Bundessozialgericht, Beschluss vom 24.05.2012, Az. B 9 SB 91/11 B

9. Senat | REWIS RS 2012, 6095

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Sozialgerichtliches Verfahren - Verfahrensmangel - Amtsermittlungsgrundsatz - Einholung eines schmerztherapeutischen Gutachtens - Schwerbehindertenrecht - GdB-Festsetzung - Wirbelsäulenleiden


Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] vom 23. November 2011 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe

1

I. Die 1950 geborene Klägerin beansprucht die Feststellung eines Grades der [X.]ehinderung (Gd[X.]) von mindestens 50 für die [X.] ab März 2006.

2

Mit [X.]escheid vom 14.5.2002 hatte das beklagte Land das [X.]estehen eines Gd[X.] von 30 festgestellt. Den von der Klägerin im März 2006 sinngemäß gestellten [X.] lehnte der [X.]eklagte nach Überprüfung mit [X.]escheid vom [X.] in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.10.2007 ab. Das von der Klägerin angerufene [X.] ([X.]) hat [X.] und [X.] eingeholt, woraufhin der [X.]eklagte durch [X.]escheid vom [X.] den Gd[X.] der Klägerin mit 40 anerkannte. Die aufrechterhaltene, auf Feststellung eines Gd[X.] von 50 gerichtete Klage hat das [X.] durch Gerichtsbescheid vom 29.6.2009 abgewiesen. Das [X.] (L[X.]) hat weitere [X.] und [X.] beigezogen und von Amts wegen ein orthopädisches Gutachten des Sachverständigen Dr. W. vom 14.3.2011 eingeholt. Durch Urteil vom 23.11.2011 hat es die [X.]erufung der Klägerin zurückgewiesen. Seine Entscheidung hat es wie folgt begründet:

3

Nach dem Ergebnis der [X.]eweisaufnahme, nämlich der Gesamtschau der vorhandenen medizinischen Unterlagen und insbesondere dem Ergebnis des orthopädischen Gutachtens, seien die Voraussetzungen für die Feststellung eines höheren Gd[X.] als 40 nicht nachgewiesen. Hauptleiden der Klägerin seien die Funktionsbehinderungen der Wirbelsäule in Form einer Funktionsstörung sowie eines Zustandes nach zweifacher [X.], die mit einem Einzel-Gd[X.] von 30 zu bewerten seien. Entgegen der Auffassung der Klägerin sei die mit dem [X.] einhergehende Schmerzerkrankung nicht mit einem eigenen Gd[X.] zu berücksichtigen und führe auch nicht zu einem höheren Gd[X.] als 30 für die Wirbelsäulenerkrankung. Etwas anderes ergebe sich auch nicht daraus, dass die Klägerin bei einer spezialisierten Schmerztherapeutin in [X.]ehandlung sei. Die bloße Aufnahme dieser [X.]ehandlung lasse nicht auf vorliegende Funktionsdefizite schließen. Zudem habe der Sachverständige ausgeführt, dass eine hochspezifische Schmerztherapie nach den Untersuchungsergebnissen nicht erforderlich sei. Dem hilfsweise gestellten [X.]eweisantrag auf Einholung eines schmerztherapeutischen Gutachtens sei unter [X.]erücksichtigung der gezielten Auseinandersetzung des gerichtlichen Sachverständigen mit den Schmerzen der Klägerin nicht nachzugehen. Es sei nicht zu erkennen, welche weiteren Erkenntnisse sich aus dem beantragten weiteren Gutachten ergeben sollten. Insbesondere habe die Klägerin auch nicht vorgetragen, dass sich hinsichtlich der Schmerzerkrankung maßgebliche Änderungen oder Aspekte ergeben hätten, die von dem Sachverständigen nicht berücksichtigt worden seien.

4

Mit ihrer form- und fristgerecht eingelegten und begründeten Nichtzulassungsbeschwerde macht die Klägerin als Verfahrensmangel die Verletzung der §§ 103 und 109 [X.]G geltend.

5

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist zulässig, aber nicht begründet. Das angefochtene Urteil des L[X.] ist nicht unter Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 103 [X.]G) ergangen.

6

Soweit die Klägerin eine Verletzung des § 109 [X.]G darin sieht, dass das L[X.] ihrem hilfsweise gestellten Antrag auf Einholung eines schmerztherapeutischen Gutachtens von Frau Dr. P., [X.]., ohne hinreichende [X.]egründung nicht gefolgt sei, ist sie mit dieser Rüge im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde ausgeschlossen. Gemäß § 160 Abs 2 [X.] [X.]G kann der geltend gemachte Verfahrensmangel nämlich ua nicht auf eine Verletzung des § 109 [X.]G (Anhörung eines bestimmten Arztes) gestützt werden.

