Bundesgerichtshof, Beschluss vom 28.01.2020, Az. 4 StR 632/19

4. Strafsenat | REWIS RS 2020, 1604

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Gegenstand

Anforderungen an die Urteilsgründe bei Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus: Räuberische Erpressung als Anlasstat; Feststellung der Beeinträchtigung bzw. Aufhebung der Schuldfähigkeit; Gefährlichkeitsprognose


Tenor

1. Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des [X.] vom 27. Juni 2019 mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Seine auf die Sachrüge gestützte Revision führt zur Aufhebung des Urteils.

2

1. Nach den Feststellungen leidet der Beschuldigte an einer produktiv paranoiden Psychose aus dem Formenkreis der Schizophrenie. Am Tattag begab er sich zu einem abgelegenen Bauernhof, wo die Zeugin [X.]      gerade ihren vor dem Haus abgestellten Transporter entlud. Der Fahrzeugschlüssel steckte. Der Beschuldigte bestieg das Fahrzeug, um es zu stehlen. Als die Zeugin auf den Beschuldigten aufmerksam wurde, begab sie sich zu ihrem Fahrzeug, klopfte an die Scheibe und forderte den Beschuldigten auf, auszusteigen. Der Beschuldigte sah und hörte die Zeugin, reagierte aber nicht. Die Zeugin stellte sich nun hinter das Fahrzeug, wobei sie annahm, der Beschuldigte würde nicht losfahren. Der Beschuldigte ließ jedoch den Motor an. Als er bemerkte, dass die Zeugin an die Heckscheibe klopfte, legte er den Rückwärtsgang ein und fuhr los. Aus Angst um ihre Gesundheit sprang die Zeugin zur Seite, wobei sie eine Zerrung an der linken [X.] erlitt. Der Beschuldigte fuhr mit Vollgas und angezogener Handbremse rückwärts gegen einen Blumenkübel. Sodann legte er den Vorwärtsgang ein und fuhr - trotz weiterhin angezogener Handbremse - mit durchdrehenden Reifen davon.

3

Die [X.] hat das Verhalten des Beschuldigten als besonders „gefährliche“ räuberische Erpressung gemäß § 253, 255, 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB und fahrlässige Körperverletzung (§ 230 StGB) gewertet. Sie hat weiter angenommen, dass der Beschuldigte aufgrund seiner Erkrankung wahrscheinlich nicht in der Lage gewesen sei, das Unrecht seiner Tat einzusehen. Falls seine Einsichtsfähigkeit doch erhalten geblieben sei, sei er auf jeden Fall nicht in der Lage gewesen, entsprechend seiner Unrechtseinsicht zu handeln. Aufgrund seiner Erkrankung sei der Beschuldigte für die Allgemeinheit gefährlich. Von ihm seien mit hoher Wahrscheinlichkeit [X.] und/oder Raubtaten wie die [X.], aber auch Gefährdungen des Straßenverkehrs zu erwarten.

4

2. Die Unterbringungsentscheidung hält unter mehreren Gesichtspunkten revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.

5

a) Die rechtliche Bewertung der [X.] als besonders schwere räuberische Erpressung (§§ 253, 255 Abs. 2 Nr. 1 StGB) wird von den Feststellungen nicht getragen.

6

Eine räuberische Erpressung nach §§ 253, 255 StGB setzt voraus, dass der Täter das qualifizierte [X.] (Gewalt oder Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben) einsetzt, um die Vermögensverfügung des Opfers herbeizuführen, sodass zwischen beiden nach seiner Vorstellung von der Tat ein finaler Zusammenhang besteht (vgl. [X.], Urteil vom 17. Juli 2019 - 5 [X.], NStZ-RR 2019, 311, 312; Beschluss vom 20. September 2016 - 3 [X.], [X.], 92, 93 mwN). Dass der Angeklagte mit dem Transporter bewusst rückwärtsfuhr, um die Zeugin zur Preisgabe des Fahrzeugs zu zwingen, hat das [X.] nicht festgestellt. Auch der Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ergibt dies nicht, zumal die [X.] mit Rücksicht auf das Fahrverhalten des Beschuldigten an anderer Stelle ausgeführt hat, dass dies dafür spreche, dass er nicht in der Lage war, das Fahrzeug sicher im Verkehr zu lenken und eine sinnvolle Route einzuschlagen (UA 10).

7

b) Die Annahme der [X.], der Beschuldigte sei aufgrund einer produktiv paranoiden Psychose aus dem Formenkreis der Schizophrenie bei Tatbegehung schuldunfähig gewesen, ist ebenfalls nicht ausreichend begründet und daher rechtsfehlerhaft.

8

aa) Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus setzt die positive Feststellung voraus, dass der Beschuldigte eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) begangen hat. Hierfür muss vom Tatgericht im Einzelnen dargelegt werden, wie sich die festgestellte, einem Merkmal von §§ 20, 21 StGB unterfallende Erkrankung in der [X.] auf die Einsichts- oder die Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat und warum die [X.] auf den entsprechenden psychischen Zustand zurückzuführen ist (vgl. [X.], Beschluss vom 7. März 2017 - 5 [X.], [X.], 171; Beschluss vom 4. August 2016 - 4 [X.], [X.], 747 mwN). Allein die Diagnose einer schizophrenen Psychose führt für sich genommen nicht zur Feststellung einer generellen oder zumindest längere Zeiträume überdauernden gesicherten Beeinträchtigung bzw. Aufhebung der Schuldfähigkeit (vgl. [X.], Beschluss vom 17. Juni 2014 - 4 [X.], [X.], 305, 306; Beschluss vom 29. Mai 2012 - 2 StR 139/12, [X.], 306, 307). Schließt sich die [X.] insoweit der Beurteilung des Sachverständigen an, muss sie die dafür wesentlichen Anknüpfungs- und Befundtatsachen im Urteil so wiedergeben, wie es zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderlich ist (vgl. [X.], Beschluss vom 29. Mai 2012 - 2 StR 139/12, [X.], 306, 307; Beschluss vom 14. April 2010 - 5 [X.], Rn. 9 mwN).

