Bundessozialgericht, Urteil vom 22.11.2011, Az. B 4 AS 138/10 R

4. Senat | REWIS RS 2011, 1239

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

Sozialgerichtliches Verfahren - Unzulässigkeit einer Beschränkung des Streitgegenstandes - Arbeitslosengeld II - Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung - Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz - kein Ausschöpfen der Ermittlungsmöglichkeiten - keine Befragung der behandelnden Ärzte - Empfehlungen des Deutschen Vereins vom 1.10.2008 - kein antizipiertes Sachverständigengutachten


Leitsatz

Die Mehrbedarfsempfehlungen 2008 sind keine antizipierten Sachverständigengutachten, die von den Gerichten normähnlich angewendet werden können.

Tenor

Auf die Revision des [X.] wird der Beschluss des [X.] vom 22. Juli 2009 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten um die Bewilligung höherer Leistungen nach dem [X.] infolge eines vom Kläger geltend gemachten krankheitsbedingten Ernährungsmehrbedarfs in den [X.]räumen vom 1.12.2005 bis 30.6.2006 und 1.1.2007 bis 31.12.2007.

2

Die [X.] bewilligte dem Kläger im Dezember 2004 Leistungen nach dem [X.] für den [X.]raum vom 1.1.2005 bis 30.4.2005. Ab dem 1.1.2005 war der [X.] als zugelassener kommunaler Träger nach § 6a [X.] zuständiger Träger. Die Beklagte ist vom [X.] durch Satzung gemäß § 6 Abs 2 S 1 [X.] iVm § 5 Abs 2 des Gesetzes zur Ausführung des [X.] Sozialgesetzbuch für das [X.] vom 16.12.2004 (AG [X.] NRW) zur Aufgabenerfüllung in eigenem Namen herangezogen. Sie lehnte den Fortzahlungsantrag des [X.] mit Bescheid vom [X.] zunächst ganz ab und bewilligte auf den Widerspruch des [X.] mit Änderungsbescheid vom 5.7.2005 die Regelleistung nach dem [X.] zunächst für die Monate Mai bis Juli 2005 und mit Bescheid vom [X.] vom 1.8.2005 bis [X.] Mit Bescheid der Beklagten vom 20.12.2005 wurden dem Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (Regelleistung) für den [X.]raum 1.1.2006 bis 30.6.2006 bewilligt.

3

Am 23.12.2005 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Anerkennung eines krankheitsbedingten Mehrbedarfs nach § 21 Abs 5 [X.]. Er legte eine ärztliche Bescheinigung auf dem hierfür von der Verwaltung vorgesehenen Formular vor, wonach er an Hyperlipidämie, Hyperuricämie/Gicht sowie Hypertonie (kardiale/renale Ödeme) leide und auf lipidsenkende, purinreduzierte und natriumdefinierte Kost angewiesen sei. Der Kläger übergab der Beklagten in der Folge in einem versiegelten Umschlag ärztliche Unterlagen, welche diese verschlossen an den Amtsarzt [X.] beim [X.] weiterleitete. Nachdem der Amtsarzt der Beklagten mitgeteilt hatte, aus den ihm vorliegenden Unterlagen würden sich unter Berücksichtigung des üblicherweise zugrunde gelegten Begutachtungsleitfadens kein Mehrbedarf ergeben, lehnte diese den Antrag des [X.] mit Bescheid vom [X.] ab. Der [X.] wies den hiergegen gerichteten Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 19.5.2006 zurück. Hiergegen erhob der Kläger Klage zum [X.] "wegen der Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem [X.] § 21, ab Dezember 2005". Er benötige wegen der vorliegenden Erkrankungen kostenaufwändige Ernährung, was eine finanzielle Mehrbelastung darstelle. Er nahm zur Begründung außerdem Bezug auf die Empfehlungen des [X.] in der Sozialhilfe (Stand 1997).

