Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 09.11.2023, Az. 4 C 2/22

4. Senat | REWIS RS 2023, 9883

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Gegenstand

Ausübung des Vorkaufsrechts durch Gemeinde und Festsetzung des zu zahlenden Betrages


Leitsatz

Im Anwendungsbereich von § 28 Abs. 2 BauGB ist die Gemeinde nicht befugt, bei der Ausübung des Vorkaufsrechts durch Verwaltungsakt auch einen (Teil-)Kaufpreis festzusetzen.

Tenor

Die Revision der Kläger gegen das Urteil des [X.] vom 10. November 2022 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin zu 1 trägt 1/6, der Kläger zu 2 5/6 der Kosten des Revisionsverfahrens.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Ausübung eines gemeindlichen Vorkaufsrechts.

2

Die Klägerin zu 1 ist Eigentümerin des Grundstücks A.-Straße ... in [X.] Der 3 726 qm große Westteil dieses Grundstücks wird von einer Ausbildungsstätte des [X.] genutzt und ist umfangreich bebaut, der 4 237 qm große Ostteil ist bis auf zwei Fertiggaragen unbebaut und als Sportplatz ausgestaltet. Mit notariellem Vertrag vom 21. Dezember 2016 veräußerte die Klägerin zu 1 das gesamte Areal zu einem nicht weiter aufgegliederten Kaufpreis von 2 350 000 € an den Kläger zu 2. Eine Abschrift des Kaufvertrages ging bei der Beklagten am 27. Dezember 2016 ein.

3

Die Beklagte möchte die südlich ihres Hauptbahnhofs gelegene Umgebung des Grundstücks, die bislang hauptsächlich von Bahnanlagen, Parkplätzen und einem Werksgelände geprägt ist, städtebaulich aufwerten. Im Februar 2016 erließ sie eine auch für das verkaufte Grundstück geltende Vorkaufssatzung nach § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauG[X.]

4

Mit Bescheid vom 23. Februar 2017 erklärte die Beklagte gegenüber der Klägerin zu 1, das Vorkaufsrecht "für die 4 237 qm großen Flurstücke zum Verkehrswert von 169 480 € (40 €/qm)" auszuüben. Für die Garagen sollte eine Entschädigung von weiteren 3 000 € (2 x 1 500 € Zeitwert) gezahlt werden. Dem Kläger zu 2 wurde eine Abschrift des Bescheids zugestellt. Mit Schreiben vom 30. November 2017 hob die Beklagte die ursprüngliche Rechtsbehelfsbelehrung (Klage zum [X.] für [X.]) auf, belehrte über die Möglichkeit des Widerspruchs und vertiefte die Begründung des ursprünglichen Bescheids. Der dort angegebene Preis sei nach dem "entsprechend anwendbaren" § 467 Satz 1 BGB ermittelt worden.

5

Die Kläger legten dagegen Widerspruch ein, über den nicht entschieden worden ist. Ende Dezember 2017 erhoben sie Klage, der das Verwaltungsgericht vollumfänglich stattgab. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht das Urteil geändert und den angefochtenen Bescheid nur insoweit aufgehoben, als darin für den Erwerb der betroffenen Flurstücke ein von der Beklagten zu zahlender Kaufpreis bestimmt worden ist. Im Übrigen hat es die Klage ab- und die weitergehende Berufung zurückgewiesen. Zur Begründung hat es u. a. ausgeführt, der Beklagten fehle es an der Befugnis, den [X.] durch Verwaltungsakt zu bestimmen. Insoweit sei der Bescheid rechtswidrig und verletze die Kläger in ihren Rechten. Die Ausübung des Vorkaufsrechts als solche sei nicht zu beanstanden.

6

Mit ihrer Revision erstreben die Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Sie sind der Auffassung, dass die aus § 28 Abs. 2 Satz 1 BauGB folgende Befugnis zum Erlass eines Verwaltungsakts über § 28 Abs. 2 Satz 2 BauGB und § 467 Satz 1 BGB auch die Befugnis zur Festsetzung eines [X.]es umfasse. Der festgesetzte Kaufpreis sei indessen rechtswidrig, weil er unterhalb des Verkehrswertes und damit erkennbar zu niedrig angesetzt worden sei. Die Rechtswidrigkeit dieser Festsetzung führe zur Rechtswidrigkeit des gesamten [X.], weil dieser nicht i. S. v. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO teilbar sei. Es bestehe ein untrennbarer innerer Zusammenhang zwischen der Festsetzung eines [X.]es und der Übertragung von Eigentum und Besitz an dem Teilgrundstück.

7

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil.

Entscheidungsgründe

8

Die zulässige Revision ist unbegründet. Das angefochtene Urteil beruht nicht auf einer Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 VwGO). Das Oberverwaltungsgericht hat das erstinstanzliche Urteil zu Recht geändert und den Bescheid über die Ausübung des Vorkaufsrechts nur hinsichtlich der Festsetzung eines [X.]es aufgehoben.

