Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 21.02.2008, Az. 5 StR 511/07

5. Strafsenat | REWIS RS 2008, 5392

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5 [X.][X.]IM NAMEN DES VOLKES URTEIL vom 21. Februar 2008 in der Strafsache gegen wegen Totschlags - 2 - Der 5. Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 21. Febru-ar 2008, an der teilgenommen haben: [X.]in Dr. Gerhardt als Vorsitzende, [X.] Dr. Raum, [X.] Dr. Brause, [X.] [X.], [X.] Prof. Dr. Jäger als beisitzende [X.], Oberstaatsanwalt beim [X.]als Vertreter der [X.], Rechtsanwalt als Verteidiger, Justizhauptsekretärin

als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle, - 3 - für Recht erkannt:
Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Land-gerichts [X.] vom 13. Juli 2007 im [X.]. Die weitergehende Revision wird verworfen. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-tels, an eine andere [X.] des [X.] zu-rückverwiesen. [X.] Von Rechts wegen [X.]
G r ü n d e Das [X.] hat die Angeklagte wegen Totschlags zu einer [X.] und zehn Monaten verurteilt. Ihr Rechtsmittel dringt mit der Sachrüge zum Strafausspruch durch. Im Übrigen ist es unbe-gründet. 1 1. Das [X.] hat im Wesentlichen folgende Feststellungen ge-troffen: 2 Die Angeklagte wurde am 29. Oktober 1992 als nichteheliches Kind der später Getöteten [X.]

geboren. Diese hasste den leiblichen Vater des Kindes, der sie geschlagen und nach der Geburt der Angeklagten verlassen hatte. Diese Hassgefühle projizierte sie auf die Angeklagte, was in einer extremen emotionalen Vernachlässigung des Kindes zum Ausdruck 3 - 4 - kam. Mit zunehmendem Alter der Angeklagten wurde das Erziehungsverhal-ten der Mutter immer strenger. Zeitweise wurde das Wohnzimmer abge-schlossen, weil [X.]

ihre Tochter nicht sehen wollte, die [X.] durfte ihre Freunde nicht besuchen, sie erhielt kein Taschengeld und musste die Mahlzeiten allein im Kinderzimmer einnehmen. Wenn die [X.] zu bestimmten Anlässen Geschenke bekam, wurden ihr diese von der Mutter vorenthalten. Mindestens seit ihrem 12. Lebensjahr wurde die Angeklagte auch re-gelmäßig geschlagen und an den Haaren gezogen, gelegentlich wurden ihr auch Büschel aus den Locken geschnitten. Das Strafensystem der Mutter entwickelte sich zu einer —[X.] ([X.]). [X.] hielt ihre Tochter nach der Schule praktisch isoliert. Sie demütigte und schikanierte die Angeklagte; bei Familienfeiern wurde sie in Gespräche nicht einbezogen oder sogar —räumlich abseits [X.] ([X.]). Als die Angeklagte bereits die siebte Klasse besuchte, musste sie auf Geheiß der Mutter kindliche und zum Teil abgetragene Kleidung anziehen, weshalb sie von ihren Mitschülern gehänselt wurde. Die altersgerechte Kleidung schloss [X.] weg. 4 Im Mai 2006 biss C.

