Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 06.06.2017, Az. 2 StR 452/16

2. Strafsenat | REWIS RS 2017, 9903

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[X.]:[X.]:[X.]:2017:060617B2STR452.16.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 [X.]16
vom
6. Juni
2017
in der Strafsache
gegen

wegen sexueller Nötigung u.a.

-
2
-
Der 2. Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des Generalbun-desanwalts
und des Beschwerdeführers
am 6.
Juni
2017
gemäß §
349 Abs.
4 StPO beschlossen:

Auf die Revisi[X.] des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 13.
Mai 2016 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkam-mer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen sexueller Nötigung in Tat-

v[X.] einem Jahr und neun M[X.]aten
mit Bewährung sowie zu einem vierwöchigen Dauerarrest verurteilt. Die dagegen gerichtete und auf die Sachrüge gestützte Revisi[X.] des Angeklagten hat Erfolg.

1
-
3
-
I.
1. Das [X.] hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
Der Angeklagte lernte am Abend des 5.
Dezember 2015 in einer Gast-stätte in der [X.] v[X.] B.

die spätere Geschädigte, die 41 Jahre alte Zeu-
gin [X.]

, kennen. Beide tranken im
Verlaufe des Abends nicht unerhebliche
Mengen Alkohol,
tanzten miteinander, tauschten
einvernehmlich Zungenküsse aus
und begaben sich gemeinsam auf die Damentoilette, wo die Zeugin dem Angeklagten ihre Tattoos zeigte.
Die Geschädigte wurde schließlich ihres n-züglichen Verhaltens

wegen der Gaststätte verwiesen und verließ diese
ge-meinsam
mit dem Angeklagten. Am frühen Morgen des folgenden Tages bat die ortsunkundige Geschädigte, die nicht mehr über die für ein Taxi erforderli-chen Geldmittel verfügte und den rund vier Kilometer langen Weg zu ihrer Wohnung zu Fuß zurücklegen wollte, den Angeklagten, sie durch die Innenstadt v[X.] B.

zu begleiten. Sie bereute inzwischen ihr früheres anzügliches Verhal-
ten und wies die wiederholten Versuche
des Angeklagten, sie erneut zu küssen, zurück.
Der Angeklagte führte die Angeklagte schließlich mit der wahrheitswid-rigen Behauptung, seinen Hausschlüssel verloren zu haben und deshalb [X.] aufsuchen zu müssen, in den Innenhof des [X.] und stieg eine metallene Außentreppe an
dem Gebäude hoch. Die Geschädigte folgte ihm zunächst, wurde jedoch misstrauisch, kehrte schließlich um und erklärte dem Angeklagten
erneut, dass sie nach Hause wolle. Auf seine weiteren
Ver-suche, sie zu küssen, reagierte sie abweisend.
Der über diese Zurückweisung erboste Angeklagte folgte der Geschädig-ten und schlug ihr mehrfach mit der Hand ins Gesicht, um nachfolgende Herunterreißen ihrer Kleidungsstücke gegen ihren Willen zu ermöglichen. Die 2
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4
-
Geschädigte stürzte infolge dieser Schläge zu Boden und blieb auf dem Rücken liegen. Der Angeklagte schlug weiter auf die am Boden liegende Geschädigte ein und
jegliche Gegenwehr auf. Nunmehr entblößte der Angeklagte
seinen Penis, in unmittelbarer Nähe zu der Zeugin auf den Boden und begann an seinem Glied zu manipulieren, um sich selbst zu befriedigen.
Dass der Ange-,
vermochte die Kammer nicht festzustellen. Anschließend trat der Angeklagte mit dem beschuhten Fuß mehrfach heftig und in [X.] in das Gesicht und gegen den Ober-körper
der Geschädigten, die zahlreiche blutende Verletzungen
und großflächig über den gesamten Körper verteilte Hämatome erlitt,
und ging dav[X.].
2. Das [X.] hat das Geschehen als vollendete sexuelle Nötigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung im Sinne der
§§
177 Abs.
1 Nr.
1, 224 Abs.
1 Nr.
2 StGB gewürdigt
und dabei in dem Kleidungsstücke

an der Geschädigten gesehen.