9

1. Nach den bindenden Feststellungen des [X.] hat die Beklagte ihr Vorkaufsrecht aus § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB nach § 28 Abs. 2 BauGB ausgeübt. Im Anwendungsbereich dieser Vorschrift ist die [X.] nicht befugt, den (Teil-)Kaufpreis durch Verwaltungsakt festzusetzen. Eine entsprechende Befugnis ist im Gesetz weder ausdrücklich enthalten, noch kann sie ihm - was genügt (stRspr, vgl. BVerwG, Urteile vom 7. Dezember 2011 - 6 C 39.10 - BVerwGE 141, 243 Rn. 14, vom 12. April 2017 - 2 C 16.16 - BVerwGE 158, 364 Rn. 15 und vom 29. April 2020 - 7 C 29.18 - BVerwGE 168, 86 Rn. 20, jeweils m. w. N.) - im Wege der Auslegung entnommen werden.

a) Nach § 28 Abs. 2 Satz 1 BauGB wird das Vorkaufsrecht durch Verwaltungsakt ausgeübt. Dabei ist der Umfang der Verwaltungsaktbefugnis in den Absätzen 2 bis 4 unterschiedlich ausgestaltet.

Übt die [X.] ein Vorkaufsrecht gemäß § 28 Abs. 2 BauGB aus, richten sich die Rechtswirkungen grundsätzlich nach den in Satz 2 dieser Vorschrift genannten zivilrechtlichen Vorschriften. Der Kauf zwischen der [X.] und dem Verkäufer kommt unter den Bestimmungen zustande, die der Verkäufer mit dem [X.] vereinbart hat (§ 28 Abs. 2 Satz 2 BauGB i. V. m. § 464 Abs. 2 [X.]; Grundsatz der Vertragsidentität). Die [X.] hat daher den im Kaufvertrag vereinbarten Kaufpreis zu bezahlen (§ 433 Abs. 2 [X.]). Eine hoheitliche Bestimmung des Kaufpreises durch Verwaltungsakt ist weder erforderlich noch in § 28 Abs. 2 BauGB vorgesehen. Für Streitigkeiten über die Ausübung des Vorkaufsrechts ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet.

Anders verhält es sich bei den sog. preislimitierenden [X.] nach § 28 Abs. 3 und 4 BauGB, für die das Gesetz der [X.] "abweichend von Abs. 2 Satz 2" die Befugnis einräumt, den zu zahlenden Betrag nach dem Verkehrswert des Grundstücks im Zeitpunkt des Kaufs (Abs. 3 Satz 1) oder dem [X.] (Abs. 4 Satz 1) zu bestimmen. In diesen Fällen erstreckt sich die Verwaltungsaktbefugnis der [X.] mithin kraft ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung auch auf die Festsetzung des Preises. Verwaltungsakte nach § 28 Abs. 3 und 4 BauGB können nur durch Antrag auf gerichtliche Entscheidung angefochten werden. Über den Antrag entscheidet das Landgericht, Kammer für [X.] (§ 217 Abs. 1 Satz 4 BauGB).

b) Für den Fall, dass das Vorkaufsrecht nach § 28 Abs. 2 BauGB - wie hier - nur teilweise ausgeübt wird, was nach § 28 Abs. 2 Satz 2 BauGB i. V. m. § 467 Satz 1 [X.] analog grundsätzlich zulässig ist, trifft § 28 Abs. 2 BauGB keine spezielle Regelung. Anhaltspunkte dafür, dass der [X.] für diesen Fall eine Befugnis zur Preisfestsetzung durch Verwaltungsakt zustehen sollte, sind nicht ersichtlich.

Zwar wird der Grundsatz der Vertragsidentität in diesen Fällen durchbrochen (vgl. [X.], Urteile vom 23. Juni 2006 - [X.] - [X.]Z 168, 152 Rn. 22 und vom 27. April 2016 - [X.]/15 - NJW-RR 2016, 910 Rn. 63). Das führt aber nicht zu einem Wechsel in das System für die preislimitierenden Vorkaufsrechte. Eine hoheitliche Befugnis zur Bestimmung eines [X.]es ist in diesen Fällen weder erforderlich noch - wie bei § 28 Abs. 3 und 4 BauGB - im öffentlichen Interesse gerechtfertigt. [X.] und Vertragspartner begegnen sich hinsichtlich des [X.] unverändert auf [X.] der Gleichordnung. Die Teilausübung vermittelt der [X.] keine weitergehenden Gestaltungsmöglichkeiten als einem privaten [X.]. Ist im Kaufvertrag nur ein einheitlicher Kaufpreis vereinbart, ist der [X.] entsprechend § 467 Satz 1 [X.] zu ermitteln und der Vertrag insoweit anzupassen. Dabei kann für die objektiven Bestimmungsfaktoren auf die Rechtsprechung des [X.] zurückgegriffen werden (vgl. [X.], Urteil vom 23. Juni 2006 - [X.] - [X.]Z 168, 152 Rn. 32). Schon vor diesem Hintergrund greift der Einwand der Kläger, ohne Bestimmung des [X.]es im Verwaltungsakt über die Ausübung des Vorkaufsrechts fehle es an einer notwendigen Voraussetzung für das Zustandekommen eines Kaufvertrags zwischen Verkäufer und [X.], nicht durch. Im Übrigen muss der Kaufpreis nach einhelliger Auffassung im Kaufvertrag noch nicht fixiert sein; es genügt, wenn er bestimmbar ist (vgl. Westermann, in: [X.] Kommentar zum [X.], 8. Aufl. 2019, § 433 Rn. 17). Dass gegebenenfalls ein weiteres gerichtliches Verfahren notwendig wird, wenn die Vertragsparteien sich nicht auf einen [X.] verständigen können, ist Folge der in § 28 BauGB getroffenen Unterscheidung zwischen den Fällen des Absatzes 2 einerseits und der Absätze 3 und 4 andererseits. Zivilrechtliche Folgeprozesse sind auch sonst, etwa bei Streit über die [X.], nicht ausgeschlossen.