H. der Angeklagten in den rechten [X.], weil diese sich trotz mütterlichen Verbots die Beine rasiert hatte. Einen Tag später schlug sie der Angeklagten mehrfach heftig ins Gesicht und zerrte an ihrer Jacke, woraufhin die Angeklagte zu Boden stürzte, was die Mutter zum Anlass nahm, ihrer Tochter in den Bauch zu treten. Die [X.] flüchtete aus der Wohnung und erstattete eine Strafanzeige gegen ihre Mutter. 5 Die Angeklagte wurde alsdann auf ihren Wunsch durch das Jugend-amt in eine Einrichtung des betreuten [X.] eingewiesen, wo sie etwa fünf Monate mit älteren Jugendlichen zusammenlebte. Da die Angeklagte nicht gelernt hatte, mit Freiheiten umzugehen, kam es zu vorhersehbaren Problemen. Sie begann Haschisch und Alkohol zu konsumieren und hatte 6 - 5 - sexuelle Kontakte mit jungen Männern. Ihre bis dahin guten bis sehr guten Schulnoten verschlechterten sich, da sie häufig die Schule schwänzte. Am 29. Oktober 2006, ihrem 14. Geburtstag, kehrte die Angeklagte in den [X.] zurück. Wenngleich die Mutter unter dem Eindruck des gegen sie eingeleite-ten Verfahrens wegen Misshandlung Schutzbefohlener die Angeklagte nicht mehr schlug, fuhr sie doch fort, ihre Tochter zu malträtieren und zu demüti-gen. Zum Beispiel drückte sie ihre Missachtung dadurch aus, dass sie die Angeklagte anspuckte. Als die Angeklagte entgegen der mütterlichen Wei-sung einmal erst nachts nach [X.] kam, ließ die Mutter sie nicht in die Wohnung. 7 8 Allmählich wurde die Angeklagte widerspenstig und wollte sich von ih-rer Mutter nichts mehr sagen lassen. Nach Auseinandersetzungen begann sie sich selbst zu verletzen und an den Armen zu ritzen. Als die Mutter ihr mit Heimeinweisung drohte, lief sie mehrfach von zu [X.] weg und schwänzte die Schule. Am 13. Dezember 2006 [X.] die Angeklagte war wieder ausgeris-sen [X.] stellte die Mutter einen Antrag auf Heimerziehung. Die Angeklagte wollte dies nicht, weil sie befürchtete, wegen der räumlichen Entfernung den Kontakt zu ihrem Freund und zu einer bestimmten Freundin zu verlieren. Als sie am selbigen Abend von der Polizei nach [X.] gebracht wurde, eröffnete ihr die Mutter, dass das Maß nun voll sei und sie in das Kinderheim müsse. Um ein erneutes Ausreißen der Tochter zu verhindern, schloss sie im Beisein der Angeklagten die Wohnungstür ab und versteckte den Schlüssel. Der [X.] befahl sie, ins Kinderzimmer zu gehen und sich schlafen zu legen. Die Angeklagte befürchtete nun, ihre Freunde nicht mehr sehen zu können und wollte um jeden Preis die Wohnung verlassen. Wütend über ihr Eingesperrtsein verfiel sie auf die Idee, ihre Mutter mit einem Messer zu bedrohen, um die Herausgabe des Schlüssels zu er-zwingen. Sie holte aus der Küche ein Messer mit einer Klingenlänge von 9 - 6 - 18 cm, das sie unter ihre Bettdecke legte. Zwischenzeitlich überlegte sie, dass sie ihre Mutter allein durch die Drohung mit einem Messer wohl nicht zur Herausgabe des Wohnungsschlüssels werde zwingen können. Als sich die Mutter [X.] mit ihrer Freundin telefonierend [X.] dem Kinderzimmer näherte, ergriff die Angeklagte das Messer und stellte sich unmittelbar hinter die [X.]. Als die Mutter sie nun zum [X.] aufforderte, ins Bett zu gehen, versetzte sie ihr kurz hintereinander zwei wuchtige Stiche in den Schulter- und Brustbereich. Die Bitte ihrer Mutter, sie solle aufhören, [X.] sie nicht. Sie versetzte ihr weitere Stiche, wobei C.

