Bundesgerichtshof, Beschluss vom 30.01.2024, Az. 4 StR 397/23

4. Strafsenat | REWIS RS 2024, 476

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Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 13. Juli 2023 im [X.] mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in drei Fällen, wegen Bedrohung in zwei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit Beleidigung, sowie wegen Körperverletzung in Tateinheit mit Diebstahl zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Zudem hat es seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat den aus der [X.] ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

2

1. Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Sachrüge hat zum Schuld- und Strafausspruch keinen den Angeklagten [X.] Rechtsfehler ergeben.

3

2. Die Anordnung der Maßregel nach § 64 StGB hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand, denn den Urteilsgründen ist ein Hang des Angeklagten, alkoholische Getränke im Übermaß zu sich zu nehmen, ebenso wenig zu entnehmen wie ein hinreichender symptomatischer Zusammenhang mit den begangenen Straftaten. Zudem ist die Erfolgsaussicht der Maßregel nicht rechtsfehlerfrei begründet.

4

a) Der Senat hat der revisionsrechtlichen Überprüfung § 64 StGB in der Fassung vom 26. Juli 2023 ([X.], [X.]) zugrunde zu legen, die am 1. Oktober 2023 in [X.] getreten ist. Da keine entsprechende Übergangsvorschrift ergangen ist, ergibt sich dies aus § 2 Abs. 6 StGB, § 354a StPO (vgl. [X.], Beschluss vom 4. Oktober 2023 – 6 [X.] Rn. 6; Urteil vom 12. Oktober 2023 – 4 StR 136/23 Rn. 14). Nach § 64 Satz 1 StGB nF erfordert die Annahme eines Hangs das Vorliegen einer Substanzkonsumstörung, infolge derer eine dauernde und schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung, der Gesundheit, der Arbeits- oder der Leistungsfähigkeit eingetreten ist und fortdauert. Die [X.] müssen ferner „überwiegend“ auf den Hang zurückgehen. Zudem ergeht die Anordnung nur, wenn aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte ein Therapieerfolg zu erwarten ist (§ 64 Satz 2 StGB nF).

5

b) [X.]) Zum Vorliegen eines Hangs, dessen tatsächliche Grundlagen sicher feststehen müssen (vgl. [X.], Beschluss vom 19. Dezember 2023 – 2 [X.] Rn. 5 mwN), hat das [X.] keine hinreichenden Feststellungen getroffen. Zwar ist diesen zu entnehmen, dass der Angeklagte häufig Alkohol im Übermaß trank und sich bei ihm eine Alkoholabhängigkeit entwickelt hat. Hieraus ergibt sich aber noch nicht die Annahme, dass dadurch seine Lebensgestaltung, Gesundheit, Arbeits- oder Leistungsfähigkeit dauernd und schwerwiegend beeinträchtigt wurde (vgl. [X.], Beschluss vom 9. November 2023 – 4 StR 358/23 Rn. 7). Nach den Urteilsgründen führte der Angeklagte mehrere Beziehungen, aus denen fünf Kinder hervorgingen, und arbeitete darüber hinaus bis zum [X.] als Altenpflegeassistent. Seine gegenwärtige Arbeitsunfähigkeit hat die [X.] auf seine AIDS-Erkrankung mit einer hohen Virenlast und medikationsbedingten Nebenwirkungen zurückgeführt. Soweit das [X.] darüber hinaus auf eine besondere Schädlichkeit des Alkoholkonsums im Hinblick auf diese Erkrankung des Angeklagten abgehoben hat, lassen die Urteilsgründe konkrete Feststellungen zu einem solchen Zusammenhang und seinen Auswirkungen ebenso vermissen wie einen nachvollziehbaren Beleg hierfür.

