Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 26.04.2017, Az. 2 StR 580/16

2. Strafsenat | REWIS RS 2017, 11908

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[X.]:[X.]:[X.]:2017:260417U2STR580.16.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

IM NAMEN [X.]S VOLKES

URTEIL
2 StR 580/16
vom
26. April
2017
in der Strafsache
gegen

wegen sexueller Nötigung u.a.

-
2
-
Der 2.
Strafsenat des [X.] hat aufgrund der mündlichen [X.] vom
5.
April
2017
in der Sitzung am 26.
April
2017, an denen
teilge-nommen haben:
[X.] am [X.]

Prof. Dr.
[X.]

als Vorsitzender,

die [X.] am [X.]
Dr. [X.],
[X.],
[X.]in am [X.]
Wimmer,
[X.] am [X.]
Dr. [X.],

Staatsanwalt beim [X.]

in der Verhandlung,
Staatsanwalt

bei der Verkündung

als Vertreter der [X.],

Rechtsanwalt

als Verteidiger in der
Verhandlung,

Justizangestellte

in der Verhandlung,
Justizangestellte

bei der Verkündung

als Urkundsbeamtinnen
der Geschäftsstelle

für Recht erkannt:
-
3
-

1. Auf die Revision
des Angeklagten wird das
Urteil des [X.] vom
29. September 2016 mit den zugehörigen Feststellungen im Rechtsfolgenausspruch
aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-tels und die der Nebenklägerin hierdurch entstandenen not-wendigen Auslagen,
an eine andere [X.] des Land-gerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

Von Rechts wegen

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen sexueller Nötigung in [X.] mit vorsätzlicher Körperverletzung sowie wegen exhibitionistischer Handlungen in 22 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verur-teilt und Führungsaufsicht angeordnet. Von acht weiteren Fällen der exhibitio-nistischen Handlungen
hat es den Angeklagten freigesprochen. Mit seiner auf die Sachrüge gestützten Revision wendet sich der Angeklagte gegen seine Verurteilung.
Das Rechtsmittel hat den aus der Urteilsformel ersichtlichen [X.]; im Übrigen ist es unbegründet.
1
-
4
-
I.
Das [X.] hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
Spätestens seit Karneval 2015 hielt sich der Angeklagte wiederholt in der Wohnung der Zeugin [X.]

, seiner damaligen Freundin, auf. Mitte August
2016 (richtig: 2015) zog er vollständig bei der Zeugin ein. In dem Haushalt der Zeugin [X.]

lebte auch deren
am 10.
Juli 1988 (richtig: 1998) geborene
Tochter, die
Nebenklägerin

G.

.

1. Von März 2015 bis 11. April 2016 entblößte der Angeklagte in insge-samt 22 Fällen
vor der Geschädigten sein Geschlechtsteil in der Absicht, sich hierdurch
oder durch deren
Reaktion sexuell zu erregen. Die Vorfälle trugen sich jeweils im Wohnzimmer oder der Küche der Wohnung der Zeugin [X.]

zu. Die Nebenklägerin nahm das Geschlechtsteil des Angeklagten -
wie

von diesem beabsichtigt
-
jeweils wahr und war von dessen
Verhaltensweise angeekelt.
2. Im September 2016 (richtig: 2015) hielten sich der Angeklagte, die Zeugin [X.]

und die Geschädigte gemeinsam in der Wohnung der Zeugin
[X.]

auf. Als der Angeklagte -
wie bereits bei früheren Gelegenheiten
-

ankündigte, sie "packen" zu wollen, scherzte die Nebenklägerin entgegen [X.] Gelegenheiten nicht zurück, sondern erklärte dem Angeklagten, als dieser auf sie zuging, dass er sie nicht anfassen solle. Obwohl er den entgegenste-henden Willen der Geschädigten erkannte, fasste der Angeklagte sie an den Hüften, woraufhin die Geschädigte ihn nochmals aufforderte, sie loszulassen und gleichzeitig versuchte, sich aus dem Griff zu befreien. Um
dies zu [X.], packte er
noch fester zu, wobei die Geschädigte nicht unerhebliche Schmerzen im Hüftbereich erlitt und zu weinen begann. Der Angeklagte ließ dennoch nicht los. Schließlich geriet
die Geschädigte in dem Bemühen, in eine 2
3
4
5
-
5
-
Schutzhaltung zu
kommen, unter dem Druck des Angeklagten zu Boden. Auch auf die Intervention der Zeugin [X.]

