Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 16.10.2014, Az. 3 StR 329/14

3. Strafsenat | REWIS RS 2014, 2125

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Entscheidungstext


Formatierung

Dieses Urteil liegt noch nicht ordentlich formatiert vor. Bitte nutzen Sie das PDF für eine ordentliche Formatierung.

PDF anzeigen


BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL
3 StR
329/14
vom
16. Oktober 2014
in dem Sicherungsverfahren
gegen

-
2
-
Der 3.
Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 16.
Oktober 2014, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender [X.]
am [X.]
[X.],

die [X.] am [X.]
Pfister,
[X.],
[X.],
[X.]in am [X.]
Dr. Spaniol

als beisitzende [X.],

Oberstaatsanwalt beim [X.]

als Vertreter der [X.],

Rechtsanwältin

als Verteidigerin,

Justizobersekretärin

als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:

-
3
-
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des [X.] vom 23.
Januar 2014 wird verworfen.

Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Beschuldigten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staats-kasse.

Von Rechts wegen

Gründe:
Das [X.] hat den Antrag der Staatsanwaltschaft auf Unterbrin-gung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus abgelehnt. Hiergegen richtet sich die Revision der Staatsanwaltschaft mit sachlich-rechtlichen Beanstandungen. Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.

1. Nach den Feststellungen des [X.]s beging der Beschuldigte, der schon zuvor -
überwiegend wegen Betrugs -
zu zahlreichen Freiheitsentzie-hungen verurteilt worden war, zwischen 1991 und 2006 neun schwere Raub-straftaten. Sie waren sämtlich dadurch gekennzeichnet, dass sich der Beschul-digte zuvor im Vollzug einer Freiheitsentziehung in einer Phase wachsender innerer Unruhe befunden hatte und aus dem Strafvollzug entwichen war. Er überfiel sodann jeweils weibliches Verkaufspersonal in Ladengeschäften, [X.] die Opfer zumeist mit einem Messer und raubte oder erpresste auf diese Weise Geld. Wegen sieben der Taten wurde er vom [X.] Bremen 1992, 1993 und 1998 jeweils zu mehrjährigen Freiheitsstrafen verurteilt. Die Straf-1
2
-
4
-
kammern konnten dabei jeweils nicht ausschließen, dass der Beschuldigte zu den [X.] aufgrund einer dissozialen Persönlichkeitsstörung im Zu-sammenwirken mit dem [X.] von Alkohol und Medikamenten in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich eingeschränkt war. Wegen der letzten beiden Taten ordnete das [X.] Stade im Jahr 2007 die Unterbringung des [X.] in einem psychiatrischen Krankenhaus (§
63 StGB) an. Diese [X.] war von der erheblich verminderten Schuldfähigkeit des [X.] überzeugt und konnte darüber hinausgehend nicht ausschließen, dass die Steuerungsfähigkeit bei der Begehung der Taten aufgrund einer nunmehr diagnostizierten, chronisch verlaufenden endogenen Psychose aus dem [X.] der Schizophrenie mit Halluzinationen in Form imperativer Stimmen in Kombination mit dem [X.] von Alkohol und Psychopharmaka jeweils auf-gehoben war.

In der Folgezeit befand sich der Beschuldigte in der [X.] in [X.]. Im April 2010 wurde er in eine Wohneinrichtung des offenen Vollzugs nach [X.] verlegt. Unter dem Eindruck geänderter Vollzugsbe-dingungen -
er durfte sich tagsüber frei bewegen und musste nachts in der Ein-richtung zurück sein -
verschlechterte sich sein Gesundheitszustand. Nachdem er weder auf seine Bitte gegenüber der Klinik in [X.] um eine erhöhte Me-dikamentengabe noch auf seine Anfrage bei der Polizei, ob er "eingesperrt werden könnte", eine befriedigende Reaktion erfahren hatte, verließ der [X.] zum 28.
Januar 2011 die Einrichtung. Am übernächsten Tag betrat er in [X.] ein Ladengeschäft und ließ sich von der Inhaberin einen Geschenkartikel
zeigen. Plötzlich nahm er die Frau in den "Schwitzkas-ten", hielt ihr mit der rechten Hand ein Küchenmesser mit einer Klingenlänge von 20 Zentimetern vor den Bauch und drohte, sie "abzustechen". Die [X.] geriet in Todesangst. Es gelang ihr, dem Beschuldigten das Messer zu 3
-
5
-
entwinden. Bei dem Gerangel zog sie sich Prellungen am Rücken und den Ar-men zu. Sie konnte aus dem Ladengeschäft ins Freie gelangen, wo ihr Passan-ten zu Hilfe kamen. Der Beschuldigte verblieb danach vor dem Laden, bis die alarmierte
Polizei eintraf, ihn festnahm und am selben Tag in die [X.] nach [X.] zurückbrachte, wo die Unterbringung aus dem Urteil des [X.] weiter vollstreckt wurde. Die Strafvollstreckungskammer des [X.]s hat in den Jahren 2011, 2012 und 2013 jeweils die Fortdauer der Unterbringung wegen fortbestehender Gefährlichkeit des Beschuldigten ange-ordnet. Seit Oktober 2013 wird die Maßregel im [X.], wohin der Beschuldigte auf seinen Wunsch verlegt worden ist.

