Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 22.12.2010, Az. 2 ARs 456/10

2. Strafsenat | REWIS RS 2010, 66

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BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 2 ARs 456/10 vom 22. Dezember 2010 in den [X.] gegen 1. 2. 3. hier: [X.] des 5. Strafsenats vom 9. November 2010 - 5 StR 394/10, 5 [X.], 5 StR 474/10 - gemäß § 132 [X.] - 2 - Der 2. Strafsenat des [X.] hat am 22. Dezember 2010 be-schlossen: Der Senat stimmt der Rechtsansicht des anfragenden 5. Strafsenats zu. Gründe: 1 Der 5. Strafsenat beabsichtigt zu entscheiden: Aus der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten in ihrer Aus-legung durch den [X.] ergibt sich für die Maßregel der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung keine die Rück-wirkung generell hindernde andere Bestimmung im Sinne des § 2 Abs. 6 StGB. Er hat daher bei dem 4. Strafsenat angefragt, ob an entgegenstehender Rechtsprechung festgehalten wird, bei den anderen Strafsenaten, ob dieser Rechtsauffassung zugestimmt wird. 2 Der 2. Strafsenat folgt der Rechtsauffassung des anfragenden Senats. Der beabsichtigten Entscheidung steht, soweit ersichtlich, auch keine Recht-sprechung des Senats entgegen. 3 1. Alle staatlichen Organe der Vertragsstaaten sind verpflichtet, die Eu-ropäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten in ihrer durch die Entscheidungen des [X.] zu beachten. Da die Fachgerichte innerhalb der staatlichen Kompetenzordnung als Teil der rechtsprechenden Gewalt gemäß 4 - 3 - Art. 20 Abs. 3 GG an Gesetz und Recht gebunden sind und die Konvention im Range eines Bundesgesetzes steht, ist der entsprechende Spielraum der Fach-gerichte durch diese Rangzuweisung dahingehend begrenzt, dass sie die [X.] wie anderes Bundesrecht im Rahmen methodisch vertretbarer Ausle-gung der bundes[X.]n Gesetze zu beachten und anzuwenden haben ([X.] 111, 307, 317, 323). Aus Gründen der Gesetzesbindung muss daher eine konventionsfreundliche Auslegung dort enden, wo der gegenteilige Wille des nationalen Gesetzgebers deutlich erkennbar wird und eine Auslegung im Sinne der Konvention gegen Wortlaut oder Regelungszweck der Norm erfolgen müsste. 2. Nach Maßgabe dieser Grundsätze lässt allein der Wortlaut des § 2 Abs. 6 StGB eine konventionsfreundliche Auslegung dahingehend zu, Art. 7 Abs. 1 Satz 2 [X.] in seiner Ausformung, die er durch die Entscheidung des Gerichtshofs vom 17. Dezember 2009 ([X.], 25) erfahren hat, als eine —andere gesetzliche [X.] im Sinne dieser Norm zu verstehen. [X.] hat der nationale Gesetzgeber selbst [X.] worauf der anfragende Strafsenat hinweist [X.] Art. 7 Abs. 1 Satz 2 [X.] nicht als Ausnahmevorschrift im Sinne des § 2 Abs. 6 StGB verstanden, sondern als Prüfungsmaßstab zur Frage der Ver-einbarkeit des § 2 Abs. 6 StGB mit der Konvention herangezogen. Durch die Wendung —wenn gesetzlich nichts anderes bestimmtfi wollte er letztlich nur dar-auf hinweisen, dass auch im Maßregelrecht auf besondere Regelungen zu [X.] sei, die die Anwendung von Tatzeitrecht bestimmen. 5 Einer Auslegung des Art. 7 Abs. 1 Satz 2 [X.] (wie auch des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 [X.]) als Ausnahmevorschrift im Sinne des § 2 Abs. 6 StGB mit der Folge, dass eine rückwirkende Anwendung des § 67d Abs. 3 StGB nicht möglich wäre, würde indes der in dieser Vorschrift zum Ausdruck kommende eindeutige Wille des Reformgesetzgebers des Jahres 1998 entgegenstehen. 