4

Mit Bescheid der Beklagten vom [X.] in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des [X.] vom 16.4.2007 wurde ein erneuter Antrag des [X.] auf Berücksichtigung eines krankheitsbedingten Ernährungsaufwandes vom 28.12.2006 abgelehnt. Hiergegen erhob der Kläger Klage zum [X.]. Mit Bescheid der Beklagten vom 15.12.2006 in der Gestalt eines weiteren Widerspruchsbescheids des [X.] vom 16.4.2007 wurden dem Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (nur Regelleistung, ohne KdU) für den [X.]raum 1.1.2007 bis 31.12.2007 bewilligt. Hiergegen erhob der Kläger ebenfalls Klage zum [X.] mit dem Begehren, "Leistungen in gesetzlicher Höhe nach § 22 [X.] zu erbringen".

5

Das [X.] hat mit Urteilen vom 11.3.2008 die Klagen abgewiesen, da im [X.]raum [X.] bis 31.12.2007 kein Anspruch auf einen krankheitsbedingten Mehrbedarf bestehe. Die hiergegen am 26.6.2008 und 30.6.2008 eingelegten Berufungen hat das L[X.] zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden. Mit Beschluss vom [X.] hat das L[X.] die Berufungen des [X.] zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die begehrte Verpflichtung der Beklagten zur höheren Leistungsgewährung sei für die [X.]räume vom [X.] bis 30.11.2005 und [X.] bis 31.12.2006 unzulässig. Soweit der Kläger für die [X.] von Dezember 2005 bis Mai 2006 sowie ab dem 1.1.2007 höhere Leistungen begehre, seien die zulässigen Klagen unbegründet. Nach den [X.] des [X.] erforderten die beim Kläger bestehenden Erkrankungen - Hyperlipidämie, Hyperuricämie und Hypertonie - sämtlich lediglich eine Vollkost, deren Beschaffung keine erhöhten Kosten verursache. Zu diesem Ergebnis sei auch der von der Beklagten gehörte Arzt [X.] gelangt, dessen Darlegungen der Senat urkundsbeweislich würdige.

6

Mit der hiergegen vom Senat zugelassenen Revision macht der Kläger geltend, durch die [X.] des [X.] werde die grundsätzliche Verpflichtung der Verwaltung und der Gerichte, den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln, nicht aufgehoben. Außerdem hätten die [X.] des [X.] (Stand 1997) Berücksichtigung finden müssen, da die überarbeiteten Empfehlungen erst nach dem vorliegend streitgegenständlichen [X.]raum veröffentlicht worden seien. Nach den Empfehlungen des [X.] 1997 sei für die beim Kläger bestehenden Erkrankungen Hyperlipidämie, Hyperuricämie und Hypertonie ein krankheitsbedingter Mehrbedarf anzuerkennen. Aufgrund der divergierenden Ergebnisse der [X.] 1997 und 2008 sei in jedem Fall eine Sachaufklärung im Einzelfall geboten, die auch die unterschiedlichen Auffassungen der [X.] 1997 und 2008 miteinbeziehen und würdigen müsse. Nachdem das L[X.] offen gelassen habe, ob die [X.] 2008 als antizipierte Sachverständigengutachten anzusehen seien und diese lediglich als Orientierungshilfe angesehen habe, habe das Gericht die in Anspruch genommene Sachkunde nachvollziehbar darlegen müssen.

7

Der Kläger beantragt,
den Beschluss des [X.] vom 22. Juli 2009 und die Urteile des [X.] vom 11. März 2008 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung ihrer Bescheide vom 22. Juli 2005, 20. Dezember 2005 und 8. Februar 2006, jeweils in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. Mai 2006 und vom 15. Dezember 2006 und 3. Januar 2007, jeweils in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. April 2007 zu verurteilen, ihm für die [X.]räume vom 1. Dezember 2005 bis 30. Juni 2006 und vom 1. Januar 2007 bis 31. Dezember 2007 höhere Regelleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem [X.] zu gewähren, unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung.

8

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision ist im Sinne der Zurückverweisung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] begründet(§ 170 Abs 2 S[X.][X.]). Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens sind Ansprüche auf höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in den Zeiträumen 1.12.2005 bis 30.6.2006 und 1.1.2007 bis 31.12.2007.

