Bundesgerichtshof, Beschluss vom 21.06.2023, Az. 2 StR 158/23

2. Strafsenat | REWIS RS 2023, 4863

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Gegenstand

Persönlichkeitsstörung als „schwere andere seelische Störung“


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 21. Dezember 2022

a) mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben

aa) im Strafausspruch und

bb) soweit die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt unterblieben ist,

b) hinsichtlich der Einziehungsentscheidung dahin ergänzt, dass der Angeklagte als Gesamtschuldner haftet.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

3. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird als unbegründet verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen erpresserischen [X.] in Tateinheit mit schwerer räuberischer Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren und neun Monaten verurteilt. Von einer Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt wurde abgesehen. Die mit der allgemeinen Sachrüge geführte Revision des Angeklagten hat im Umfang der Beschlussformel Erfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

2

1. Die auf die Sachrüge veranlasste umfassende Prüfung des angefochtenen Urteils hat zum Schuldspruch keinen den Angeklagten [X.] Rechtsfehler ergeben.

3

2. Hingegen erweist sich die Begründung, mit der das [X.] das Vorliegen der Voraussetzungen des § 21 StGB verneint hat, als durchgreifend rechtsfehlerhaft.

4

a) [X.] ist – sachverständig beraten – davon ausgegangen, dass der Angeklagte bei Begehung der Tat unter einer dis[X.]n Persönlichkeitsstörung gelitten hat. Das Vorliegen eines [X.]s im Sinne des § 20 StGB hat sie abgelehnt, weil die Persönlichkeitsstörung „nicht von solcher Schwere“ sei, dass eine schwere andere seelische Störung im Sinne des § 20 StGB vorliege. Das [X.] hat den Angeklagten deshalb als uneingeschränkt schuldfähig angesehen.

5

b) Im Ausgangspunkt hat die [X.] dabei zutreffend bedacht, dass die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung nicht gleichbedeutend mit derjenigen einer schweren anderen seelischen Störung im Sinne der §§ 20, 21 StGB ist. Denn die beim Angeklagten diagnostizierte Persönlichkeitsstörung kann die Annahme einer schweren anderen seelischen Störung nur dann begründen, wenn sie Symptome aufweist, die in ihrer Gesamtheit das Leben des Angeklagten vergleichbar schwer und mit ähnlichen Folgen stören, belasten oder einengen wie eine krankhafte seelische Störung (vgl. [X.], Beschluss vom 22. Juni 2022 – 2 [X.], juris Rn. 20 mwN; [X.], Beschluss vom 11. Februar 2015 – 4 StR 498/14, [X.], 137 mwN). [X.] ist insoweit eine Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Angeklagten, ihrer Entwicklung, der Vorgeschichte und des unmittelbaren Anlasses sowie der Ausführung der Tat und des [X.] ([X.], Beschluss vom 24. Januar 2017 – 2 [X.], juris Rn. 20). Der Täter muss aufgrund der Störung aus einem mehr oder weniger unwiderstehlichen Zwang heraus gehandelt haben, wobei der Ausprägungsgrad der Störung und der Einfluss auf die [X.] Anpassungsfähigkeit innerhalb der Gesamtschau entscheidend sind ([X.], Beschluss vom 11. Januar 2022 – 1 [X.], NStZ-RR 2022, 132, 133 mwN). Für die Bewertung der Schwere der Persönlichkeitsstörung ist insbesondere maßgebend, ob es im Alltag außerhalb des angeklagten Deliktes zu Einschränkungen des beruflichen und [X.]n Handlungsvermögens gekommen ist ([X.], Beschluss vom 22. Januar 2020 – 2 StR 562/19, NStZ-RR 2020, 222, 223; [X.], Beschluss vom 27. Januar 2017 – 1 StR 532/16, [X.], 176, 177).

