Bundesfinanzhof, Urteil vom 08.09.2010, Az. I R 28/10

1. Senat | REWIS RS 2010, 3574

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Gegenstand

Zusammenveranlagung von unbeschränkt einkommensteuerpflichtigen Staatsangehörigen der EU/des EWR mit ihren im EU/EWR-Ausland lebenden Ehegatten


Leitsatz

Seit der Neufassung des § 1a Abs. 1 EStG 2002 durch das JStG 2008 können unbeschränkt einkommensteuerpflichtige Staatsangehörige der EU/des EWR die Zusammenveranlagung mit ihrem im EU/EWR-Ausland lebenden Ehegatten auch dann beanspruchen, wenn die gemeinsamen Einkünfte der Ehegatten zu weniger als 90 v.H. der deutschen Einkommensteuer unterliegen oder die ausländischen Einkünfte der Ehegatten den doppelten Grundfreibetrag übersteigen .

Tatbestand

1

I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war im Streitjahr 2008 im Inland als Arbeitnehmer beschäftigt und unterhielt dort aus beruflichen Gründen einen doppelten Haushalt. Er erzielte Einkünfte in Höhe von 27.292 €. Seine Ehefrau wohnte im Streitjahr in [X.] am Familienwohnsitz und bezog ausweislich der "Bescheinigung [X.]/EWR" Einkünfte in [X.] von umgerechnet 9.849 €.

2

Der Kläger und seine Ehefrau beantragten die Zusammenveranlagung. Dies lehnte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --[X.]--) mit der Begründung ab, die Grenzwerte des § 1 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 1a Abs. 1 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes 2002 (EStG 2002) i.d.F. des Jahressteuergesetzes 2008 ([X.] 2008) --EStG 2002 n.F.-- seien überschritten. Er erließ einen Einkommensteuerbescheid, mit dem er lediglich den Kläger zur Einkommensteuer veranlagte.

3

Die dagegen gerichtete Klage wies das [X.] ([X.]) [X.] mit in Entscheidungen der [X.]e (E[X.]) 2010, 854 veröffentlichtem Urteil vom 11. März 2010  6 K 2559/09 ab.

4

Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung materiellen Rechts. Er beantragt, das Urteil des [X.] aufzuheben und das [X.] unter Aufhebung des Einkommensteuerbescheides für das [X.] und der dazu ergangenen Einspruchsentscheidung zu verpflichten, den Kläger und seine Ehefrau für das [X.] zusammen zur Einkommensteuer zu veranlagen.

5

Das [X.] beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

6

II. Die Revision ist begründet. Das [X.] ist verpflichtet, den Kläger zusammen mit seiner Ehefrau zur Einkommensteuer zu veranlagen.

7

1. Die Zusammenveranlagung von Ehegatten (§ 26b EStG 2002) setzt grundsätzlich gemäß § 26 Abs. 1 Satz 1 EStG 2002 die unbeschränkte Einkommensteuerpflicht beider Ehegatten voraus. Staatsangehörige eines Mitgliedstaates der [X.] ([X.]) oder eines Staates, auf den das Abkommen über den [X.] ([X.]) anwendbar ist, die nach § 1 Abs. 1 EStG 2002 n.F. unbeschränkt einkommensteuerpflichtig sind oder die nach § 1 Abs. 3 EStG 2002 n.F. als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig zu behandeln sind, können jedoch beantragen, dass ihr nicht dauernd getrennt lebender Ehegatte ohne Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland für die Anwendung des § 26 Abs. 1 Satz 1 EStG 2002 n.F. als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt wird. Voraussetzung dafür ist, dass der nicht unbeschränkt einkommensteuerpflichtige Ehegatte seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaates der [X.] oder eines [X.]-Staates hat (§ 1a Abs. 1 Nr. 2 EStG 2002 n.F.). Dies ist vorliegend der Fall.

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2. Weitere einschränkende Voraussetzungen bestehen nicht.

9

a) Nach dem Einleitungssatz des § 1a Abs. 1 EStG 2002 in der bis zur Änderung durch das Jahressteuergesetz 2008 geltenden Fassung (EStG 2002 a.F.) erforderte die [X.] allerdings zusätzlich, dass der nach § 1 Abs. 1 EStG 2002 a.F. unbeschränkt Einkommensteuerpflichtige auch die Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 Satz 2 bis 4 EStG 2002 a.F. erfüllte. Da gemäß § 1a Abs. 1 Nr. 2 Satz 3 EStG 2002 a.F. bei Anwendung des § 1 Abs. 3 Satz 2 EStG 2002 a.F. auf die Einkünfte beider Ehegatten abzustellen und der Betrag von 6.136 € zu verdoppeln war, war eine Zusammenveranlagung nur möglich, wenn die Einkünfte beider Ehegatten zu mindestens 90 v.H. der [X.] Einkommensteuer unterlagen und die nicht der [X.] Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte 12.272 € nicht überstiegen (vgl. Senatsurteil vom 20. August 2008 [X.], [X.], 517, [X.], 708).