1. Die beklagte Stadt [X.] ist im vorliegenden Fall passiv legitimiert. Die Stadt [X.] ist gegenüber den Hilfebedürftigen im Außenverhältnis materiell zur Erbringung der Leistungen nach dem S[X.]B II verpflichtet (§ 5 Abs 2 A[X.]-S[X.]B II [X.] idF vom 16.12.2004, [X.]VBl [X.] 2004, 821 iVm § 6 Abs 2 S 1 S[X.]B II, § 6a Abs 2 S[X.]B II iVm § 1 Abs 1 Kommunalträger-Zulassungsverordnung idF vom [X.], B[X.]Bl I 2349; vgl auch BS[X.] Urteil vom 15.4.2008 - [X.]/7b [X.] - RdNr 15 f). Im sozialgerichtlichen Verfahren ist derjenige Rechtsträger passiv legitimiert, der auch materiell verpflichtet ist ([X.] in [X.]/[X.]/[X.], S[X.][X.], 9. Aufl 2008, § 69 RdNr 4), ohne dass an dieser Stelle erörtert werden muss, in welchem Umfang eine Heranziehung zur "Durchführung" der Aufgaben nach dem S[X.]B II möglich ist (vgl [X.] in: [X.]/[X.], S[X.]B II, § 6 RdNr 16 Stand 37. Ergänzungslieferung VI/11; [X.] in: [X.], S[X.]B II, 2. Aufl 2008, § 6 RdNr 11).

2. Die Beteiligten haben den Streitgegenstand bereits im Verwaltungsverfahren in rechtlich zulässiger Weise getrennt, als die KdU gesondert behandelt wurden und daher in anderen Verfahren zu prüfen sind. Nachdem die Beklagte dem Kläger mit den [X.] vom [X.] und 20.12.2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ab 1.8.2005 bzw ab 1.1.2006 sowie mit Bewilligungsbescheid vom 15.12.2006 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ab 1.1.2007 jeweils nur in Form der Regelleistung bewilligt hatte und der Kläger in den laufenden Widerspruchsverfahren weiterhin einen krankheitsbedingten Mehrbedarf geltend machte, war es insoweit zulässig, dass der [X.] in den laufenden Widerspruchsverfahren zunächst entschied, dass keine höhere Regelleistung zu gewähren war (Widerspruchsbescheide vom 19.5.2006 und 16.4.2007). Insbesondere ist der Antrag des [X.] vom 23.12.2005 auf [X.]ewährung eines krankheitsbedingten Mehrbedarfs auch als Widerspruch gegen den Bescheid vom 20.12.2005 auszulegen, gerichtet auf [X.]ewährung höherer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts im dortigen Bewilligungszeitraum 1.1.2006 bis 30.6.2006.

Die Entscheidungen der Verwaltung zu den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts können allerdings jeweils nicht in weitere unterschiedliche Streitgegenstände aufgespalten werden (vgl BS[X.] Urteil vom [X.] - B 4 AS 59/09 R = [X.] 4-4200 § 21 [X.] mwN). Die [X.]ewährung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung ist kein abtrennbarer Teil der Regelung über die [X.]ewährung von Leistungen nach dem S[X.]B II und kann damit nicht allein Streitgegenstand eines gerichtlichen Verfahrens sein ([X.]surteil vom 10.5.2011 - B 4 AS 100/10 R, s auch BS[X.] Urteil vom 24.2.2011 - [X.] [X.]/10 R, jeweils zur [X.] vorgesehen). Daraus folgt für das vorliegende Verfahren, dass das Begehren des [X.] im Rahmen der jeweiligen Widerspruchsverfahren auf [X.]ewährung eines krankheitsbedingten Mehrbedarfs gemeinsam mit der Regelleistung zu behandeln und insoweit auf die jeweiligen Bewilligungszeiträume (§ 41 Abs 1 S 4 S[X.]B II) abzustellen und zu prüfen ist, ob in den hier streitigen Zeiträumen insgesamt Anspruch auf [X.]ewährung einer höheren Leistung besteht (vgl BS[X.] Urteil vom [X.] - B 4 AS 59/09 R - [X.] 4-4200 § 21 [X.] RdNr 16 mwN; BS[X.] Urteil vom 24.2.2011 - [X.] [X.]/10 R - RdNr 14 - zur [X.] vorgesehen).

