Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 07.08.2013, Az. XII ZB 559/11

XII. Zivilsenat | REWIS RS 2013, 3597

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII ZB 559/11

vom

7.
August 2013

in der Familiensache

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
BGB §§ 1631 b, 1626, 1906 Abs. 4
a)
Die nächtliche Fixierung eines Kindes in einer offenen heilpädagogischen Einrichtung ist keine genehmigungsbedürftige Unterbringungsmaßnahme im Sinne des §
1631
b BGB.
b)
Die Vorschrift des §
1906 Abs.
4 BGB gilt nur für volljährige Betreute und kann im Kindschaftsrecht nicht analog angewendet werden.

[X.], Beschluss vom 7. August 2013 -
XII ZB 559/11 -
OLG Oldenburg

[X.]

-
2 -

Der XII.
Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 7.
August 2013 durch [X.], die Richterin
Weber-Monecke
und die Richter
Schilling, Dr. Nedden-Boeger
und Dr. Botur
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde des [X.]
gegen den Be-schluss des 14.
Zivilsenats

5.
[X.] für Familiensachen

des [X.]s Oldenburg
vom 23.
September
2011
wird zu-rückgewiesen.
Die Entscheidung ergeht gerichtskostenfrei, außergerichtliche Auslagen werden nicht erstattet.

Gründe:
I.
Die Antragsteller sind Eltern eines
am 1.
April 1999 geborenen Kindes, für das sie das gemeinsame Sorgerecht innehaben. Das Kind leidet unter ei-nem frühkindlichen Autismus mit geistiger Behinderung und einem Aufmerk-samkeitsdefizit-
und Hyperaktivitätssyndrom. Es zeigt krankheitsbedingt ausge-prägte Unruhezustände und extreme Weglauftendenzen. Seit 2008 lebt das Kind
in einer offenen heilpädagogischen Einrichtung, in der es eine Einzelbe-treuung erhält. Aus kinder-
und jugendpsychiatrischer Sicht war es zum Schutz des Kindes und seiner Mitbewohner indiziert, es nachts durch eine Fixierung mittels eines Bauch-
oder Fußgurtes bzw. eines entsprechenden Schlafsackes 1
-
3 -

zu sichern. Die Eltern erteilten hierzu ihre Zustimmung, die das Amtsgericht mit Beschluss vom 29.
Januar 2009 in entsprechender Anwendung von §
1906 Abs.
4 BGB für die Dauer von längstens zwei Jahren genehmigte.
Auf Nachfrage des Gerichts haben die Eltern im
vorliegenden
Verfahren die Verlängerung der Genehmigung der nächtlichen Fixierung des Kindes
bean-tragt. Das Familiengericht hat dem Kind einen Verfahrensbeistand bestellt, Stel-lungnahmen der Fachärzte des Kindes und des Jugendamtes eingeholt sowie die Eltern und das Kind in der Einrichtung angehört.
Es
hat den Antrag
zurück-gewiesen, da die
Maßnahme nicht genehmigungsbedürftig sei. Die hiergegen gerichtete Beschwerde des [X.] blieb ohne Erfolg. Mit der vom [X.] zugelassenen Rechtsbeschwerde möchte er weiter die ge-richtliche Genehmigung der Fixierung erreichen.

II.
Die Rechtsbeschwerde bleibt in der Sache ohne
Erfolg.
1. Das [X.] hat seine in [X.], 39 veröffentlichte Entscheidung wie folgt begründet: Die Zustimmung der Eltern zur nächtlichen Fixierung ihres Kindes unterliege keinem förmlichen Genehmigungsverfahren wie die freiheitsentziehende Unterbringung eines Minderjährigen nach §
1631
b BGB. Die Erforderlichkeit eines solchen Verfahrens ergebe sich weder [X.] aus §
1631
b BGB noch aus einer entsprechenden Anwendung des §
1906 Abs.
4 BGB.
Zwar werde kontrovers diskutiert, ob und inwieweit unterbringungsähnli-che freiheitsentziehende Maßnahmen wie die regelmäßige Fixierung durch
ei-nen Bettgurt
der Genehmigung durch das Familiengericht bedürften, soweit sie 2
3
4
5
-
4 -

