Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 04.04.2006, Az. 4 StR 30/06

4. Strafsenat | REWIS RS 2006, 4136

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[X.] vom 4. April 2006 in der Strafsache gegen wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes u.a. - 2 - Der 4. Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des [X.] und des Beschwerdeführers am 4. April 2006 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen: 1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 28. Juni 2005 aufgehoben, a) soweit der Angeklagte wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in drei Fällen und wegen schweren sexuellen [X.] eines Kindes in vier Fällen verurteilt worden ist, [X.] bleiben die insoweit zum äußeren Tatgeschehen getrof-fenen Feststellungen mit Ausnahme derjenigen zum Alter des [X.] aufrechterhalten; b) in den Aussprüchen über die im [X.] der Urteilsgründe verhängten [X.] und über die Gesamtstrafe. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-tels, an eine andere als Jugendschutzkammer zuständige Strafkammer des [X.] zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen. - 3 - Gründe: Das [X.] hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs ei-nes Kindes in drei Fällen, schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in vier Fällen und wegen Freiheitsberaubung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit einer Verfahrensrüge in dem aus der [X.] ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. 1 1. Die Verurteilung des Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in drei Fällen (Fälle [X.] bis 3 der Urteilsgründe) und wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in vier Fällen (Fälle [X.] bis 7 der Urteils-gründe) muss auf die zulässig erhobene Rüge aufgehoben werden, der Be-weisantrag des Angeklagten auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Alter des [X.] sei rechtsfehlerhaft behandelt worden. 2 a) Nach den Feststellungen nahm der Angeklagte an sieben, jeweils nicht näher bestimmbaren Tagen im [X.] des Jahres 2003 an der im Mai 1991 im [X.]/[X.] geborenen Zeugin Ülvie M. sexuelle Handlungen vor. 3 [X.] am 28. Juni 2005 hatte der Angeklagte die Einholung eines anthropologischen Sachverständigengutachtens bezüglich des Alters der Zeugin [X.]zum Beweis für die Tatsache beantragt, dass die Zeugin zu den in der Anklage genannten Zeitpunkten über 14 Jahre alt ge-wesen ist. Das [X.] lehnte diesen Antrag ab und führte zur Begründung u.a. aus: 4 - 4 - "Ungeachtet des Umstands, dass der Antrag noch eine bestimmte Be-weisbehauptung formuliert und ein bestimmtes Beweismittel bezeichnet, handelt es sich in der Sache um einen Beweisermittlungsantrag. Denn zureichende Anhaltspunkte für die als solche zunächst ausreichende Vermutung des Angeklagten bestehen nach dem Ergebnis der hierzu stattgefundenen Beweisaufnahme gerade nicht, so dass die [X.] letztlich auf's Geratewohl behauptet wird."... b) [X.] als Beweisermitt-lungsantrag hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. 5 Dem Antragsteller kann es grundsätzlich nicht verwehrt sein, auch solche Tatsachen unter Beweis zu stellen, die er lediglich für möglich hält (vgl. BGHSt 21, 118, 125; [X.], 143, 144 jeweils m.w.[X.]) oder nur vermutet (BGHR StPO § 244 Abs. 6 Beweisantrag 2; [X.] StPO 48. Aufl. § 244 Rdn. 20 jeweils m.w.[X.]). Einem Beweisbegehren, das - wie hier - in die Form eines Beweisantrags gekleidet ist, muss allerdings nicht oder allenfalls nach Maßgabe der Aufklärungspflicht nachgegangen werden, wenn die Beweisbe-hauptung ohne jeden tatsächlichen Anhaltspunkt und ohne jede begründete Vermutung aufs Geratewohl ins Blaue hinein aufgestellt wurde, sodass es sich in Wahrheit nur um einen nicht ernstlich gemeinten, zum Schein gestellten Be-weisantrag handelt (vgl. [X.], 497; [X.], 233 m.w.