Bundesfinanzhof, Urteil vom 07.05.2015, Az. VI R 54/14

6. Senat | REWIS RS 2015, 11451

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Gegenstand

Regelmäßige Arbeitsstätte in der Probezeit oder bei befristeter Beschäftigung


Leitsatz

NV: Der in einer dauerhaften, ortsfesten betrieblichen Einrichtung seines Arbeitgebers tätige Arbeitnehmer ist nicht allein deshalb auswärts tätig, weil er eine Probezeit vereinbart hat, unbedingt versetzungsbereit oder befristet beschäftigt ist .

Tenor

Die Revision der Kläger gegen das Urteil des [X.] vom 12. März 2014  3 K 786/13 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens haben die Kläger zu tragen.

Tatbestand

1

I. Streitig ist, ob Aufwendungen für Fahrten zum Tätigkeitsort als Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte oder nach Reisekostengrundsätzen (einschließlich Verpflegungsmehraufwendungen) zu berücksichtigen sind, insbesondere, ob der Tätigkeitsort eine regelmäßige Arbeitsstätte darstellt.

2

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute, die für das Streitjahr 2011 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden.

3

Der Kläger trat zum … Januar 2011 ein neues Dienstverhältnis an. Laut Arbeitsvertrag vom 11. Januar 2011 war dieser bis zum … Januar 2013 befristet. Die ersten sechs Monate galten als Probezeit. Für diese Tätigkeit machte der Kläger zunächst in der Einkommensteuererklärung bei den Einkünften aus § 19 des Einkommensteuergesetzes (EStG) Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte für 208 Arbeitstage bei einer einfachen Entfernung von 83 km als Werbungskosten geltend, die der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --[X.]--) im Rahmen des [X.] vom 25. April 2012 antragsgemäß berücksichtigte.

4

Im Rahmen ihres hiergegen gerichteten Einspruchs begehrten die Kläger die Fahrtkosten innerhalb der Probezeit als Reisekosten und für drei Monate Verpflegungsmehraufwendungen als Werbungskosten zu berücksichtigen, da während der Probezeit keine regelmäßige Arbeitsstätte vorliege. Außerdem wandten sie sich gegen den begrenzten Abzug der Beiträge für Arbeitslosenversicherung als Sonderausgaben; insoweit nahm das [X.] in der Einspruchsentscheidung einen Vorläufigkeitsvermerk auf.

5

Die nach dem im Übrigen erfolglosen Einspruch erhobene Klage wies das [X.] ([X.]) mit den in Entscheidungen der [X.]e 2014, 1873 veröffentlichten Gründen ab.

6

Mit der Revision rügen die Kläger die Verletzung materiellen Rechts.

7

Sie beantragen,
das angefochtene Urteil des [X.] Thüringen vom 12. März 2014  3 K 786/13 und die Einspruchsentscheidung vom 26. August 2013 aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid für das [X.] vom 25. April 2012 dahingehend abzuändern, dass die im Rahmen der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit mit dem eigenen PKW getätigten Fahrten zum Betriebssitz des Arbeitgebers während der Probezeit von sechs Monaten und der [X.] der Befristung des Arbeitsverhältnisses auf zwei Jahre nach Reisekostengrundsätzen mit 0,30 € je gefahrenem Kilometer in Höhe von (208 Fahrten × 83 km × 2 × 0,30 € =) 10.358,40 € berücksichtigt und Verpflegungsmehraufwendungen für die ersten drei Monate in Höhe von (60 Tagen × 6 € =) 360 € angesetzt werden.

8

Das [X.] beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

9

II. Die Revision der Kläger ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Das [X.] hat zu Recht entschieden, dass Aufwendungen des [X.] für Fahrten zwischen seiner Wohnung und seinem Arbeitsplatz nur im Rahmen der Entfernungspauschale als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit berücksichtigt werden können und Mehraufwendungen für Verpflegung ebenfalls nicht einkünftemindernd anzusetzen sind.