nicht einen gesetzlich betreuten Volljährigen, sondern ein minderjähriges Kind beträfen. Teilweise werde §
1906 Abs.
4 BGB mit der Begründung analog an-gewandt, ein Kind sei nicht weniger schutzbedürftig als ein Volljähriger, wenn seine körperliche Bewegungsfreiheit in einer Einrichtung außerhalb des [X.] auf andere Weise nachhaltig und dauerhaft eingeschränkt werde. Ein solches Genehmigungserfordernis
bestehe jedoch nicht. Der Begriff der Unter-bringung in §
1631
b BGB sei eng zu verstehen. Der Gesetzgeber habe mit der Einführung des Betreuungsrechts eine klare Trennung zwischen freiheitsbe-schränkenden Maßnahmen im weiten Sinne und dem gesetzestechnischen [X.] der freiheitsbeschränkenden Unterbringung vorgenommen. Diese scharfe Trennung zwischen Unterbringung und unterbringungsähnlicher Maßnahme habe das Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegen-heiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit nachvollzogen, indem zwischen der [X.] einer freiheitsentziehenden Unterbringung (§
312 Nr.
1 FamFG) und einer freiheitsentziehenden Maßnahme nach §
1906 Abs.
4 BGB (§
312 Nr.
2 FamFG) unterschieden werde.
Eine entsprechende Anwendung des §
1906 Abs.
4 BGB im Kindschafts-recht scheide mangels einer planwidrigen Regelungslücke im Gesetz aus. Aus der Entstehungsgeschichte des §
1631
b BGB ergebe sich, dass der [X.]
noch im Jahr 1992 im Kindschaftsrecht
keinen Anlass für die Gleichstel-lung unterbringungsähnlicher Maßnahmen mit
einer Unterbringung gesehen habe, die Regelungslücke mithin auf einer bewussten Entscheidung des [X.] beruhte. Eine analoge Anwendung des §
1906 Abs.
4 BGB entspre-che auch nicht wegen gewandelter Verhältnisse dem mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers. Obwohl die Forderung, auch unterbringungsähnliche Maßnah-men dem Genehmigungserfordernis zu unterwerfen, seit längerem bekannt sei, habe der Gesetzgeber wiederholt davon abgesehen, den Schutz von Kindern 6
-
5 -

insoweit zu erweitern, zuletzt 2008 im Rahmen des
Gesetzes
zur Erleichterung familiengerichtlicher Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls.
Ferner beruhe die
Regelung im Betreuungsrecht auf einer rechtlichen und tatsächlichen Ausgangslage, die in ihren wesentlichen Merkmalen mit der Situation im Kindschaftsrecht nicht vergleichbar sei, so dass sich auch deshalb eine analoge Anwendung verbiete.
Die rechtliche Verantwortung des Betreuers für den Betroffenen ergebe sich allein aus der mit der gerichtlichen Einrichtung der Betreuung verliehenen Vertretungsberechtigung im übertragenen [X.], welche die Eigenverantwortung des Betroffenen im Grundsatz unbe-rührt lasse. Dagegen sei die in Art.
6 Abs.
2 Satz
1 GG garantierte natürliche Elternverantwortung ein umfassendes, absolutes Recht der Eltern.
[X.] dieses Rechts seien nur zulässig, wenn dies zum Wohl des Kindes [X.] sei, keine gleich wirksamen,
weniger einschneidenden Maßnahmen getroffen werden könnten und das Elternrecht nicht in unverhältnismäßiger Weise beschnitten werde. Solchen Beschränkungen unterliege das Betreuungs-recht nicht, welches weitere Genehmigungsvorbehalte, wie in §
1904 BGB für ärztliche Behandlungen und in §
1907 BGB für die Aufgabe der Mietwohnung,
kenne, die dem Kindschaftsrecht fremd
seien.
Auch in tatsächlicher Hinsicht unterscheide sich hinsichtlich der Einfüh-rung einer Genehmigungspflicht für unterbringungsähnliche Maßnahmen die Situation eines volljährigen Betreuten ganz wesentlich von der eines [X.]. Die Genehmigungspflicht nach §
1906 Abs.
4 BGB sei eingeführt worden, um der Gefahr eines sachfremden Einsatzes unterbringungsähnlicher [X.] gerade in [X.] zu begegnen. Auch sei dem [X.] nur die rechtliche, nicht aber die persönliche Betreuung des Betroffenen übertragen. Das [X.] sei dagegen typischerweise durch eine enge persönliche Nähe gekennzeichnet und die damit verbundene Elternver-7
8
-
6 -