7

Auf Grundlage des § 160 Abs 2 [X.] [X.]G kann auch die Rüge, das L[X.] habe das Gutachten des Sachverständigen verwertet, obwohl sich dieser unzulässiger Weise (nur) auf die Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im [X.] Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht 2008 ([X.] 2008) gestützt habe, von vornherein nicht zur Zulassung der Revision führen. Eine Verletzung des § 103 [X.]G, wie sie die Klägerin in diesem Zusammenhang geltend macht, kann als Verfahrensmangel nur gerügt werden, wenn sie sich auf einen [X.]eweisantrag bezieht, dem das L[X.] ohne hinreichende [X.]egründung nicht gefolgt ist (vgl § 160 Abs 2 [X.] [X.]G). Einen diesbezüglichen [X.]eweisantrag hat die Klägerin nicht bezeichnet. Der Umstand, dass sich das Gutachten uU an einem nicht im gesamten streitigen [X.]raum geltenden Regelwerk orientiert hat, betrifft nicht das [X.]eweisverfahren, sondern den Inhalt des Gutachtens und damit die [X.]eweiswürdigung durch das L[X.]. Sofern das entsprechende Vorbringen damit als Rüge der Überschreitung der Grenzen der freien richterlichen [X.]eweiswürdigung (§ 128 Abs 1 S 1 [X.]G) aufzufassen wäre, kann nach § 160 Abs 2 [X.] [X.]G die Nichtzulassungsbeschwerde auf eine derartige Rüge nicht gestützt werden.

8

Soweit es die Klägerin schließlich als Verletzung des § 103 [X.]G rügt, dass das L[X.] ihrem bis zuletzt gestellten [X.]eweisantrag auf Einholung eines Gutachtens eines spezialisierten Schmerztherapeuten ohne hinreichende [X.]egründung nicht gefolgt sei, hat sie zwar den [X.] gemäß § 160a Abs 2 [X.] [X.]G entsprochen. Insbesondere hat sie schlüssig behauptet, dass das L[X.] sich zur [X.]efolgung dieses Antrages hätte gedrängt fühlen müssen. Dazu hat sie dargestellt, warum - aus ihrer Sicht - eine [X.]egutachtung auf schmerztherapeutischem Gebiet notwendig sei, nämlich zum Nachweis des Vorliegens eines chronischen Schmerzsyndroms mit einem eigenständigen Krankheitswert. [X.]ei sachlicher Überprüfung dieses Vorbringens erweist sich dieser Vorwurf indes als unbegründet. Das L[X.] ist diesem [X.]eweisantrag nicht ohne hinreichende [X.]egründung, dh ohne hinreichenden Grund ([X.][X.] [X.] 1500 § 160 [X.] 5), gefolgt (§ 160 Abs 2 [X.] [X.]G). Nach dem Stand der [X.]eweisaufnahme im [X.]punkt der Entscheidung des L[X.] war die Einholung eines schmerztherapeutischen Gutachtens nicht geboten.

9

Das L[X.] ist unter Nennung der maßgeblichen rechtlichen Grundlagen davon ausgegangen, dass die [X.]ewertung des Gd[X.] eine umfassende Feststellung der bestehenden, nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen, deren Zuordnung zu den in der Anlage zu § 2 [X.] - bzw für die [X.] bis zum 31.12.2008 in den [X.] 2008 - genannten Funktionssystemen und der [X.]eurteilung deren Auswirkungen auf die Fähigkeit zur Teilhabe am Leben in der Gesellschaft erfordert (vgl [X.][X.] Urteil vom [X.] - [X.] 9 S[X.] 4/08 R - [X.] 4-3250 § 69 [X.] 10 mwN). Dabei geht es nicht um therapeutische Ansätze, sondern nur um die genannten Feststellungen und [X.]eurteilungen.

Die Klägerin hat zwar geltend gemacht, unter besonderen Schmerzen infolge der Verschleißveränderungen der Wirbelsäule zu leiden. Allein dieser Umstand erfordert aber keine schmerztherapeutische [X.]egutachtung. Zur [X.]eurteilung von Schmerzen aufgrund eines [X.]s ist in erster Linie ein Arzt für Orthopädie berufen. Er ist fachlich nicht nur für die Feststellung und [X.]eurteilung der Veränderungen der Wirbelsäule, sondern auch für eine entsprechende [X.]ewertung der von diesen Veränderungen ausgehenden Schmerzen zuständig. In diesem Sinne ist der vom L[X.] gehörte orthopädische Sachverständige Dr. W. tätig geworden. Er hat sich, worauf das L[X.] zutreffend hinweist, mit den von den Verschleißveränderungen der Lendenwirbelsäule ausgehenden Schmerzen eingehend auseinandergesetzt und ausgeführt, dass eine hochspezifische Schmerztherapie nach den Untersuchungsergebnissen nicht erforderlich sei. Das L[X.] hat sich dieser [X.]eurteilung angeschlossen. Das ist nach Auffassung des erkennenden Senats nicht zu beanstanden.

