Bundesgerichtshof, Beschluss vom 05.02.2019, Az. 3 StR 549/18

3. Strafsenat | REWIS RS 2019, 10652

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Gegenstand

Bemessung der Jugendstrafe: Vorliegen schädlicher Neigungen; minder schwerer Fall; Hang bei Rauschmittelgenuss im Übermaß


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 20. August 2018

a) im Schuldspruch zu [X.] 1. der Urteilsgründe dahin geändert, dass der Angeklagte lediglich der Vergewaltigung schuldig ist,

b) im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit Beischlaf zwischen Verwandten, wegen versuchter sexueller Nötigung und wegen Bedrohung zu einer Einheitsjugendstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die dagegen gerichtete, auf eine Verfahrensbeanstandung und die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

2

1. [X.] dringt aus den in der Antragsschrift des [X.] genannten Gründen nicht durch.

3

2. Die auf die Sachrüge gebotene umfassende Überprüfung des Urteils hat zu den Schuldsprüchen in den Fällen II. 2. und 3. der Urteilsgründe keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Gegen den Schuldspruch wegen Vergewaltigung im Fall II. 1. der Urteilsgründe ist aus Rechtsgründen ebenfalls nichts zu erinnern. Die tateinheitliche Verurteilung wegen Beischlafs zwischen Verwandten (§ 173 Abs. 2 Satz 1 StGB) hält rechtlicher Nachprüfung dagegen nicht stand.

4

Nach den vom [X.] getroffenen Feststellungen zwang der Angeklagte in diesem Fall seine Mutter unter Anwendung körperlicher Gewalt zunächst zum Vaginal- und anschließend zum Oralverkehr. Dadurch hat der Angeklagte zwar den Tatbestand des § 173 Abs. 2 Satz 1 StGB verwirklicht, wonach sich strafbar macht, wer mit leiblichen Verwandten aufsteigender Linie den Beischlaf vollzieht. Der Strafbarkeit des Angeklagten nach dieser Vorschrift steht jedoch entgegen, dass er zur Tatzeit erst 17 Jahre alt war (§ 173 Abs. 3 StGB).

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3. Der Rechtsfolgenausspruch hat insgesamt keinen Bestand.

6

a) Es ist zwar aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, dass das [X.] Jugendstrafrecht angewendet hat. Die Ausführungen, die der Verhängung der Jugendstrafe und deren Bemessung zugrunde liegen, erweisen sich indes in mehrfacher Hinsicht als rechtsfehlerhaft.

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aa) So entbehrt schon die Annahme schädlicher Neigungen des Angeklagten einer zureichenden Begründung. Die [X.] hat insoweit allein darauf abgestellt, dass der Angeklagte die abgeurteilten Taten zum Nachteil seiner Mutter sowie seiner Schwester beging. Sie hat dabei nicht bedacht, dass schädliche Neigungen im Sinne von § 17 Abs. 2 Alternative 1 [X.] in der Regel nur bejaht werden können, wenn erhebliche Persönlichkeitsmängel, aus denen sich eine Neigung zur Begehung von Straftaten ergibt, schon vor der Tat angelegt waren ([X.], Beschluss vom 13. November 2013 - 2 StR 455/13, [X.]R [X.] § 17 Abs. 2 Schädliche Neigungen 11). Davon kann bei einem Täter, der - wie der Angeklagte - bisher noch nicht strafrechtlich in Erscheinung getreten ist, regelmäßig nicht ohne Weiteres ausgegangen werden ([X.], Beschlüsse vom 5. Juli 1988 - 1 [X.], [X.]R [X.] § 17 Abs. 2 Schädliche Neigungen 3; vom 3. März 1993 - 3 [X.], [X.]R [X.] § 17 Abs. 2 Schädliche Neigungen 6). Es bedarf insoweit eingehenderer Erörterungen, welche die Urteilsgründe vermissen lassen.

8

bb) Bei der Bemessung der Jugendstrafe hat das [X.] nicht sämtliche für den Schuldumfang bedeutsamen Umstände berücksichtigt, die nach allgemeinem Strafrecht Strafrahmenverschiebungen begründen könnten.