antwortung keine rechtlich verliehene Zuständigkeit, sondern natürlicher Be-standteil der Elternschaft. Dies rechtfertige die Annahme, dass sich Eltern auch dann persönlich um die Belange ihres Kindes kümmerten und die richtigen Ent-scheidungen zu seinem Wohl träfen, wenn dieses
in einer offenen Heimeinrich-tung untergebracht
sei. Die Entscheidung, ob die Anordnung eines Genehmi-gungsvorbehalts das geeignete, erforderliche und verhältnismäßige
Mittel sei, um Kinder vor ungerechtfertigten unterbringungsähnlichen [X.] Maßnahmen zu schützen, müsse dem Gesetzgeber überlassen bleiben.

2. Dies hält rechtlicher Überprüfung stand.

Die Eltern können die Fixierungsmaßnahme in Ausübung ihrer elterlichen Sorge selbst genehmigen. Eine familiengerichtliche Genehmigung sieht das Gesetz nicht vor.
a) Die Maßnahme unterfällt entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde nicht dem Genehmigungserfordernis des §
1631
b BGB
(vgl. auch [X.], 1225 m. Anm. Moll-Vogel [X.] 2013, 220). Nach dieser

dem staatlichen Wächteramt geschuldeten

Vorschrift bedarf die Unterbrin-gung eines Kindes, die mit Freiheitsentziehung verbunden ist, der Genehmi-gung des Familiengerichts. Nach einer in der Literatur vertretenen Ansicht soll allerdings auch die regelmäßige Fixierung eines Patienten am Stuhl oder die [X.] seines Bettes unter den Begriff der Unterbringung fallen, so dass auch diese Maßnahmen nach §
1631
b BGB genehmigungsbedürftig seien (Erman/[X.]/[X.] BGB 13. Aufl. §
1631
b Rn.
3).
Diesem Ansatz ist nicht zu folgen. In der Fixierung eines in einer offenen Einrichtung lebenden
Kindes (hier: mittels Bauch-
bzw. Fußgurtes
oder eines
Schlafsackes)
liegt keine Unterbringung. Das Gesetz geht von einem engen Begriff der Unterbringung aus
(vgl. BT-Drucks. 11/4528 S.
146
und für das Be-9
10
11
12
-
7 -