1. Beruflich veranlasste Fahrtkosten sind Erwerbsaufwendungen und gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG in Höhe des dafür tatsächlich entstandenen Aufwands als Werbungskosten zu berücksichtigen. Erwerbsaufwendungen in diesem Sinne sind auch die Kosten des Arbeitnehmers für seine Wege zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte. Allerdings dürfen diese Kosten gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung nur nach Maßgabe einer Entfernungspauschale als Werbungskosten in Abzug gebracht werden.

a) Eine regelmäßige Arbeitsstätte kann nur eine ortsfeste, dauerhafte betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers sein, der der Arbeitnehmer zugeordnet ist und die er nicht nur gelegentlich, sondern mit einer gewissen Nachhaltigkeit, d.h. fortdauernd und immer wieder (dauerhaft) aufsucht. Regelmäßig handelt es sich dabei um den Betrieb des Arbeitgebers oder einen Zweigbetrieb, nicht aber um die Tätigkeitsstätte in einer betrieblichen Einrichtung des Kunden des Arbeitgebers (ständige Rechtsprechung, z.B. Senatsurteil vom 20. März 2014 VI R 74/13, [X.], 56, [X.] 2014, 854, m.w.N.).

b) Ist der Arbeitnehmer nicht an einer solchen dauerhaften betrieblichen Einrichtung tätig, liegt regelmäßig eine Auswärtstätigkeit vor, weil der Arbeitnehmer entweder vorübergehend von seiner Wohnung und dem ortsgebundenen Mittelpunkt seiner dauerhaft angelegten beruflichen Tätigkeit entfernt tätig wird oder weil er schon über keinen dauerhaft angelegten ortsgebundenen Bezugspunkt für seine berufliche Tätigkeit verfügt, sondern nur an ständig wechselnden Tätigkeitsstätten oder auf einem Fahrzeug eingesetzt wird (z.B. Senatsurteile vom 26. Februar 2014 VI R 54/13, [X.], 1199, und VI R 68/12, [X.], 1029, jeweils m.w.N.). Folge einer solchen Auswärtstätigkeit ist, dass die Kosten für beruflich veranlasste Fahrten gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG uneingeschränkt zum Abzug zuzulassen sind. Denn ein Arbeitnehmer, der auswärts tätig ist, hat typischerweise nicht die Möglichkeit, seine [X.] gering zu halten (ständige Rechtsprechung, z.B. Senatsurteil vom 10. April 2014 VI R 11/13, [X.], 218, [X.] 2014, 804, m.w.N.).

2. Nach diesen Grundsätzen hat das [X.] zu Recht darauf erkannt, dass der Kläger im Streitjahr nicht auswärts, sondern am Betriebssitz --einer dauerhaften betrieblichen Einrichtung-- seines Arbeitgebers und damit in einer regelmäßigen Arbeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG tätig war. Denn der Kläger hat diese Einrichtung während seines Arbeitsverhältnisses nicht nur gelegentlich, sondern mit einer gewissen Nachhaltigkeit, d.h. fortdauernd und immer wieder (dauerhaft) aufgesucht. Der Umstand, dass der Kläger seine Tätigkeit dort nur auf zwei Jahre befristet ausgeübt hat und zudem die ersten sechs Monate seines Beschäftigungsverhältnisses mit einer Probezeit belegt waren, steht der Dauerhaftigkeit der Zuordnung nach dem Betriebssitz des Arbeitgebers nicht entgegen. Denn ein in einer dauerhaften, ortsfesten betrieblichen Einrichtung seines Arbeitgebers tätiger Arbeitnehmer ist nicht allein deshalb auswärts, also vorübergehend von seiner Wohnung und dem ortsgebundenen Mittelpunkt seiner dauerhaft angelegten beruflichen Tätigkeit entfernt tätig, weil er eine Probezeit vereinbart hat, unbedingt versetzungsbereit oder befristet beschäftigt ist (Senatsurteile vom 15. Mai 2013 VI R 18/12, [X.], 374, [X.] 2013, 838, und vom 6. November 2014 VI R 21/14, [X.], 427, [X.] 2015, 338; Niedersächsisches [X.], Urteil vom 7. November 2012  2 K 135/12, [X.]Entscheidungsdienst 2014, 525; [X.], [X.] 2012, 783, 785 f.; a.[X.]/[X.], EStG, 33. Aufl., § 9 Rz 116 betreffend [X.]). Er sucht vielmehr auch in diesen Fällen die Tätigkeitsstätte nicht nur gelegentlich, sondern [X.] auch nur für die Dauer seines befristeten Beschäftigungsverhältnisses oder in der Probezeit-- fortdauernd und immer wieder auf. Der Einwand des [X.], in solchen Fällen fehle es an der für eine regelmäßige Arbeitsstätte erforderlichen "Planungssicherheit", trifft zwar in der Sache zu, vermag [X.] aber nicht aus dem Regeltypus einer "Innendiensttätigkeit" (Leistungsort im Betrieb oder einer Betriebsstätte des Arbeitgebers) herauszulösen.