, ihr Kind loszulassen, ließ der Ange-
klagte nicht ab. Er führte vielmehr in sexuell motivierter Absicht seine Hände Richtung Oberkörper der Geschädigten, wobei er mit einer Hand ihr T-Shirt von unten unter ihren Büstenhalter
schob, so dass sich dieses nunmehr zwischen ihrer linken Brust und seiner Hand, welche unter den Büstenhalter
geglitten war und auf ihrer linken Brust lag, befand. In dieser Position hielt der Angeklagte die linke Brust der Geschädigten für einige Augenblicke fest. Erst auf Drohung der Geschädigten, Anzeige zu erstatten, ließ er
von dieser ab.
3. Im Rahmen der Strafzumessung hat das [X.]
hinsichtlich aller dem Angeklagten zur Last gelegten Taten unter anderem straferschwerend [X.], dass dieser eine Vielzahl von Taten über einen langen [X.]raum hinweg begangen und hierdurch ein Klima "sexueller Übergriffigkeit"
geschaffen habe, in dem sich die Nebenklägerin zunehmend unwohl
gefühlt habe.

II.
Die Revision des Angeklagten ist zum Teil begründet.
1. Die Nachprüfung des Urteils zum Schuldspruch hat keinen Rechtsfeh-ler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

Der näheren Erörterung bedarf lediglich der Schuldspruch wegen sexuel-ler Nötigung.