9

bb) Diesen Anforderungen werden die Urteilsgründe nicht gerecht.

(1) Die [X.] hat angenommen, dass der Beschuldigte sich das Fahrzeug der Zeugin [X.]        aneignen wollte, um damit nach [X.] zu fahren ([X.]). Die Tat sei im Rahmen eines Wahnerlebens begangen worden, wobei der starke Wunsch nach [X.] zurückzukehren und die krankheitsbedingte Fehlvorstellung, dazu auch tatsächlich in der Lage zu sein, handlungsleitend gewesen seien ([X.], 12).

(2) Diese Annahmen sind nicht ausreichend belegt. Soweit die [X.] ‒ dem angehörten Sachverständigen folgend ‒ darauf abstellt, dass der Beschuldigte seit seinem Umzug nach [X.] im Frühjahr 2018 „sehr häufig, wenn nicht gar durchgängig unter akutem Wahnerleben gestanden habe“ und dabei vor allem der Gedanke nach [X.] zurückzukehren, maßgebend gewesen sei ([X.], 13), fehlt es dafür an einer ausreichenden Benennung von Anknüpfungs- und Befundtatsachen. Die Mitteilung, dass die Eltern des Beschuldigten eine „Verschlimmerung der paranoiden Schizophrenie in [X.]“ geschildert und über ein Misstrauen ihnen gegenüber, sowie ein Verschwörungsdenken und ein mehrfaches Weglaufen berichtet hätten, reicht dafür nicht aus. Denn sie lässt nicht erkennen, welche Wahrnehmungen die Zeugen tatsächlich gemacht haben und warum diese den Schluss auf eine Verschlimmerung der Erkrankung rechtfertigen. Auch teilen die Urteilsgründe nicht mit, welchen Inhalt die Wahnvorstellungen des Beschuldigten hatten, sodass nicht nachvollzogen werden kann, warum sein wiederholt geäußerter Wunsch, in seine Heimat ([X.]) zurückzukehren und seine Vorstellung, dazu auch tatsächlich in der Lage zu sein, das Resultat von Wahnideen waren. Die für den Tatzeitpunkt festgestellten Auffälligkeiten (Apathie, Unruhe, unangepasste Kleidung) geben dafür keine Erklärung.

c) Schließlich begegnet auch die Gefahrenprognose durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

aa) Die für die Maßregelanordnung erforderliche Gefährlichkeitsprognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des [X.], seines [X.] und der von ihm begangenen [X.]en zu entwickeln. Dazu sind alle wesentlichen prognoserelevanten Umstände in den Urteilsgründen darzustellen und zusammenfassend zu würdigen. Als prognoseungünstig herangezogene tatsächliche Umstände aus dem Vorleben des [X.] müssen dabei rechtsfehlerfrei festgestellt und belegt sein (vgl. [X.], Beschluss vom 25. September 2019 - 4 StR 408/19, NStZ-RR 2020, 36, 37; Beschluss vom 22. Juli 1992 - 2 StR 293/92, [X.]R § 56 Abs. 1 Sozialprognose 24).

bb) Diesen Anforderungen genügen die Urteilsgründe nicht. Soweit die [X.] bei ihrer negativen Prognoseentscheidung darauf abstellt, dass der Beschuldigte „im Wahnerleben ein vierjähriges Kind mit einem Messer bedroht“ habe ([X.]), fehlt es dafür sowohl an einer konkreten Tatsachenfeststellung, als auch an den entsprechenden Belegen. Mitgeteilt wird lediglich, dass bei der Einlieferung des Beschuldigten in ein psychiatrisches Krankenhaus am 5. November 2018 eine ärztliche Stellungnahme vorlag, wonach der Beschuldigte einen entsprechenden Übergriff begangen haben soll ([X.]). Gleiches gilt, soweit als prognoseungünstig angeführt wird, dass der Beschuldigte am Tattag unter Einsatz von Gewalt Geld von Kindern verlangt habe. Zwar gibt es hierzu konkrete Feststellungen ([X.]); diese sind aber nicht belegt. Der Beschuldigte hat sich zu diesem Vorfall nicht geäußert. Die Beweiswürdigung lässt nicht erkennen, dass hierauf bezogene Beweise erhoben worden sind. Soweit mitgeteilt wird, dass eines der Kinder den Beschuldigten „bei einer anschließenden Wahllichtbildvorlage“ identifiziert habe ([X.]), bezieht sich dies offensichtlich auf ein polizeiliches Ermittlungsergebnis und ist als Nachweis für das festgestellte Geschehen nicht tragfähig.

Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung.

Sost-Scheible     

        

Roggenbuck     

        

Cierniak

        

Quentin     

        

Feilcke     

        

Meta

4 StR 632/19

28.01.2020

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Dortmund, 27. Juni 2019, Az: 34 KLs 14/19

§ 20 StGB, § 21 StGB, § 63 StGB, § 253 StGB, § 255 StGB, § 261 StPO, § 267 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 28.01.2020, Az. 4 StR 632/19 (REWIS RS 2020, 1604)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 1604

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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