Eine Pflicht zur Einholung eines schmerztherapeutischen Gutachtens könnte sich zwar in Fällen ergeben, in denen eine besonders starke Schmerzentwicklung bereits ärztlich diagnostiziert ist und ein Arzt für Orthopädie zu deren [X.]eurteilung fachlich nicht qualifiziert wäre. Dies wäre z[X.] anzunehmen, wenn sich eine von dem von ursprünglich betroffenen Organ - hier der Wirbelsäule - verselbstständigte Schmerzerkrankung herausgebildet hätte. Auch könnte sich bei einer Mangelhaftigkeit des vorliegenden orthopädischen Gutachtens ua auch die Anforderung eines schmerztherapeutischen Gutachtens aufdrängen, sofern die [X.]eschwerden weniger auf den knöchernen Veränderungen und mehr auf den Schmerzen beruhen.

Für derartige Gegebenheiten sind im vorliegenden Fall weder nach dem Vorbringen der Klägerin im [X.]erufungsverfahren noch nach dem sonstigen Akteninhalt hinreichende Anhaltspunkte ersichtlich. Zur [X.]egründung ihres [X.] hatte die Klägerin gegenüber dem L[X.] allein behauptet, dass die von ihr geschilderten [X.]eschwerden (Schmerzen) "samt und sonders" objektivierbar seien. Davon war indes schon der gerichtliche Sachverständige ausgegangen. Dessen Gutachten selbst ist auch nicht deshalb mangelhaft, weil sich der Sachverständige auch für die [X.] ab dem 1.1.2009, also nach dem Inkrafttreten der [X.] ([X.]), auf die [X.] 2008 gestützt haben mag. Die als Anlage zu § 2 [X.] gefassten "Versorgungsmedizinischen Grundsätze" ([X.]) entsprechen in ihrem Teil [X.] ([X.]) weitestgehend der [X.] 26 [X.] 2008. Insbesondere gilt dies für den Teil [X.] [X.] 18 [X.] und für [X.] 26.18 [X.] 2008, die beide überschrieben sind mit "Haltungs- und [X.]ewegungsorgane, rheumatische Krankheiten" mit ihrem jeweiligen Unterpunkt "[X.]". Es ist danach nicht ersichtlich, dass der Sachverständige zu einer anderen - der Klägerin günstigeren - [X.]eurteilung gelangt wäre, wenn er für die [X.] ab dem 1.1.2009 die [X.] zugrunde gelegt hätte. Schließlich erweist sich die Einholung eines schmerztherapeutischen Gutachtens auch nicht deshalb als notwendig, weil die Klägerin nach dem von ihr dem L[X.] vorgelegten Medikamentenplan das Schmerzmittel [X.] verordnet erhalten hatte.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 [X.]G.

Meta

B 9 SB 91/11 B

24.05.2012

Bundessozialgericht 9. Senat

Beschluss

Sachgebiet: SB

vorgehend SG Berlin, 29. Juni 2009, Az: S 40 SB 2869/07, Gerichtsbescheid

§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 103 SGG, § 109 SGG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 24.05.2012, Az. B 9 SB 91/11 B (REWIS RS 2012, 6095)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 6095

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

B 9 SB 47/09 B (Bundessozialgericht)

Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz - Beweisantrag - hinreichender Grund iS des …


L 2 SB 115/22 (LSG München)

Sachverständige, Widerspruchsbescheid, Heilungsbewährung, Befundberichte, Maßgeblicher Zeitpunkt, Funktionsbeeinträchtigung, Teilweise Aufhebung, Änderungsbescheid, Feststellungsbescheid, Gesundheitsstörung, Streitgegenstand des Berufungsverfahrens, …


L 15 SB 127/14 (LSG München)

Merkzeichen aG nur unter engen Voraussetzungen


S 57 SB 330/13 (SG München)

Verfahren zur Feststellung der Behinderung nach SGB IX (Schwerbehindertenrecht)


L 15 SB 17/16 (LSG München)

Im Schwerbehindertenrecht wird der Grad der Behinderung (GdB) nach den Funktionsbeeinträchtigungen in allen Lebensbereichen festgelegt …


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.