2. Das [X.] hat, sachverständig beraten, festgestellt, dass der Beschuldigte, der an einer schweren Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typus mit erhöhter Stressanfälligkeit, der Neigung zu psychoseähnlichen Symptomen und geringer Frustrationstoleranz leidet, durch die autodestruktive Komponente seiner Persönlichkeitsstörung zur Tat bestimmt wurde und sie deshalb krankhaft inszenierte, um seine Rückkehr in den Maßregelvollzug zu erreichen. Danach führte die Persönlichkeitsstörung zu einer deutlichen Ein-schränkung der Handlungskontrolle und begründete eine erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit. Die [X.] hat nicht ausschließen können, dass die Steuerungsfähigkeit wegen der hinzutretenden Alkoholisierung ([X.] von 2,22 Promille zur Tatzeit) ganz aufgehoben war. Ebenfalls in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen hat sie sich davon überzeugt, dass der Beschuldigte infolge seiner von Jugend an bestehenden, inzwischen durch einen fast durch-gängigen Aufenthalt in Strafhaft oder Maßregelvollzug während der letzten 40 Jahre verfestigten Persönlichkeitsstörung mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit zukünftig weitere gleichartige Taten immer dann begehen wird, wenn er sich von Veränderungen im Lebensumfeld überfordert fühlt. Diese Taten stellen 4
-
6
-
nach Ansicht des [X.]s eine erhebliche Gefahr für die Allgemeinheit dar, was auch an den erheblichen psychischen Folgen für das Opfer hiesiger [X.] -
die Geschädigte leidet noch heute an einer posttraumatischen Be-lastungsstörung sowie einer schweren depressiven Episode, die zu mehrmali-gem Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik und zur Aufgabe des [X.] geführt hatten -
deutlich werde. Die [X.] hat gleichwohl davon abgesehen, den Beschuldigten erneut nach § 63 StGB unterzubringen. Die [X.] Anordnung sei nicht verhältnismäßig, weil sie angesichts der bereits be-stehenden Anordnung zur besseren Erreichung des Maßregelzieles weder [X.] noch erforderlich sei. Insbesondere werde der Ablauf des derzeitigen [X.] nicht von einer erneuten Verhängung der Maßregel beein-flusst werden. Die Notwendigkeit einer engmaschigen Betreuung des [X.] unter Einsatz hoher fachlicher und personeller Ressourcen sei ohnehin erkannt und die Notwendigkeit der Fortdauer der Unterbringung unabhängig von einer erneuten Einweisung seitens der Strafvollstreckungskammer bejaht worden. Nach den Darlegungen des behandelnden Arztes habe der Ausgang des neuerlichen Verfahrens keinen Einfluss auf die weitere [X.].

3. Die Entscheidung des [X.]s lässt durchgreifende Rechtsfehler nicht erkennen.

a) Die [X.] ist zutreffend davon ausgegangen, dass die wieder-holte Anordnung der Maßregel nach § 63 StGB gegenüber einem bereits in einem psychiatrischen Krankenhaus Untergebrachten nicht grundsätzlich aus-geschlossen ist, der nochmalige [X.] jedoch voraussetzt, dass dieser in besonderer Weise mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in [X.] steht. Hierbei geht es nicht um den Gesichtspunkt der Angemessenheit der Rechtsfolge, wie ihn § 62 StGB dahin umschreibt, dass der Maßregelaus-5
6
-
7
-
spruch nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der vom Beschuldigten begange-nen und zu erwartenden Taten sowie dem Grad seiner Gefährlichkeit stehen darf. Maßgeblich ist vielmehr, ob die erneute Unterbringungsanordnung zur Er-reichung des [X.] der Besserung und Sicherung geeignet und erfor-derlich ist, weil von ihr Wirkungen ausgehen, die der erste [X.] nach § 63 StGB nicht zeitigt. Dies wird insbesondere dann der Fall sein, wenn das neue Urteil erhebliche Auswirkungen auf Dauer und Ausgestaltung des [X.] haben kann und das Erkenntnisverfahren in besserer Weise als das Vollstreckungsverfahren dazu geeignet ist, die neue [X.] sowie die sich darin widerspiegelnde Gefährlichkeit des Beschuldigten für alle an der Maßregelvollstreckung Beteiligten verbindlich festzustellen und damit [X.] in der Ausgestaltung des Vollzugs oder die Anordnung von dessen Fort-dauer zu legitimieren (vgl. [X.], Beschlüsse vom 14.
Juli 2005 -
3 [X.], [X.]St 50, 199; vom 9.
Mai 2006 -
3 [X.], [X.], 8; Urteil vom 17.
September 2009 -
4 [X.], juris Rn. 8; [X.], Beschluss vom 10.
November 2011 -
2 Ws 281/11, [X.] 2012, 227 (nur Ls)).

