Bundessozialgericht, Beschluss vom 25.10.2017, Az. B 7 SF 1/16 R

7. Senat | REWIS RS 2017, 3360

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Gegenstand

Sozialgerichtliches Verfahren - Rechtsweg - Zuständigkeit der Sozialgerichtsbarkeit bei Klage eines Anbieters von Unterkünften gegen den Leistungsträger auf Erstattung von Kosten für die Unterbringung von Asylbewerbern - mehrere, verschiedenen Rechtswegen zugeordnete Anspruchsgrundlagen - Entscheidung durch das angerufene Gericht - Grenze der Dispositionsbefugnis der Beteiligten - keine Berücksichtigung von offensichtlich abwegigen Anspruchsgrundlagen


Tenor

Auf die Beschwerde der Klägerin werden die Beschlüsse des [X.] vom 30. September 2016 und des [X.] vom 15. August 2016 aufgehoben. Der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist zulässig.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und des Verfahrens der weiteren Beschwerde trägt der Beklagte.

Der Streitwert wird auf 39 660 Euro festgesetzt.

Gründe

1

I. Im Streit ist im Rahmen eines Zwischenverfahrens die Zulässigkeit des von der Klägerin beschrittenen Rechtswegs zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit.

2

Die Klägerin betreibt seit Juli 2015 eine Unterkunft für Asylbewerber. Sie begehrt mit ihrer beim Sozialgericht ([X.]) [X.] erhobenen Klage für erbrachte Unterbringungsleistungen für Asylbewerber von dem Beklagten die Zahlung von 198 300 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit. Zur Begründung hat sie Bezug genommen auf von ihr erstellte Abrechnungen für die Unterbringung von Asylbewerbern für regelmäßig 50 Euro pro Person und Nacht, die sie auf der Grundlage der ihr von Asylbewerbern übergebenen Kostenübernahmeerklärungen des Beklagten aufgestellt und die der Beklagte bisher nur zum Teil beglichen habe.

3

Das [X.] hat nach Anhörung der Beteiligten den Rechtsweg zu den Sozialgerichten für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht [X.] verwiesen (Beschluss vom 15.8.2016). Die dagegen von der Klägerin eingelegte Beschwerde hat das [X.] (L[X.]) [X.]-Brandenburg zurückgewiesen (Beschluss vom [X.]). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das L[X.] ausgeführt, dass keine öffentlich-rechtliche Streitigkeit in Angelegenheiten der Sozialhilfe und des Asylbewerberleistungsgesetzes ([X.]) nach § 51 Abs 1 [X.] ([X.]G) gegeben sei, sondern eine zivilrechtliche Streitigkeit nach § 13 Gerichtsverfassungsgesetz ([X.]). Die Klägerin begehre die Zahlung offener Rechnungen aus Miet- und Beherbergungsverträgen, deren Begleichung wegen der gegenüber den Asylbewerbern erteilten Kostenübernahmeerklärungen von dem Beklagten verlangt werde. Die rechtliche Konstellation in Fällen wie dem vorliegenden sei vergleichbar mit derjenigen des sozialhilferechtlichen [X.] im Bereich des Leistungserbringungsrechts der Sozialhilfe. Zwar fehle es hier an einer öffentlich-rechtlichen Vertragsbeziehung zwischen Leistungserbringer und Leistungsträger; das [X.] enthalte auch keine den §§ 75 ff Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - ([X.]B XII) vergleichbare Vorschriften oder nehme sie in Bezug. Wenn aber nicht einmal die öffentlich-rechtliche Überlagerung des Rechtsverhältnisses zwischen Leistungserbringer und Leistungsträger in der Sozialhilfe dazu führe, dass die Zahlungsansprüche des Leistungserbringers gegenüber dem Leistungsträger öffentlich-rechtliche seien, dann gebe es hierfür erst Recht keinen zwingenden Grund, wenn es an entsprechenden öffentlich-rechtlichen Vereinbarungen fehle.

4

Dagegen hat die Klägerin die vom L[X.] zugelassene weitere Beschwerde eingelegt.