treuungsrecht [X.]sbeschlüsse
vom 23.
Januar 2008

XII
ZB 185/07

FamRZ 2008, 866
Rn.
16, 19 und
[X.]Z 145, 297
= FamRZ 2001, 149
f.). Eine [X.] Unterbringung in diesem Sinn ist gegeben, wenn der Be-troffene gegen seinen Willen oder im Zustand der [X.] in einem räumlich begrenzten Bereich eines geschlossenen Krankenhauses, einer ande-ren geschlossenen Einrichtung oder dem
abgeschlossenen Teil einer solchen Einrichtung
festgehalten, sein Aufenthalt ständig überwacht und die Kontakt-aufnahme mit Personen außerhalb des Bereichs eingeschränkt wird ([X.]sbe-schluss [X.]Z 145, 297
= FamRZ 2001, 149
f.
mwN). Dabei verwenden Be-treuungsrecht
und Kindschaftsrecht einen einheitlichen
Unterbringungsbegriff
(BT-Drucks. 11/4528 S.
145).
Durch die Schaffung der Vorschrift des §
1631
b BGB wollte der [X.] vermeiden, dass Eltern ein Kind in eine geschlossene Einrichtung [X.],
wenn bei sinnvoller Wahrnehmung des Erziehungsrechts eine Prob-lemlösung auf weniger schwerwiegende Weise erreicht werden kann
(BT-Drucks. 16/6815 S.
8). Erfasst werden sollte die Unterbringung in
geschlosse-nen
Heimen
und
Anstalten und geschlossenen
Abteilungen von Heimen. Es geht dabei

anders als bei §
1906 BGB

nicht primär um einen Schutz der kör-perlichen Bewegungsfreiheit und Entschließungsfreiheit zur Fortbewegung im Sinne der Aufenthaltsfreiheit, sondern vielmehr um die Gewährleistung einer
sinnvollen
Ausübung des Sorgerechts (so auch AG [X.] FamRZ 2009, 792 [LS] juris Rn.
9). §
1631
b BGB und die mit dem [X.] eingeführten besonderen
Verfahrensvorschriften wollen sicherstellen, dass niemand

auch und gerade ein Minderjähriger
nicht

unbemerkt in einer ge-schlossenen Anstalt verschwinden kann

([X.]/[X.] BGB [2007] § 1631 b Rn. 4).
Zuvor unterlag allein die mit Freiheitsentzug verbundene Unterbrin-gung durch einen
Vormund oder Pfleger der vormundschaftsgerichtlichen [X.] nach §
1800 Abs.
2 BGB a.F.
13
-
8 -

b) Eine gerichtliche Genehmigung ist auch nicht analog
§
1906 Abs.
4 BGB erforderlich. Nach dieser Vorschrift
sind unterbringungsähnliche Maßnah-men gegenüber einem Betreuten ebenso wie die Unterbringung selbst durch das Betreuungsgericht
zu genehmigen. Ob diese Vorschrift im Kindschaftsrecht analog anzuwenden ist, ist umstritten.
aa) Nach einer in der Literatur vertretenen Ansicht
kann
es keine unter-schiedliche Behandlung rechtfertigen, ob ein volljähriger Betreuter
in seiner Freiheit beschränkt werde
oder ein Minderjähriger. Die Beeinträchtigung der persönlichen Bewegungsfreiheit treffe ein Kind grundsätzlich in gleichem Maße wie einen Erwachsenen. Der Schutzzweck des Genehmigungserfordernisses und seiner Erstreckung auf unterbringungsähnliche Maßnahmen erfasse des-halb
Minderjährige und Erwachsene gleichermaßen. Dieser teleologische Ge-sichtspunkt habe für die Frage der Analogie Vorrang vor

zumal zu dieser kon-kreten Problematik nicht eindeutigen

Äußerungen im Gesetzgebungsverfah-ren.
Auch das elterliche Erziehungsrecht werde durch die Analogie zu §
1906 Abs.
4 BGB nicht über Gebühr eingeschränkt. Denn die Vorschrift greife nur dann, wenn der Betreute bzw. das Kind sich nicht zu Hause aufhalte, sondern in einer Anstalt. Häusliche Maßnahmen wie das Schutzgitter vor dem Bett des [X.]kindes oder das Ausgangsverbot aus erzieherischen Gründen seien also nach wie vor genehmigungsfrei (MünchKommBGB/[X.] 6.
Aufl. §
1631
b Rn.
8).
Zudem wird ausgeführt, die für Betreute eingeführte Regelung des §
1906
Abs.
4
BGB strahle auf die Unterbringung Minderjähriger aus
([X.]/[X.] Familiensachen 9.
Aufl.
§
1631
b BGB Rn.
2; Dodegge
FamRZ 1993, 1348). Der Vergleich mit altersüblichen Maßnahmen im elterli-chen Haushalt wie Verschließen der Wohnungstür oder Anbringen von Bettgit-tern bei [X.]kindern als sinnvolle Maßnahmen der Ausübung der elterlichen 14
15
16
-
9 -

