [X.], [X.], 1516 Rn. 9, 11; vom 20. März 2014 - [X.], [X.], 712 Rn. 8; vom 18. September 2014 - [X.], [X.], 2055 Rn. 7 ff). Der Gesetzgeber hat die Rechtsprechung des [X.] zu den Sperrfristen inzwischen teilweise aufgegriffen. Mit dem Gesetz zur Verkürzung des [X.] und zur Stärkung der Gläubigerrechte vom 15. Juli 2013 hat er in § 287a Abs. 2 [X.] den Versagungsgrund aus § 290 Abs. 1 Nr. 3 [X.] in der vor dem 1. Juli 2014 geltenden Gesetzesfassung sowie früher erfolgter Versagungen nach § 290 Abs. 1 Nr. 5, 6 und 7 [X.] oder nach § 296 [X.] als Tatbestände ausgestaltet, die zur Unzulässigkeit eines erneuten [X.]s führen (vgl. [X.], Beschluss vom 18. Dezember 2014 - [X.], [X.], 289 Rn. 8; vom 4. Mai 2017 - [X.], [X.], 627 Rn. 9; siehe auch: [X.], [X.] 2017, 289, 290 ff). Der Gesetzgeber hat jedoch die vom [X.] mit Beschluss vom 18. Dezember 2014 (aaO Rn. 6 ff) entschiedene - und auch im vorliegenden Fall einschlägige - Konstellation nicht in den Katalog der [X.] des § 287a Abs. 2 [X.] übernommen.

(2) Es wird einerseits die Ansicht vertreten, dass die vom [X.] zur Erteilung der Restschuldbefreiung im Zweitverfahren entwickelten Rechtsgrundsätze seit Inkrafttreten des § 287a Abs. 2 [X.] am 1. Juli 2014 nicht mehr anwendbar seien, weil diese Vorschrift eine abschließende Aufzählung der [X.] enthalte (vgl. [X.]ing/Klersy, Z[X.] 2015, 1601; [X.], Z[X.] 2017, 1057, 1066; wohl auch [X.]/[X.], [X.], 19. Aufl. § 287a Rn. 8; eine Analogiebildung generell ablehnend etwa: [X.], [X.], 1056; [X.], [X.] 2015, 236; [X.], [X.], 114; [X.]/[X.]/[X.], [X.], 4. Aufl., § 287a Rn. 2; MünchKomm-[X.]/[X.], 4. Aufl., § 287a Rn. 70; HK-[X.]/Waltenberger, 10. Aufl., § 287 Rn. 15; [X.]/[X.], [X.], § 287a Rn. 40; [X.], [X.], 3. Aufl., Rn. 674; [X.]. in [X.]/[X.]/[X.]/[X.]/[X.], Verfahrenskostenstundung, Restschuldbefreiung und Verbraucherinsolvenzverfahren, 8. Aufl., § 287a Rn. 63; [X.]/[X.], [X.], 547, 549). Andere meinen, dass jedenfalls in der vorliegenden Fallkonstellation der zweite [X.] auch nach neuem Recht unzulässig sei (vgl. Graf-Schlicker/[X.], [X.], 5. Aufl. § 287a Rn. 11; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], Privatinsolvenz, § 287 [X.] Rn. 20; [X.], [X.], 44; [X.], [X.], 281, 285; [X.], [X.] 2018, 9, 15; [X.]/[X.], Z[X.] 2018, 700, 702 f; wohl auch [X.], Beschluss vom 13. Februar 2015 - 11 T 2/15, juris Rn. 13; allgemein zur Möglichkeit einer Analogie: [X.] in Kübler/[X.], [X.], 2021, § 287a Rn. 17 f; BeckOK-[X.]/[X.], 2021, § 287a Rn. 14 f; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], Privatinsolvenz, § 287a [X.] Rn. 30; Nerlich/[X.]/[X.], [X.], 2015, § 287a Rn. 3: beschränkt auf Fälle "evidenten Missbrauchs"). Schließlich wird vertreten, dass in einem Verfahren über gemäß § 35 Abs. 2 [X.] freigegebenes Vermögen ein [X.] generell unzulässig sei (vgl. [X.], [X.] 2016, 445, 446; [X.], [X.] 2017, 337, 338; [X.] in Kübler/[X.], aaO, § 287 Rn. 14; Montag, [X.] 2013, 453, 455; [X.]/[X.], Z[X.] 2013, 685, 689; [X.], [X.] 2019, 249, 250).