5

II. Die weitere Beschwerde (§ 17a Abs 4 Satz 4 [X.]) ist zulässig und in der Sache begründet. Die Vorinstanzen haben zu Unrecht den Rechtsweg zu den Zivilgerichten für eröffnet angesehen. Für den vorliegenden Rechtsstreit sind die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit zuständig.

6

Nach § 51 Abs 1 [X.] 2 Halbsatz 1 [X.]G entscheiden die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit über öffentlich-rechtliche Streitigkeiten ua in Angelegenheiten der Asylbewerberleistungen (§ 51 Abs 1 [X.] 6a [X.]G). Ob eine Streitigkeit öffentlich-rechtlich oder bürgerlich-rechtlich ist, richtet sich, wenn es - wie hier - an einer ausdrücklichen Sonderzuweisung fehlt, nach der Natur des Rechtsverhältnisses, aus dem der [X.] hergeleitet wird. Dieser Grundsatz bestimmt die Auslegung sowohl von § 13 [X.] (Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten) als auch von § 51 Abs 1 [X.]G (Zulässigkeit des Rechtswegs zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit). Die Abgrenzung muss von der Sache her getroffen werden. Ausgangspunkt für die Prüfung ist deshalb die Frage, welcher Art das Klagebegehren nach dem zugrunde liegenden Sachverhalt ist (stRspr; vgl etwa B[X.] [X.]-3500 § 75 [X.] 5; B[X.] [X.]-1720 § 17a [X.] 3 Rd[X.] 9 mwN). Deshalb ist entscheidend darauf abzustellen, ob der zur Klagebegründung vorgetragene Sachverhalt für die aus ihm hergeleitete Rechtsfolge von Rechtssätzen des Zivil- oder des Sozialrechts geprägt wird (vgl B[X.] [X.]-1500 § 51 [X.] 14 Rd[X.] 15). Die in dieser Weise vorzunehmende Abgrenzung weist das [X.] in diejenige Verfahrensordnung, die ihm nach der gesetzgeberischen Wertung in der Sache am besten entspricht, und bewirkt zugleich, dass regelmäßig diejenigen Gerichte anzurufen sind, die durch ihre Sachkunde und Sachnähe zur Entscheidung über den in Frage stehenden Anspruch besonders geeignet sind (vgl B[X.] [X.]-1300 § 116 [X.] 1 Rd[X.] 8; B[X.] [X.]-1500 § 51 [X.] 6 Hausverbot für die Räume des Trägers der Grundsicherung für Arbeitsuchende gegenüber einem Leistungsempfänger; [X.], 250, 252; B[X.] [X.]-1720 § 17a [X.] 3).

7

Hiervon ausgehend ist die vorliegende Streitigkeit eine öffentlich-rechtliche in Angelegenheiten der Asylbewerberleistungen. Die Klägerin macht einen Anspruch auf "Erstattung" von Kosten für die Unterbringung von Asylsuchenden geltend. Diesen Anspruch leitet sie laut Klagebegründung aus Kostenübernahmeerklärungen des Beklagten ab. Die Klägerin geht ersichtlich davon aus, dass es sich insoweit um sie unmittelbar berechtigende hoheitliche Akte des Beklagten handele, die ihre Grundlage im Asylbewerberleistungsrecht haben.

8

Ob daneben oder anstelle dessen nicht (vielmehr) ein Anspruch zivilrechtlicher Natur die geltend gemachte Zahlung der Klägerin zu stützen vermöchte, weil die Erklärung der Sache nach als Schuldbeitritt zu einer zivilrechtlichen Schuld der Asylbewerber gegenüber der Klägerin zu qualifizieren sein könnte, steht der Richtigkeit des [X.] nicht entgegen. In solchen Fällen, in denen der [X.] bei identischem Streitgegenstand auf mehrere, verschiedenen Rechtswegen zugeordnete (auch tatsächlich und rechtlich selbstständige) Anspruchsgrundlagen gestützt ist, ist das angerufene Gericht nach § 17 Abs 2 Satz 1 [X.] zur Entscheidung über sämtliche Klagegründe verpflichtet, sofern nur der Rechtsweg für einen von ihnen gegeben ist (stRspr seit [X.], 1). Damit nimmt der Gesetzgeber seit der Novellierung von § 17 Abs 2 Satz 1 [X.] zum 1.1.1991 durchaus gewisse Zufälligkeiten hin, die sich aus dem Vortrag der Klägerin und weiteren Besonderheiten des Einzelfalls ergeben (vgl [X.] <[X.]> Beschluss vom [X.] - 4 [X.]/01 - NJW 2002, 2894; vgl dazu auch schon B[X.] [X.]-3500 § 75 [X.] 5).