b) Nach diesen Grundsätzen ist die Entscheidung des [X.]s frei von Rechtsfehlern.

aa) Erhebliche Auswirkungen auf die Dauer und die Ausgestaltung des [X.] sind von einer erneuten Anordnung nicht zu erwarten. Zum
einen ist die jetzige Straftat auf dieselbe Motivation des Beschuldigten zurück-zuführen, zum anderen hat sich auch die Tatmodalität wiederholt. Dabei ist es lediglich zu einer -
allerdings nur geringfügigen -
Abschwächung der [X.] gekommen: Der Beschuldigte hat sein Opfer nur noch bedroht und
an der Gesundheit beschädigt, es aber unterlassen, die Herausgabe von Geld zu [X.]. Sein eingeschliffenes Verhalten ist bereits im Vorfeld des vorliegenden 7
8
-
8
-
Verfahrens in die Beurteilung seiner Gefährlichkeit durch die [X.] und die Strafvollstreckungskammer eingegangen. Eine erneute Anord-nung würde den Vollzugsverlauf nicht beeinflussen.

bb) Eine wiederholte Anordnung ist auch nicht allein deshalb geboten, weil die Staatsanwaltschaft die Durchführung des Sicherungsverfahrens [X.] und das [X.] am Ende der Hauptverhandlung die fortbestehende Gefährlichkeit des Beschuldigten festgestellt hat. Die Durchführung eines
bloßen "Feststellungsverfahrens", welches der Strafprozessordnung fremd ist (vgl. [X.], Beschluss vom 14.
Juli 2005 -
3 [X.], [X.]St 50, 199, 205), kann darin nicht gesehen werden. Die [X.] hat sich nicht auf diese Feststellung beschränkt, sondern die möglichen Auswirkungen einer weiteren Unterbringungsentscheidung aufgeklärt und ist dabei -
sachverständig beraten -
aufgrund der Hauptverhandlung zu der Überzeugung gelangt, dass Ausgestal-tung und Dauer des künftigen Vollzugs der Maßregel von einer solchen weite-ren Anordnung nicht beeinflusst werden würden.

[X.]) Einer Anordnung bedarf es auch nicht im Hinblick auf die weiteren Entscheidungen der Strafvollstreckungskammer nach § 67d Abs.
2 StGB. Die Feststellungen des angefochtenen Urteils zu der neuerlichen Tat des [X.] verlieren ihre Bedeutung für die Überzeugungsbildung der Strafvoll-streckungskammer vom Vorliegen bestimmter Tatsachen (vgl. hierzu
[X.], [X.], 26.
Aufl., [X.]. Abschn.
K Rn.
95) nicht dadurch, dass der [X.] der Entscheidung auf "Ablehnung des Antrags der Staatsanwaltschaft"
oder auf "Absehen von der Unterbringung"
lautet. [X.] ist deshalb die [X.] der Beschwerdeführerin, die Vorteile des [X.] für die Aufklärung des Sachverhalts könnten nur gewonnen oder erhalten werden, wenn eine erneute Anordnung der Unterbringung erfolgt. Diesem Rechtsirrtum 9
10
-
9
-
ist möglicherweise auch die [X.] unterlegen, wenn sie darlegt, dass eine erneute Unterbringung "lediglich den Vorteil" hätte, "dass die Tat als sol-che im Rahmen des [X.] rechtskräftig festgestellt werden könnte" (UA S.
31). Auf dieser Fehleinschätzung könnte indes das Urteil nicht beruhen.

dd) Auch unter dem Gesichtspunkt einer notwendigen Anrechnung des [X.] auf eine Begleitstrafe (vgl. [X.], Beschlüsse
vom 23.
November 2010 -
5 [X.], juris
s. Rn. 4 ff.; vom 17.
Juli 2012
-
4 [X.], [X.], 369) ist die erneute Anordnung nicht geboten, da eine solche Strafe hier nicht verhängt worden ist.

[X.] Pfister [X.]

[X.] Spaniol
11

Meta

3 StR 329/14

16.10.2014

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 16.10.2014, Az. 3 StR 329/14 (REWIS RS 2014, 2125)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 2125

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

3 StR 329/14 (Bundesgerichtshof)

Sicherungsverfahren: Verhältnismäßigkeitsprüfung für eine wiederholte Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus


3 Ws 256/17 (Oberlandesgericht Hamm)


3 StR 111/06 (Bundesgerichtshof)


3 StR 216/05 (Bundesgerichtshof)


4 StR 325/09 (Bundesgerichtshof)


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

4 StR 179/12

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.