(3) Ob die letztgenannte Auffassung zutreffend ist, muss nicht abschließend beantwortet werden. In dem hier zu entscheidenden Fall hält der [X.] an seiner Rechtsprechung fest. Der Schuldner kann danach in einem Insolvenzverfahren über freigegebenes Vermögen jedenfalls nicht in zulässiger Weise einen weiteren [X.] stellen, wenn über seinen im Ausgangsverfahren gestellten [X.] nicht entschieden ist. Die Unzulässigkeit ergibt sich in Analogie zu § 287a Abs. 2 Nr. 1 Fall 1 [X.].

(a) Eine Analogie erfordert zum einen eine planwidrige Regelungslücke. Zum anderen muss die Vergleichbarkeit der zur Beurteilung stehenden Sachverhalte gegeben sein, also der entscheidungsrelevante Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht so weit mit dem Tatbestand, den der Gesetzgeber geregelt hat, vergleichbar sein, dass angenommen werden kann, der Gesetzgeber wäre bei einer Interessenabwägung, bei der er sich von den gleichen Grundsätzen hätte leiten lassen wie bei dem Erlass der herangezogenen Gesetzesvorschrift, zu dem gleichen [X.] gekommen (vgl. [X.], Beschluss vom 10. Oktober 2018 - [X.] 231/18, [X.], 1438 Rn. 16 mwN).

(b) Beide Voraussetzungen sind hier gegeben.

(aa) § 287a Abs. 2 Nr. 1 [X.] enthält für den Fall eines weiteren [X.]s in einem Verfahren über gemäß § 35 Abs. 2 Satz 1 [X.] freigegebenes Vermögen eine planwidrige Regelungslücke.

α) Ob eine planwidrige Lücke gegeben ist, ist vom Standpunkt der gesetzlichen Regelung aus zu beurteilen, also anhand der Regelungsabsicht des Gesetzgebers (vgl. [X.], Beschluss vom 8. September 2016 - [X.], NJW 2016, 3726 Rn. 12; vom 4. Mai 2017 - [X.], [X.], 627 Rn. 14). Im Hinblick darauf liegt eine planwidrige Regelungslücke nur vor, wenn die Bestimmung gemessen an ihrem Zweck unvollständig, das heißt ergänzungsbedürftig ist. Dass eine Regelung lediglich rechtspolitisch als verbesserungsbedürftig anzusehen ist, reicht nicht aus. Ihre Unvollständigkeit erschließt sich vielmehr aus dem gesetzesimmanenten Zweck und kann auch bei eindeutigem Wortlaut vorliegen ([X.], Urteil vom 15. Juni 2020 - [X.] ([X.]) 1/20, [X.], 2412 Rn. 17 mwN). Eine vom Gesetzgeber nicht beabsichtigte Lücke muss dabei aufgrund konkreter Umstände positiv festgestellt werden können, weil sonst jedes Schweigen des Gesetzgebers als planwidrige Lücke im Wege der Analogie von den Gerichten ausgefüllt werden könnte ([X.], Beschluss vom 8. September 2016, aaO; vom 4. Mai 2017, aaO).

β) Gemessen hieran ist die Regelung des § 287a Abs. 2 Nr. 1 [X.] ergänzungsbedürftig.

