Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 08.12.2015, Az. 2 StR 200/15

2. Strafsenat | REWIS RS 2015, 1123

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[X.]:[X.]:[X.]:2015:081215B2STR200.15.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2
StR 200/15

vom
8. Dezember 2015
in der Strafsache
gegen

wegen
sexuellen Missbrauchs von [X.]

-
2
-
Der 2. Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des [X.], zu Ziffer 2 auf dessen Antrag, und nach Anhörung des [X.] am 8. Dezember 2015 gemäß §
349 Abs. 2 und 4 StPO
beschlossen:

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 26.
Januar 2015 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben
a) im Fall II.2. b) [X.]) der Urteilsgründe sowie
b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe und im [X.].
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-tels und die dem Nebenkläger insoweit entstandenen notwen-digen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landge-richts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen sexuellen Missbrauchs von [X.] in 13 Fällen zu einer Ge-samtfreiheitsstrafe von drei Jahren und zwei Monaten verurteilt und seine Un-terbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf sachlich-rechtliche Beanstandungen gestützten 1
-
3
-
Revision. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von §
349 Abs. 2 StPO.
1. [X.] hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand, soweit das [X.] den Angeklagten wegen einer zu einem nicht näher be-stimmbaren Zeitpunkt im Februar oder März 2012 begangenen Tat des sexuel-len Missbrauchs von [X.] (§
174 Abs.
1 Nr.
1 StGB)

Fall II.
2.
b)
[X.]) der Urteilsgründe

verurteilt hat; die Feststellungen belegen nicht zweifelsfrei, dass der Nebenkläger dem Angeklagten auch zu diesem Zeitpunkt noch zur Erziehung, zur Ausbildung oder zur Betreuung anvertraut war.
a) Der Tatbestand des §
174 Abs.
1 Nr.
1 StGB setzt voraus, dass zwi-
schen Täter und Opfer ein Verhältnis besteht, kraft dessen eine Person unter 16 Jahren dem Täter zur Erziehung, zur Ausbildung oder zur Betreuung in der Lebensführung anvertraut ist. Das Zusammenleben in häuslicher [X.] genügt hierfür nicht ([X.], Urteil vom 2. Juni 1999

5 [X.], [X.], 321). Erforderlich ist vielmehr ein Verhältnis, in welchem einer Person das Recht und die Pflicht obliegt, die Lebensführung des [X.] und
damit dessen geistig-seelische Entwicklung zu überwachen und zu leiten ([X.], Urteil vom 20.
September 1988

1 [X.], [X.]R StGB §
174 Abs.
1 Ob-
hutsverhältnis
1). Entscheidend ist insoweit nicht, von wem und auf welche Weise der Betreuer bestellt worden ist ([X.], Beschluss vom 31.
Januar 1967

1 StR 595/65, [X.]St 21, 196, 201; [X.], Urteil vom 5.
November 1985

1
StR
491/85, 33, 341, 344). Es kann genügen, dass ein Jugendlicher selbst sich einem Erwachsenen zur Betreuung in der Lebensführung gemäß §
174 Abs.
1 Nr.
1 StGB anvertraut ([X.], Beschluss vom 21.
April 1995

3
StR 526/94, [X.]St 41, 137, 139). Erforderlich ist jedoch stets ein Abhängigkeits-
verhältnis im Sinne der Unter-
und Überordnung, die den persönlichen, allge-
mein menschlichen Bereich umfasst ([X.], Beschluss vom 21.
April 1995
2
3
-
4
-

3
StR 526/94, aaO; Senat, Urteil vom 2.
Juli 1997

2
StR 205/97, [X.]R StGB §
174 Abs.
1 [X.] 10). Ob ein solches [X.] be-steht und welchen Umfang es hat, ist nach den tatsächlichen Verhältnissen des jeweiligen Einzelfalls zu beurteilen ([X.], Beschluss vom 5.
November 1985

1
StR 491/85, [X.]St 33, 340, 344).
b) Nach den Feststellungen übernahm der Angeklagte für den am 31.
Oktober 1996 geborenen Geschädigten

F.