a) Es begegnet keinen rechtlichen Bedenken, dass das [X.] das Verhalten des Angeklagten als
sexuelle Handlung
von einiger Erheblichkeit im Sinne von
§
184h Nr.
1 StGB gewertet hat, ohne dies näher
in der rechtlichen 6
7
8
9
10
-
6
-
Würdigung zu erörtern.
Die im Rahmen der Rangelei mit der Nebenklägerin erfolgte Berührung ihrer Brust ist ohne Zweifel eine sexuelle Handlung, die auch die Erheblichkeitsschwelle des §
184h Nr.
1 StGB
überschritten hat.
Als erheblich in diesem Sinne sind solche sexualbezogenen Handlungen zu werten, die nach Art, Intensität und Dauer eine sozial nicht mehr hinnehmba-re Beeinträchtigung des im jeweiligen Tatbestand geschützten Rechtsguts be-sorgen lassen (st. Rspr.; vgl. etwa [X.], Urteile vom 24.
September 1980
-
3
StR 255/80, [X.]St 29, 336, 338; vom 24.
September 1991 -
5
StR 364/91, [X.], 324
f., insoweit nicht abgedruckt in [X.]St 38, 68;
vom 1.
Dezember 2011 -
5
StR 417/11, [X.], 269, 270; Senat, Urteil vom 21.
September 2016 -
2
StR 558/15, [X.],
43, 44). Dazu bedarf es einer Gesamtbetrachtung aller Umstände im Hinblick auf die Gefährlichkeit der Handlung für das jeweils betroffene Rechtsgut; unter diesem Gesichtspunkt belanglose Handlungen scheiden aus ([X.], Urteile vom 24.
September 1980
-
3
StR 255/80, [X.]St 29, 336, 338; Senat, Urteil vom 3.
April 1991 -
2
StR 582/90, [X.]R StGB §
184c Nr.
1 Erheblichkeit
4; [X.], Urteil vom 24.
September 1991 -
5
StR 364/91, [X.], 324, 325; Senat, Urteil vom 6.
Mai 1992 -
2
StR 490/91, [X.]R §
184c Nr.
1 StGB; Erheblichkeit
6; [X.], Urteil
vom 1.
Dezember 2011 -
5
StR 417/11, [X.], 269, 270;
Senat, Ur-teil
vom 21.
September 2016 -
2
StR 558/15, [X.], 43, 44; [X.]/Kühl/Heger, 28.
Aufl., §
184g Rn.
5; [X.]/[X.], StGB, §
184g Rn.
7; differenzierend SSW-StGB/[X.], 2.
Aufl., §
184g Rn.
9 f.).
Aus den Feststellungen des [X.]s ergibt sich, dass die an der Geschädigten vorgenommene Handlung nicht nur in einer flüchtigen oder "zu-fälligen" Berührung bekleideter Körperregionen,
sondern in einem sexuell moti-vierten Übergriff bestand, bei dem der Angeklagte eine Hand
mit dem T-Shirt unter ihren Büstenhalter schob und ihre Brust für einige Augenblicke festhielt. 11
12
-
7
-
Einer Erörterung der Überschreitung der Erheblichkeitsschwelle durch die [X.] bedurfte es bei dieser Sachlage nicht.
b) Die Gesetzesänderungen durch das 50.
Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches -
Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestim-mung
-
vom 4. November 2016 ([X.] I S. 2460) geben keinen Anlass zu einer für den Angeklagten günstigeren Bewertung als milderes Recht im Sinne von §
2 Abs. 3 StGB.
Die Einführung eines Auffangtatbestands für belästigend wirkende kör-perliche Berührungen in sexuell bestimmter Weise in §
184i Abs.
1 StGB wirkt sich nicht auf die Auslegung des Begriffs der Erheblichkeit in §
184h Nr.
1 StGB aus (anders aber [X.], [X.], 157, 160 f.; [X.], [X.]. 2017, 514, 517
f.). Der Gesetzgeber bezweckte mit der Einführung des §
184i StGB nicht, bisher von §
184h Nr.
1 StGB aF erfasste Verhaltensweisen aus dem Schutzbe-reich herauszulösen und diese nunmehr nur noch unter den dort genannten Voraussetzungen in §
184i StGB unter Strafe zu stellen
(vgl. [X.], Urteil vom 26.
April 2017 -
2
StR 574/16). Ziel der Neuregelung war es vielmehr, bisher strafrechtlich nicht erfasstes Verhalten auch unterhalb der Schwelle des §
184h Nr.
1 StGB zu pönalisieren (BT-Drucks. 18/9097 S.
30).
2. Hingegen hält der
Rechtsfolgenausspruch rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
[X.] hat das [X.] im Rahmen der Erörterung der straferschwerenden Gesichtspunkte
keine tatbezogene individuelle Strafzu-messung vorgenommen, sondern betreffend aller Taten zu Lasten des Ange-klagten gewertet, dass er eine Vielzahl von Taten über einen langen [X.]raum hinweg begangen und hierdurch ein Klima sexueller Übergriffigkeit geschaffen habe, in dem sich die Nebenklägerin zunehmend unwohl gefühlt habe. Aus
den 13
14
15
16
-
8
-
bisherigen Feststellungen ergibt sich nicht, dass das durch das [X.] bemühte "Klima sexueller Übergriffigkeit"
bereits bei Begehung der ersten Tat vorgelegen hat. Die [X.] geht vielmehr
davon aus, dass der [X.] dieses erst durch sein Verhalten im Laufe der [X.] geschaffen hat. Ist das Klima sexueller Übergriffigkeit Folge aller oder einiger Taten, so kann dieses dem Angeklagten nur im Rahmen der Gesamtstrafenbildung oder nur in diesen Fällen, für die es festgestellt wurde, angelastet werden (vgl. Senat, Urteil vom 9.
Juli 2014 -
2
StR 574/13, [X.], 701; Beschluss vom 12.
April 2016
-
2
StR 483/15).
Auch dass die Taten sich über einen langen [X.]raum erstreckten, durfte nicht bei der Zumessung der Einzelstrafen zu Ungunsten des Angeklagten [X.] werden. Dass einer ersten oder zweiten Tat weitere nachgefolgt
sind, ist regelmäßig für deren Unrechtsgehalt ohne strafzumessungsrelevante Bedeutung. Dies mag anders sein, wenn von vornherein eine Mehrzahl von [X.] geplant ist
und darin die nach §
46 Abs.
2 StGB berücksichtigungsfähige "rechtsfeindliche Gesinnung" des [X.] zum Ausdruck kommt (Senat, [X.] vom 12.
April 2016 -
2
StR 483/15,
[X.]R StGB §
46 Abs.
2 Tatum-stände
23,
mwN;
Fischer, StGB, 64.
Aufl., §
46 Rn.
34a). Entsprechende [X.] hat das [X.] jedoch nicht getroffen.
17
-
9
-
Dies führt zur
Aufhebung aller Einzelstrafen und bedingt den Wegfall des Gesamtstrafenausspruchs. Es ist nicht auszuschließen, dass die Strafzumes-sung auf diesem Rechtsfehler beruht. Mit der Aufhebung des Strafausspruchs konnte auch die Anordnung der Führungsaufsicht gemäß §
68 Abs.
1 StGB kei-nen Bestand haben.
[X.] [X.] [X.]

Wimmer [X.]

18

Meta

2 StR 580/16

26.04.2017

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 26.04.2017, Az. 2 StR 580/16 (REWIS RS 2017, 11908)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 11908

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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