Mit der Einfügung des § 287a Abs. 2 [X.] durch das Gesetz zur Verkürzung des [X.] und zur Stärkung der Gläubigerrechte vom 15. Juli 2013 soll der Schuldner frühzeitig Klarheit über die Erfolgsaussichten seines Antrags auf Erteilung der Restschuldbefreiung erhalten (BT-Drucks. 17/11268, [X.]). Deshalb hat das Insolvenzgericht bereits mit seiner Entscheidung über den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über die Zulässigkeit des Antrags auf Erteilung der Restschuldbefreiung zu befinden (vgl. MünchKomm-[X.]/[X.], 4. Aufl., § 287a Rn. 1; BeckOK-[X.]/[X.], 2021, § 287a Rn. 3). Zu diesem Zweck hat der Gesetzgeber einzelne der vormals gesetzlich geregelten Versagungsgründe sowie eine Auswahl der Sperrfristrechtsprechung des [X.] übernommen und in § 287a Abs. 2 [X.] als Zulässigkeitsgründe ausgestaltet. Er hat hierbei das Ziel verfolgt, die unterschiedlichen Sperrfristen nach dem Unwertgehalt der ihnen zugrunde liegenden Pflicht- und Obliegenheitsverletzungen zu harmonisieren (BT-Drucks. 17/11268, [X.]) und hat insoweit zwei Fallgruppen gebildet. § 287a Abs. 1 Nr. 1 [X.] bestimmt die Zulässigkeit eines erneuten [X.]s danach, ob und wann der Schuldner bereits in der Vergangenheit die [X.] einer Restschuldbefreiung erlangt hat (vgl. BT-Drucks. 17/11268, [X.]). § 287a Abs. 1 Nr. 2 [X.] ist als Sperre gegenüber einem missbräuchlich wiederholten [X.] ausgestaltet (BT-Drucks. 17/11268, [X.]; vgl. auch [X.] in [X.]/[X.]/[X.]/[X.]/[X.], Verfahrenskostenstundung, Restschuldbefreiung und Verbraucherinsolvenzverfahren, 8. Aufl., § 287a Rn. 28 ff). Die Gesetzesbegründung spricht sich ausdrücklich gegen eine Ausweitung der Sperrfristen für anderweitige Fälle vorangegangenen Fehlverhaltens des Schuldners aus, weil dem zwar nachlässigen, aber gegenüber seinen Gläubigern redlichen Schuldner die Restschuldbefreiung nicht verwehrt werden solle und allein ein durch das Gericht festgestelltes Fehlverhalten im Vorverfahren und ein darauf beruhender Versagungsantrag eines Gläubigers eine Sperre legitimieren könne (vgl. BT-Drucks. 17/11268, [X.]). Der Gesetzgeber wollte mithin ein geschlossenes System an Zulässigkeitsvoraussetzungen schaffen.

Diesem Ziel wird die Regelung des § 287a Abs. 2 [X.] nicht vollends gerecht. [X.] ist der Fall, dass der Schuldner einen [X.] in einem [X.] nach Freigabe seiner selbständigen Tätigkeit stellt, obwohl die Entscheidung über den [X.] des Ausgangsverfahrens noch aussteht. Diese Konstellation ist im gesamten Gesetzgebungsverfahren nicht angesprochen worden. Der Beschluss des [X.]s vom 18. Dezember 2014 ([X.]) erging erst nach dessen Abschluss. Der Anwendungsbereich des § 287a Abs. 1 Nr. 1 [X.] beschränkt sich auf Fallgestaltungen, in denen zum Zeitpunkt der Eingangsentscheidung im Zweitverfahren die im Ausgangsverfahren beantragte Restschuldbefreiung bereits erteilt oder versagt worden ist (vgl. Graf-Schlicker/[X.], [X.], 5. Aufl., § 287a Rn. 10 ff; [X.], [X.], 281, 285; [X.], [X.] 2019, 93, 94). Es besteht jedoch ein Bedürfnis, auch die Fälle zu regeln, in denen die Eingangsentscheidung des Zweitverfahrens vor der Entscheidung über den [X.] des Ausgangsverfahrens zu treffen ist. Denn das Insolvenzgericht kann eine gemäß § 287a Abs. 1 [X.] getroffene Eingangsentscheidung über die Zulässigkeit des [X.]s nicht nachträglich in Frage stellen; auch andere Möglichkeiten, wie etwa einen Versagungsantrag, sieht das Gesetz nicht mehr vor (vgl. Graf-Schlicker/[X.], [X.], 5. Aufl., § 287a Rn. 11). Diese Problematik hat der Gesetzgeber, nach dessen Vorstellung die Zulässigkeit des erneuten [X.]es auch von dem Ergebnis des Ausgangsverfahrens abhängen soll (vgl. BT-Drucks. 17/11268, [X.] f), nicht bedacht.

([X.]) Es besteht auch die für eine Analogie erforderliche Vergleichbarkeit der Sachverhalte. Es ist daher anzunehmen, dass der Gesetzgeber für die vorliegende Fallkonstellation die Unzulässigkeit des [X.]s im Zweitverfahren vorgesehen hätte.