Sorge gehe an der Sache vorbei, wenn es z.B. darum gehe, einen Siebenjähri-gen nachts mittels eines [X.] zu fixieren. Dies könne nicht mehr als eine alltägliche, völlig selbstverständliche, altersübliche Beschränkung aufge-fasst werden und bedürfe der gerichtlichen Genehmigung ([X.]/[X.] BGB [2007] §
1631
b Rn.
15). Der Minderjährigenschutz könne nicht hinter den im Betreuungsrecht für Erwachsene bestehenden Erfordernissen zurückbleiben
(Weinreich/[X.]/[X.] Familienrecht 5.
Aufl. §
1631
b BGB Rn.
2; für die analoge Anwendung von §
1906 Abs.
4 BGB auch [X.] BGB/[X.] [Stand 1.11.
2011] §
1631
b Rn.
4).
bb) Dieser Auffassung vermag der [X.] nicht beizutreten.
(1) Voraussetzung für eine analoge Anwendung des §
1906 Abs.
4 BGB
ist das Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke
im Gesetz. Das Be-schwerdegericht ist
zu Recht davon ausgegangen, dass es hieran fehlt.
In
der Gesetzesbegründung wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass §
1906 Abs.
4 BGB nur für volljährige Betreute gelte, die materiellen Regelungen der Unterbringung von Kindern (§
1631
b BGB) würden hiervon nicht berührt
(BT-Drucks. 11/4528 S.
82). Bei Kindern stelle sich die Unterbringung als Teil der Ausübung elterlicher Sorge oder

im Fall der Vormundschaft oder Pflegschaft

als Ersatz für die Ausübung der elterlichen Sorge dar. Die hierfür geltende [X.] solle sich nach wie
vor auf eine allgemeine Prüfung beschränken, ob diese Form der Ausübung der elterlichen Sorge dem Wohl des Kindes entspre-che. Die Einbeziehung unterbringungsähnlicher Maßnahmen in die für Kinder geltende Regelung sei auch aus [X.] problematisch. Maßnahmen wie etwa das Verschließen der Wohnungstür, das Anbringen von Gittern am Bett eines [X.]kindes u.ä. seien übliche und sinnvolle Maßnahmen bei der Aus-übung elterlicher Sorge, die nicht einer Genehmigungspflicht unterworfen wer-den sollten. Soweit die
Eltern oder der Vormund oder Pfleger eines Kindes un-17
18
-
10 -

