Bundesgerichtshof, Beschluss vom 04.09.2023, Az. AnwZ (Brfg) 23/23

Senat für Anwaltssachen | REWIS RS 2023, 6547

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Tenor

Der Antrag des [X.] auf Zulassung der Berufung gegen das am 17. März 2023 verkündete Urteil des 1. Senats des [X.] für das [X.] wird abgelehnt.

Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Wert des Zulassungsverfahrens wird auf 50.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Der Kläger ist seit 2012 zur Rechtsanwaltschaft zugelassen. Er befand sich vom 13. Oktober 2021 bis zum 22. Dezember 2022 zur Vollstreckung eines Strafurteils des [X.]     in Haft. Mit Bescheid vom 9. März 2022 widerrief die Beklagte die Zulassung des [X.] zur Rechtsanwaltschaft wegen [X.] (§ 14 Abs. 2 Nr. 7 [X.]). Die Klage gegen den [X.] hat der [X.] abgewiesen. Der Kläger beantragt die Zulassung der Berufung gegen das Urteil des [X.]s.

II.

2

Der Zulassungsantrag hat keinen Erfolg. Ein Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 VwGO ist nicht gegeben (vgl. § 112e Satz 2 [X.], § 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).

3

1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils bestehen nicht (§ 112e Satz 2 [X.], § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).

4

a) Der [X.] vom 9. März 2022 ist entgegen der Auffassung des [X.] nicht formell rechtswidrig.

5

aa) Der Kläger ist gemäß § 32 Abs. 1 Satz 1 [X.] [X.]. § 28 Abs. 1 VwVfG [X.] angehört worden. Ausweislich der Personalakte der Beklagten ist dem Kläger das [X.] der Beklagten vom 14. Februar 2022 über das besondere elektronische Anwaltspostfach [X.]) am selben Tag zugegangen. Soweit der Kläger im Verfahren vor dem [X.] vorgetragen hat, sein zwischenzeitlicher Status als Freigänger besage nicht, dass er [X.] uneingeschränkt habe nutzen können, wird hierdurch nicht hinreichend dargelegt, dass der Kläger das ihm über [X.] zugegangene [X.] der Beklagten vom 14. Februar 2022 nicht hat zur Kenntnis nehmen können. Hierfür wäre vielmehr Vortrag dazu erforderlich gewesen, in welchen [X.]en er [X.] hat nutzen können und in welchen haftbedingt nicht. Dies gilt umso mehr, als der Kläger während seiner Inhaftierung jedenfalls seine Klageschrift am 19. April 2022 über [X.] hat einreichen können.

6

bb) Der [X.] der Beklagten vom 9. März 2022 ist dem Kläger gemäß § 34 [X.] zugestellt und damit gemäß § 32 Abs. 1 Satz 1 [X.] [X.]. § 41 Abs. 1, 5 VwVfG [X.] bekanntgegeben worden. Dabei kann offen bleiben, ob die Zustellung des [X.]es an den Kläger während der [X.] seiner Haft wirksam mittels Postzustellungsurkunde an die Anschrift seiner Kanzlei erfolgen konnte. Sollte dies zu verneinen sein, gilt der [X.] gemäß § 34 [X.] [X.]. § 8 des [X.] für das [X.] in dem [X.]punkt als zugestellt, in dem er dem Kläger nachweislich zugegangen ist. Dies war nach den Angaben des [X.] der Fall, als er über [X.] 2022 Ausgang hatte (Schriftsatz vom 11. Juli 2023, S. 8).

7

b) Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils bestehen auch nicht insofern, als der [X.] von der materiellen Rechtmäßigkeit des [X.]es ausgegangen ist.

8

Gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 7 [X.] ist die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu widerrufen, wenn der Rechtsanwalt in Vermögensverfall geraten ist, es sei denn, dass dadurch die Interessen der Rechtsuchenden nicht gefährdet sind. Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Widerrufs einer Zulassung zur Rechtsanwaltschaft wegen [X.] ist nach der Rechtsprechung des Senats allein auf den [X.]punkt des Abschlusses des behördlichen Widerrufsverfahrens, also auf den Erlass des Widerspruchsbescheids oder - wenn das grundsätzlich vorgeschriebene Vorverfahren entbehrlich ist - auf den Ausspruch der Widerrufsverfügung abzustellen; die Beurteilung danach eingetretener Entwicklungen ist einem Wiederzulassungsverfahren vorbehalten (st. Rspr.; vgl. nur Senatsbeschlüsse vom 29. Juni 2011 - [X.] ([X.]) 11/10, [X.], 187 Rn. 9 ff.; vom 10. März 2014 - [X.] ([X.]) 77/13, juris Rn. 3 mwN und vom 12. Dezember 2018 - [X.] ([X.]) 60/17, juris Rn. 4).