3. a) Die Höhe der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ist unter jedem rechtlichen [X.]esichtspunkt zu prüfen (BS[X.] Urteil vom [X.] - B 4 AS 59/09 R = [X.] 4-4200 § 21 [X.] mwN). Ob dem Kläger in den streitbefangenen Zeiträumen höhere Leistungen zum Lebensunterhalt zustehen, kann der [X.] wegen fehlender Feststellungen des [X.] nicht beurteilen. Es fehlen insoweit bereits Feststellungen zu den Anspruchsvoraussetzungen des § 7 S[X.]B II (idF des [X.]esetzes vom 30.7.2004, B[X.]Bl I 2014) in den jeweiligen streitgegenständlichen Zeiträumen.

b) Auch zur Frage, ob der Kläger einen Anspruch auf Mehrbedarf wegen [X.] hat, fehlt es an ausreichenden Feststellungen. Die von dem Kläger erhobene Verfahrensrüge ist zulässig und begründet (§ 103 S[X.][X.]).

Nach § 21 Abs 5 S[X.]B II (idF des [X.]esetzes vom 24.12.2003, B[X.]Bl I 2954) erhalten erwerbsfähige Hilfebedürftige, die aus medizinischen [X.]ründen einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, einen Mehrbedarf in angemessener Höhe. Voraussetzung für die [X.]ewährung des Mehrbedarfs ist eine gesundheitliche Beeinträchtigung, die eine Ernährung erfordert, deren Kosten aufwändiger sind als dies für Personen ohne diese Einschränkung der Fall ist. Mit "medizinischen [X.]ründen" sind nur krankheitsbedingte [X.]ründe gemeint. Es muss ein ursächlicher Zusammenhang zwischen einer bestehenden oder drohenden Erkrankung und der Notwendigkeit einer besonderen kostenaufwändigen Ernährung vorliegen (s dazu das Urteil des [X.]s vom 10.5.2011 - B 4 AS 100/10 R - zur [X.] vorgesehen; vgl auch [X.] in [X.]agel, S[X.]B III mit S[X.]B II, Stand Juli 2010, § 21 RdNr 19). Ob diese Voraussetzungen bei dem Kläger vorliegen, kann anhand der Feststellungen des [X.] nicht beurteilt werden.

Es liegt insoweit ein Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 103 S[X.][X.]) vor. Das [X.] hat von den Ermittlungsmöglichkeiten, die vernünftigerweise zur Verfügung gestanden haben (vgl zu diesem Maßstab BS[X.] Beschluss vom [X.] - B 5 R 48/08 B; BS[X.] Beschluss des [X.]roßen [X.]s vom 11.12.1969 - [X.]S 2/68 - BS[X.]E 30, 192, 205 = [X.] [X.]0 zu § 1247 RVO), keinen ausreichenden [X.]ebrauch gemacht, indem zB sachverständige Zeugenauskünfte der behandelnden Ärzte des [X.] oder medizinische Sachverständigengutachten eingeholt wurden (vgl BS[X.] Urteil vom 10.5.2011 - B 4 AS 100/10 R - zur [X.] vorgesehen).