§ 287a Abs. 2 Nr. 1 Fall 1 [X.] soll einen Missbrauch des Insolvenzverfahrens zur wiederholten Reduzierung der Schuldenlast verhindern. Nach der Gesetzesbegründung soll die zehnjährige Sperrfrist nach erteilter Restschuldbefreiung verhindern, dass ein Schuldner, der bereits in einem früheren Verfahren diese [X.] erlangt hat, die Restschuldbefreiung zur wiederholten Verminderung seiner Schuldenlast einsetzt (BT-Drucks. 17/11268, [X.]). Der Gesetzgeber sieht den Schuldner damit in der Pflicht, aus dem Erstverfahren die richtigen Konsequenzen zu ziehen und die Möglichkeit eines wirtschaftlichen Neuanfangs mit der gebotenen Vorsicht zu nutzen. Das entsprach bereits Sinn und Zweck des § 290 Abs. 1 Nr. 3 [X.] (vgl. [X.], Beschluss vom 18. Dezember 2014 - [X.], [X.], 289 Rn. 14; Graf-Schlicker/[X.], [X.], 5. Aufl., § 287a Rn. 10). Dieser Gesetzeszweck greift indes nicht nur nach einer im Erstverfahren erteilten Restschuldbefreiung, sondern auch dann, wenn über den [X.] des [X.] noch nicht entschieden ist. Eine solche Konstellation ist, wie der vorliegende Fall zeigt, bei der Freigabe einer selbständigen Tätigkeit gemäß § 35 Abs. 2 Satz 1 [X.] in jenem älteren Verfahren denkbar (vgl. hierzu auch Graf-Schlicker/[X.], aaO Rn. 11).

Der von § 287a Abs. 1 Nr. 1 Fall 1 [X.] verfolgte Zweck, dem Schuldner nur alle [X.] zu eröffnen, rechtfertigt die Annahme, dass der Gesetzgeber einen [X.] auf Restschuldbefreiung nach Freigabe der selbständigen Tätigkeit als unzulässig angesehen hätte, wenn bei Antragstellung über den Erstantrag des Ausgangsverfahrens noch nicht entschieden ist. Lässt es der Schuldner nämlich im Erstverfahren zur Erteilung der Restschuldbefreiung kommen, ist ein erneuter Antrag auf Restschuldbefreiung innerhalb der nächsten zehn Jahre gemäß § 287a Abs. 1 Nr. 1 Fall 1 [X.] unzulässig (vgl. [X.] in [X.]/[X.]/[X.], Privatinsolvenz, [X.], § 287 Rn. 20; [X.], [X.], 44; [X.], [X.] 2018, 9, 15). Diese verfahrensrechtliche Verknüpfung zwischen Erst- und [X.] (vgl. [X.], aaO) gilt auch, soweit es um neue Verbindlichkeiten geht, die aus der vom Insolvenzverwalter freigegebenen selbstständigen Tätigkeit stammen. Denn § 287a Abs. 1 Nr. 1 Fall 1 [X.] unterscheidet nicht nach der Herkunft der Verbindlichkeiten des Schuldners (vgl. [X.] in [X.]/[X.]/[X.], Privatinsolvenz, [X.], § 287 Rn. 20). Lehnt man mit der Rechtsbeschwerde in der umgekehrten Konstellation, in der die Eingangsentscheidung im Zweitverfahren vor dem Abschluss des ersten [X.] zu treffen ist, eine analoge Anwendung des § 287a Abs. 2 Nr. 1 Fall 1 [X.] ab, würde die Zulässigkeit des [X.]s im Zweitverfahren allein von der zeitlichen Reihenfolge der Entscheidungen - und damit letztlich vom Zufall - abhängen. Es gibt aber keinen sachlichen Grund für eine unterschiedliche Behandlung der beiden Sachverhalte (a. [X.], [X.] 2015, 354, 359 f).

Schließlich steht die vom [X.] bereits mit Beschluss vom 18. Dezember 2014 ([X.], [X.], 289 Rn. 13) aufgezeigte Systematik der §§ 287 ff [X.] parallel geführten [X.] weiterhin entgegen. Insbesondere stellt eine Abtretungserklärung gemäß § 287 Abs. 2 [X.] auch nach neuem Recht eine besondere Verfahrensvoraussetzung für die Durchführung des [X.] dar (vgl. [X.]/[X.], [X.], 15. Aufl., § 287a Rn. 8; HmbKomm-[X.]/[X.], 7. Aufl., § 287 Rn. 18; [X.]/[X.]/[X.], Praxis des Insolvenzrechts, 2. Aufl., § 11 Rn. 124; s. auch [X.], Beschluss vom 13. Juli 2006 - [X.] 117/04, [X.], 1651 Rn. 13 ff zu § 287 [X.] aF), die der Schuldner aber nicht wirksam für zwei verschiedene, zeitgleich stattfindende Verfahren abgeben kann ([X.], Beschluss vom 18. Dezember 2014, aaO). Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist insoweit die Länge des Zeitraums, in dem sich beide Verfahren überschneiden, ohne Bedeutung. Es fehlen jegliche Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber diesen Aspekt in die Betrachtung einbeziehen wollte. Im Gegenteil zeigt die Struktur des § 287a Abs. 2 [X.], der abgeschlossene Erstverfahren voraussetzt, dass der Gesetzgeber von einer Unzulässigkeit parallel geführter [X.] ausgeht (vgl. [X.], [X.], 44; [X.], [X.], 281, 285; im Ergebnis ebenso zu § 290 Abs. 1 Nr. 3 [X.] aF: [X.] in Festschrift [X.], 2010, [X.], 334).