terbringungsähnliche Maßnahmen missbräuchlich, insbesondere unter Verstoß gegen das Verbot entwürdigender Erziehungsmaßnahmen (§
1631 Abs.
2 BGB) durchführten, böten die Vorschriften des geltenden Rechts
(insbesondere §§
1666, 1837, 1886 und 1915 BGB) hinreichende Möglichkeiten, hiergegen einzuschreiten (BT-Drucks. 11/4528 S.
82
f.). Damit ist
der Gesetzgeber einer
Anwendung des §
1906 Abs.
4 BGB im Kindschaftsrecht ausdrücklich entgegen getreten
(so auch
OLG [X.], 1225).
Gleiches
gilt für die weiteren Genehmigungserfordernisse im Betreu-ungsrecht wie etwa in §§
1904 und 1907 BGB, die dem Kindschaftsrecht fremd sind (vgl. zur Beendigung lebenserhaltender Maßnahmen [X.], 1033, 1134). Auch hier hat der Gesetzgeber klargestellt, dass die Regelung des §
1904 BGB nur volljährige Betreute betrifft und keine vergleich-baren Vorschriften für Minderjährige enthält (BT-Drucks. 11/4528 S.
72). Von einer planwidrigen Regelungslücke kann angesichts dieser klaren Aussagen nicht ausgegangen werden
(so auch AG [X.] FamRZ 2009, 792 [LS]; [X.] FamRZ 1993, 1347; [X.]/Götz BGB 72.
Aufl. §
1631
b Rn.
2; [X.] in [X.] 6.
Aufl. [Stand: 18.12.2012] § 1631 Rn.
6; [X.] 2009, 473, 476; [X.]/[X.] ZFE 2010, 414, 415; [X.] Rechtsgut-achten [X.] 2010, 236, 237
f.; [X.] 1/2009 Anm.
3).
(2) Es kann auch nicht angenommen
werden, angesichts der Tatsache, dass die Neuregelung des Betreuungsrechts
mit den dargestellten Äußerungen bereits im Jahr 1992 erfolgte, entspräche eine analoge Anwendung inzwischen
dem mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers. Die Forderung nach einer gesetz-lichen Regelung ist seit langem bekannt (vgl. etwa Czerner AcP 2002, 72, 84
ff.). Dennoch hat der Gesetzgeber §
1631
b BGB zuletzt
im Jahr
2008 im Rahmen des [X.] familiengerichtlicher Maßnahmen bei [X.] ([X.]
I 2008 S. 1188) geändert, ohne die in der Lite-19
20
-
11 -

ratur vertretene Forderung nach Erstreckung des Anwendungsbereichs des §
1906 Abs.
4 BGB aufzugreifen und umzusetzen.
(3) Überdies steht einer analogen Anwendung des §
1906 Abs.
4 BGB entgegen, dass die Situation des Minderjährigen im Kindschaftsrecht nicht ver-gleichbar ist mit der
des Betroffenen im Betreuungsrecht
(vgl. zur [X.], 811, 813).
Ein Betreuer hat lediglich die rechtliche Verantwortung für seinen Betroffenen. Diese Verantwortung wird ihm im Rah-men der [X.], für die die Betreuung angeordnet wird, vom Staat ver-liehen. Im Übrigen bleibt es beim Grundsatz der Eigenverantwortung des Be-troffenen. Der Betreuer handelt als vom
Staat
eingesetztes Organ.
Die [X.] des Betreuungsrechts wie §§
1906 Abs.
1 und 4, 1904 oder 1907 BGB entspringen dem staatlichen Wächteramt. Sie schränken die Rechtsmacht des Betreuers ein, stellen aber
keinen Eingriff in die Rechte des Betroffenen
dar
(vgl. [X.]sbeschluss [X.]Z 193, 337 = [X.], 1366 Rn.
27 f.).
Eltern tragen
hingegen nicht nur die rechtliche, sondern auch die persön-liche Verantwortung für ihre Kinder;
ihre Beziehung ist von einer engen persön-lichen Nähe geprägt. Eltern handeln gegenüber ihren Kindern nicht aufgrund staatlicher Bestellung,
sondern in Ausübung ihres Elterngrundrechts aus Art.
6 Abs.
2 Satz
1 GG. Dieses
garantiert den Eltern das Recht auf Pflege und Erzie-hung ihrer Kinder. Die Erziehung des Kindes ist damit primär in die Verantwor-tung der Eltern gelegt, wobei dieses "natürliche Recht" den Eltern nicht vom Staate verliehen worden ist, sondern von diesem als vorgegebenes Recht an-erkannt wird. Eltern können grundsätzlich frei von staatlichen Eingriffen nach eigenen Vorstellungen darüber entscheiden, wie sie die Pflege und Erziehung ihrer Kinder gestalten und damit ihrer Elternverantwortung gerecht werden [X.] ([X.]
FamRZ 1982, 567, 569). Diese primäre Entscheidungszuständig-21
22
-
12 -