6

c) Die Urteilsgründe lassen indes unerörtert, wie sich die Ablehnung des Vorliegens einer schweren anderen seelischen Störung mit der Einschätzung des Sachverständigen in Einklang bringen lässt, dass die beim Angeklagten diagnostizierte Persönlichkeitsstörung eine besonders starke Ausprägung aufgewiesen hat. Der Sachverständige führte hierzu aus, dass die Persönlichkeitsstörung so stark ausgeprägt sei, wie er es in seiner bisherigen forensischen Praxis noch nicht erlebt habe. Wieso der Schweregrad der Persönlichkeitsstörung eingedenk dieser sachverständigen Einschätzung dennoch nicht ausreicht, das [X.] der schweren anderen seelischen Störung zu begründen, erläutert die [X.] nicht in nachvollziehbarer Weise. Die Begründung des Sachverständigen hierzu, auf die die [X.] im Wesentlichen Bezug nimmt, beschränkt sich auf die bloße Feststellung, dass die diagnostizierte Persönlichkeitsstörung – auch in Kombination mit einer ebenfalls festgestellten [X.] – nicht die Schwere einer schweren anderen seelischen Störung erreiche. Nähere Begründung erfährt lediglich die Annahme des Sachverständigen, dass auch die [X.] nicht unter ein [X.] des § 20 StGB falle. Ergänzend weist die [X.] bezogen auf die Persönlichkeitsstörung – ebenfalls ohne nähere Begründung – darauf hin, dass beim Angeklagten keine Persönlichkeitsdepravation vorliege.

7

Die Ausführungen zur uneingeschränkten Schuldfähigkeit stehen demnach auch in Widerspruch zu den Erwägungen des [X.]s zur fehlenden Erfolgsaussicht der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB. Denn diese wird mit der Begründung abgelehnt, dass aufgrund der „schweren Dissozialität des Angeklagten“ weiterhin Straftaten zu erwarten seien. Er agiere geradezu als Berufsverbrecher. In den Ausführungen zur Prüfung einer – nicht angeordneten – Sicherungsverwahrung findet sich zudem der auf sachverständiger Einschätzung beruhende Hinweis, dass das Leben des Angeklagten „als Ausdruck eigener, dissozial geprägter Hinwendung zu kriminellen Handlungen als Lebensunterhalt“ erscheine. Auch in Ansehung dessen erschließt sich nicht ohne weiteres, dass nicht die für die Einstufung der Persönlichkeitsstörung als schwere andere seelische Störung maßgeblichen und auf die Persönlichkeitsstörung zurückzuführenden Einschränkungen vorliegen.

8

3. Aufgrund der rechtsfehlerhaften Erörterungen zum Schweregrad der Persönlichkeitsstörung bedarf auch die Entscheidung über die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB erneuter Prüfung und Entscheidung. Denn zur Begründung der Ablehnung der Erfolgsaussicht einer solchen Unterbringung hat die [X.] im Wesentlichen die dis[X.] Persönlichkeitsstörung herangezogen, aufgrund derer auch weiterhin die Begehung von Straftaten zu erwarten sei. Das neue Tatgericht wird – naheliegend unter Heranziehung eines anderen Sachverständigen – Gelegenheit haben, widerspruchsfreie Feststellungen zur Ausprägung der Persönlichkeitsstörung und ihrer Auswirkungen einerseits auf die Schuldfähigkeit des Angeklagten und andererseits auf die Erfolgsaussichten der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB zu treffen.

9

4. [X.] wird durch den Rechtsfehler nicht berührt. Der [X.] kann ausschließen, dass die [X.] bei fehlerfreier Würdigung zur Annahme einer vollständigen Aufhebung der Schuldfähigkeit des Angeklagten gelangt wäre.

5. Die Einziehungsanordnung bedarf zur Gesamtschuldnerschaft der Ergänzung (§ 354 Abs. 1 StPO analog).

Franke     

  

Krehl     

  

Eschelbach

  

Zeng     

  

Meyberg     

  

Meta

2 StR 158/23

21.06.2023

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Gießen, 21. Dezember 2022, Az: 2 KLs - 401 Js 14071/19

§ 20 StGB, § 21 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 21.06.2023, Az. 2 StR 158/23 (REWIS RS 2023, 4863)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 4863

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Zitiert

2 StR 562/19

1 StR 532/16

1 StR 447/21

2 StR 459/16

4 StR 498/14

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