6

bb) Auch ein symptomatischer Zusammenhang ist nicht festgestellt. Nach § 64 Satz 1 Hs. 1 StGB nF reicht eine bloße Mitursächlichkeit des Hangs für die Tat nur noch dann aus, wenn sie andere Ursachen quantitativ überwiegt. Das Vorliegen eines solchen Kausalzusammenhangs ist durch das Tatgericht – ggf. unter sachverständiger Beratung – positiv festzustellen (vgl. BT-Drucks. 20/5913 S. 69 f.; [X.], Beschluss vom 25. Oktober 2023 – 5 [X.] Rn. 3). Bei seiner Entscheidung hat das [X.] diesen strengeren Anordnungsmaßstab noch nicht vor Augen haben können. Es hat sich der Einschätzung der Sachverständigen angeschlossen, dass der Alkoholkonsum des Angeklagten die [X.] „als enthemmender Faktor begünstigt“ habe. Damit ist zwar eine nach § 64 StGB aF für die Unterbringung ausreichende Mitursächlichkeit seines erheblichen Alkoholkonsums für die Straftaten des Angeklagten dargetan, jedoch fehlt eine Aussage zu der nunmehr entscheidenden Frage, inwieweit dieser [X.] – und nicht etwa ein hiervon losgelöster [X.] mit der Geschädigten – die überwiegende Ursache für die [X.] war.

7

cc) Ferner ist die Erfolgsaussicht der Maßregel nicht tragfähig belegt. Durch § 64 Satz 2 StGB nF sind die Anforderungen an eine günstige Behandlungsprognose „moderat angehoben“ worden, indem jetzt eine „Wahrscheinlichkeit höheren Grades“ vorausgesetzt ist; im Übrigen bleibt es dabei, dass die Beurteilung der Erfolgsaussicht im Rahmen einer Gesamtwürdigung der Täterpersönlichkeit und aller sonstigen maßgebenden Umstände vorzunehmen ist (vgl. BT-Drucks. 20/5913, [X.]; [X.], Beschluss vom 14. Dezember 2023 – 6 [X.] Rn. 6). Die [X.] hat ihre Erwägungen allein an dem weniger strengen Maßstab der hinreichend konkreten Erfolgsaussicht nach § 64 Satz 2 StGB aF ausgerichtet. Dem o. a. gegenwärtigen Maßstab für eine günstige Behandlungsprognose werden die Urteilsgründe schon deshalb nicht gerecht (vgl. [X.], Beschluss vom 13. Dezember 2023 – 3 StR 304/23 Rn. 18). Im Übrigen hat die [X.] auch nicht in nachvollziehbarer Weise erläutert, inwieweit von ihr herangezogene „reflektierende Angaben“ des Angeklagten zu seiner Alkoholproblematik eine Erfolgsprognose stützen können. Zudem hat das [X.] die langjährige Alkoholsucht und die wiederholte Rückfälligkeit des Angeklagten im [X.] an Therapien nicht als prognoseungünstige Umstände bedacht.

8

c) Die Sache bedarf daher im [X.] neuer Verhandlung und Entscheidung. Der Senat hebt auch die zugehörigen Feststellungen auf (§ 353 Abs. 2 StPO), um dem neuen Tatgericht insgesamt widerspruchsfreie neue Feststellungen zu ermöglichen. Sollte das neue Tatgericht abermals die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt anordnen, wird es zudem über einen [X.] nach Maßgabe von § 67 Abs. 2 und 5 StGB nF zu entscheiden haben (vgl. [X.], Beschluss vom 22. November 2023 – 4 StR 347/23 Rn. 14 mwN).

[X.]     

      

Bartel     

      

Rommel

      

Scheuß     

      

Momsen-Pflanz     

      

Meta

4 StR 397/23

30.01.2024

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Essen, 13. Juli 2023, Az: 65 KLs 5/23

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 30.01.2024, Az. 4 StR 397/23 (REWIS RS 2024, 476)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2024, 476

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Wirksamkeit einer Rechtsmittelbeschränkung; Überwiegen eines Hangs als Hauptursache für Anlasstat


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