Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 14.09.2010, Az. 5 StR 229/10

5. Strafsenat | REWIS RS 2010, 3443

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Entscheidungstext


Formatierung

Dieses Urteil liegt noch nicht ordentlich formatiert vor. Bitte nutzen Sie das PDF für eine ordentliche Formatierung.

PDF anzeigen

5 StR 229/10 [X.] vom 14. September 2010 in der Strafsache gegen wegen gefährlicher Körperverletzung u. a.
- 2 - Der 5. Strafsenat des [X.] hat am 14. September 2010 beschlossen: Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Land-gerichts [X.] vom 3. Dezember 2009 nach § 349 Abs. 4 StPO aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere [X.] des [X.] zurückverwiesen. G r ü n d e
1 Das [X.] hat den Angeklagten vom Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung und des Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte frei-gesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg. 1. Das [X.] hat folgende Feststellungen und Wertungen getrof-fen: 2 a) Bei dem zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung 53 Jahre alten, nicht vorbestraften Angeklagten besteht seit vielen Jahren ein wahnhaftes para-noides Zustandsbild, das durch [X.] im Sinne eines Verfolgungs- und Bedrohungserlebens geprägt ist. Infolge seiner wahnhaften Erkrankung fühlte er sich zunehmend von Anderen verfolgt. Unter anderem trug er öfter ein Küchenmesser bei sich, wenn er seine Wohnung verließ, um sich gegen vermeintliche Angreifer verteidigen zu können. 3 - 3 - Der Angeklagte lebte mit seiner Lebensgefährtin, der 72-jährigen Zeu-gin [X.], in einem Mehrfamilienhaus in [X.]. Am Abend des 28. [X.] 2008 bemerkten Gäste der später geschädigten 20-jährigen Zeugin [X.], einer Mitbewohnerin des Mehrfamilienhauses, dass aus der ge-meinsamen Wohnung des Angeklagten und seiner Lebensgefährtin große Mengen Wasser flossen. Die jungen Leute gelangten zu der Vermutung, dass —die alte Frau [X.]; den Angeklagten hatten sie bislang nicht als Mitmieter wahrgenommen. Sie begaben sich zu der verschlossenen Tür des Laubenganges, der zu der Wohnung führt, riefen und klingelten. [X.] benötigte die Lebensgefährtin des Angeklagten keine Hilfe. Vielmehr hatte sie sich darüber geärgert, dass es in dem Hausflur vermeintlich nach Urin rieche und hatte mehrere Eimer Wasser in das Treppenhaus gegossen. Da keine Reaktion der Zeugin [X.]