Im Übrigen weist der Senat darauf hin, dass die Vorhersehbarkeit wechselnder Tätigkeitsstätten und die "Möglichkeit", [X.] zu mindern, nicht Tatbestandsmerkmale der in § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG geregelten Entfernungspauschale sind. Der Umstand, dass sich der Arbeitnehmer in unterschiedlicher Weise auf die immer gleichen Wege einstellen und so auf eine Minderung der [X.] etwa durch die Bildung von Fahrgemeinschaften, die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel und gegebenenfalls sogar durch die entsprechende Wohnsitznahme hinwirken kann, beschreibt lediglich generalisierend und typisierend den Regelfall, nach der sich die Regelung des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG als sachgerechte und folgerichtige Ausnahme vom objektiven Nettoprinzip erweist (Senatsurteil vom 17. Juni 2010 VI R 35/08, [X.], 147, [X.] 2010, 852, m.w.N.). Individuelle Zufälligkeiten und Besonderheiten in der tatsächlichen Ausgestaltung eines Arbeitsverhältnisses --insbesondere dessen zeitliche Befristung-- bleiben hierbei unberücksichtigt (Senatsurteil in [X.], 427, [X.] 2015, 338, m.w.N.). Demnach sind die streitigen [X.] lediglich im Rahmen der Entfernungspauschale und Mehraufwendungen für Verpflegung gemäß § 9 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Sätze 1 und 2 EStG nicht als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zu berücksichtigen.

3. Aus den [X.] vom 8. August 2013 VI R 72/12 ([X.], 358, [X.] 2014, 68) und VI R 27/12 ([X.], 308) sowie vom 24. September 2013 VI R 51/12 ([X.], 215, [X.] 2014, 342) ergibt sich nichts anderes. Zwar hat der Senat dort entschieden, dass ein Arbeitnehmer, der für ein oder zwei Jahre (wiederholt) befristet seiner Berufstätigkeit an einer anderen betrieblichen Einrichtung seines Arbeitgebers nachgeht, und ein Beamter, der von seinem Arbeitgeber für [X.] an eine andere als seine bisherige Tätigkeitsstätte abgeordnet oder versetzt wird, an den neuen [X.] keine regelmäßigen Arbeitsstätten begründen. Für das Auffinden einer regelmäßigen Arbeitsstätte bei einem befristeten oder [X.] lassen sich hieraus jedoch keine Erkenntnisse gewinnen. Insbesondere rechtfertigen diese Entscheidungen den Schluss der Kläger nicht, dass bei (bis zu [X.]n) befristeten Arbeitsverhältnissen oder in der Probezeit stets keine regelmäßige Arbeitsstätte i.S. von § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG vorliege. Denn in den genannten Verfahren stand in Streit, ob der Arbeitnehmer lediglich --unter Beibehaltung seiner bisherigen regelmäßigen [X.] "vorübergehend" in einer anderen betrieblichen Einrichtung seines Arbeitgebers tätig wurde oder von Anbeginn dauerhaft an den neuen Beschäftigungsort entsandt worden ist und dort eine (neue) regelmäßige Arbeitsstätte begründet hat. Ein solcher Sachverhalt liegt jedoch im Streitfall ersichtlich nicht vor.

4. [X.] folgt aus § 135 Abs. 2 [X.]O.

Meta

VI R 54/14

07.05.2015

Bundesfinanzhof 6. Senat

Urteil

vorgehend Thüringer Finanzgericht, 12. März 2014, Az: 3 K 786/13, Urteil

§ 9 Abs 1 S 1 EStG 2009, § 9 Abs 1 S 3 Nr 4 EStG 2009, § 9 Abs 5 S 1 EStG 2009, § 4 Abs 5 S 1 Nr 5 EStG 2009, EStG VZ 2011

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 07.05.2015, Az. VI R 54/14 (REWIS RS 2015, 11451)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 11451

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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