cc) Diesem Ergebnis steht die Entscheidung des [X.]s vom 4. Mai 2017 ([X.], [X.], 627 Rn. 11 ff) nicht entgegen. Der [X.] hat die Frage, ob eine analoge Anwendung des § 287a Abs. 2 [X.] auf gesetzlich nicht geregelte Fälle möglich ist, nur für den dort entschiedenen Fall verneint (vgl. [X.], [X.] 2017, 289, 294). Zu beurteilen war ein Neuantrag des Schuldners auf Restschuldbefreiung ohne Einhaltung einer Sperrfrist, nachdem im vorausgegangenen Insolvenzverfahren die Kostenstundung wegen Verletzung von Mitwirkungspflichten aufgehoben und das Insolvenzverfahren sodann mangels Masse eingestellt worden war. Wie bereits das Beschwerdegericht zutreffend ausgeführt hat, betrifft die Entscheidung nicht den Fall eines - wie hier - zweiten [X.]s bei noch anhängigem Erstantrag.

c) Das Beschwerdegericht hat auch richtig gesehen, dass der Antrag des Schuldners auf Stundung der Verfahrenskosten unzulässig ist. Hierbei muss die Frage, ob bei einem Insolvenzverfahren nach Freigabe einer selbständigen Tätigkeit ein Antrag auf Kostenstundung generell unzulässig ist (so etwa: [X.], [X.] 2017, 337 f; [X.] in Kübler/[X.], [X.], 2019, § 4a Rn. 25; [X.], [X.], 241, 243), nicht abschließend beantwortet werden. Der Antrag ist im vorliegenden Fall schon deshalb unzulässig, weil der Schuldner keine Restschuldbefreiung in dem am 13. März 2019 eröffneten Insolvenzverfahren erreichen kann.

Nach dem früheren Rechtszustand war dem Schuldner auch dann die Kostenstundung zu versagen, wenn die Voraussetzungen des § 4a Abs. 1 Satz 3 und 4 [X.] aF nicht vorlagen, aber bereits im Insolvenzeröffnungsverfahren zweifelsfrei feststand, dass der Schuldner aus einem anderen Grund keine Restschuldbefreiung erlangen konnte. Es sollten nicht öffentliche Mittel für eine Stundung eingesetzt werden, wenn von Anfang an zweifelsfrei feststeht, dass die Restschuldbefreiung letztlich versagt werden wird (vgl. [X.], Beschluss vom 4. Mai 2017 - [X.], [X.], 627 Rn. 19 mwN). Wie der [X.] bereits entschieden hat (Beschluss vom 4. Mai 2017, aaO), ist daraus auch für das neue Recht abzuleiten, dass in den Fällen, in denen der Schuldner die Restschuldbefreiung erreichen kann, ihm die Kostenstundung - sofern die weiteren Voraussetzungen des § 4a [X.] gegeben sind - zu gewähren ist. Ist ein Antrag auf Restschuldbefreiung nach § 287a Abs. 2 [X.] unzulässig, führt dies deswegen zur Unzulässigkeit des Stundungsantrags (vgl. BT-Drucks. 17/11268, [X.]). Gemessen hieran scheitert die Zulässigkeit des Stundungsantrags vom 27. November 2018 an der Unzulässigkeit des Antrags auf Restschuldbefreiung entsprechend § 287a Abs. 2 Nr. 1 Fall 1 [X.].

Grupp     

      

[X.]     

      

Schoppmeyer

      

Röhl     

      

Harms     

      

Meta

IX ZB 7/20

22.07.2021

Bundesgerichtshof 9. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Gera, 23. April 2019, Az: 5 T 174/19

§ 4a Abs 1 InsO vom 15.07.2013, § 35 Abs 2 S 1 InsO, § 287a Abs 2 S 1 Nr 1 InsO vom 15.07.2013

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 22.07.2021, Az. IX ZB 7/20 (REWIS RS 2021, 3877)

Papier­fundstellen: WM2021,1756 NJW-RR 2021, 1277 MDR 2021, 1417-1419 REWIS RS 2021, 3877

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