erfolgte, wurden die Zeugen in ihrer Annahme bestärkt, dass ein Unglücksfall vorliege. Sie traten daraufhin die Tür des [X.] ein und begaben sich zur Wohnungstür, die offen stand. Nach nochmaligem Klingeln und Rufen betraten die jungen Leute, vor-an der Zeuge W. , die Wohnung. Plötzlich stand der Angeklagte vor ihm, der die Situation verkannte und die vor der Wohnungstür stehenden Zeugen für Angreifer hielt. Der Angeklagte ergriff sein im Flur bereit liegendes [X.] und stach damit mehrmals in Richtung des Zeugen W. , der reflexartig nach hinten auswich. Dadurch geriet die unmittelbar hinter ihm stehende Zeugin [X.] ins Straucheln und fiel zu Boden. Der Angeklagte stach viermal von oben auf sie ein und fügte ihr Stichverletzungen am linken Oberschenkel und linken Oberarm sowie an der linken Schulter zu. 4 Danach rannte er hinter den übrigen flüchtenden Zeugen in das Trep-penhaus, wo er auf die bislang unbeteiligte Zeugin [X.]traf, die gerade das Haus verlassen wollte. Der Angeklagte erblickte die Zeugin, als sie ange-sichts der rasch an ihr vorbei laufenden jungen Leute verängstigt an die Wand des Treppenhauses gedrückt stand. Mit dem Messer stach er [X.] zweimal auf die Zeugin [X.]ein, die er zur Gruppe der vermeintlichen Angreifer zählte. Er traf sie im Bereich des Brustkorbes und des Bauches; sie 5 - 4 - erlitt eine erhebliche Nierenverletzung. Als zwei Polizeibeamte den Ange-klagten kurz nach der Tat in seiner Wohnung festnehmen wollten, hielt er auch die beiden Beamten für Angreifer und widersetzte sich seiner [X.], indem er um sich schlug und trat. b) Nach Überzeugung der sachverständig beratenen [X.] sich der Angeklagte aufgrund seiner paranoiden Erkrankung bei diesen Taten in einem Zustand, in dem bei ihm —sowohl die Einsichts- wie auch die Steuerungsfähigkeitfi aufgehoben war. Infolge seines Zustandes seien [X.] erhebliche rechtswidrige Taten —wie die verfahrensgegenständlichenfi zu erwarten. Eine psychiatrische Behandlung des Angeklagten könne nur unter den geschützten Bedingungen des Krankenhauses des [X.] erfolgen. 6 7 2. Die Voraussetzungen des § 63 StGB werden durch die Urteilsfest-stellungen nicht hinreichend belegt. Die Anordnung nach § 63 StGB setzt insbesondere die positive Feststellung eines länger dauernden, nicht nur vor-übergehenden Zustandes voraus, der zumindest eine erhebliche Einschrän-kung der Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB sicher begründet (st. Rspr.; vgl. [X.]St 34, 22, 27). Sie bedarf einer besonders sorgfältigen Begründung, weil sie eine schwerwiegende und gegebenenfalls langfristig in das Leben des Betroffenen eingreifende Maßnahme darstellt. Den danach zu stellenden Anforderungen genügt das angefochtene Urteil nicht. a) Das [X.] hat bereits nicht hinreichend dargelegt, dass der Angeklagte bei Begehung der [X.] schuldunfähig war. Dabei ist noch nicht ausschlaggebend, dass die [X.] in rechtsfehlerhafter Weise einen Ausschluss sowohl der Einsichts- als auch der Steuerungsfähigkeit annimmt (vgl. Fischer, StGB 57. Aufl. § 21 Rdn. 5). Die [X.] schließt sich bei der Beurteilung der Frage der Schuldfähigkeit dem Sachverständi-gen an, ohne dessen wesentliche Anknüpfungs- und Befundtatsachen im Urteil so wiederzugeben, wie es zum Verständnis des Gutachtens und zur 8 - 5 - Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderlich wäre (vgl. [X.], Beschluss vom 14. April 2010 Œ 5 StR 123/10 m.w.N.). Aus der Schilderung der Biografie des Angeklagten wird nicht nachvollziehbar, dass er —seit vielen [X.] an einem wahnhaft paranoiden Zustandsbild leidet. Der Angeklagte hat ein [X.] abgeschlossen und in der [X.] als Fachbibliothekar, später als Büroangestellter gearbeitet und absolvierte erfolgreich eine Fortbildung im Bereich der Buchführung und des Rechnungswesens. Seine beruflichen [X.] beendete er 2001, da er sich überqualifiziert fühlte. In dem [X.] wohnte er mit seiner Lebensgefährtin —seit vielen [X.], ohne dass er von einigen der ebenfalls dort wohnenden Zeugen überhaupt als Mitmieter wahrgenommen worden war. Die Feststellungen zur Biografie des Angeklagten ergeben keine Hinweise auf etwaige frühere Manifestationen seiner psychischen Erkrankung oder krankheitsbedingte [X.]; zu der bisherigen Entwicklung der angenommenen psychischen Er-krankung des Angeklagten verhält sich das Urteil nicht. 