II.
Die Feststellungen und Beweiserwägungen tragen die Verurteilung we-gen vollendeter sexuellen Nötigung im Sinne des §
177 Abs.
1 StGB a.F.
bzw. §
177 Abs.
1 in Verbindung mit Abs. 5 StGB
n.F.
nicht.
Als Tatbestandsvariante des §
177 Abs.
1 StGB kommt nach den vom [X.] getroffenen Feststellungen allein die Vornahme einer sexuellen Handlung an
der Geschädigten in Betracht. Die Feststellungen und die sie tra-5
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7
-
5
-
genden Beweiserwägungen belegen jedoch nicht, dass der Angeklagte durch das gewaltsame Entkleiden eine sexuelle Handlung v[X.] einiger Erheblichkeit
im Sinne des §
184h StGB

1. Eine sexuelle Handlung v[X.] einiger Erheblichkeit im Sinne des § 184h Nr. 1 StGB

zur Tatzeit noch § 184g Nr. 1 StGB

erfordert zunächst eine Handlung mit Sexualbezug. Dies ist nach ständiger Rechtsprechung bei [X.] Handlungen der Fall, die bereits objektiv, also allein gemessen an ihrem äußeren Erscheinungsbild die Sexualbezogenheit erkennen lassen (vgl. [X.], Urteil vom 10. März 2016

3
[X.], NJW 2016, 2049 mwN). Darüber [X.] können auch sog. ambivalente Handlungen, die für sich betrachtet nicht ohne Weiteres einen sexuellen Charakter aufweisen, tatbestandsmäßig sein; insoweit ist auf das Urteil eines objektiven Betrachters abzustellen, der alle Um-stände des Einzelfalles kennt (Senat, Urteil vom 21. September 2016

2
StR 558/15, [X.], 43; Urteil vom 14. März 2012

2 [X.], [X.], 10, 12; [X.], Urteil vom 10.
März 2016

3 [X.], NJW 2016, 2049 mwN). Dabei ist auch zu berücksichtigen, ob der Angeklagte v[X.] sexuellen Ab-sichten geleitet war ([X.], Beschluss vom 5. Oktober 2004

3 StR 256/04, [X.], 361, 367 bei [X.]; Urteil vom 20. Dezember 2007

4 [X.], [X.], 339, 340; MüKoStGB/[X.], 3. Aufl., § 184h
Rn.
3
f.; [X.] in: [X.]/[X.], StGB, 29. Aufl., § 184g Rn. 9 mwN zur Gegenan-sicht).
Darüber hinaus muss die sexuelle Handlung auch die [X.] des § 184h
Nr. 1 StGB (vormals: § 184g
Nr. 1 StGB)
überschreiten. Als
erheblich in diesem Sinne sind solche sexualbezogenen Handlungen zu werten, die nach Art, Intensität und Dauer eine sozial nicht mehr hinnehmbare Beeinträchtigung des im jeweiligen Tatbestand geschützten Rechtsguts besor-gen lassen (st. Rspr.; vgl. etwa [X.], Urteile vom 24. September 1980

3
StR 8
9
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6
-
255/80, [X.]St 29, 336, 338; vom 24. September 1991

5 StR 364/91, [X.], 324; vom 1. Dezember 2011

5 [X.], [X.], 269, 270; [X.] vom 16. Mai 2017

3 [X.]). Dazu bedarf es einer Gesamtbe-trachtung aller Umstände im Hinblick auf die Gefährlichkeit der Handlung für das jeweils betroffene Rechtsgut; unter diesem Gesichtspunkt belanglose Handlungen scheiden aus (Senat, Urteil vom 26. April 2017

2 [X.]; [X.], Urteile vom 1. Dezember 2011

5
[X.], [X.], 269, 270; [X.]/[X.]/Heger, 28.
Aufl., §
184g Rn.
5; vgl. [X.][X.], StGB, §
184g Rn.
7; differenzierend SSW-StGB/[X.], 3.
Aufl., §
184h
Rn.
8
ff.).
2. Das [X.] ist im rechtlichen Ausgangspunkt zutreffend dav[X.] ausgegangen, dass das gewaltsame Entkleiden eines [X.] als eine u-v[X.] einiger Erheblichkeit in diesem Sinne angesehen werden
kann.

a) Der Senat kann insoweit offen lassen, ob der Ansicht zu folgen ist, dass dies nur für Fälle gilt, in denen das Entfernen der Bekleidung mit einer se-xuellen Handlung an dem Körper des [X.] verbunden ist (vgl. [X.], [X.] vom 23.
Februar 2017

1
StR 627/16 zu §
176 Abs.
1 StGB, [X.], 140, 141; Beschluss vom 19. April 1990

3 [X.], NStZ 1990, 490; Beschluss vom 17. September 1992

4 [X.], [X.], 78)
oder das Entfernen der Kleidung vom Körper des [X.] jedenfalls mit einem nicht nur flüchtigen körperlichen K[X.]takt verbunden ist
(vgl. [X.], Beschluss vom 14.
Juni 2016

3
StR 72/16, [X.], 39
f.; Urteil vom 17.
August 1988

2
[X.], [X.]R StGB §
178 Abs.
1 sexuelle Handlung 2; Beschlüsse vom 19.
April 1990

