Bundesgerichtshof, Beschluss vom 21.06.2022, Az. 5 StR 110/22

5. Strafsenat | REWIS RS 2022, 4698

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Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 1. Dezember 2021 aufgehoben

a) in den Einzelstrafaussprüchen zu den Fällen II.2, 3, 5, 6, 9, 10 und 13 der Urteilsgründe,

b) im [X.].

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die den Nebenklägerinnen im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen sexuellen Übergriffs in vier Fällen (Fälle [X.], 6, 9 und 13 der Urteilsgründe), davon in einem Fall mit Gewalt (Fall II.13) und in einem anderen Fall als Versuch (Fall II.6), wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei Fällen (Fälle II.11 und 14), in einem Fall als Versuch (Fall [X.]), wegen sexueller Belästigung in drei Fällen (Fälle II.2, 3 und 10), exhibitionistischer Handlungen (Fall II.8) und Erregung öffentlichen Ärgernisses (Fall II.12), wegen tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte in drei Fällen (Fälle II.1, 4 und 7), jeweils in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und versuchter Körperverletzung sowie in zwei Fällen (Fälle II.4 und 7) in Tateinheit mit Beleidigung und in einem Fall (Fall II.1) in Tateinheit mit Hausfriedensbruch zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Als Kompensation für eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung hat es zwei Monate als vollstreckt erklärt.

2

Die Revision des Angeklagten erzielt mit der Sachrüge den aus der [X.] ersichtlichen Teilerfolg und ist im Übrigen unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

3

1. Die [X.] in den [X.], 3, 5, 6, 10 und 13 der Urteilsgründe haben keinen Bestand.

4

a) [X.] hat bei der Strafbemessung in den [X.], 3 und 10 straferschwerend gewertet, dass die Geschädigten für den Angeklagten „nur Sexualobjekte“ seien, „deren von ihm erkannte entgegenstehende Willen er rücksichtslos beiseiteschiebt“.

5

Diese Erwägungen begründen jedenfalls in der Gesamtschau einen Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot (§ 46 Abs. 3 StGB). Denn sie beziehen sich auf Tatumstände, die zum Tatbild einer Sexualstraftat gehören und haben den Gesetzgeber bereits dazu veranlasst, entsprechende Handlungen zum Schutz der sexuellen Selbstbestimmung unter Strafe zu stellen; sie können für sich daher den Unrechtsgehalt einer Tat nicht erhöhen (vgl. [X.], Urteil vom 3. April 2008 – 3 StR 48/08; Beschlüsse vom 2. Februar 2021 – 2 [X.]; vom 17. Oktober 2018 – 2 [X.]; vom 8. Januar 2014 – 3 [X.], [X.], 409; vom 21. Mai 2003 – 2 [X.]; vom 22. Oktober 1986 – 2 [X.], [X.]R StGB § 46 Abs. 3 Vergewaltigung 1). Qualitative oder quantitative Abstufungen, die über das Maß des üblicherweise mit der Tatbestandsverwirklichung einhergehenden [X.] hinausgehen, sind nicht dargelegt.

6

Demgegenüber begegnet die strafschärfende Erwägung des rücksichtslosen Handelns gegen den Willen der Geschädigten keinen durchgreifenden Bedenken, soweit der Angeklagte wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern verurteilt worden ist (Fälle II.11 und 14). Denn dies reicht über die tatbestandsmäßige Beschreibung nach § 176 StGB strafbaren Verhaltens hinaus.

7

b) In den Fällen [X.], 6 und 13 hat das [X.] zu Lasten des Angeklagten gewertet, dass die „Interessen der Geschädigten … für ihn allenfalls nachrangig“ gewesen seien. Damit legt es dem Angeklagten letztlich unzulässigerweise zur Last, dass er die Taten überhaupt begangen hat.

8

c) Im Fall II.9 hat die [X.] strafschärfend berücksichtigt, dass der Angeklagte keine „Einsicht in das Unrecht der Tat“ gezeigt hat. Das [X.] hat damit rechtsfehlerhaft das Fehlen eines Strafmilderungsgrundes straferschwerend bewertet.

9

2. Das Urteil beruht auf den [X.], weil der [X.] nicht ausschließen kann, dass die [X.] ohne strafschärfende Berücksichtigung dieser Erwägungen in den benannten Fällen auf geringere Einzelstrafen erkannt hätte. Die zugehörigen Feststellungen können bestehen bleiben, weil es sich um [X.] handelt; sie können um solche ergänzt werden, die den bisherigen nicht widersprechen.

3. Der Entfall der Einzelstrafen in den angeführten Fällen entzieht der Gesamtfreiheitsstrafe die Grundlage.

4. Der [X.] sieht Anlass darauf hinzuweisen, dass die Erwägungen des [X.]s es nicht ausgeschlossen erscheinen lassen, dass es in rechtlich fehlsamer Weise Gesichtspunkte der Strafzumessung im Sinne der Findung einer schuldangemessenen Strafe mit solchen der Strafaussetzung zur Bewährung (§ 56 StGB) vermengt hat. Das Tatgericht hat vielmehr zunächst die schuldangemessene Strafe zu finden. Erst wenn diese innerhalb der Grenzen des § 56 Abs. 1 oder Abs. 2 StGB liegt, ist Raum für die Prüfung, ob auch die sonstigen Voraussetzungen für die Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung gegeben sind (vgl. [X.], Urteil vom 17. September 1980 – 2 StR 355/80, [X.]St 29, 319, 321; Beschluss vom 10. Oktober 2013 – 2 StR 355/13, [X.]R StGB § 46 Abs. 2 Zumessungsfehler 3).

[X.]     

      

Köhler     

      

     Resch

      

von Häfen     

      

Ri[X.] Dr. Werner ist
im Urlaub und kann
nicht unterschreiben.

      

                          

[X.]

        

Meta

5 StR 110/22

21.06.2022

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Kiel, 1. Dezember 2021, Az: 7 KLs 561 Js 29774/18

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 21.06.2022, Az. 5 StR 110/22 (REWIS RS 2022, 4698)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 4698

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