9

Dies darf zwar nicht dazu führen, dass der Rechtsweg vollständig zur Disposition der Beteiligten steht. Anspruchsgrundlagen, die offensichtlich nicht gegeben sind bzw erkennbar vom Rechtsuchenden nur mit dem Ziel geltend gemacht werden, einen bestimmten Rechtsweg beschreiten zu können, haben bei der Prüfung des Rechtswegs außer Betracht zu bleiben (vgl etwa [X.] [X.] 300 § 17a [X.] [X.] 5). Der Vortrag der Klägerin ist hier aber nicht zielgerichtet zur Begründung allein des Rechtswegs erfolgt und auch nicht offensichtlich haltlos (vgl Ladage, [X.]b 2013, 553, 556; Eicher, [X.]b 2013, 127, 131). Es ist nicht abwegig, die "Kostenübernahmeerklärung" eines Leistungsträgers gegenüber einem Vermieter als (abstraktes) Schuldanerkenntnis zu qualifizieren.

So hat das B[X.] etwa im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung ([X.]) in einer (vorbehaltlosen) Kostenübernahmeerklärung gegenüber dem Leistungserbringer ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis gesehen, mit dem die Krankenkasse ihre Zahlungspflicht dem Grunde nach anerkenne (B[X.]E 86, 166 = [X.]-2500 § 112 [X.] 1). Im Falle eines durch einen Vermieter geltend gemachten Zahlungsanspruchs aus einer an ihn gerichteten Erklärung des Sozialhilfeträgers hat das [X.] die Richtigkeit des [X.] ausdrücklich bejaht ([X.]E 96, 71, 77). Die zivilrechtliche Qualifizierung des hier geltend gemachten Anspruchs liegt jedenfalls nicht näher als die Qualifizierung als öffentlich-rechtliches Schuldanerkenntnis. Anderes gilt in der hier nicht vorliegenden Konstellation eines aus den Vorschriften des 10. Kapitels des [X.]B XII entwickelten sozialhilferechtlichen [X.], in denen regelmäßig der Rechtsweg zu den Sozialgerichten nicht mehr begründet werden kann, weil die "Kostenübernahme" hier im Regelfall als Schuldbeitritt zu einer zivilrechtlichen Schuld zu qualifizieren ist (B[X.] [X.]-3500 § 75 [X.] 5).

Die - im Verfahren über eine Rechtswegbeschwerde grundsätzlich erforderliche (B[X.] [X.]-1500 § 51 [X.] 6 Rd[X.] 19, 20; B[X.] [X.]-1500 § 51 [X.] 13) - Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 [X.]G iVm § 154 Abs 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren folgt aus § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 [X.]G iVm § 52 Abs 1 Gerichtskostengesetz ([X.]). Es erscheint angemessen, für die Vorabentscheidung über den Rechtsweg von einem Fünftel des Wertes des geltend gemachten Anspruchs auszugehen (vgl B[X.] [X.]-1500 § 51 [X.] 4 Rd[X.] 85; B[X.] Beschluss vom [X.] SF 1/14 R Rd[X.] 18 - insoweit nicht in [X.]-1500 § 51 [X.] 13 abgedruckt). Dies ergibt einen Wert von 39 660 Euro.

Meta

B 7 SF 1/16 R

25.10.2017

Bundessozialgericht 7. Senat

Beschluss

Sachgebiet: SF

vorgehend SG Berlin, 15. August 2016, Az: S 146 AY 407/16, Beschluss

§ 17a Abs 2 GVG, § 13 GVG, § 17 Abs 2 S 1 GVG, § 51 Abs 1 Nr 6a SGG, § 3 AsylbLG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 25.10.2017, Az. B 7 SF 1/16 R (REWIS RS 2017, 3360)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 3360

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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