Die Vorinstanzen sind vorliegend davon ausgegangen, dass zwar beim Kläger verschiedene Krankheiten vorliegen, diese jedoch keinen Mehrbedarf bedingen, ohne dass ausreichend deutlich ist, worauf diese Feststellungen bzw die Sachkunde beruht. Der Kläger hat angegeben, er leide an Hyperlipidämie, Hyperuricämie und Hypertonie und vorgetragen, ihm sei vom behandelnden Arzt lipidsenkende, purinreduzierte und [X.] verordnet worden, was eine finanzielle Mehrbelastung darstelle. Er hat außerdem hausärztliche Bescheinigungen vorgelegt, wonach er [X.] benötige. Dieses Vorbringen ist ausreichend substantiiert, um die Verpflichtung zur Amtsermittlung auszulösen. Weder das S[X.] noch das [X.] haben den Kläger befragt, welche Krankheiten vorliegen und bei welchen Ärzten er in Behandlung ist. Der Kläger wurde auch nicht aufgefordert, seine behandelnden Ärzte von der [X.]weigepflicht zu entbinden, damit die [X.]erichte sachverständige Zeugenauskünfte einholen können, nach denen dann zu entscheiden gewesen wäre, ob ggf medizinische oder ernährungswissenschaftliche Sachverständigengutachten einzuholen sind. Während des Verwaltungsverfahrens ist zwar eine amtsärztliche Stellungnahme eingeholt worden. Das vom [X.] herangezogene [X.]reiben des Amtsarztes [X.] vom 25.1.2006 ist nicht allein zur Überzeugungsbildung geeignet, weil es dort lediglich heißt, dass aufgrund vorliegender hausärztlicher Angaben die [X.]ewährung eines Mehrbedarfs nach dem üblicherweise zugrunde gelegten [X.] nicht in Betracht komme. Mangels Mitteilung der Tatsachengrundlage ist die vom Amtsarzt [X.] mitgeteilte Würdigung nicht nachvollziehbar.

Auch mit den Empfehlungen des [X.] (<vgl [X.] 2008, 503 ff> [X.] 2008) allein konnte das [X.] die Frage nicht beantworten. Die [X.] 2008 sind keine antizipierten Sachverständigengutachten, weshalb die [X.]erichte sie nicht in normähnlicher Weise anwenden können. [X.] Sachverständigengutachten geben über den konkreten Einzelfall hinaus die Erfahrungen und den Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse über eine bestimmte Frage wieder. Voraussetzung für eine gerichtliche Verwertung ist, dass das antizipierte Sachverständigengutachten auf wissenschaftlicher [X.]rundlage von Fachgremien ausschließlich aufgrund der zusammengefassten Sachkunde und Erfahrung ihrer sachverständigen Mitglieder erstellt worden ist, dass es immer wiederkehrend angewendet und von [X.]utachtern, Verwaltungsbehörden, Versicherungsträgern, [X.]erichten sowie Betroffenen anerkannt und akzeptiert wird (BS[X.] Urteil vom [X.] - [X.] U 24/00 R = [X.] 3-2200 § 581 [X.] mwN; vgl auch [X.]usy, [X.] 1987, 156 ff; [X.], S[X.]b 2003, 254 ff; [X.], [X.] 2011, 45 ff).

Ob die [X.] 2008 als antizipierte Sachverständigengutachten anzusehen sind, wird nicht einheitlich beantwortet (zum [X.] siehe [X.] in [X.]agel, S[X.]B III mit S[X.]B II, § 21 RdNr 40). Teilweise wird die Annahme eines antizipierten Sachverständigengutachtens befürwortet (vgl etwa [X.] Niedersachsen-Bremen Beschluss vom [X.] - L 9 [X.]/08 AS; [X.] Mecklenburg-Vorpommern Beschluss vom 19.12.2008 - L 8 [X.]/08), teilweise wird dies verneint ([X.] in [X.]/[X.], § 21 Rd[X.]4, 36. Ergänzungslieferung V/11; [X.] in [X.]agel, S[X.]B III mit S[X.]B II, § 21 RdNr 40, 40. Ergänzungslieferung November 2010; [X.], [X.] 2011, 45 <49>; Kohte in [X.]/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, 2. Aufl 2011, § 21 RdNr 17).

