Bundesgerichtshof, Beschluss vom 06.12.2022, Az. 4 StR 284/22

4. Strafsenat | REWIS RS 2022, 9113

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Tenor

1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 22. März 2022 mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat die Angeklagten des bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln schuldig gesprochen. Den Angeklagten [X.]hat es deswegen zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten und den Angeklagten [X.]     unter Einbeziehung eines anderen Urteils zu einer Einheitsjugendstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Ferner hat es dem Angeklagten [X.]     die Fahrerlaubnis entzogen, seinen Führerschein eingezogen und eine Sperrfrist für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis angeordnet. Hiergegen richten sich die [X.]eils mit der allgemeinen Sachrüge geführten Revisionen der Angeklagten. Die Rechtsmittel haben Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).

2

1. Nach den Feststellungen fuhren die Angeklagten in einem Pkw zu einem am Vortag mit dem Zeugen [X.]abgestimmten Treffpunkt, um ihm dort 100 Gramm Marihuana gegen Zahlung des zuvor vereinbarten Kaufpreises von 700 Euro zu übergeben. In der Mittelkonsole des Fahrzeugs befand sich – von den Angeklagten wahrgenommen – zugriffsbereit ein Messer mit einer Klingenlänge von etwas mehr als neun Zentimetern, das die Angeklagten einige Tage zuvor bei einem Angelausflug mitgeführt hatten. Der Zeuge [X.]setzte sich auf die Rückbank des Fahrzeugs, nahm das Rauschgift in einem verschlossenen Gefrierbeutel entgegen und warf diesen aus dem Auto einer draußen stehenden Person zu, die damit flüchtete. Die Identität dieser Person konnte das [X.] nicht feststellen. Der Zeuge [X.]und die Angeklagten verließen das Fahrzeug, unter anderem um die mit dem Marihuana flüchtende Person aufzuhalten. Dabei führte der Angeklagte [X.]     das Messer bei sich. Außerhalb des Fahrzeugs kam es zu einer körperlichen Auseinandersetzung, an der außer den Angeklagten und dem Zeugen [X.]der Zeuge G.     beteiligt war. Den genauen Verlauf der Auseinandersetzung konnte das [X.] nicht aufklären, insbesondere nicht, von wem [X.]eils der erste körperliche Übergriff ausging. Der Angeklagte [X.] schlug den Zeugen A.  mit einer Gehhilfe, mit der dieser zum Tatort gekommen war. Der Angeklagte [X.]     stach mehrere Male mit dem Messer auf den Zeugen G.     ein, der hierdurch erheblich verletzt wurde. Zu Gunsten beider Angeklagten ist das [X.] davon ausgegangen, dass sie sich [X.]eils im Zeitpunkt ihrer Körperverletzungshandlung einem gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff des Zeugen [X.]bzw. des Zeugen G.     ausgesetzt sahen. Nach dem Ende der Auseinandersetzung sammelten die Angeklagten Teile des am Boden liegenden Marihuanas ein, das bei dem Versuch, der flüchtenden Person den Beutel zu entreißen, auf den Boden gefallen war.

3

2. Die Feststellungen tragen die Verurteilung der Angeklagten wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln nach § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG nicht, da sich aus ihnen nicht ergibt, dass die Angeklagten bei der Tat einen Gegenstand mit sich geführt haben, der seiner Art nach zur Verletzung von Personen geeignet und bestimmt war.

4

a) Bei Waffen im technischen Sinn und den in § 1 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. b) [X.] normierten, sog. gekorenen Waffen liegt die Bestimmung durch den Täter zur Verletzung von Menschen auf der Hand, so dass es einer ausdrücklichen Erörterung in den Urteilsgründen nicht bedarf (st. Rspr.; vgl. [X.], Beschluss vom 9. Oktober 1997 – 3 [X.], [X.]St 43, 266, 269; Beschluss vom 8. Januar 2014 – 5 [X.], [X.], 466; Beschluss vom 28. März 2019 – 4 StR 463/18, [X.], 419 Rn. 7; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], BtMG, 6. Aufl., § 30a Rn. 122 [X.]). Bei sonstigen Gegenständen, die nicht typischerweise dazu eingesetzt werden, jemanden zu verletzen, sind tatrichterliche Feststellungen zur Zweckbestimmung durch den Täter unerlässlich; dies gilt insbesondere bei Gebrauchsgegenständen des täglichen Lebens ([X.], Urteil vom 6. September 2017 ‒ 2 StR 280/17 Rn. 14; Beschluss vom 6. November 2012 – 2 [X.], [X.], 704; Beschluss vom 25. Mai 2010 – 1 StR 59/10 Rn. 13; [X.] in [X.], 4. Aufl., § 30a BtMG Rn. 154, [X.]. [X.]). Allerdings kann die Annahme einer Zweckbestimmung im Sinne von § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG nahe liegen, wenn nach den Umständen des Falles ein nachvollziehbarer Grund dafür fehlt, dass der Täter einen objektiv gefährlichen Gegenstand griffbereit mit sich führt (vgl. [X.], Urteil vom 18. Juli 2018 – 5 StR 547/17 Rn. 30; [X.], aaO, Rn. 129).

