Bundesgerichtshof, Urteil vom 30.10.2023, Az. VIa ZR 870/22

6a. Zivilsenat | REWIS RS 2023, 7978

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Tenor

Auf die Revision des [X.] wird der Beschluss des 16a. Zivilsenats des [X.] vom 19. April 2022 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufung des [X.] betreffend seine deliktische Schädigung durch das Inverkehrbringen des erworbenen Fahrzeugs zurückgewiesen worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

2

Der Kläger kaufte am 14. Dezember 2011 von der Beklagten einen von ihr hergestellten gebrauchten [X.] [X.], der mit einem Motor der Baureihe [X.] (Schadstoffklasse Euro 5) ausgerüstet ist. In dem Fahrzeug wird die Abgasrückführung abhängig von der Außentemperatur gesteuert und unter Einsatz eines sogenannten "Thermofensters" bei bestimmten Temperaturen reduziert. Das Fahrzeug verfügt über eine [X.] ([X.]), aufgrund derer die Kühlmitteltemperatur nach einer bestimmten Zeit steigt. In der Folge erhöht sich der Stickoxidausstoß.

3

Der Kläger hat die Beklagte in erster Linie unter dem Gesichtspunkt des gewährleistungsrechtlich gerechtfertigten Rücktritts vom Kaufvertrag und in zweiter Linie unter dem Gesichtspunkt seiner deliktischen Schädigung wegen des Inverkehrbringens des Fahrzeugs in Anspruch genommen. Er hat zuletzt die Erstattung des Kaufpreises nebst Verzugszinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs sowie Zug um Zug gegen Zahlung einer Nutzungsentschädigung, die Feststellung der Pflicht der Beklagten zum Ersatz weitergehender aus der Manipulation des Fahrzeugs resultierender Schäden sowie die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten begehrt.

4

Das [X.] hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des [X.] ist erfolglos geblieben. Mit seiner vom Senat insoweit zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge weiter, soweit er sie auf seine deliktische Schädigung durch das Inverkehrbringen des Fahrzeugs stützt.

Entscheidungsgründe

5

Die wirksam auf deliktische Schadensersatzansprüche beschränkte Revision (vgl. [X.], Urteil vom 24. April 2023 - [X.], NJW 2023, 2635 Rn. 4 ff., zur [X.] bestimmt in [X.]Z; Urteil vom 26. Juni 2023 - [X.] 1031/22, [X.] 2023, 1133 Rn. 8 f.) hat Erfolg.

I.

6

Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - im Wesentlichen wie folgt begründet:

7

Der Kläger habe keinen deliktischen Schadensersatzanspruch. Selbst wenn das eingebaute [X.] oder die implementierte [X.] als unzulässige Abschalteinrichtung zu qualifizieren sein sollte, bestünden keine tatsächlichen Anhaltspunkte für ein [X.] Verhalten der Beklagten im Sinne des § 826 BGB. Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.] scheitere daran, dass das Interesse von Fahrzeugerwerbern, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, nicht im Schutzbereich der Vorschriften der [X.] liege.

II.

8

Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

9

1. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.

2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.] wegen der Verwendung der [X.] aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der [X.] nach Erlass des angefochtenen Beschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.] Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des [X.] gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der [X.] zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung ([X.]) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. [X.], Urteil vom 26. Juni 2023 - [X.] 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 29 bis 32, zur [X.] bestimmt in [X.]Z).

Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des [X.] auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. [X.], Urteil vom 26. Juni 2023 - [X.] 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.] ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen [X.]s zustehen kann (vgl. [X.], Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso [X.], Urteile vom 20. Juli 2023 - [X.], [X.], 1839 Rn. 21 ff.; - [X.], juris Rn. 16 f.). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung in Form der von der Revision angeführten [X.] getroffen.

III.

Die Berufungsentscheidung ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben, § 562 Abs. 1 ZPO, weil sie sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Der [X.] kann im Umfang der Aufhebung des angefochtenen Beschlusses nicht in der Sache selbst entscheiden, weil diese nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen [X.] darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des [X.]s vom 26. Juni 2023 ([X.] 335/21, NJW 2023, 2259) die erforderlichen Feststellungen zu der - bislang lediglich unterstellten - Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.] zu treffen zu haben.

[X.]     

      

Krüger     

      

Götz   

      

Rensen     

      

Wille     

      

Meta

VIa ZR 870/22

30.10.2023

Bundesgerichtshof 6a. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Stuttgart, 19. April 2022, Az: 16a U 209/19

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 30.10.2023, Az. VIa ZR 870/22 (REWIS RS 2023, 7978)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 7978

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III ZR 303/20

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