9

Ein Vermögensverfall wird vermutet, wenn der Rechtsanwalt in das vom Vollstreckungsgericht zu führende Verzeichnis (§ 882b ZPO) eingetragen ist (§ 14 Abs. 2 Nr. 7 Hs. 2 [X.]). Ein Rechtsanwalt, der in diesem Verzeichnis eingetragen ist, muss nach ständiger Senatsrechtsprechung zur Widerlegung der Vermutung des [X.] ein vollständiges und detailliertes Verzeichnis seiner Gläubiger und Verbindlichkeiten vorlegen und konkret darlegen sowie belegen, dass seine Vermögens- und Einkommensverhältnisse nachhaltig geordnet sind (z.B. Senat, Beschluss vom 30. Mai 2022 - [X.] ([X.]) 6/22, juris Rn. 6 [X.].[X.]).

aa) Der Kläger hat sich zum maßgeblichen [X.]punkt des [X.]es vom 9. März 2022 in Vermögensverfall befunden. Der [X.] hat den Vermögensverfall des [X.] zu Recht aus der gesetzlichen Vermutung des § 14 Abs. 2 Nr. 7 Hs. 2 [X.] hergeleitet, da der Kläger im [X.]punkt des Widerrufs in dem vom Vollstreckungsgericht zu führenden Verzeichnis eingetragen war. Die hiergegen gerichteten [X.] des [X.] begründen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils.

(1) Dies gilt zunächst, soweit der Kläger geltend macht, die Vermutung des [X.] könne nicht greifen, wenn es im "Vermögensverzeichnis" - gemeint ist offenbar das vom Vollstreckungsgericht zu führende Verzeichnis (§ 882b ZPO) - offensichtliche Fehler gebe, was mit den "zum Teil" falsch zugeordneten Eintragungen des Betreibers des [X.] mit gleichem Namen der Fall sei (S. 16 [X.]. S. 6 des Schriftsatzes vom 11. Juli 2023). Der Kläger führt insoweit schon nicht - wie indes erforderlich - aus, um welche nicht gegen ihn, sondern gegen eine namensgleiche Person gerichtete, im Verzeichnis gemäß § 882b ZPO eingetragene Forderungen es sich handeln soll. Ausweislich des dem [X.] beigefügten Ausdrucks einer mit dem Namen und dem Geburtsdatum des [X.] durchgeführten [X.] wird in dem Ausdruck ein Eintrag zu einer mit dem Kläger namens- und altersgleichen Person aufgeführt (Verfahrensnummer                 , Az. [X.]       ), die nicht die Melde- beziehungsweise Kanzleianschrift des [X.] hat, sondern die Anschrift S.        in E.                . Aus diesem - durch die Abfrage bestimmten - Inhalt des Ausdrucks kann nicht auf eine Fehlerhaftigkeit des [X.] geschlossen werden. Zwar wird durch die vorgenannte Eintragung, sollte sie nicht den Kläger betreffen, nicht die Vermutung von dessen Vermögensverfall begründet. Indes genügen hierfür die weiteren im angefochtenen Urteil (S. 3) aufgeführten, den Kläger - auch ausweislich der [X.] - betreffenden Eintragungen im Schuldnerverzeichnis.

(2) Der Kläger hat entgegen seiner Auffassung auch nicht "nachgewiesen", dass er nicht in Vermögensverfall geraten ist. Soweit er sich insofern auf ein nach seiner Behauptung an die Beklagte gerichtetes Schreiben vom 12. August 2020 beruft (S. 16 [X.]. S. 4 ff. des Schriftsatzes vom 11. Juli 2023), trägt er zu dessen Inhalt nicht hinreichend vor. Insbesondere führt er nicht aus, inwiefern aus den diesem Schreiben beigefügten Anlagen erkennbar gewesen sein soll, dass kein Vermögensverfall vorgelegen hat. Soweit er vorträgt, aus den Anlagen habe sich ergeben, "um welche Forderungen es sich handelt und dass diese vollumfänglich gedeckt und abgesichert sind", genügt dies nicht zur Widerlegung der auf der Eintragung im Schuldnerverzeichnis beruhenden Vermutung des [X.]. Insbesondere legt der Kläger nicht dar, dass er mit dem Schreiben vom 12. August 2020 und den zugehörigen - nach seinen Angaben infolge einer strafprozessualen Sicherstellung bei ihm nicht mehr vorhandenen - Anlagen ein vollständiges und detailliertes Verzeichnis seiner Gläubiger und Verbindlichkeiten vorgelegt und konkret dargelegt sowie belegt hat, dass seine Vermögens- und Einkommensverhältnisse nachhaltig geordnet sind.