5

b) Daran gemessen lässt sich den Feststellungen nicht entnehmen, dass das tatgegenständliche Messer bereits im Zeitpunkt der Abwicklung des [X.] im Fahrzeug zur Verletzung von Menschen bestimmt war. Das [X.] hat es lediglich als aufklappbar beschrieben und die Klingenlänge angegeben; weitergehende [X.] fehlen. Daher ist nicht zu erkennen, ob es sich um ein Messer im Sinne von § 1 Abs. 2 Nr. 2 b) [X.] i.V.m. Anlage 1 Abschnitt 1 Unterabschnitt 2 Nr. 2.1 zu § 1 Abs. 4 [X.] und damit um eine gekorene Waffe handelt (vgl. [X.], Urteil vom 6. September 2017 – 2 StR 280/17 Rn. 15; Beschluss vom 21. Oktober 2014 – 1 [X.] Rn. 21; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], BtMG, 10. Aufl., § 30a Rn. 74a zur Bezeichnung als „Einhandmesser“). Die Annahme, dass die Angeklagten das Messer zu ihrer Bewaffnung in dem zur Durchführung von [X.] eingesetzten Kraftfahrzeug bereitgelegt hatten und sich dessen bei der Tatausführung bewusst waren (vgl. dazu [X.], Beschluss vom 9. Oktober 1997 – 3 [X.], [X.]St 43, 266, 270; [X.], aaO, Rn. 155 [X.]), liegt nach den Umständen des Falles auch nicht auf der Hand, denn nach den Feststellungen kommt auch in Betracht, dass sie es aus Anlass des Angelausflugs einige Tage zuvor im Auto aufbewahrten.

6

c) Auch eine nach der Übergabe der Betäubungsmittel spontan gefasste Zweckbestimmung im Sinne von § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG durch den Angeklagten [X.]     lässt sich den Feststellungen nicht eindeutig entnehmen. Zwar kann der Tatbestand des bewaffneten Handeltreibens auch dann noch erfüllt sein, wenn der Täter den Gegenstand erst in der Schlussphase des [X.] vor dessen Beendigung mit einer entsprechenden Zweckbestimmung bei sich führt (vgl. [X.], Beschluss vom 9. April 2019 – 4 [X.] Rn. 9; Beschluss vom 21. Mai 1999 – 2 [X.], [X.], 467; Beschluss vom 14. November 1996 – 1 [X.], [X.], 137; [X.], aaO, Rn. 170; [X.], aaO, Rn. 175, [X.]. [X.]). Danach kann ein Waffeneinsatz im Sinne von § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG auch dann noch in Betracht kommen, wenn der Erwerber noch keine sichere Verfügungsgewalt über das Betäubungsmittel erlangt hat (vgl. [X.], Beschluss vom 9. April 2019 – 4 [X.] Rn. 9; Beschluss vom 15. November 2016 – 3 [X.] Rn. 5). Den Feststellungen lässt sich jedoch nicht entnehmen, dass der nach § 32 Abs. 1 StGB gerechtfertigte Messer-einsatz gegen den Zeugen G.     in einem Zusammenhang mit der beabsichtigten Wiedererlangung des Rauschgifts stand. Denn die [X.] vermochte nicht festzustellen, dass es sich bei dem Zeugen G.     um diejenige Person handelte, die zuvor mit dem Marihuana geflüchtet war. Auch dazu, wer den Versuch unternommen hat, der flüchtenden Person das Marihuana zu entreißen, verhalten sich die Urteilsgründe nicht.

7

Hinzu kommt, dass der [X.] dem Angeklagten [X.]nicht nach den allgemeinen Grundsätzen der Mittäterschaft gemäß § 25 Abs. 2 StGB zuzurechnen wäre. Denn es ist nicht festgestellt, dass eine spontane Bewaffnung mit dem Ziel der Wiedererlangung des Rauschgifts vom gemeinsamen [X.] umfasst war (vgl. [X.], Beschluss vom 4. Februar 2003 – [X.], [X.]St 48, 189, 192 ff.; [X.], aaO, Rn. 146, 153 [X.]). Auf den von dem Angeklagten [X.] geführten Schlag mit der Gehhilfe kann aus den vorgenannten Gründen nicht abgestellt werden, weil sich auch bezogen auf diesen ein Zusammenhang mit dem Betäubungsmittelgeschäft nicht herstellen lässt.

8

3. Dies führt auch zur Aufhebung der zugrundeliegenden Feststellungen, da diese insgesamt durch den Rechtsfehler betroffen werden (§ 353 Abs. 2 StPO).

Quentin     

  

Bartel     

  

Rommel

  

Maatsch     

  

Messing     

  

Meta

4 StR 284/22

06.12.2022

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Münster, 22. März 2022, Az: 3 KLs 45/21

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 06.12.2022, Az. 4 StR 284/22 (REWIS RS 2022, 9113)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 9113

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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