3
[X.], NStZ 1990, 490 und vom 17.
Juli 1991

5
StR 279/91,
juris Rn.
3; Urteil vom 24.
November 1993

3
StR 517/93, juris Rn.
17; siehe auch [X.], Urteil vom 4.
August 2011

3
StR 120/11, [X.], 10
11
-
7
-
49
f.; [X.], Urteil vom 5. Mai 1970

1 [X.], NJW 1970, 1465, 1466; dif-ferenzierend auch MüKo StGB/[X.], 3.
Aufl.,
§ 184h Rn. 21 a.E.).
Angesichts v[X.] Jeanshose
und Slip des [X.] entnimmt der Senat dem [X.], dass die Tathandlung zu einem nicht nur ganz flüchtigen Körperk[X.]takt mit dem Tatopfer geführt hat.
b) Das gewaltsame Entkleiden des [X.] ist jedoch nur dann als eine sexuelle
Handlung anzusehen, wenn der [X.] durch diese Hand-Urtei-le
vom 31.
Oktober 1984

2 StR 392/84
und vom 17. August 1988

2 [X.], [X.]R StGB § 184c Nr. 1 Erheblichkeit 2; [X.], Beschluss vom 17.
September 1992

2 [X.], [X.], 78, 79).
Die Feststellung des [X.], dass der Angeklagte sich sch[X.] durch das gewaltsame Entklei-den
der Geschädigten sexuell habe erregen
wollen, ist nicht tragfähig belegt.
[X.]) Zwar muss das Revisi[X.]sgericht die Überzeugung des Tatgerichts vom Vorliegen eines Sachverhalts grundsätzlich hinnehmen. Ebenso ist es ihm verwehrt, seine eigene Überzeugung an die Stelle derjenigen des Tatrichters zu setzen. Zu prüfen ist aber, ob die tatrichterliche Überzeugung in den [X.] und den sie tragenden Beweiserwägungen eine ausreichende Grundla-ge findet. Feststellungen und Beweiserwägungen müssen den Schluss erlau-ben, dass das festgestellte Geschehen mit hoher Wahrscheinlichkeit mit der Wirklichkeit übereinstimmt. Deshalb müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen, verstandesmäßig einsehbaren Tatsachengrundlage beruht und die vom Tatrichter gezogenen [X.] nicht nur eine Vermutung darstellen
(st. Rspr., vgl. Senat, Beschluss vom 16. Juni 2015

2 StR 29/15, [X.], 740; [X.], Beschluss vom 22.
August 2013

1 [X.], [X.], 610).
12
13
-
8
-
bb) Gemessen hieran sind die Wertungen des [X.] nicht tragfä-hig begründet.
(1) Das [X.] hat seine Überzeugung, dass der Angeklagte die näher begründet. Eine solche Motivati[X.] versteht sich

ungeachtet der spezifi-schen Tatvorgeschichte und des Umstands, dass der Angeklagte sich
ausweis-lich
der Feststellungen

k-

nicht v[X.] selbst. [X.] Erörterung hätte dies sch[X.] deshalb bedurft, weil das [X.] sich nicht dav[X.] zu überzeugen vermochte, dass das Handeln des Angeklagten nicht auf die Erzwingung des vaginalen Geschlechtsverkehrs abzielte. Auch diese Überzeugung ist nicht näher begründet.
(2) Darüber hinaus hätte auch das weitere Verhalten des Angeklagten in die Beweiswürdigung einbezogen werden müssen. Nach den Feststellungen sprang der Angeklagte
nach der Tat plötzlich auf und trat mehrfach auf die am Boden liegende Geschädigte ein. Dieses Nachtatverhalten
deutet auf eine Ver-ärgerung des Angeklagten hin, die sich jedenfalls ohne eine nähere Erläuterung nicht mit der Annahme des [X.] vereinbaren lässt, dass die [X.] der Tat den Plänen und Zielen des Angeklagten entsprach.

Der Schuldspruch wegen sexueller Nötigung kann daher nicht bestehen bleiben. Dies führt zur Aufhebung des für sich genommen [X.] Schuldspruchs wegen tateinheitlicher gefährlicher Körperverletzung.
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9
-
Der neu zur Entscheidung berufene Tatrichter wird

eingehender als bisher geschehen

zu prüfen haben, ob ein (fehlgeschlagener) Versuch der Vergewaltigung vorliegen könnte. Das Verbot der reformatio in peius (§
358 Abs.
2 Satz
1 StPO) stünde einer Schuldspruchänderung nicht entgegen.
Krehl [X.] Bartel

Grube

Richter am [X.] Schmidt

ist an der Unterschrifts-

leistung gehindert.

Krehl

18

Meta

2 StR 452/16

06.06.2017

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 06.06.2017, Az. 2 StR 452/16 (REWIS RS 2017, 9903)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 9903

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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