Letztlich kommt es hierauf nicht an. Denn das Schreiben vom 12. August 2020 kann nicht die zeitlich erst danach erfolgte Eintragung im Schuldnerverzeichnis vom 21. September 2020 (Verfahrensnummer                  , Az. [X.]       ) betroffen haben. Diese begründet bereits für sich genommen gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 7 Hs. 2 [X.] die Vermutung des [X.].

bb) Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils bestehen auch nicht, soweit dort ausgeführt wird, bei Erlass des [X.]es seien Anhaltspunkte, dass ungeachtet des [X.] die Interessen der Rechtsuchenden nicht gefährdet gewesen seien, nicht gegeben gewesen.

(1) Nach der Rechtsprechung des Senats ist nach der in § 14 Abs. 2 Nr. 7 [X.] zum Ausdruck kommenden Wertung des Gesetzgebers mit dem Vermögensverfall eines Rechtsanwalts grundsätzlich eine Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden verbunden. Auch wenn diese Regelung nicht im Sinne eines Automatismus zu verstehen ist, die Gefährdung daher nicht zwangsläufig und ausnahmslos schon aus dem Vorliegen eines [X.] folgt, kann die Gefährdung im nach der gesetzlichen Wertung vorrangigen Interesse der Rechtsuchenden nur in seltenen Ausnahmefällen verneint werden, wobei den Rechtsanwalt hierfür die Feststellungslast trifft (st. Rspr.; vgl. zuletzt Senat, Beschluss 11. Mai 2023 - [X.] ([X.]) 33/22, juris Rn. 11 [X.].[X.]). Von einem solchen Ausnahmefall kann nur ausgegangen werden, wenn im [X.]punkt des Widerrufs eine sichere Prognose dahingehend getroffen werden kann, dass sich im zu entscheidenden Einzelfall die typischen Gefahren, die mit dem Vermögensverfall eines Anwalts verbunden sind, nicht realisieren werden (Senat, Beschlüsse vom 11. Mai 2023, aaO, und vom 10. Oktober 2022 - [X.] ([X.]) 19/22, juris Rn. 7 mwN). Diese Prognose ist zwar im [X.]punkt des Widerrufs zu treffen. Sie ist aber ihrem Wesen nach in die Zukunft gerichtet und schließt damit die Bewertung ein, ob in der Zukunft - und nicht nur im [X.]punkt des Widerrufs - die Interessen der Rechtsuchenden durch den Vermögensverfall des Rechtsanwalts gefährdet werden.

(2) In Anwendung dieser Grundsätze hat der [X.] zutreffend erkannt, dass auch in Anbetracht der zum [X.]punkt des [X.]es vom 9. März 2022 bestehenden Inhaftierung des [X.] die sichere Prognose, dass sich die typischen Gefahren, die mit dem Vermögensverfall eines Anwalts verbunden sind, nicht realisieren werden, nicht gegeben war.

So war nicht ausgeschlossen, dass der Kläger innerhalb eines überschaubaren [X.]raums nach dem [X.] vom 9. März 2022 aus der Haft nach deren hälftiger Verbüßung entlassen werden könnte. Der Kläger war durch rechtskräftiges Urteil des [X.]      vom 31. März 2017 zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt worden. Er trat am 13. Oktober 2021 diese Strafe an, wobei er sich nach seinen Angaben zuvor bereits fast sechs Monate in Untersuchungshaft befunden hatte (S. 4 des Schriftsatzes vom 11. Juli 2023). Eine Entlassung des [X.] nach Verbüßung der Hälfte der Freiheitsstrafe (vgl. § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB [X.]. § 57 Abs. 1 Satz 2 StGB) bereits im Juli 2022 und damit - vom [X.]punkt des [X.]es aus gesehen - innerhalb eines überschaubaren [X.]raums, der von der hinsichtlich der künftigen Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden anzustellenden Prognose umfasst wird, erschien nicht ausgeschlossen. Dies gilt umso mehr, als der Kläger zum [X.]punkt seiner Verurteilung nicht vorbestraft und zudem Vater von fünf Kindern war.