[X.]). Dies ist jedoch nicht schon dann der Fall, wenn die bisherige Beweisaufnahme keine Anhaltspunkte für die Richtigkeit der Beweisaufnahme ergeben hat (vgl. [X.], 126, 127; [X.], 233). Ob es sich nach den vorgenannten Grundsätzen bei einem Beweisbegehren um einen Beweisermittlungsantrag handelt, ist vielmehr aus der Sicht eines verständigen Antragstellers auf der Grundlage der von ihm selbst nicht infrage gestellten Tatsachen zu beurteilen (vgl. [X.], 334; 2003, 497). Gemessen an diesen Grundsätzen liegt 6 - 5 - entgegen der Auffassung des [X.] kein Beweisermittlungsantrag son-dern ein Beweisantrag vor, der - was nicht geschehen ist - nur aus einem der in § 244 Abs. 3 und 4 StPO genannten Ablehnungsgründe hätte zurückgewiesen werden dürfen. Zwar ist der Angeklagte nach den bisherigen Feststellungen im Jahre 2003 und auch noch zu Beginn des Jahres 2004 bei seinen Bemühungen, den Amtsvormund des [X.] zu veranlassen, dieses aus dem Umfeld der Pfle-gefamilie herauszuholen ([X.]), ersichtlich davon ausgegangen, dass das [X.] zu den jeweiligen Zeitpunkten das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte. Aus der Sicht des Angeklagten haben sich aber in den gegen ihn geführ-ten Ermittlungsverfahren und im Verlauf der Hauptverhandlung tatsächliche [X.] ergeben, die dafür sprechen können, dass das [X.] zu den [X.] bereits das 14. Lebensjahr vollendet hatte: 7 Nach den Feststellungen ist die Familie des [X.] im [X.] 2001 aus [X.] nach [X.] eingereist und hat Asyl beantragt, wobei allein der Vater des [X.] eine amtliche in kyrillischer Schrift ausgestellte Geburtsurkunde vorlegen konnte. Die von den [X.] Behörden nach der Einreise der Familie ausgestellten Personalpapiere und Personenstandsurkun-den beruhen demgegenüber auf den Angaben der Familienmitglieder. Zwar [X.], wie das [X.] zutreffend ausgeführt hat, kein allgemeiner Erfah-rungssatz, dass Asylbewerber häufig falsche Angaben im Hinblick auf ihr Alter machen; es besteht aber auch kein Erfahrungssatz, dass solche Angaben stets zutreffen. Vielmehr kann, worauf die Revision zu Recht hinweist, u.a. im [X.] auf das weiter gehende Aufenthaltsrecht von Kindern (vgl. § 34 [X.]) oder die Regelungen über den Bezug von Kindergeld durchaus ein Interesse bestehen, das wahre Alter gegenüber den für die Ausstellung der Personalpa-piere und Personenstandsurkunden zuständigen Behörden zu verschleiern. [X.] - 6 - dem hat die Pflegemutter des [X.] bekundet, ein Zahnarzt habe den "[X.] vollständigen Zahnwechsel" bei dem [X.] hervorgehoben und ein wei-terer Arzt habe erklärt, die Hände des [X.] seien abgearbeitet oder abge-nutzt "wie die Hände einer 50-Jährigen". Auf der Grundlage dieser Tatsachen, auf die der Angeklagte zur Begründung seines [X.] in Stichworten hingewiesen hat, ist die Beweisbehauptung, das [X.] sei zu den jeweiligen [X.] bereits 14 Jahre alt gewesen, aus der Sicht eines verständigen Antragstellers keine lediglich aufs Geratewohl ins Blaue hinein aufgestellte Be-hauptung. Darauf, dass das [X.] nach Würdigung des gesamten [X.] keine Zweifel daran hat, dass das [X.] im [X.] 2003 erst 12 Jahre alt gewesen ist, kommt es in diesem Zusammenhang nicht an (vgl. BGH [X.], 233). 2. Auf der danach rechtsfehlerhaften Ablehnung des [X.] kann die Verurteilung des Angeklagten in den Fällen [X.] bis 7 der Urteilsgründe beruhen. Es ist nicht auszuschließen, dass das [X.], hätte es das bean-tragte Gutachten eines anthropologischen Sachverständigen eingeholt, zu dem Ergebnis gelangt wäre, dass das [X.] zu den jeweiligen [X.] mögli-cherweise bereits 14 Jahre alt gewesen ist, und den Angeklagten in Anwendung des [X.] jeweils nur wegen eines - auch soweit es die Fälle des sexuellen Missbrauchs eines Kindes betrifft gemäß § 176 Abs. 6 StGB strafba-ren - (untauglichen) Versuchs verurteilt hätte. 9 Die Aufhebung der Verurteilung in den vorgenannten Fällen nötigt zur Aufhebung des Ausspruchs über die Gesamtstrafe. Der Senat hebt ferner auch die im [X.] verhängte Geldstrafe von 90 Tagessätzen auf, weil nicht [X.] ist, dass sich die Bemessung dieser Strafe an der Höhe der anderen [X.]n orientiert hat. 10 - 7 - 3. Da sich der aufgezeigte Verfahrensfehler nur auf die Feststellungen zum Alter des [X.] ausgewirkt haben kann und die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen in den Fällen [X.] bis 7 der Urteilsgründe im Übrigen sachlich-rechtlicher Nachprüfung standhalten, können diese Feststellungen be-stehen bleiben. Soweit sie dazu nicht in Widerspruch stehen, sind ergänzende Feststellungen möglich. 11 Tepperwien Maatz Athing [X.]

Meta

4 StR 30/06

04.04.2006

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 04.04.2006, Az. 4 StR 30/06 (REWIS RS 2006, 4136)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2006, 4136

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