keit der Eltern beruht auf der Erwägung, dass die Interessen des Kindes am besten von den Eltern wahrgenommen werden. Dabei wird sogar die [X.] in Kauf genommen, dass das Kind durch einen Entschluss der Eltern Nach-teile erleidet, die im Rahmen einer nach objektiven Maßstäben getroffenen [X.] vielleicht vermieden werden könnten ([X.] FamRZ 2010, 713
Rn.
33).
Staatliche Verantwortung und Kontrolle sind im Bereich des [X.] eingeschränkt. Der Staat darf in das
Elterngrundrecht nur in Ausübung seines Wächteramtes
aus Art.
6 Abs.
2 Satz
2 GG
eingreifen, wenn hierfür eine
gesetzliche
Grundlage
besteht. Erforderlich ist ein hinreichend bestimmtes [X.], wobei die Anforderungen an hinreichende Bestimmtheit umso strenger sind, je schwerer die Auswirkungen seiner Regelung wiegen (vgl. [X.]
FamRZ 2003, 296, 300
mwN). Diese Voraussetzungen liegen bei einer analo-gen Anwendung des §
1906 Abs.
4 BGB nicht vor, so dass der mit einem [X.]serfordernis einhergehende
Eingriff in das Elterngrundrecht mangels gesetzlicher Grundlage nicht zulässig ist. Hierbei ist zu beachten, dass der [X.] in das Elterngrundrecht als solcher einer gesetzlichen Ermächtigungs-grundlage bedarf und nicht umgekehrt
mangels gesetzlicher Grundlage die in Ausübung des Elternrechts genehmigte Fixierungsmaßnahme unzulässig wäre (vgl. zur Zwangsbehandlung [X.] FamRZ 2011, 1128 und [X.]sbeschluss [X.]Z 193, 337 =
[X.], 1366).
Gesetzliche Grundlage der Fixierungs-maßnahme ist nämlich die Ausübung der elterlichen Sorge nach §
1626 BGB.
(4) Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Gesichtspunkt des Kindesschutzes und der ebenfalls vom Staat zu achtenden Grundrechte des Kindes. Zur Gewährleistung des Schutzes minderjähriger Kinder
bietet das [X.] in §
1631 Abs.
2 BGB mit dem [X.] und mit
den
§§
1666
ff.
BGB eine ausreichende
Handhabe. Ohne kon-23
24
-
13 -

krete Anhaltspunkte kann allerdings nicht davon ausgegangen werden, dass Eltern ihr Kind in einem pflichtwidrigen Zusammenwirken mit der Heimleitung unterbringungsähnlichen Maßnahmen aussetzen, ohne dass diese
erforderlich und verhältnismäßig wären. Vielmehr zeigt gerade der vorliegende Fall, dass die Eltern ihr Sorgerecht in der Regel im Interesse des Kindes
und
in enger Zu-sammenarbeit mit dem Heim und dem Jugendamt ausüben.
c) Es muss daher dem Gesetzgeber überlassen bleiben, ob die Anord-nung eines familiengerichtlichen Genehmigungsvorbehalts das geeignete, [X.]e und verhältnismäßige Mittel ist, Kinder vor ungerechtfertigten unter-bringungsähnlichen Maßnahmen zu schützen.

Dose

Weber-Monecke

Schilling

Nedden-Boeger

Botur
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 18.04.2011 -
2 F 338/10 UB -

OLG Oldenburg, Entscheidung vom 23.09.2011 -
14 [X.] -

25

Meta

XII ZB 559/11

07.08.2013

Bundesgerichtshof XII. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 07.08.2013, Az. XII ZB 559/11 (REWIS RS 2013, 3597)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 3597

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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