Zudem befand sich der Kläger - nach seinen Angaben bis zum 9. Mai 2022 und damit zum [X.]punkt des [X.]es vom 9. März 2022 - im offenen Vollzug. Nach § 31 Abs. 2 [X.] [X.] konnte ihm unter den Voraussetzungen des § 31 Abs. 1 Satz 1 [X.] [X.] gestattet werden, sich selbst zu beschäftigen und damit einer freiberuflichen Tätigkeit nachzugehen (vgl. [X.]/[X.] in [X.] Strafvollzugsrecht [X.], 18. Edition, § 31 [X.] [X.] Rn. 7 (Stand: 15.02.2023)). Soweit der Kläger diesbezüglich ausführt, er habe einen entsprechenden Antrag nicht stellen können, da er zur Beschaffung der "dazu notwendigen Unterlagen" keinen Ausgang bekommen habe, kann hiervon nicht ausgegangen werden. Der Kläger legt weder dar, welche Unterlagen er über den Nachweis seiner Zulassung zur Rechtsanwaltschaft hinaus einem Antrag auf Gestattung der Selbstbeschäftigung als Rechtsanwalt gemäß § 31 Abs. 2 [X.] [X.] hätte beifügen müssen, noch, dass ihm diese Unterlagen nicht durch einen Mitarbeiter seiner Kanzlei oder seinen Vertreter hätten übermittelt werden können.

2. Besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten weist die Rechtssache nicht auf (§ 112e Satz 2 [X.], § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Dieser Zulassungsgrund setzt voraus, dass die Rechtssache wegen einer erheblich über dem Durchschnitt liegenden Komplexität des Verfahrens oder der ihr zu Grunde liegenden Rechtsmaterie in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht das normale Maß nicht unerheblich überschreitende Schwierigkeiten verursacht und sich damit von den üblichen verwaltungsrechtlichen Anwaltssachen deutlich abhebt (st. Rspr.; vgl. nur Senat, Beschluss vom 14. Oktober 2020 - [X.] ([X.]) 24/20, juris Rn. 18 mwN). Das ist hier nicht der Fall. Eine fehlerhafte Eintragung im Schuldnerverzeichnis hat der Kläger - wie ausgeführt - bereits nicht dargelegt. Sie würde im Übrigen auch keine tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten im vorgenannten Sinne begründen. Gleiches gilt im Hinblick auf die Berücksichtigung des Strafvollzugsrechts und insbesondere der Möglichkeit der Gestattung einer Selbstbeschäftigung gemäß § 31 Abs. 2 [X.] [X.].

3. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 112e Satz 2 [X.], § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Dieser Zulassungsgrund ist gegeben, wenn der Rechtsstreit eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und [X.] Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an einer einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt (vgl. nur Senat, Beschluss vom 6. Februar 2012 - [X.] ([X.]) 42/11, juris Rn. 25 mwN). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Die Rechtslage ist eindeutig und nicht klärungsbedürftig. Sie ist zudem nach den besonderen Umständen des vorliegenden Einzelfalls zu beurteilen. Die vom Kläger aufgeworfene Frage, wie es rechtlich zu werten sei, wenn sich ein zugelassener Rechtsanwalt im offenen Strafvollzug befinde und ihm dort nicht erlaubt werde, seine Tätigkeit als Rechtanwalt auszuüben, stellt sich nicht. Denn der Kläger hat nach seinen eigenen Angaben bereits keinen Antrag auf Gestattung einer solchen Tätigkeit gestellt. In Anbetracht der Möglichkeit einer Gestattung gemäß § 31 Abs. 2 [X.] [X.] oder einer vorzeitigen Haftentlassung innerhalb eines - vom [X.]punkt des [X.]es aus gesehen - überschaubaren [X.]raums konnte vielmehr im [X.]punkt des Widerrufs keine sichere Prognose dahingehend getroffen werden, dass sich durch eine Wiederaufnahme der Tätigkeit des [X.] als selbständiger Rechtsanwalt die typischen Gefahren, die mit dem Vermögensverfall eines Anwalts verbunden sind, nicht realisieren würden.