Aus der Entstehungsgeschichte lässt sich nichts für die Annahme einer hoheitlichen Befugnis zur Preisbestimmung im Rahmen von § 28 Abs. 2 BauGB herleiten. Der Passus "durch Verwaltungsakt gegenüber dem Veräußerer" ist durch das Gesetz zur Änderung des [X.] vom 18. August 1976 ([X.]l. I S. 2221) in § 24 Abs. 4 Satz 1 [X.] eingefügt worden. Der Gesetzgeber wollte damit die Rechtsprechung des [X.] korrigieren, der die Ausübung des Vorkaufsrechts als privatrechtliche Willenserklärung einstufte. Im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung und im Hinblick auf die Ausgestaltung des § 28a [X.] (preislimitierendes Vorkaufsrecht) sollte die Zuständigkeit der Gerichte für [X.] vorgesehen werden (vgl. [X.]. 7/2496 S. 44). Dem Anliegen, eine Rechtswegspaltung zu vermeiden, trägt § 217 Abs. 1 Satz 1 BauGB für Verwaltungsakte nach § 28 Abs. 3 und 4 BauGB, mit denen sowohl das Vorkaufsrecht ausgeübt als auch der zu zahlende Betrag bestimmt wird, Rechnung. Zugleich ist damit sichergestellt, dass die Preis-/Wertbestimmung den Zivilgerichten vorbehalten ist. Damit wäre unvereinbar, wenn in den von § 217 Abs. 1 Satz 1 BauGB nicht erfassten Fällen des § 28 Abs. 2 BauGB neben der Ausübung des Vorkaufsrechts auch die Bestimmung eines [X.]es verwaltungsgerichtlicher Kontrolle unterläge.

2. Mit Bundesrecht im Einklang steht auch die weitere Annahme des [X.], dass die Ausübung des Vorkaufsrechts nicht zu beanstanden ist.

Das Oberverwaltungsgericht hat das Vorliegen der Voraussetzungen für die [X.] des Vorkaufsrechts bejaht. Ermessensfehler hat es verneint, insbesondere hat es angenommen, dass die Ermessensbetätigung der Beklagten nicht von dem fehlerhaft festgesetzten Kaufpreis beeinflusst worden ist ([X.]). Hiergegen sind revisionsrechtliche Bedenken weder dargetan noch sonst ersichtlich.

3. Nicht zu beanstanden ist schließlich die Annahme des [X.], dass die Festsetzung eines [X.]es nicht zur Gesamtrechtswidrigkeit des Bescheids führt. Wie dargelegt ist bei der Ausübung eines Vorkaufsrechts nach § 28 Abs. 2 Satz 1 BauGB die Festsetzung eines [X.]es durch Verwaltungsakt nicht zulässig, geschweige denn - wie die Kläger meinen - notwendige Voraussetzung für eine rechtmäßige Ausübung. Die Teilausübung des Vorkaufsrechts kann mithin als selbständige Regelung fortbestehen, ohne ihren ursprünglichen Bedeutungsgehalt zu verändern. Die Aufhebung des Bescheids beschränkt sich daher nach § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO zu Recht auf die Festsetzung des [X.]es.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Der Senat hat den verkündeten Tenor wegen einer offenbaren Unrichtigkeit bei der Bezeichnung der Klägerin zu 1 nach § 118 Abs. 1 VwGO berichtigt.

Meta

4 C 2/22

09.11.2023

Bundesverwaltungsgericht 4. Senat

Urteil

Sachgebiet: C

vorgehend OVG Lüneburg, 10. November 2022, Az: 1 LB 2/22, Urteil

§ 25 Abs 1 S 1 Nr 2 BauGB, § 28 Abs 2 BauGB, § 28 Abs 3 S 1 BauGB, § 28 Abs 4 S 1 BauGB, § 464 Abs 2 BGB, § 467 S 1 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 09.11.2023, Az. 4 C 2/22 (REWIS RS 2023, 9883)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 9883

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