H. zu Fall kam. Im Fallen forderte sie ihre Freundin [X.] die telefonische Verbindung bestand noch [X.] auf, die Polizei zu alarmieren. Als die Angeklagte dies hörte, geriet sie noch mehr in —[X.] ([X.]) und entschloss sich spätestens jetzt, ihre Mutter zu töten, um dem heimischen Gefängnis zu entkommen. Die Bitte ihrer Mutter —[X.], [X.] doch bitte [X.] ließ sie zwar kurz innehalten und überlegen. Im Bestreben, aus der Wohnung herauszukommen und ihre Freunde zu behalten, stach sie jedoch wenig später weiter auf ihre Mutter ein. Insgesamt versetzte sie ihr 26 Stiche, von denen sechs lebenswichtige Organe trafen. [X.] verstarb noch am [X.]. [X.] beraten ist die [X.] zu dem Ergebnis ge-langt, dass viele Umstände [X.] die typische Konfliktentwicklung, die Zuspitzung der Situation, die Destabilisierung der Angeklagten, die Vielzahl der Messer-stiche, die Persönlichkeitsfremdheit der Gewalttat, das Fixiertsein auf den Wunsch, die Wohnung zu verlassen, ohne an die strafrechtlichen Folgen zu denken [X.] für einen erheblichen schuldmindernden Affekt sprächen. Dennoch könne in Übereinstimmung mit dem [X.]en insbesondere auf-grund des Innehaltens und Überlegens während der Tat lediglich von einer hohen affektiven Erregung der Angeklagten ausgegangen werden, die noch nicht zu einer erheblichen Einschränkung der Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB geführt habe. 10 2. Der Strafausspruch hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. 11 - 7 - a) Das [X.] hat die Verhängung der Jugendstrafe gemäß § 17 Abs. 2 [X.] auf die Schwere der Schuld gestützt, obwohl die Angeklagte bei Begehung der Tat die Grenze zur [X.] gerade erst um eineinhalb Monate überschritten hatte (vgl. [X.], [X.] 12. Aufl. § 17 Rdn. 29 m.w.N.). Der Senat schließt vor dem Hintergrund der vom jugendpsychiatri-schen [X.]en plausibel dargelegten Entwicklung der Persönlich-keit der Angeklagten mit den Auswirkungen auf ihre psychische Verfassung zur Tatzeit aus, dass die [X.] bei Bejahung der Schwere der Schuld nicht alle dafür maßgeblichen Umstände bedacht hat. 12 b) Durchgreifenden Bedenken begegnen indes die Erwägungen, mit denen das [X.] die Höhe der Jugendstrafe begründet hat. Der [X.] hat es als straferhöhenden Zumessungs-grund maßgeblich den Umstand gegenübergestellt, dass die Angeklagte mit der Tötung ihrer Mutter schwere Schuld auf sich geladen habe. Diese [X.] deutet darauf hin, dass die [X.] nicht allein auf die Tötung eines Menschen, sondern wesentlich auf einen mit der Tötung der eigenen Mutter gesteigerten Unrechtsgehalt abgestellt hat. Dabei verkennt die Ju-gendkammer, dass die Gründe, welche die Tötung der eigenen Mutter gene-rell als besonders verwerflich erscheinen lassen, hier nicht vorliegen; im Ge-genteil: Gerade die sogar mit Straftaten einhergehenden Erziehungsmetho-den sind für die Konflikttat der Angeklagten mitursächlich geworden. 13 Die [X.] hat eine Jugendstrafe in der verhängten Höhe auch deshalb für erforderlich gehalten, weil im Blick auf die gravierenden Mängel der mütterlichen Erziehung ein hoher erzieherischer Nachholbedarf bestehe. Inwieweit die Verbüßung der Jugendstrafe in dieser Länge zur Be-hebung des festgestellten Erziehungsdefizits erforderlich ist, erläutert das [X.] hingegen nicht. Dies wäre schon wegen des jugendlichen Alters der Angeklagten erforderlich gewesen. Hierbei hätte insbesondere erwogen werden müssen, wie die Jugendstrafe mit Blick auf die schulischen Belange sowie die persönliche Entwicklung der Angeklagten, die nach den [X.] - 8 - lungen des [X.] zur Bearbeitung der Tat- und Schuldproblematik dringend therapeutischer Behandlung bedarf, mit den im Jugendstrafvollzug zur Verfügung stehenden Mitteln zeitlich zu bemessen ist (vgl. BGHR [X.] § 18 Abs. 2 Erziehung 3, 8 und 10). 3. Danach muss die Jugendstrafe neu bestimmt werden. Der Aufhe-bung von Feststellungen bedarf es bei dem hier vorliegenden Wertungsfehler nicht. Der neu berufene Tatrichter wird die Jugendstrafe auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen festzusetzen und zusätzlich zu bedenken ha-ben, welche erzieherischen Wirkungen die seit der Tat vollzogene Untersu-chungshaft auf die Angeklagte bisher gehabt hat. 15 [X.]Raum

Brause [X.] Jäger

Meta

5 StR 511/07

21.02.2008

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 21.02.2008, Az. 5 StR 511/07 (REWIS RS 2008, 5392)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2008, 5392

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