4. Auch der Zulassungsgrund der Divergenz (§ 112e Satz 2 [X.], § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) liegt nicht vor. Voraussetzung für eine Zulassung wegen Divergenz ist, dass die anzufechtende Entscheidung von der Entscheidung eines höher- oder gleichrangigen Gerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Eine Abweichung in diesem Sinne liegt nur vor, wenn die anzufechtende Entscheidung ein und dieselbe Rechtsfrage anders beantwortet als die Vergleichsentscheidung, mithin einen Rechtssatz aufstellt, der sich mit einem in der Vergleichsentscheidung aufgestellten und diese tragenden Rechtssatz nicht deckt (Senat, Beschluss vom 14. Oktober 2020, aaO Rn. 20 mwN).

Dies ist vorliegend nicht der Fall. Insbesondere ist der Rechtsprechung des [X.] nicht zu entnehmen, dass im Hinblick auf die Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden (§ 14 Abs. 2 Nr. 7 [X.]) ausschließlich auf den [X.]punkt des Widerrufs der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft abzustellen ist. Vielmehr ist insofern - wie ausgeführt - eine Prognose dahingehend erforderlich, dass sich die typischen Gefahren, die mit dem Vermögensverfall eines Anwalts verbunden sind, nicht realisieren werden. Diese Prognose ist zwar im [X.]punkt des Widerrufs zu treffen. Sie ist aber ihrem Wesen nach in die Zukunft gerichtet und schließt damit die Bewertung ein, ob in der Zukunft - und nicht nur im [X.]punkt des Widerrufs - die Interessen der Rechtsuchenden durch den Vermögensverfall des Rechtsanwalts gefährdet werden.

Der [X.] weicht auch nicht von der Rechtsprechung des [X.] zu der Frage ab, wann im Ausnahmefall trotz eines [X.] des Rechtsanwalts nicht von einer Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden ausgegangen werden kann. Es hat diese Rechtsprechung vielmehr gesehen (Seite 10 des angefochtenen Urteils) und zutreffend angewandt.

5. Dem [X.] ist kein Verfahrensfehler unterlaufen, auf dem das Urteil beruhen kann (§ 112e Satz 2 [X.], § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO). Ein Verfahrensfehler liegt insbesondere nicht darin, dass der [X.] das gegen mehrere seiner Mitglieder gerichtete Ablehnungsgesuch des [X.] vom 17. März 2023 mit Beschluss vom selben Tage unter Mitwirkung der abgelehnten [X.] als rechtsmissbräuchlich und damit unzulässig verworfen hat.

a) Die Verwerfung eines Ablehnungsgesuchs als unzulässig unter Mitwirkung des abgelehnten [X.]s ist nur zulässig, wenn das Gesuch als rechtsmissbräuchlich zu qualifizieren ist, etwa wenn alle [X.] eines Gerichts abgelehnt werden oder das Gesuch nur mit solchen Umständen begründet wird, die eine Befangenheit unter keinem denkbaren Gesichtspunkt rechtfertigen können. Dazu zählen auch nur der Verschleppung oder als taktisches Mittel für verfahrensfremde Zwecke dienende Ablehnungsgesuche (vgl. [X.], NVwZ-RR 2008, 289, 291; NJW 2007, 3771, 3772; Senat, Beschlüsse vom 22. November 2021 - [X.] ([X.]) 3/21, juris Rn. 28, 37 und vom 2. Mai 2018 - [X.] ([X.]) 10/18, juris Rn. 7 mwN).

b) Danach hat der [X.] das Ablehnungsgesuch des [X.] zu Recht als rechtsmissbräuchlich zurückgewiesen.

aa) Der Kläger hat sein am Morgen der mündlichen Verhandlung vom 17. März 2023 gestelltes Ablehnungsgesuch damit begründet, dass die von ihm abgelehnten Mitglieder des [X.]s in der gerichtlichen Verfügung vom 10. Oktober 2022 entgegen des eindeutigen Akteninhalts und in Übernahme der entsprechenden Beanstandung der Beklagten (Schriftsatz vom 25. August 2022, [X.]) unzutreffend darauf hingewiesen hätten, dass die vorliegende Klage - entgegen § 55d VwGO - nicht als elektronisches Dokument, sondern per Telefax eingereicht worden sei. Zudem seien drei Anträge des [X.] auf Terminverlegung beharrlich ignoriert worden.

bb) Danach wurde das Ablehnungsgesuch des [X.] nur mit solchen Umständen begründet, die eine Befangenheit unter keinem denkbaren Gesichtspunkt rechtfertigen konnten.