b) Die Rechtslage hat sich jedoch seit der Neufassung des Einleitungssatzes in § 1a Abs. 1 EStG 2002 a.F. durch das Jahressteuergesetz 2008 geändert. Der nach § 1 Abs. 1 EStG 2002 n.F. unbeschränkt einkommensteuerpflichtige Ehegatte muss nicht mehr zusätzlich die Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 Satz 2 bis 4 EStG 2002 n.F. erfüllen. § 1a Abs. 1 Nr. 2 Satz 3 EStG 2002 n.F. ist seither auf nach § 1 Abs. 3 EStG 2002 n.F. als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelte Ehegatten beschränkt (gl.[X.]/[X.], EStG, 29. Aufl., § 1a Rz 20; [X.] in [X.], EStG, § 1a [X.], 9). Denn nur in diesem Fall kommt es zur Anwendung des § 1 Abs. 3 EStG 2002 n.F., und nur in diesem Fall ist gemäß § 1a Abs. 1 Nr. 2 Satz 3 EStG 2002 n.F. auf die Einkünfte beider Ehegatten abzustellen und der Grundfreibetrag nach § 32a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG 2002 n.F. zu verdoppeln. Die Wendung "Bei Anwendung des § 1 Absatz 3 ..." in § 1a Abs. 1 Nr. 2 Satz 3 EStG 2002 n.F. kann nicht so verstanden werden, dass die Einkünfte der Ehegatten auch bei unbeschränkt Einkommensteuerpflichtigen i.S. von § 1 Abs. 1 EStG 2002 n.F. die Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 EStG 2002 n.F. erfüllen müssen. Die Vorschrift ordnet die Anwendung des § 1 Abs. 3 EStG 2002 n.F. nicht an, sondern setzt sie voraus und bestimmt, wie in diesem Fall zu verfahren ist. Dies folgt auch aus der Gesetzesbegründung (Gesetzentwurf der Bundesregierung, BTDrucks 16/7036, [X.]). Danach soll bei nach § 1 Abs. 1 EStG 2002 n.F. unbeschränkt Einkommensteuerpflichtigen, die die Zusammenveranlagung mit ihren im Ausland lebenden Ehegatten gemäß § 1a Abs. 1 Nr. 2 EStG 2002 n.F. beantragen, aus Gründen der Gleichbehandlung der intakten mit der gescheiterten Ehe (§ 1a Abs. 1 Nr. 1 EStG 2002 n.F.) das Erfordernis aufgegeben werden, dass nahezu alle ihre Einkünfte der [X.] Einkommensteuer unterliegen müssen. Wäre dennoch zu prüfen, ob die inländischen Einkünfte der Ehegatten mindestens 90 v.H. der gesamten Einkünfte erreichen und die im Ausland erzielten Einkünfte nicht höher als der doppelte Grundfreibetrag sind, würde die bisherige Rechtslage weitgehend fortgeschrieben.

3. Der Kläger kann danach eine Zusammenveranlagung mit seiner Ehefrau beanspruchen (§ 1a Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 26 Abs. 1 Satz 1, § 26b EStG 2002 n.F.). Er verfügte im Streitjahr im Inland über einen Wohnsitz und war daher gemäß § 1 Abs. 1 EStG 2002 n.F. unbeschränkt einkommensteuerpflichtig. Er ist Staatsbürger eines Mitgliedstaates der [X.] und hat die Zusammenveranlagung mit seiner nicht von ihm getrennt lebenden Ehefrau beantragt, die ihren Wohnsitz in [X.] hat.

4. Das [X.] ist von einem abweichenden Rechtsverständnis ausgegangen. Sein Urteil war aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Das [X.] ist verpflichtet, eine Zusammenveranlagung durchzuführen.

Meta

I R 28/10

08.09.2010

Bundesfinanzhof 1. Senat

Urteil

vorgehend Finanzgericht Rheinland-Pfalz, 11. März 2010, Az: 6 K 2559/09, Urteil

§ 1 Abs 1 EStG 2002 vom 20.12.2007, § 1 Abs 3 EStG 2002 vom 20.12.2007, § 1a Abs 1 Nr 2 EStG 2002 vom 20.12.2007, § 26 Abs 1 S 1 EStG 2002, § 26b EStG 2002, § 1 Abs 3 S 3 EStG 2002, § 1 Abs 3 S 4 EStG 2002, § 1 Abs 3 S 2 EStG 2002, § 1a Abs 1 Nr 2 S 3 EStG 2002

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 08.09.2010, Az. I R 28/10 (REWIS RS 2010, 3574)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 3574

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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