Die [X.] 2008 sind schon ihrer Konzeption nach keine antizipierten Sachverständigengutachten. Sie erheben selbst nicht diesen Anspruch, indem sie zu Recht betonen, dass es auf den jeweiligen Einzelfall ankomme (zu diesem Aspekt vgl [X.] in [X.]/[X.], § 21 Rd[X.]4, 36. Ergänzungslieferung V/1), dass insoweit die grundsätzliche Verpflichtung der Verwaltung bestehe, den Sachverhalt von Amts wegen aufzuklären (§ 20 S[X.]B X), dass der Katalog der Krankheiten in den Empfehlungen nicht abschließend sei, dass es bei der Bestimmung und Anerkennung eines Mehrbedarfs naturgemäß Beurteilungs- und Bewertungsdifferenzen in Wissenschaft und Praxis der Medizin gebe und dass sich ernährungswissenschaftliche und diätetische Anschauungen und Erkenntnisse wandeln könnten (vgl die Erläuterungen [X.], [X.] 2008, 503 <504, 506, 509>). Die Verwaltung und die [X.]erichte dürfen daher die Aussagen in den Empfehlungen weder normähnlich anwenden noch als allgemeingültige Tatsachen heranziehen. [X.] Tatsachen sind nur solche, von denen verständige und erfahrene Menschen regelmäßig ohne Weiteres Kenntnis haben oder von denen sie sich aus allgemein zugänglichen, zuverlässigen Quellen unschwer überzeugen können oder auch solche, die in einem größeren oder kleineren Bezirk einer beliebig großen Menge bekannt sind oder wahrnehmbar waren und über die man sich aus zuverlässigen Quellen ohne besondere Fachkunde unterrichten kann (vgl BS[X.] Urteil vom 24.2.2011 - [X.] [X.]/10 R unter Hinweis auf BS[X.] Urteil vom [X.] - [X.] U 27/01 R - ZfS 2002, 237).

Es fehlt außerdem an der immer wiederkehrenden Anwendung und langfristigen allgemeinen Akzeptanz der Empfehlungen. Dies ergibt sich schon aus der wechselvollen Entstehungsgeschichte der [X.], die binnen eines Jahrzehnts in der überarbeiteten Fassung zu deutlich geänderten Ergebnissen kommen und die erforderliche allgemeine Akzeptanz (noch) gar nicht entwickeln konnten. Bei der Erstellung der [X.], die schon im früheren Recht der Sozialhilfe nach § 23 Abs 4 [X.] (BSH[X.]) Anwendung fanden (vgl BS[X.] Urteil vom 27.2.2008 - [X.]/7b [X.] = [X.] 4-4200 § 21 [X.] Rd[X.]5), haben Wissenschaftler aus medizinischen und ernährungswissenschaftlichen Fachbereichen zusammengearbeitet. Die [X.] wurden 1997 in überarbeiteter Form ausgegeben und sahen seinerzeit - unter Berufung auf eine einheitliche Auffassung der medizinischen Wissenschaft und auf aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse - medizinische [X.] für eine Reihe von Erkrankungen vor. Nach dem Willen des [X.]esetzgebers sollten zur Konkretisierung der Angemessenheit des Mehrbedarfs nach § 21 Abs 5 S[X.]B II die [X.] 1997 herangezogen werden (BT-Drucks 15/1516, [X.]). Hierauf wurde den [X.] 1997 zunächst der auch von der Beklagten angewandte "[X.] für den Mehrbedarf bei krankheitsbedingter kostenaufwändiger Ernährung ([X.]zulagen) gem. § 23 Abs 4 BSH[X.]" ([X.] 2002 <[X.] 2002>), entwickelt von Ärzten der kommunalen [X.]esundheitsämter, gegenübergestellt, der für deutlich weniger Erkrankungen [X.] anerkannte, und auf den das S[X.] seine Entscheidung wesentlich stützte. Jedoch hat das BVerf[X.] eine Abweichung von den [X.] 1997 zu Lasten der Rechtsuchenden als begründungspflichtig angesehen und überdies ausgeführt, dass der auch von der Beklagten verwendete [X.] 2002 hierfür nicht ausreichend sei (BVerf[X.] Beschluss vom 20.6.2006 - 1 BvR 2673/05 - Rd[X.] f; zur Kritik am [X.] s auch OV[X.] Niedersachen Beschluss vom 13.10.2003 - 12 LA 385/03 = [X.]-RD 2003, 130 m Anm Höft-Dzemski). Die überarbeiteten [X.] 2008 sahen dann - wiederum unter Berufung auf eine einheitliche Auffassung der medizinischen Wissenschaft und auf aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse - für deutlich weniger Erkrankungen [X.] vor, als die [X.] 1997.