(1) Soweit "der Senat" des [X.]s in der [X.] vom 10. Oktober 2022 irrig davon ausgegangen ist, dass die Klage per Telefax und nicht als elektronisches Dokument eingereicht worden ist, vermag dies bereits für sich genommen nicht die Besorgnis der Befangenheit der an dem Hinweis beteiligten [X.] im Sinne von § 112c Abs. 1 Satz 1 [X.] [X.]. § 54 Abs. 1 VwGO, § 42 Abs. 1 und 2 ZPO zu begründen. Denn auf die Rechtmäßigkeit der Rechtsanwendung kommt es insofern regelmäßig nicht an ([X.], Beschluss vom 12. Oktober 2011 - [X.], NJW-RR 2012, 61 Rn. 7; [X.]/[X.], ZPO, 34. Aufl., § 42 Rn. 28). Jedenfalls aber hat der [X.] mit dem den Parteien zur Kenntnis gebrachtem Vermerk vom 9. November 2022 die fehlerhafte Annahme einer Einreichung der Klageschrift per Telefax korrigiert und festgestellt, dass die Klageschrift per [X.] eingegangen war. In Anbetracht dessen war eine Besorgnis der Befangenheit zum [X.]punkt des mehr als fünf Monate nach der [X.] vom 10. Oktober 2022 eingereichten Ablehnungsgesuchs des [X.] vom 17. März 2023 offensichtlich und auch für den Kläger erkennbar nicht gegeben.

(2) Die abgelehnten [X.] haben auch nicht Terminverlegungsanträge des [X.] beharrlich ignoriert. Entgegen seiner Darstellung in dem Ablehnungsgesuch vom 17. März 2023 hat der Kläger in seiner vor der [X.] des Amtsgerichts R.        am 11. Oktober 2022 abgegebenen Erklärung keinen Antrag auf Terminverlegung gestellt. Er hat dort lediglich ausgeführt, er könne zurzeit aus der Strafhaft keine Termine wahrnehmen oder vorbereiten, wobei er davon ausging, dass der [X.] das Verfahren ausgesetzt hatte. Von der Anberaumung eines neuen Termins zur mündlichen Verhandlung am 16. Dezember 2022 durch die am 18. Oktober 2022 an die Parteien abgesandte Verfügung des [X.]s vom 10. Oktober 2022 (nach Aufhebung des ursprünglichen Termins zur mündlichen Verhandlung vom 12. August 2022 durch Verfügung vom 4. August 2022) konnte der Kläger am 11. Oktober 2022 noch keine Kenntnis haben. Dementsprechend konnte er diesbezüglich auch noch keinen [X.] stellen. Der Terminverlegungsantrag des [X.] vom 7. November 2022 bedurfte keiner Bescheidung, nachdem der Termin zur mündlichen Verhandlung vom 16. Dezember 2022 bereits auf den vorherigen Antrag der Beklagten vom 2. November 2022 mit Verfügung des [X.]s vom 8. November 2022 auf den 24. Februar 2023 verlegt worden war. Dem Terminverlegungsantrag des [X.] vom 28. November 2022, wiederholt mit Schreiben vom 13. Februar 2023, hat der [X.] mit Verfügung vom 15. Februar 2023 stattgegeben.

Damit war offensichtlich und für den Kläger ohne weiteres erkennbar auch in der Behandlung seiner Terminverlegungsanträge durch den [X.] die Besorgnis der Befangenheit nicht begründet.

(3) Vor diesem Hintergrund erscheint das am Tag der mündlichen Verhandlung gestellte Ablehnungsgesuch des [X.] vom 17. März 2023 als rechtsmissbräuchlich. Es ist nur mit solchen Umständen begründet, die offensichtlich eine Befangenheit unter keinem denkbaren Gesichtspunkt rechtfertigen können, und diente ersichtlich der Verfahrensverzögerung.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 112c Abs. 1 Satz 1 [X.], § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 194 Abs. 2 Satz 1 [X.].

Schoppmeyer     

  

Remmert     

  

Grüneberg

  

[X.]     

  

Niggemeyer-Müller     

  

Meta

AnwZ (Brfg) 23/23

04.09.2023

Bundesgerichtshof Senat für Anwaltssachen

Beschluss

Sachgebiet: False

vorgehend Anwaltsgerichtshof Hamm, 17. März 2023, Az: 1 AGH 13 /22, Urteil

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 04.09.2023, Az. AnwZ (Brfg) 23/23 (REWIS RS 2023, 6547)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 6547

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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