9

Die [X.] hat nicht verkannt, dass es für die Bewertung des Tatunrechts, wenngleich die Strafrahmen des Erwachsenenstrafrechts im Jugendstrafrecht nicht gelten, von maßgeblicher Bedeutung ist, ob sich die Tat, falls sie nach allgemeinem Strafrecht zu bewerten wäre, als minder schwerer Fall darstellen würde ([X.], Beschlüsse vom 18. Juli 1986 - 2 StR 330/86, [X.]R [X.] § 18 Abs. 1 Satz 3 Minder schwerer Fall 1; vom 4. November 1987 - 3 [X.], [X.]R [X.] § 18 Abs. 1 Satz 3 Minder schwerer Fall 3). Sie ist auch im Ansatz zutreffend davon ausgegangen, dass insoweit insbesondere das Vorliegen gesetzlich vertypter Strafmilderungsgründe von Belang ist. Sie hat jedoch nicht alle im Rahmen dieser Prüfung relevanten Gesichtspunkte in den Blick genommen.

So hat das [X.] im Hinblick auf die dem Angeklagten im Fall II. 1. der Urteilsgründe zur Last fallende Vergewaltigung zum Nachteil seiner Mutter, die er an einem nicht näher feststellbaren Tag zwischen dem 1. März und dem 31. Oktober 2016 beging und auf die das [X.] zutreffend § 177 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 StGB in der Fassung vom 13. November 1998 angewendet hat, ausgeführt, dass "§ 177 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 StGB a.F." einen minder schweren Fall "nicht vorgesehen" habe. Sie hat dabei nicht bedacht, dass § 177 Abs. 5 StGB in der zur Tatzeit geltenden Fassung durchaus einen Ausnahmestrafrahmen für minder schwere Fälle des § 177 Abs. 1 StGB aF normierte - ebenso wie nunmehr § 177 Abs. 9 StGB für minder schwere Fälle des § 177 Abs. 5 StGB. Die [X.] hat sich dadurch den Blick darauf verstellt, dass die Annahme eines minder schweren Falles jedenfalls dann in Betracht kommt, wenn die gebotene Gesamtwürdigung ergibt, dass trotz des tatbestandlichen Vorliegens des [X.] gemäß § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB aF die Regelwirkung entfällt und der Regelstrafrahmen des § 177 Abs. 1 StGB gleichwohl noch unangemessen wäre.

Ferner hat das [X.] nicht in die Prüfung eingestellt, dass im Fall II. 1. der Urteilsgründe der gesetzlich vertypte Strafmilderungsgrund des § 21 StGB vorlag, weil der Angeklagte zur Tatzeit aufgrund einer Drogenintoxikation nicht ausschließbar erheblich vermindert schuldfähig war. Die [X.] hat diesen Gesichtspunkt lediglich als allgemeinen Milderungsgrund berücksichtigt.

Gleichermaßen rechtsfehlerhaft ist schließlich, dass die [X.] im Hinblick auf die dem Angeklagten im Fall II. 2. der Urteilsgründe zur Last fallende Tat des versuchten sexuellen Missbrauchs das Vorliegen des gesetzlich vertypten [X.] gemäß § 23 Abs. 2 StGB nicht in die Gesamtabwägung einbezogen hat.

b) Die Entscheidung des [X.]s, von einer Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) abzusehen, hält rechtlicher Überprüfung ebenfalls nicht stand.

aa) Die - sachverständig beratene - [X.] hat bereits einen Hang des Angeklagten verneint, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich nehmen. Sie hat dazu ausgeführt:

Ein Hang in diesem Sinne sei eine den Täter treibende oder beherrschende Neigung, Rauschmittel im Übermaß, das heiße in einem Umfang (Maß und Häufigkeit) zu konsumieren, durch welchen Gesundheit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt würden. Ein Hang setze entweder eine körperliche Abhängigkeit oder eine eingewurzelte intensive Neigung, Rauschmittel im Übermaß zu sich zu nehmen, voraus.

Nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen sei der Angeklagte nicht ständig bestrebt, Drogen zu konsumieren. Der vom Angeklagten berichtete polyvalente [X.] von Alkohol, Cannabis, LSD, Amphetaminen, [X.] und - selten - Kokain erfülle weder die Kriterien eines Missbrauchs oder einer Abhängigkeit im Sinne der [X.] noch sei von einem schweren Drang oder Zwang, immer wieder ein oder mehrere Suchtmittel zu konsumieren, auszugehen. Gegen einen Hang spreche schließlich auch, dass der Angeklagte in der Untersuchungshaft keinerlei Entzugserscheinungen gehabt habe.

bb) Diese Ausführungen lassen besorgen, dass das [X.] für die Annahme eines Hangs im Sinne von § 64 StGB einen unzutreffenden Maßstab angelegt hat. Dazu gilt:

Ein Hang im Sinne von § 64 StGB liegt vor bei einer chronischen, auf körperlicher Sucht beruhenden Abhängigkeit oder zumindest bei einer eingewurzelten, auf psychischer Disposition beruhenden oder durch Übung erworbenen intensiven Neigung, immer wieder Rauschmittel im Übermaß zu sich zu nehmen. Ausreichend ist, dass der Betroffene aufgrund seiner Konsumgewohnheiten sozial gefährdet oder gefährlich erscheint. Dem Umstand, dass durch den Rauschmittelgenuss die Gesundheit, Arbeits- und/oder Leistungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt ist, kann insoweit zwar indizielle Bedeutung für das Vorliegen eines Hangs zukommen; das Fehlen solcher Beeinträchtigungen schließt die Bejahung eines Hangs aber nicht aus (st. Rspr.; vgl. etwa [X.], Beschluss vom 9. August 2016 - 3 StR 287/16, juris Rn. 3 mwN).

Daran gemessen lag nach den Urteilsgründen die Annahme eines Hangs des Angeklagten, Rauschmittel im Übermaß zu sich zu nehmen, nicht fern. Den Feststellungen zufolge "begann" er im Alter von 17 Jahren, gelegentlich [X.], MDMA und LSD zu konsumieren. "Ab und zu" trank er auch Alkohol, vor allem Bier, Wodka und Schnaps. Den Urteilsgründen lässt sich nicht entnehmen, wie sich der Alkohol- und Drogenkonsum des Angeklagten in der Folgezeit entwickelte. Ihre Entscheidung, von einer Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abzusehen, hat die [X.] indes unter anderem damit begründet, dass ein symptomatischer Zusammenhang zwischen einem etwaigen Hang des Angeklagten und der von ihm unter Einfluss von Cannabis begangenen Tat im Fall II. 1. der Urteilsgründe fehle, weil er "Cannabis gewöhnt" gewesen sei. Schließlich hat das [X.] die für eine Behandlung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt erforderliche Erfolgsaussicht unter Hinweis darauf verneint, dass es dem Angeklagten an der nötigen "Einsicht" in seinen "problematischen Suchtmittelmissbrauch" fehle.

Die Frage einer Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt bedarf deshalb schon aus diesem Grund erneuter Prüfung. Zudem hat das [X.] einen symptomatischen Zusammenhang zwischen einem etwaigen Hang des Angeklagten, Rauschmittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und der Tat im Fall II. 1. der Urteilsgründe verneint, ohne zu bedenken, dass der Angeklagte den Feststellungen zufolge in diesem Fall aufgrund einer Cannabisintoxikation nicht ausschließbar erheblich vermindert schuldfähig (§ 21 StGB) war.

Schäfer     

        

Spaniol     

        

Wimmer

        

Tiemann     

        

Berg     

        

Meta

3 StR 549/18

05.02.2019

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Bückeburg, 20. August 2018, Az: 4 KLs 5/18

§ 17 Abs 2 Alt 1 JGG, § 18 Abs 1 S 3 JGG, § 64 StGB, § 177 Abs 1 Nr 1 StGB vom 13.11.1998, § 177 Abs 2 S 1 Nr 1 StGB vom 13.11.1998, § 177 Abs 5 StGB vom 13.11.1998

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 05.02.2019, Az. 3 StR 549/18 (REWIS RS 2019, 10652)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 10652

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