auf dessen Initiati-
ve und in Absprache mit Mutter und Schwester des [X.] ab Anfang November 2011 die Sorge für dessen Erziehung, organisierte seinen Tagesab-lauf, überwachte den Schulbesuch und kümmerte sich um Ernährung und Kör-perhygiene des [X.]. Im Zeitraum von Anfang November bis Ende
Dezember 2011 nahm der Angeklagte in zwölf Fällen sexuelle Handlungen, in mindestens zwei Fällen den Oralverkehr an dem [X.] vor. Zwar hat das [X.] nicht festgestellt, ob das Betreuungsverhältnis auf längere Dauer angelegt war; dies
steht
der Annahme des [X.] im Sinne der genannten Vorschrift jedoch nicht entgegen (vgl. [X.], Urteil vom 3.
April 1962

5
StR 74/62, [X.]St 17, 191, 193; [X.], StGB, 63.
Aufl.,
§
174 Rn.
6; aA LK-Hörnle, StGB, 12.
Aufl., §
174 Rn.
11; [X.]/Kühl, StGB, 28.
Aufl., §
174 Rn.
6). Danach belegen die Feststellungen die
Erfüllung des Tatbestands
in den unter II.
b)
aa) genannten zwölf Fällen.
Ausweislich der Feststellungen verließ der Geschädigte

F.

jedoch im Februar 2012 nach einem Streit den Haushalt des Angeklagten und kehrte zu seiner Schwester, der Zeugin

B.

zurück, die in Ab-
sprache mit dem Jugendamt die Personensorge für ihren jüngeren Bruder in-
nehatte. Zwar besuchte der Nebenkläger den Angeklagten bis zu seiner Inhaf-tierung in anderer Sache in der Folgezeit gelegentlich. Dass aber weiterhin ein besonderes [X.] im Sinne des §
174 Abs.
1 Nr.
1 StGB bestand, 4
5
-
5
-
ist weder ausdrücklich festgestellt noch lässt sich dies dem Gesamtzusammen-hang der Urteilsgründe zweifelsfrei entnehmen. Zwar ist im Rahmen der Be-weiswürdigung ausgeführt, dass der Angeklagte angegeben hatte, den [X.] mit Zustimmung von Mutter und Schwester von November 2011 bis zum 8.
März 2012 bei sich aufgenommen zu haben; dies steht freilich in einem unauflöslichen Widerspruch zu den Feststellungen, wonach der Geschädigte etwa im Februar 2011

gemeint ist ersichtlich: Februar 2012

nach einem Streit den Haushalt des Angeklagten verlassen hat, zu Mutter und Schwester zurückgekehrt ist und sich in der Folgezeit nur noch besuchsweise bei dem [X.] aufgehalten hat.
Bei dieser Sachlage erscheint fraglich, ob die vom Angeklagten an dem Nebenkläger zu einem nicht näher bestimmbaren Tag zwischen Mitte Februar 2012 und dem 8.
März 2012 anlässlich einer Übernachtung des [X.]
in seiner Wohnung vorgenommenen sexuellen Handlungen den Straftatbe-
stand des §
174 StGB noch erfüllen oder nicht. [X.] kann daher insoweit keinen Bestand haben.
2. Im Übrigen hat die Überprüfung des Urteils zum Schuldspruch und zu den Einzelstrafaussprüchen in den Fällen II.
2.
b)
aa) keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
3. Die Aufhebung des Schuldspruchs im Fall II.
2.
b)
[X.]) zieht die Aufhe-bung der Gesamtstrafe sowie die Aufhebung des [X.] nach sich.
Die Sache bedarf daher
in diesem Umfang
neuer Verhandlung und Ent-scheidung.

6
7
8
9
-
6
-
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat vorsorglich darauf hin, dass die
Gefährlichkeitsprognose nach § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB
besonders sorg-fältiger Überprüfung bedarf.
Dass die vor den verfahrensgegenständlichen Straftaten begangene
letzte einschlägige Straftat bereits mehrere Jahre zurück liegt, ist ein grundsätz-
lich prognostisch eher günstiger Umstand, der nicht ohne Weiteres durch die Erwägung relativiert werden kann, dass bei [X.] mehrjährige La-
tenzen bis zum Auftreten einer neuen Straftat der üblichen Rückfallgeschwin-digkeit entsprechen.
[X.] Appl Krehl

Ott Bartel

10
11

Meta

2 StR 200/15

08.12.2015

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 08.12.2015, Az. 2 StR 200/15 (REWIS RS 2015, 1123)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 1123

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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