9 Dem Zusammenhang der Feststellungen ist zu entnehmen, dass sich der Angeklagte nach der Tat über ein Jahr lang auf freiem Fuß befand, bevor er durch das [X.] in [X.] am 25. August 2009 gemäß § 8 PsychKG i.V.m. § 70 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, 70h [X.] untergebracht wurde. Zum Grund seiner Unterbringung trifft das Urteil keine Feststellungen. Es wird lediglich mitgeteilt, dass der Sachverständige im vorliegenden Verfahren den Angeklagten im Mai 2009 in dessen Wohnung untersucht hat, da dieser seine Wohnung aus Angst nicht verlassen wollte. Dabei hat der Sachver-ständige in der Wohnung —besondere [X.] bemerkt, die der Ange-klagte aufgrund seiner Wahnvorstellungen zum Schutz vor Lausch- und Spähangriffen installiert hatte (Laufenlassen eines Zimmerspringbrunnens; Bekleben der Zimmerdecke mit [X.]). Als Beleg dafür, dass sich der Angeklagte bei Begehung der [X.] in einem die Schuldfähigkeit aus-schließenden Zustand befand, reicht dies indes nicht aus.
- 6 - b) Darüber hinaus begegnet auch die Gefährlichkeitsprognose rechtli-chen Bedenken. Angesichts des erheblichen Eingriffs, der mit der [X.] nach § 63 StGB verbunden ist, hat das [X.] seine Überzeugung von der zukünftigen Gefährlichkeit des Beschuldigten nicht hinreichend [X.]. Insoweit hat es lediglich ausgeführt, die Gesamtwürdigung des [X.] und seiner Taten ergebe, dass von ihm infolge seines Zustandes weitere erhebliche rechtswidrige Taten —wie die verfahrensgegenständlichenfi zu erwarten seien. Dabei werden die maßgeblichen Darlegungen des Sach-verständigen nicht mitgeteilt. Nicht bedacht wird auch, dass es zu der Tat durch eine Verkettung von Umständen gekommen ist, die der Angeklagte nicht zu vertreten hatte und die nicht nur ihn, sondern auch seine Lebensge-fährtin zu der irrigen Annahme veranlassten, die jungen Leute wollten sie beide angreifen ([X.]). 10 11 3. Die Sache bedarf insgesamt der neuen Verhandlung und Entschei-dung. Der Senat war durch den Umstand, dass allein der Angeklagte [X.] eingelegt hat, nicht gehindert, auch den Freispruch aufzuheben; denn nach § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO ist es möglich, in einer neuen Hauptverhand-lung an Stelle der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus den Täter schuldig zu sprechen und eine Strafe zu verhängen. Dies bedeutet, dass auf die Revision des Angeklagten in Fällen wie dem vorliegenden ein Freispruch aufgehoben werden kann (vgl. [X.], Beschluss vom 27. Okto-ber 2009 Œ 3 StR 369/09; [X.] in [X.]. § 358 Rdn. 24a). Die Aufhe-bung (auch) des Freispruchs entspricht im vorliegenden Fall dem Ziel des Gesetzgebers, durch die Neuregelung zu vermeiden, dass nach einer erfolg-reichen Revision eines Angeklagten gegen die alleinige Anordnung der Un-terbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus wegen angenommener Schuldunfähigkeit gemäß § 20 StGB die Tat ohne strafrechtliche Sanktion bleibt, wenn sich in der neuen Hauptverhandlung herausstellt, dass der An- - 7 - geklagte bei Begehung der Tat schuldfähig war. Das Gericht bleibt jedoch gehindert, nach Aufhebung einer isoliert angeordneten Unterbringung in ei-nem psychiatrischen Krankenhaus erneut die Unterbringung anzuordnen und zugleich erstmals Strafe zu verhängen (vgl. BT-Drucks 16/1344 S. 17 f.). [X.]Raum [X.] [X.]

Meta

5 StR 229/10

14.09.2010

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 14.09.2010, Az. 5 StR 229/10 (REWIS RS 2010, 3443)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 3443

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

5 StR 229/10 (Bundesgerichtshof)

Revision im Strafverfahren: Aufhebung einer isoliert angeordneten Unterbringung


3 StR 119/17 (Bundesgerichtshof)

Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus: Anforderungen an die Darlegung des symptomatischen Zusammenhangs zwischen psychotischer Erkrankung …


2 StR 81/21 (Bundesgerichtshof)

Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus: Anforderungen an die Gefährlichkeitsprognose


4 StR 495/20 (Bundesgerichtshof)

Verminderte Schuldfähigkeit: Anforderungen bei Diagnose einer "Borderline-Persönlichkeitsstörung"; Zusammenwirken einer Persönlichkeitsstörung und dem Konsum psychotroper Substanzen; …


4 StR 481/15 (Bundesgerichtshof)

Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus: Anforderungen an die Feststellung von Schuldunfähigkeit bei psychischer Störung und …


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

5 StR 229/10

5 StR 123/10

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.