6 - 4 - Dieser wollte mit Einführung des § 67d Abs. 3 StGB wie auch mit der späteren Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung in § 66b StGB sicherstel-len, dass die Sicherungsverwahrung dann, wenn die Gefährlichkeit eines Täters dies indiziert, auch über die Höchstfrist von zehn Jahren hinaus vollzogen bzw. auch noch nachträglich angeordnet werden kann. Der Gesetzgeber wollte eine Rückwirkung und hat deshalb in § 67d Abs. 3 Satz 1 StGB keine Ausnahme für Altfälle geschaffen, d.h. es wurde an dieser Stelle gerade keine —besondere ge-setzliche [X.] im Sinne des § 2 Abs. 6 StGB getroffen. Im Gegenteil bestimmte er in dem gleichzeitig eingeführten Art. 1a Abs. 3 [X.] (i.d.F. vom 26.1.1998) ausdrücklich die rückwirkende Anwendung des neuen, eine Höchstfrist nicht mehr enthaltenden § 67d Abs. 3 StGB. Auch aus der Strei-chung dieser Bestimmung im Jahr 2004 kann nichts anderes hergeleitet wer-den, da diese dem Gesetzgeber vor dem Hintergrund der Entscheidungen des [X.] vom 5. und 10. Februar 2004 ([X.] 109, 133 und 190) lediglich als verzichtbar erschien (BT-Drucks. 15/2887 [X.]). Da im Rahmen methodisch sachgerechter Auslegung eine [X.] Auslegung nicht möglich ist, muss das [X.] Recht in herkömm-licher Weise angewandt werden. Auch ein offenkundiger Konventionsverstoß gestattet es nicht, sich über den im Gesetz zum Ausdruck gebrachten eindeuti-gen Willen des Gesetzgebers hinwegzusetzen; insoweit ist dessen alleinige [X.] für eine Änderung des Gesetzes im Rahmen der staatlichen Kompe-tenzordnung zu respektieren. Dies gilt auch dann, wenn der Gesetzgeber [X.] aus welchen Gründen auch immer [X.] von seiner Zuständigkeit keinen Gebrauch macht. 7 3. Da bei der Anwendung des § 67d Abs. 3 StGB den Gerichten im Rah-men der auch bei nachträglichen Entscheidungen vorzunehmenden [X.] (§ 62 StGB) ein Abwägungsspielraum eröffnet ist, müs-sen Art. 7 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 1 [X.] an dieser Stelle insoweit Beachtung finden, als dies im Rahmen der staatlichen Kompetenzordnung methodisch und sachgerecht vertretbar erscheint. Bei einer konventionsfreundlichen Gesamt-würdigung streiten die Aspekte des Vertrauensschutzes und des Freiheitsrechts in gewichtigem Maße für den Verurteilten. Im Ergebnis werden [X.] worauf der anfragende Strafsenat hinweist [X.] grundsätzlich die Rechtspositio-nen des Verurteilten überwiegen. Wenn dies zu einer letztlich im Regelfall ein-schränkenden Auslegung des § 67d Abs. 3 StGB dergestalt führt, dass nur im Falle des Vorliegens einer hochgradigen Gefahr schwerster Gewalt- und Sexu-alverbrechen der weitere Vollzug auch unter Berücksichtigung der Wertungen der Konvention verhältnismäßig erscheint, steht dies insbesondere dem Rege-lungszweck des § 67d Abs. 3 StGB nicht entgegen. [X.] Fischer Schmitt [X.]

Meta

2 ARs 456/10

22.12.2010

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: ARs

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 22.12.2010, Az. 2 ARs 456/10 (REWIS RS 2010, 66)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 66

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2 ARs 456/10

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