Auch durch die überarbeiteten, aktualisierten Empfehlungen des [X.] vom 1.10.2008 wird deshalb die Verpflichtung der Verwaltung und der [X.]erichte der Sozialgerichtsbarkeit, die Besonderheiten des jeweiligen Sachverhalts von Amts wegen aufzuklären (§ 20 S[X.]B X bzw § 103 S[X.][X.]), nicht aufgehoben. Mithin haben die Instanzgerichte jeweils den genauen krankheitsbedingten Mehrbedarf der Kläger im Einzelnen aufzuklären (so bereits BS[X.] Urteil vom 27.2.2008 - [X.]/7b [X.] - BS[X.]E 100, 83 = [X.] 4-4200 § 20 [X.] und BS[X.] Urteil vom 15.4.2008 - [X.]/11b [X.]). Dies haben die Vorinstanzen nicht in ausreichendem Maße getan.

Die Empfehlungen des [X.] ersetzen daher nicht allein eine ggf erforderliche Begutachtung im Einzelfall, sondern dienen nur als Orientierungshilfe, wie der [X.] bereits entschieden hat (Urteil vom 10.5.2011 - B 4 AS 100/10 R, zur [X.] vorgesehen; [X.] in jursPK-S[X.]B II, 3. Aufl 2011, § 21 Rd[X.]4). Sie stehen nicht am Anfang, sondern erst am Ende der von Amts wegen durchzuführenden [X.] und können insbesondere zu einem Abgleich mit den Ergebnissen der Amtsermittlung führen. Wie der [X.] bereits entschieden hat, sind dann ggf weitere Ermittlungen medizinischer und ggf ernährungswissenschaftlicher Art (vgl dazu BS[X.] Urteil vom 24.2.2011 - [X.] [X.]/10 R - zur [X.] vorgesehen) entbehrlich, wenn die Ergebnisse der individuellen behördlichen und gerichtlichen Amtsermittlungen keine Abweichungen von den Empfehlungen des [X.] erkennen lassen. Da die Empfehlungen des [X.] keine Rechtsnormqualität aufweisen ([X.]surteil vom 10.5.2011 - B 4 AS 100/10 R - zur [X.] vorgesehen, so auch bereits BS[X.] Urteile vom 27.2.2008 - [X.]/7b [X.] - BS[X.]E 100, 83, 89 f = [X.] 4-4200 § 20 [X.] S 44 und - [X.]/7b [X.] - [X.] 4-4200 § 21 [X.] S 6 f), gibt es keine Hinderungsgründe, die darin enthaltenen medizinischen und ernährungswissenschaftlichen Erkenntnisse mit den Ergebnissen der Amtsermittlung zu vergleichen bzw in diese einfließen zu lassen, wenn der streitgegenständliche Zeitraum vor der [X.] der neuen Empfehlungen am 1.10.2008 lag. Auch dies hat der [X.] bereits entschieden (Urteil vom 10.5.2011, aaO).

4. Das [X.] wird auch den [X.] am Verfahren zu beteiligen haben. Soweit ein Vorverfahren stattfindet, ist [X.]egenstand der Klage der ursprüngliche Verwaltungsakt in der [X.]estalt, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat (§ 95 S[X.][X.]). Entgegen den Ausführungen des [X.] hat nicht die Beklagte, sondern jeweils der [X.] die Widerspruchsbescheide erlassen (§ 6 Abs 2 S 1 Halbs 2 S[X.]B II idF des [X.]esetzes vom 30.7.2004, B[X.]Bl I 2014). Eine Entscheidung kann nur einheitlich gegenüber der Beklagten und dem Leistungsträger, dem [X.], ergehen.

Das [X.] wird auch über die Kosten des Rechtsstreits zu entscheiden haben.

Meta

B 4 AS 138/10 R

22.11.2011

Bundessozialgericht 4. Senat

Urteil

Sachgebiet: AS

vorgehend SG Duisburg, 11. März 2008, Az: S 17 AS 175/07, Urteil

§ 21 Abs 5 SGB 2 vom 24.12.2003, § 95 SGG, § 103 SGG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 22.11.2011, Az. B 4 AS 138/10 R (REWIS RS 2011, 1239)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 1239

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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